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Rentendebatte
"Systematische Zuwanderung löst das Problem mathematisch"

Die Rente mit 67 sei die richtige Antwort darauf, dass immer weniger Erwerbstätige immer mehr Ruheständler finanzieren müssen, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer im Deutschlandfunk. Mit einer gezielten Zuwanderung von Fachkräften lasse sich ein Teil des Problems bereits lösen.

Ingo Kramer im Gespräch mit Peter Kapern | 15.04.2016
    Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
    Für Rente mit 67 und gezielte Zuwanderung: Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (imago stock & people)
    Es gebe gleich zwei Herausforderungen für die Rentenkassen, erläuterte Kramer: die gestiegene Lebenserwartung und das sich verändernde Verhältnis von Einzahlern und Rentnern. Der Arbeitgeberpräsident sagte: "Die Rente mit 67 wäre die richtige Antwort gewesen." Wenn Menschen gesund seien, müssten sie auch länger arbeiten. Durch die Kehrtwende bei der Rente mit 67 sei in Bevölkerung der "Eindruck entstanden, die ganze Grundhaltung, die zur Rente mit 67 geführt hat, ist falsch, es geht auch mit 63."
    Kramer sprach sich dafür aus, "systematisch über Zuwanderung einen höheren Anteil einer arbeitsfähigen Bevölkerung in Deutschland zu halten". Das würde einen Teil des Problems bereits lösen. Die Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sein, ersetzten eine gezielte Zuwanderung von Fachkräften jedoch nicht. Die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren, stelle eine Herausforderung dar. Damit das gelinge, brauchten sie zunächst einmal Sprachkurse und oftmals auch eine Ausbildung.

    Peter Kapern: Ist es Einsicht in eine echte Notwendigkeit, oder ein Anzeichen der Panik, die die Volksparteien befallen hat, angesichts des massiven Wählerschwundes? So oder so: Union und SPD wollen eine ganz, ganz große Rentenreform, eine, die das Rentenniveau wieder anhebt, damit nicht schon in wenigen Jahren Millionen von Rentnern, die ihr Leben lang gearbeitet und in die Rentenkasse eingezahlt haben, in Armut versinken und zum Sozialfall werden. Denn genau das prognostizieren immer mehr Experten. Wenn jetzt also Union, CSU insbesondere, und SPD gleichermaßen eine Rentenreform ankündigen, treibt das dann den Arbeitgebern in Deutschland den Angstschweiß auf die Stirn? Das habe ich vor der Sendung Ingo Kramer gefragt, den Präsidenten der Bundesvereinigung der Arbeitgeber.
    Ingo Kramer: Erst mal erweckt es bei mir den Eindruck, dass wir an Symptomen herumdoktern, anstatt die Ursachen anzugehen. Wir wissen relativ genau, welches die Ursachen sind, und das hat ja auch schon die Grundlage gebildet für die letzte Reform, die zu rot-grünen Zeiten vor, ich glaube, 15 Jahren stattgefunden hat. Es sind zwei Ursachen. Das eine ist, dass wir in den nächsten Jahren deutlich weniger Menschen im Erwerbsleben haben und gleichzeitig mehr Menschen in der Rente haben. Das heißt, immer weniger Menschen müssen immer mehr Menschen finanzieren. Das ist das eine Problem. Das andere Problem ist, dass glücklicherweise die Lebenserwartung steigt, wir länger gesund bleiben, aber die Politik noch nicht daraus den Schluss gezogen hat, dass diejenigen, die gesund sind, dann möglicherweise auch länger beitragen müssen zum volkswirtschaftlichen Volumen, damit die jüngere Generation etwas weniger belastet wird. Das ist noch ein Problem.
    "Rente mit 67 wäre die richtige Antwort gewesen"
    Kapern: Jetzt muss ich noch mal nachhaken, Herr Kramer. Sie sagen, die Politik hat noch nicht verstanden, dass die, die Arbeit haben, möglicherweise länger arbeiten müssen, damit wir das Problem ansatzweise lösen.
    Kramer: Ja.
    Kapern: Ich erinnere mich da an etwas, das heißt Rente mit 67. Ist das nicht die Antwort auf die Frage, die Sie gerade aufgeworfen haben?
    Kramer: Das wäre die richtige Antwort gewesen. Aber wie Sie wissen, haben wir gerade im letzten Jahr davon eine Kehrtwendung gemacht, zumindest für die nächsten zehn Jahre.
