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Robert Schindel: "Scharlachnatter"
In Worte gebannte Ängste

Der österreichische Schriftsteller Robert Schindel hat mit "Scharlachnatter" einen neuen, beeindruckenden Lyrikband vorgelegt. Die Wörter entwickeln bei ihm eine geradezu unbezähmbare Kraft, werden zu "Wortmonstern". Dabei entstehen Gedichte mit einer einzigartigen, barocken sprachlichen Wucht.

Von Michaela Schmitz |
    Der österreichische Schriftsteller Robert Schindel präsentiert sein Buch "Der Kalte" auf der Leipziger Buchmesse 2013.
    Der österreichische Schriftsteller Robert Schindel auf der Leipziger Buchmesse 2013. (Imago)
    "Worthaufen" nennt Robert Schindel die Notizen, aus denen seine Gedichte entstehen. "Scharlachnatter" war der initiale Wortfund für das Titelgedicht seines neuen Lyrikbandes. Der Opernliebhaber Schindel fängt das Signalwort beim Hören einer Arie aus Richard Strauß' Literaturoper "Salomé" auf. Sein Gedicht sei, so der Autor selbst, ...
    "... gleichsam eine lyrische Variation auf die Salomé- Herodes-Problematik und auch indirekt natürlich von Johannes dem Täufer, der da unten ist im Verließ. Und ist sozusagen eine religiös-kulturkritische Ansage von Zuständen, in denen ich mich befinde."
    Strauß' Oper beruht auf Oscar Wildes dramatischer Kontrafaktur einer Bibelstelle aus dem Neuen Testament. Salomé fordert hier als Rache für die Schmähung ihrer Mutter für den Tanz vor Herodes den Kopf von Johannes dem Täufer. Bei Wilde wird Salomé zum Symbol für das Begehren, sich in der Schönheit mit dem Absoluten, hier in Gestalt des göttlichen Propheten, zu vereinigen. Doch Salomés inniges Liebeswerben wird von Johannes brüsk zurückgewiesen. Stattdessen verkündet der wortgewaltige Jochanaan, wie er im Drama heißt, als einzig wahre Liebe jene zu Gott.
    In Robert Schindels lyrischer Adaption von Wildes Drama solidarisiert sich ein kollektives "Wir" im dramatischen Gestus eines griechischen Tragödienchors mit Salomés wütender Anklage gegen Jochanaan. Hier das Gedicht "Scharlachnatter" vom Autor selbst gelesen:
    "Grauenhafter Mensch vorauslaufend
    In künftige Zeiten siehst du zurück
    Auf uns Wilde uns Blöde
    Schauerlich dieser Eifer rettest uns
    Vor uns die wir dich hinschreiten
    Sehen zu den Diamantenbergen türkisenen
    Tälern in denen Häuser sich türmen
    Mit Prachtaussichten und Leute
    Mit Eisenherzen hinter den Fenstern
    Erwarten dich der du uns
    In der Vorsteherdrüse verdammt hast wir
    Mit der Scharlachnatter im Maul wollen
    Dir den Kopf abhauen und die
    Natter dir zwischen die Lippen stecken
    Um hernach deine Botschaften
    Nachzureden Jochanaan"
    Das Heilsversprechen erweist sich als leere Prophezeiung und die tote Zunge, die sie verkündete, wird als "Scharlachnatter" entlarvt. Wirkungslos wie die in Wahrheit völlig ungiftige namensgebende Schlangenart. Und dennoch kann das anonyme Kollektiv nicht aufhören, die Botschaft des Propheten nachzureden. Warum? Und wer spricht aus dem kollektiven "Wir" in Schindels Versen?
    Klagen hier vielleicht die Dichter in der Doppelrolle als "Wir" und "Jochanaan" zugleich sich selbst an? Als falsche Propheten, die mit ihrer "Scharlachnatter" längst nur noch tote Botschaften verkünden? Zahllose Gedichte im Band zeichnen jedenfalls die unterschiedlichsten Zerrbilder eines "heruntergehundeten" Schriftstellers, der trotz seiner offensichtlich gescheiterten Mission nicht davon ablassen kann zu dichten. So wie im Gedicht "Und immerzu (Sitzgang eines Literaten)". Sie hören den Autor selbst:
    "In den Echotönen der heraufgezogenen Stille
    Da seht ihr mich sitzen in buchstabengefütterter
    Moorlandschaft die Arme wie Hummerzangen
    Lotrecht vom Leib weg hin zum Sumpf
    Dort sich die Blumentruppen verteilt hatten
    Und im Ringelreihn aus dem Sumpf blitzen Worte
    Nichts als solche indes ohne weiters
    Wolkentiere schwarzgrau nach Osten abziehen
    Aus dem Inneren
    Kommen Troll und Schrat"
    Der Dichter steckt als tragikomische Schauer-Figur, halb Hummer, halb Vogelscheuche, im Morast der eigenen Worte fest. Und versinkt als ungehörter Prophet einsam im eigenen Sprachsumpf. In Schindels "Porträt vom Schriftsteller als vemodertes Krustentier" mischt sich bittere Ironie mit dem Gefühl von Vergeblichkeit und Resignation. Eine Stimmung, die sich durch den ganzen Gedichtband zieht. Und eng mit den immer dringlicher werdenden Gedanken des lyrischen Sprechers an das Altern gekoppelt ist. Autor Robert Schindel beobachtet an sich selbst, ...
