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Rentenreform
Bartsch: "Die zentralen Probleme werden nicht angegangen"

Die Bundesregierung müsse ihre Rentenpläne auf eine solidere Finanzbasis stellen, meint der Fraktionsvize der Linken, Dietmar Bartsch. Im DLF-Interview sagte er, zu viele gesellschaftliche Gruppen blieben immer noch benachteiligt. Bartsch sprach sich für eine grundlegende Rentenreform aus.

    Die Bundesregierung verteilt Geld, viel Geld: bis 2030 160 Milliarden Euro. Bundesarbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles hat jetzt in die Form eines Gesetzentwurfes gegossen, worauf sich die Koalitionspartner geeinigt hatten.
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist Dietmar Bartsch, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Deutschen Bundestag. Guten Morgen.
    Dietmar Bartsch: Guten Morgen. Ich grüße Sie.
    Heinemann: Herr Bartsch, mehr Geld für Mütter und für Arbeitnehmer, die lange eingezahlt haben. Sie dürfen jetzt einmal kräftig die Bundesregierung loben.
    Bartsch: Ich kann die Bundesregierung wirklich nicht loben. Ich meine, wenn ich was loben könnte, dann könnte ich sagen, nach vier Monaten wird endlich auf einem Feld begonnen zu arbeiten. Das ist sicherlich mal positiv.
    Heinemann: Arbeiten in die richtige Richtung?
    Bartsch: Arbeiten in die richtige Richtung ist es unzweifelhaft, ja. Wenn hier bei der sogenannten Mütterrente – da geht es ja um die Verbesserung bei den Erziehungszeiten – etwas getan wird, ist das richtig. Aber Ihr Experte hat völlig zurecht gesagt: Es gibt eben nicht eine eigentlich gebotene Gleichstellung. Es gibt zwei Dinge, die man wirklich unbedingt benennen muss. A ist es nur ein Rentenpunkt, also alle Kinder, die danach, nach 1992, geboren sind, werden bessergestellt. Und was ein richtiger Skandal ist, dass Kinder aus den neuen Ländern anders behandelt werden als aus den alten Ländern. Das hat mit den Eckwerten zu tun und das ist natürlich eine schreiende Ungerechtigkeit. Wieso ist ein Kind aus Schwerin weniger wert als ein Kind aus München?
    Heinemann: Immerhin sagen Sie, richtige Richtung. Ist es denn auch richtig, dass Menschen, die lange eingezahlt haben, früher in den Ruhestand gehen können?
    Bartsch: Auch dies korrigiert etwas vernünftig. Diese ganze Richtung, die ja gegangen wird, die ja dazu führt, dass das Rentenniveau sinkt und dass das Rentenalter nach oben geht, die wird nicht angegangen. Das muss man ganz klar sagen. Die eigentlichen Ursachen für die Altersarmut werden nicht angegangen. Trotzdem ist dieses richtig. Aber auch da hat Ihr Experte völlig zurecht darauf hingewiesen, dass dies A dazu führt, heute sagt man 63, das wird ja ganz schnell eine Rente erst ab 65.
    "Erleichterungen betreffen nur wenige"
    Dann werden insbesondere diejenigen, die gefährdet sind in der Altersarmut, also Leute, die früher die Arbeitslosenhilfe bekamen, oder die Hartz IV bekamen oder bekommen, die werden überhaupt nicht betroffen sein. Das heißt also, die Erleichterungen, die es gibt - ja, die kann man begrüßen -, betreffen nur wenige. Die zentralen Probleme, das ist der Punkt. Die zentralen Probleme werden nicht angegangen.
    Heinemann: Zentrales Problem, sagt Franz Müntefering, der frühere Bundesarbeitsminister von der SPD, ist dieses ganze Vorhaben an sich. Wir hören ihn aus einem Auszug eines Interviews hier im Deutschlandfunk Anfang dieser Woche.
