
"Wenn sie bei uns sind und ein Familienproblem haben. Dann wollen Sie auch mit jemandem sprechen, der ihre Kultur kennt und ihnen weiterhelfen kann."
Die Al-Nur-Moschee ist eines von elf islamischen Gotteshäusern in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt. Sie sieht aus wie ein mehrstöckiges Wohnhaus und ist damit unauffällig. So wie die meisten Moscheen hierzulande. Dies dürfte wohl auch der wichtigste Grund sein, weshalb niemand genau weiß, wie viele Moscheen es überhaupt in Deutschland gibt. Im Grunde, sagt die Göttinger Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus, verfüge man nur über einen Annäherungswert:
"Es gibt eine Schätzung, und zwar basiert die darauf, zusammenzurechnen wie viele Ortsgemeinden, die bestehenden großen islamischen Zusammenschlüsse und Dachverbände haben. So kommt man auf geschätzte 2.600 Moscheegemeinden in Deutschland. Es gibt an die 150 gebaute, sozusagen repräsentative Moscheen, die vielleicht dann auch mal eine Kuppel oder ein Minarett haben. Die meisten Moscheegemeinden sind Räumlichkeiten, die umfunktioniert wurden."

"Es gibt eine Befragung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, das ist 'Das muslimische Leben in Deutschland'. In dieser Studie sind es um die 15 bis 20 Prozent der geschätzten Anzahl der Muslime in Deutschland, die sich einem Verband verbunden fühlen oder durch ihn vertreten fühlen."
Ob der angegebene Prozentsatz wirklich den Anteil derjenigen Muslime wiedergibt, die regelmäßig die Moscheen besuchen, ist jedoch umstritten. Anders nämlich als bei den christlichen Kirchen, könne von der Mitgliedschaft in einem islamischen Verband nicht unmittelbar auf den Moscheebesuch geschlossen werden, erklärt Hamideh Mohaghighi, islamische Theologin an der Universität Paderborn:
"Es gibt Mitglieder, es gibt aber auch viele Muslime, die nicht Mitglieder sind und trotzdem in diese Moscheen reingehen. Deswegen ist es dann wirklich mit den Zahlen zu zeigen, ist es schwierig."
"Die Verbände versuchen einen glauben zu machen, dass sie diejenigen sind, die die Muslime in Deutschland repräsentieren. Versuchen sich als Sprachrohr der Muslime der Politik auch anzubieten. Zum Teil mit gutem Erfolg, muss ich sagen. Aber, die Sache ist eben die, dass sie nur einen kleinen Teil aller in Deutschland lebenden Muslime tatsächlich vertreten können, weil die Mehrheit der Muslime gar nicht organisiert ist. Sie sind gar nicht Teil eines Verbandes oder auch nicht einer Moscheegemeinde."
Diese Einschätzung teilt auch die islamische Theologin Hamideh Mohaghighi. Die Muslime in Deutschland würden durch die islamischen Verbände nur bedingt repräsentiert.
"Es ist einfach so, dass die Mehrheit der Muslime sich jetzt nicht vertreten fühlt. Weil sie auch nicht direkten Kontakt mit den Verbänden hat."

"Verbände und Moscheegemeinden, die tun natürlich einen Teufel, das offenzulegen. Sie können jetzt nicht in eine Moscheegemeinschaft gehen oder in einen Verband und sagen: 'Jetzt erzählen Sie mir doch mal bitte, von wem Ihre Finanzen kommen'. Die Antwort wird immer sein: 'Spenden!' Spenden aus den Reihen der eigenen Mitglieder. Und das ist ein Feld, über das nicht gerne geredet wird."
"Die größte finanzielle Hilfe für uns ist natürlich, dass die Imame, die aus der Türkei hierher entsandt werden, uns nichts kosten. Das ist eine enorme Erleichterung. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden einen Imam so brutto 5.000, 6.000 monatlich honorieren. 1.000 Imame, das ist eine enorme Summe, viele unserer Moscheegemeinden wären finanziell an ihren Grenzen."
"Ditib-Imame kommen ja aus der Türkei, sie werden von dort bezahlt. Das ist einmal das. Dann gibt es einzelne Moscheen, die dann durchaus von Saudi-Arabien scheinbar finanziert werden. Weil, das sind ja kleine muslimische Gruppierungen, die dann auf einmal eine Moschee haben, wenn sie auch Anhänger dieser Ideologie sind. Dass sie dann durchaus finanziert werden. Einzelne iranische Moscheen, die hier sind, die bekommen natürlich auch ihre Gehälter, ihr Geld aus dem Iran."

"Wenn regelmäßig Geld fließt und die Moscheearbeit abhängig ist von diesem Geld aus dem Ausland, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass da auch Anforderungen mit verbunden werden."
"Sicherlich wäre eine Möglichkeit, dass ähnlich wie bei den Kirchen unser Staat eben auch da Steuern erhebt. Man müsste Moscheen wahrscheinlich auch bezuschussen, weil die Mitglieder oft deutlich ärmer sind als die Mitglieder in Kirchen. Also, man müsste sich sicherlich Gedanken machen, wie diese Moscheen finanziert werden."
Auch für Hamideh Mohaghighi ist ein Verbot der Auslandsfinanzierung deutscher Moscheen alleine zu wenig. Zwar sei dieses Thema ausgesprochen wichtig und müsse angegangen werden, aber:
"Das ändert sich nur, wenn die Moscheegemeinden finanzielle Mittel dazu haben, sich selbst hier zu organisieren. Daher muss man vielleicht erst daran arbeiten, als zu sagen: "Das verbieten wir alles." Das wird nicht funktionieren, sondern arbeiten daran: Wir erkennen die Muslime als Religionsgemeinschaft an. Machen wir sie zur Körperschaft des Öffentlichen Rechtes. Und dann haben sie auch die Möglichkeit, hier Gelder zu haben und sich selbst hier zu finanzieren."
Ob eine pauschale Anerkennung sämtlicher islamischer Verbände als Körperschaft des Öffentlichen Rechtes machbar und gewollt ist, muss letztlich politisch entschieden werden. Gleichwohl könnte der Gedanke einer Eigenfinanzierung der Moscheen – auch mit Hilfe öffentlicher Mittel – grade unter dem Aspekt der Integration ein erwägenswerter Ansatz sein. Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, stimmt ihm jedenfalls zu:
"Wer "a" sagt, muss auch "b" sagen. Wenn man sagt, okay wir wollen dieses System so nicht mehr haben - und da gibt es durchaus Gründe dafür, das zu sagen - dann müssen wir uns auch die Frage gefallen lassen: Wie finanzieren wir die? Wie organisieren wir das hier in diesem Land? Und da ist der Zentralrat gerne bereit mitzumachen."

"Das finde ich Unsinn. Erstens: Arabisch kann man gar nicht verbieten. Ganze Gebete sind in Arabisch. Das ist die spirituelle Sprache aller Muslime. Und auch in anderen Sprachen. Warum soll es nicht sein, dass ein Mensch sich in zwei Sprachen zu Hause fühlt?"
Hinzu kommt ein zweites Problem: Wer Deutsch als Pflichtsprache in Moscheen türkisch- oder arabisch-stämmiger Muslime verordnet, muss sich gleichzeitig fragen lassen, wie er es mit den Kirchen italienisch- oder griechisch-stämmiger Christen und den Synagogen russisch-stämmiger Juden halten will. Hier gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung. Zudem weist Riem Spielhaus daraufhin, dass eine Deutsch-Pflicht in islamischen Gotteshäusern keineswegs Schutz vor Extremismus bietet:
"Ich glaube nicht, dass das wirklich hilfreich ist. Im salafistischen Feld, finde ich, dass die problematischsten Predigten nicht unbedingt in arabischer Sprache, sondern gerade auch auf deutscher Sprache laufen. Wir haben da ja eine ganze Reihe von Konvertiten auch, die unterwegs sind und kein Blatt vor den Mund nehmen, auch wenn sie Deutsch sprechen. Also, deutsche Sprache hilft auch nicht unbedingt vor Extremismus."
Laut Verfassungsschutz werden derzeit bundesweit 90 Moscheen als extremistisch eingestuft und observiert. Die meisten von ihnen sind nach Angaben von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen arabisch-sprachige Moscheen.