    "... dass irgendwann die Fragen des Alterns anexionistische Bestrebungen entwickelt. (...) Aber von der existenziellen Seite her ist dieses Einsinken in den Existenzsumpf, dieses langsame sukzessive Einsinken halt doch sehr – wie soll ich sagen – aufdringlich und muss daher – es ist ja auch ein bisschen mit Angst verbunden – in Worte gebannt werden, wie ich halt alle Ängste versuche in Worte zu bannen."
    Die Angst vor dem Sterben kann nur in Worten gebannt werden. Aber gleichzeitig scheint die Gewalt des Dichters über seine Wörter mit dem Alter abzunehmen. Marodierende "Worthaufen" geraten zunehmend außer Kontrolle und entziehen sich dem Gestaltungswillen des Autors. Die Wörter selbst werden in "Scharlachnatter" körperlich. Und damit unberechenbar. Autonom gewordene "Wortkörper" rebellieren, sträuben sich, widerhakeln und verkanten. Und schleppen den Dichter gleichsam willenlos hinter sich her. Bedeutungen werden demoliert, zermahlen im "Abrieb der Wörter". Hören Sie das Gedicht "Bedeutung", vom Autor selbst gelesen:
    "Im Kreuzgang schleifen die Wörter vor mir her
    Im Trappelschritt folge ich ihnen schlucke den Dunst
    Den sie von den Silben her hinterlassen der Abrieb
    Bringt meine Nase zum Deuten
    Hinter mir segeln schwarze Noten
    Reste der einstigen Musik sie fahren mir
    Vom Rücken zum Gürtel von dort in die Stutzen
    Das hampelt das strampelt aber Trompeten
    Wenn nicht gar Fanfaren und der Posaunenverein
    Saugen ein was zur Musik sich bilden wollte
    Die Stille kann im Geruckel den
    Rhythmus bloß choreographieren
    Endlich ein Stillgestanden der Wörter ich bumse ihnen
    Hinten drauf stoße sie vor zur großen Tal- und Atemsperre
    Sie stürzen hinab und im Zusammenzug entweicht
    Stimmliches welches in allen Ohren einschmuddert
    Fell und Knöchelchen durchfährt und die Rede
    Kommt an bei mir lässt mein Getrappel innehalten
    Ich stehe bevor ich noch stehe im Tale vor mir
    Wortstrauch auf Wortstrauch im Schatten zwar aber dürstend"
    Die Wörter in Schindels "Scharlachnatter"-Gedichten entwickeln eine geradezu beängstigende Eigendynamik. Worte, welche eigentlich die Angst des Sprechers bannen sollen, lösen nun selbst Angst aus. Was tun? Sie einsperren, ist die Antwort des Autors Schindel: in die poetische Form, in freie Rhythmen, oder den Reim und vor allem das Sonett. Robert Schindel selbst über die Funktion der lyrischen Form in "Scharlachnatter":
    "Gerade wegen der wild gewordenen und drohend wild gewordenen Wörter, gerade wegen ihrer Eigendynamik und ihrer Maßlosigkeit bedarf es gelegentlich Gefängnismaßnahmen, also Freiheitsberaubungen, Einschränkungen, damit sich die ganze Wut und die Kraft – ich empfinde das ja, das ist jetzt kein Eigenlob in dem Sinne, dass das meine Wörter sind -, sondern die Wörter an sich für mich und auch gegen mich diese Kraft, die sie haben, damit sie sozusagen eine Zähmung erfahren und diese Kraft nach innen, in Form einer Intensität ausleben und nicht nach außen wegsplattern und quasi eine Maßlosigkeit bloß entwickeln."
    Doch sogar eingesperrt in den "Verhau" der lyrischen Form behalten die Wörter ihre unbezähmbare Kraft. Auch und gerade, wenn sie sich gegen den Autor wenden. Schindels "Wortmonster" bleiben schrundig, straucheln, fallen und altern wie das sprechende Subjekt selbst. Genau das macht sie so widerspenstig und mehrdeutig. Aber auch auf sympathische Weise menschlich. In ihrer Kreatürlichkeit scheinen die Wörter in Schindels Gedichten unser Schicksal zu teilen. Die Absurdität, diese unauflösbare tragikomische Schicksalsgemeinschaft von Wort und Mensch als Dichter immer wieder neu "besilben" zu müssen, ist das eigentliche Signal, das Robert Schindel mit seinem neuen Gedichtband "Scharlachnatter" setzt. Alle Texte zusammen seien eigentlich, so Schindel selbst, ...
    "... wie ein Gedicht, das sozusagen in verschiedene Girlanden und verschiedene Korridore einbiegt und dann wieder auf bestimmten Sammelplätzen wieder herauskommt und dann in weitere andere Korridore hineingeht und dann wie eine große oder lange Wortschlange, Gedankenschlange."
    Die barocke sprachliche Wucht, mit der Robert Schindel auf den Spuren von Oscar Wilde dieses Ur-Thema moderner Dichtung in "Scharlachnatter" fortschreibt, ist einzigartig.