    O-Ton Franz Müntefering: "Wieso haben das die davor nicht bekommen und wieso bekommen das die danach nicht mehr? Denn das ist nur ein einziger Jahrgang, der volle zwei Jahre Vorteil hat. Dann verschiebt sich dieser Vorteil jedes Jahr parallel zur Anhebung des Renteneintrittsalters. Die große Gruppe der Baby-Boomer, die zwischen 1951 und 1968 etwa geboren sind, die hat einen Vorteil, und das kommt alles auf das Sollkonto der Nachkommenden. Die müssen das schließlich alles bezahlen. Und das ist ein Vorteil, den jetzt eine Gruppe bekommt, der überhaupt eigentlich nicht einzusehen ist, zumal die, die es eigentlich brauchten, nämlich die Frauen und die, die niedrige Löhne hatten, davon relativ wenig hatten."
    Heinemann: …, sagt Franz Müntefering. – Herr Bartsch, Sie lachen?
    Bartsch: Da muss ich etwas lächeln. Wenn nun ausgerechnet Franz Müntefering, der dafür gesorgt hat, dass es die Rente erst ab 67 gibt, der jetzt eine Mini-Korrektur dieser falschen Entwicklung gibt, der das kritisiert, das ist dann wirklich schon ein bisschen den Bock zum Gärtner gemacht.
    Heinemann: Der Mann kann wenigstens rechnen! Volksschule Sauerland!
    Bartsch: Der Mann kann rechnen, das ist ein großer Vorzug. Ich hoffe, dass das sich bei der Bundesregierung auch noch durchsetzen wird.
    Heinemann: Oder in der Linkspartei!
    Bartsch: In der Linkspartei ist das lange durchgesetzt, wissen Sie, weil wir sagen, das was da geht, ist finanziell – ich bin Haushälter – überhaupt nicht machbar. Aber lassen Sie mich noch einen Satz zu Franz Müntefering sagen. Auch da beschreibt er etwas Richtiges. Er sagt, es gibt Verbesserungen für eine Gruppe. Aber damit werden die Verschlechterungen, die er eingeführt hat, nicht annähernd, wirklich nicht annähernd eingegangen. Ich sage da ganz klar: Wir brauchen letztlich – und das ist die Kritik auch an der Bundesregierung -, es ist richtig, man muss sich dem Thema Renten stellen, aber wir brauchen eine grundlegende Rentenreform, die dann wirklich dafür sorgt, dass die gesetzliche Rente auch den Lebensstandard sichert.
    Solide Finanzierung
    Da sind andere Herangehensweisen notwendig und dann ist die solide Finanzierung notwendig, und das wird ja im Moment reichlich kritisiert. Ich finde, die Finanzierung darf da von den anderen Problemen nicht ablenken. Aber es bleibt natürlich auch richtig gesagt: 81 Milliarden schon jetzt. Das wird noch mehr. Und das Schlimme ist: Es werden die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler im Allgemeinen zur Kasse gebeten. Das kann doch nicht wahr sein!
    Heinemann: Vor allen Dingen werden die Jüngeren zur Kasse gebeten!
    Bartsch: So ist es. Sie haben völlig recht: mit der Entscheidung, dass jetzt der Rentenbeitrag nicht gesenkt wird, mit der Entscheidung, dass es faktisch eine Umverteilung gibt – das ist ja insgesamt ein Koalitionsvertrag zulasten der Jüngeren.
    Heinemann: Jetzt habe ich aber immer noch nicht verstanden, was Sie denn anders machen würden.
    Bartsch: Wir würden erst mal dafür sorgen, dass es solide finanziert wird. Das heißt, man muss, was die Renten betrifft, sagen, was wird aus Beiträgen, was wird aus Steuern bezahlt. Die sogenannte Mütterrente, die muss aus Steuern bezahlt werden.
    Heinemann: Für die Rente gibt es nun mal die Rentenversicherung.
    Bartsch: Das ist ja grundsätzlich richtig. Aber die Zahl ist genannt worden: 81 Milliarden werden jetzt schon aus dem Bundeshaushalt bezahlt. Und trotzdem müssen wir dann schauen, wie das finanziert wird. Es ist eines der Grundübel, dass überhaupt nicht daran gegangen wird, dass die Vermögenden in dieser Gesellschaft für diese Frage mal zur Kasse gebeten werden. Und dann müssen all die Dinge wie die Beitragsbemessungsgrenze, die langfristig fallen muss, wie auch das Thema, auf welche Einnahmen eingezahlt wird - deswegen sage ich: eine grundlegende Rentenreform.