    Kapern: Und für nur einige wenige.
    Kramer: Ja! Aber in der Bevölkerung entsteht der Eindruck oder ist der Eindruck entstanden, die ganze Grundhaltung, die zur Rente mit 67 geführt hat, ist falsch, denn man sieht ja, es geht auch mit 63. Das ist einfach das falsche Signal gewesen und das fällt natürlich jetzt der Politik auch vor die Füße.
    Wir müssen uns daran gewöhnen, wenn wir die nächste Generation nicht überfordern wollen - und das ist die Hauptsorge -, dass diejenigen, die es können, also nicht diejenigen, die krank und belastet sind, aber diejenigen, die es können, in Zukunft länger bleiben. Meinen Kindern sage ich: Geht mal nicht davon aus, dass ihr mit 65 oder 67 in Rente kommen werdet. Das wird wahrscheinlich, solange ihr gesund seid, nicht klappen.
    Kapern: Sondern? Wann dürfen Ihre Kinder in Rente?
    Kramer: Schrittweise mit zunehmender Alterserwartung - und das kann ich Ihnen nun nicht sagen, wie sich die Alterserwartung in den nächsten 30, 40 Jahren entwickeln wird -, aber zunehmend mit dieser Alterserwartung wird wahrscheinlich das Renteneintrittsalter nach oben gehen, sofern die Menschen gesund sind. Das ist die Schlüsselfrage. Anders kriegen wir das Problem nicht in den Griff und dieser Frage, der müssen wir uns nähern.
    "Das ist keine Massenarmut"
    Kapern: Nun haben Sie ja eben gesagt, Sie wollten noch mal auf die Ursachen kommen. Auch Horst Seehofer sieht ja Ursachen für seinen Ruf nach einer tiefgreifenden Rentenreform. Er sagt, die Hälfte der Bevölkerung landet im Rentenalter in der Armut, wenn es keine tiefgreifende Reform gibt mit einer Anhebung des Rentenniveaus. Sollte so eine Massenarmut, die heute schon erkennbar ist, nicht auch die Arbeitgeber interessieren?
    Kramer: Das würde mich sehr interessieren, aber diese ist eben heute nicht erkennbar. Wir haben heute rund drei Prozent der Rentner, die darüber hinaus noch von der Grundsicherung profitieren, drei Prozent. Es ist keine Massenarmut. Und alle Zahlen, die da nach vorne jetzt in den letzten zwei Wochen überhaupt erst entwickelt wurden, halten keiner größeren Überprüfung stand.
    Kapern: Wie kommen Sie darauf?
    Kramer: Die Frage lautet, wie kommen die darauf! Ich bitte Sie!
    Kapern: Meinen Sie nicht, dass Horst Seehofer da Experten hat, die ihm exakte, präzise und zutreffende Zahlen vorlegen? Meinen Sie, der würde da mit getürkten Zahlen in die Öffentlichkeit gehen?
    Kramer: Ich will es mal so sagen: Im Moment werden politische Ränkespiele in der Koalition gespielt, die zu gegenseitigem Kräftemessen führen, und das führt dann auch zu solchen Äußerungen. Lassen Sie uns wieder zum Kern zurückkommen. Der Kern des Problems ist, dass in zehn Jahren etwa sechs Millionen Menschen weniger im erwerbsfähigen Alter sein werden als heute. Dieses Problem anzugehen, also systematisch über Zuwanderung einen höheren Anteil einer arbeitsfähigen Bevölkerung in Deutschland zu halten, würde einen Teil dieses Problems bereits lösen.
    Kapern: Tun wir das nicht gerade?
    Kramer: Na die Überzeugung fehlt ja wohl ein bisschen.
    Kapern: Aber nicht die Zuwanderung.
    Kramer: Die Zuwanderung ist keine gezielte Zuwanderung, sondern eine aus der Not geborene, und deswegen setze ich mich, wie Sie wissen, sehr dafür ein, dass wir diejenigen, die nun zu uns gekommen sind, so betreuen, so mit Sprachkenntnissen versorgen, so mit Ausbildung versorgen, dass sie, wenn sie denn hier sind, auch ihren Teil dazu beitragen können. Aber das ersetzt keine gezielte Zuwanderung in unseren Arbeitsmarkt, um die Lücke, die die ins Rentenalter eintretenden Menschen in den nächsten Jahren bis 2030 öffnen werden, dass die geschlossen wird. Wir müssen uns dieser Frage viel offensiver stellen. Sonst geht einfach die Schere auseinander. Wenige Menschen müssen viele finanzieren! Das Problem hat noch keiner angepackt.