"Aus den Gemeinden höre ich immer mehr, dass es durchaus Kritik gibt von der zweiten, dritten Generation. Die wünschten sich eigentlich, hier aufgewachsene, hier sozialisierte und deutsch sprechende Imame, und sind dadurch kritisch gegenüber dieser Entsendung aus der Türkei."
Diese Position vertritt auch Nushin Atmaca, die Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes. Sie verweist darauf, dass gerade Imame, die die Lebensverhältnisse in Deutschland kennen und hier aufgewachsen sind, zur besseren Integration von Muslimen beitragen könnten:
"Neben der Frage der Finanzen ist die Frage dessen, was inhaltlich in Moscheen gepredigt und vermittelt wird, viel relevanter. Und es ist sehr viel wichtiger, darauf zu schauen, welches Gedankengut oder welche Spielarten des Islam dort vertreten werden. Ich denke, es ist wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, weil es letztlich ja auch darum geht – auch für uns Muslime - wie sich unsere Religion weiterentwickelt und welche Strömungen, über Deutungshoheit verfügen."
Bislang lag die Deutungshoheit des deutschen Islams in den Händen der Verbände, die in der Regel ihre Imame aus dem Ausland holten. Seit 2010 gibt es Alternativen. Denn an mehreren deutschen Universitäten wird seitdem der Studiengang "Islamische Theologie" angeboten, so dass sich angehende Imame auch hierzulande und in deutscher Sprache ausbilden lassen können. Für Susanne Schröter ist dies ein großer Vorteil, der genutzt werden sollte:
"Man sollte schauen, dass die Imame in den Moscheen tatsächlich im Land ausgebildet werden. Wir haben islamische Theologien an unseren Hochschulen. Und die produzieren Absolventen, die durchaus in der Lage wären, auch in den Moscheen Funktionen auszuüben. Dass muss man aber wollen."
Die Vertreter der islamischen Verbände allerdings beobachteten diese Entwicklung mit Argwohn, sagt Susanne Schröter. Und sie verweist auf den Fall des islamischen Theologieprofessors Mouhanadaus Khorchide aus Münster, der wegen seiner weltoffenen Haltung über lange Zeit von Vertretern der Verbände bekämpft wurde.
"Das ist nicht gewollt, dass jemand tatsächlich ihnen die Deutungshoheit über den Islam abspenstig macht. Dass hier andere Deutungen an den Universitäten entstehen, liberale Deutungen. Und solche liberalen Deutungen, die auch noch wissenschaftlich fundiert sind. Das ist ja eine Bedrohung. Wenn man vorher die einzigen Instanzen war, die den Islam interpretiert haben, dann ist das natürlich für solche Verbandsvertreter nicht gerade eine Freude."
Die Verbände haben jedoch nach wie vor Einfluss. Denn sie stellen die Vertreter einiger Beiräte, die die Lehrstühle für islamische Theologie fachlich beaufsichtigen. Die islamische Theologin Hamideh Mohaghighi sieht darin nicht unbedingt einen Nachteil. Wichtig sei allerdings, dass die Freiheit der Wissenschaft nicht angetastet werde:
"Wenn jemand sagt, ich glaube nicht an Gott, und sagt, ich mache islamische Theologie, ist klar, dass es nicht möglich ist. Aber es muss dann im bestehenden Rahmen, wo man an Glaubensgrundprinzipien festhält, doch die Möglichkeit geben, frei zu forschen. Und es muss nicht so sein, dass die Theologinnen und Theologen daran gehindert werden, wirklich eine islamische Theologie zu entwickeln, die wirklich auf Denken, auf Reflektieren, auf Vernunftbasis arbeitet und nur gucken muss, was darf ich und was darf ich nicht."

"Wenn Sie jetzt Imame, die ein gemäßigtes Wissen über den Islam verbreiten, nicht zulassen, dass sie in Deutschland arbeiten, dann entsteht ein großes Vakuum: Wer soll dieses Vakuum füllen? Dann ist sozusagen Tür und Tor geöffnet für radikale Prediger, und das muss man sich gut überlegen, ob man das machen möchte."
"Es besteht noch die Angst davor, wenn man sich zu viel als Deutsche versteht, dann automatisch verliert man eigene Glaubensprinzipien. Dann assimiliert man sich in eine Form, die dann der Anlass dafür ist, dass man nicht mehr den eigenen Glauben erst nimmt."
"Ich glaube, vielen Politikern ist der Islam grundsätzlich etwas Fremdes und etwas So-Fremdes, dass sie sich schon fast weigern, sich damit auseinanderzusetzen. Und glauben, wenn man da jetzt nicht drüber redet, dann wird das sich irgendwie so organisieren, wie sich auch das Christentum organisiert hat. Das heißt: Die Muslime werden irgendwie so was wie eine Kirche jetzt gründen, und da hat man dann Ansprechpersonen. Aber realisieren nicht, dass der Islam sehr heterogen ist. Und dass das alles auch etwas Politisches hat."