    Heinemann: Das mit der Beitragsbemessungsgrenze müssen wir kurz mal erklären. Das versteht nämlich kein Mensch. Das heißt, dass jemand, sagen wir mal, 10.000 Euro im Monat verdient, sagen wir lieber bekommt. Der zahlt einen Rentenversicherungsbeitrag, als würde er deutlich weniger verdienen, und dann greift diese Beitragsbemessungsgrenze.
    "Die gesetzliche Rentenversicherung braucht die Millionäre"
    Bartsch: Einfach gesagt: Es gibt immer eine feste Summe, auf die Beiträge gezahlt werden, und darüber ist das frei.
    Heinemann: Wenn derjenige jetzt mehr, für den vollen Beitrag, für die vollen 10.000 Euro Beitrag zahlen würde, erwürbe er damit auch einen höheren Rentenanspruch. Das heißt, man verlagert das Problem in die Zukunft und belastet wiederum die Jüngeren, die dann die Renten der Baby-Boomer zahlen müssen. Das ist ein Nullsummenspiel, was Sie da vorschlagen.
    Bartsch: Nein, nein: das ist ja der erste Punkt. Es muss ja dann noch weitergeführt werden. Sie haben recht, zunächst mal verlagert es die Ansprüche. Aber wir sagen auch, dass es dann ein Abflachen geben muss, sprich dass ab bestimmten Summen der Anspruch nicht mehr linear steigt, sondern er flacht ab. Und genauso – auch das will ich erwähnen – gehört natürlich dazu, dass alle einzahlen müssen. Wieso zahlen wir als Abgeordnete nicht in die gesetzliche Rentenversicherung?
    Heinemann: Noch mal zur Bemessungsgrenze. Sie sind also für Rentenkürzungen?
    Bartsch: Nicht für Rentenkürzungen.
    Heinemann: Abflachen heißt kürzen. Sorry!
    Bartsch: Ich bin erst mal dafür, dass es Rentensteigerungen gibt, aber bei denjenigen, die extrem hohe Renten bekommen, die hohe Ansprüche erwerben, da sage ich muss es eine - die Millionäre brauchen die gesetzliche Rentenversicherung nicht. Aber die gesetzliche Rentenversicherung braucht die Millionäre. Das ist die Tatsache. Die müssen ordentlich einzahlen und nicht zu hohe Ansprüche. Wer braucht denn im Alter Renten, die auf dem Niveau sind, wie jetzt teilweise die Manager verdienen? Das brauchen sie nicht!
    Heinemann: Legen Sie das fest? Legen Sie das fest, wer was braucht?
    Bartsch: Nicht wer was braucht. Das ist der Gesetzgeber, der dafür Regelungen schafft. Da wird ein Gesetz erarbeitet, das muss man selbstverständlich auch strittig tun. Ich glaube im Übrigen nicht, dass der Nahles-Entwurf so Gesetz wird. Da wird es einige Veränderungen geben, und das ist auch gut so. Aber noch mal: Darüber kann man ja diskutieren. Meine Forderung ist eine grundlegende Rentenreform, die den Lebensstandard sichert. Das ist das Entscheidende. Alle sollen einzahlen in die Rentenversicherung und dann muss es auch noch eine Mindestrente geben, damit man wirklich im Alter auch in Würde leben kann. Das ist die Kernforderung. Wenn man das akzeptiert – und ich habe die SPD mal so verstanden, dass sie das auch so will -, dann muss man sagen, was soll der Weg dahin sein. Das ist nicht schnell gemacht, aber es wäre sinnvoll, dieses wirklich anzugehen und solide zu finanzieren.
    Heinemann: Dietmar Bartsch, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Deutschen Bundestag. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Bartsch: Auf Wiederhören!
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