    Kramer: Man kann bei der Riester-Rente nicht von Scheitern sprechen
    Kapern: Nun hat es ja einen Versuch gegeben, dieses Problem zu lösen. Das war mit dem Namen Riester verbunden, also die private Vorsorge. Auch die ist total gescheitert, jedenfalls nach der Wahrnehmung von Horst Seehofer.
    Kramer: Wenn drei Viertel aller deutschen Beschäftigten neben dem Rentensystem, dem staatlichen Rentensystem andere Versorgungsschritte dazu eingeleitet haben, Riester-Rente, betriebliche Altersversorgung, verschiedenste Modelle, drei Viertel - genau sind es 72 oder 73 Prozent der deutschen Bevölkerung -, dann kann man nicht von Scheitern sprechen. Wir müssen auch aufpassen, dass vernünftige Dinge, die man vielleicht verbessern kann, jetzt nicht pauschal an die Wand geschoben werden, ich sage mal, aus vielleicht nicht ganz stimmigen politischen Gründen.
    Kapern: Nun muss man natürlich bei diesen drei Vierteln aller Erwerbstätigen, die eine private Vorsorge betreiben, auch noch genau nachschauen, Herr Kramer, wieviel denn dabei herumspringt, wenn die dann erst mal im Rentenalter sind.
    Kramer: Richtig! Und darum sind bestehende Systeme immer verbesserungsfähig. Daran würde ich jeder Zeit mitwirken wollen. Und dann, wenn man daran mitwirkt, das zu verbessern, dann kommt man auch daran, dass man an den Ursachen wirklich ansetzt. Aber es ist nun wirklich keine Lösung zu sagen, heute beschließen wir etwas und wer das übermorgen, in 10, 15 Jahren finanzieren soll, dann sind wir ja nicht mehr im Amt, sollen die doch sehen, wie sie damit klar kommen. Ich könnte mich auch locker hinsetzen, denn ich bin 63, und sagen, ist ja die Generation nach mir, aber das ist verantwortungsloses Handeln.
    "Erwerbstätige Bevölkerung durch systematische Zuwanderung auf Level halten"
    Kapern: Jetzt mache ich mal einen Vorschlag, wer das finanzieren könnte, nämlich Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam durch einen leicht, moderat ansteigenden Rentenbeitrag.
    Kramer: Ändert aber nichts daran, dass in Zukunft weniger Menschen mehr Menschen noch teurer finanzieren sollen. Die Alternative: Wir bleiben etwas länger, sofern wir denn gesund sind, im Arbeitsleben und tun jeder einen Teil dazu bei, ich ja auch. Ich habe auch ja noch nicht meinen Löffel weggelegt. Und gleichzeitig sorgen wir dafür, dass die erwerbstätige Bevölkerung durch organisierte Zuwanderung, systematische Zuwanderung auf dem Level gehalten wird, den wir heute haben. Dann löst sich dieses Problem mathematisch.
    Kapern: Noch ein anderer Vorschlag. Der wird gerade aus den Reihen der CDU ventiliert. Wenn man sich dann tatsächlich über eine neue tiefgreifende Rentenreform unterhält, dann könnte man auch den Vorschlag aufgreifen, die Basis der Beitragszahler zu verbreitern, also auch Selbständige und Beamte in die Rentenkasse einzahlen zu lassen. Könnte das helfen?
    Kramer: Jede Verbreiterung der Renteneinzahlungsbasis ist sicherlich richtig. Ich persönlich hätte für solche Dinge ein offenes Ohr. Aber das alleine wird die Zahl derjenigen, die ins Rentenalter eintreten und nicht als junge Generation nachwachsen, nicht schließen können. Auch damit wird man sich nicht um die Frage herumdrücken können, brauchen wir Zuwanderung oder nicht. Und solange bei uns in Deutschland eine Grundhaltung gegen Zuwanderung existiert, werden wir dieses Problem weiterhin behalten.
    Kapern: Ingo Kramer, der Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, heute Morgen im Deutschlandfunk. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    //Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen