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Röslers Vorpreschen "sehr unglücklich und sehr voreilig"

Dass Parteichef Philipp Rösler bereits vor dem heutigen Ablauf das Scheitern der Mitgliederbefragung verkündet hat, sei ein Fehler gewesen, meint die FDP-Bundestagsabgeordnete Silvia Canel. Grundsätzlich aber sei die innerparteiliche Debatte um den Kurs in der Eurokrise ein Zeichen "liberaler Streitkultur".

Silvia Canel im Gespräch mit Bettina Klein | 13.12.2011
    Bettina Klein: Heute also letzte Gelegenheit, letzter Tag des FDP-Mitgliederentscheids zum Kurs der Partei bei der Euro-Stabilisierung.

    Am Telefon ist Silvia Canel, sie ist FDP-Bundestagsabgeordnete und eine der Unterstützerinnen des Mitgliederentscheids. Guten Morgen, Frau Canel.

    Silvia Canel: Schönen guten Morgen!

    Klein: Ist Ihr Entscheid, ist Frank Schäffler schon gescheitert, wie Ihr Parteivorsitzender bereits vor einigen Tagen festgestellt hat?

    Canel: Also man kann überhaupt nicht sagen, dass das gescheitert ist, denn wir kennen das Ergebnis noch nicht. Selbst ich kenne ja das Ergebnis nicht, da muss auch ich abwarten.

    Klein: Wie überzeugt sind Sie denn noch von einer Parteiführung, die sich drei Tage vor dem Ende des Entscheids schon hinstellt und solches verkündet?

    Canel: Ja, das war sicherlich sehr unglücklich und sehr voreilig, und Herr Rösler hat ja nun auch von allen Ecken und Kanten gehört, dass das wohl nicht der richtige Weg war.

    Klein: Und was hört er von Ihnen?

    Canel: Also ich denke, wir sollten jetzt mal abwarten und Ruhe bewahren, denn Ruhe ist wohl anscheinend das Einzige, was jetzt im Moment wirklich fehlt, und erst mal uns dann auch wirklich mit den vorliegenden Zahlen beschäftigen, denn wir haben ja noch heute Zeit und es kann durchaus so sein, dass der eine oder andere jetzt noch mal die Gelegenheit wahrnimmt und seinen Mitgliederentscheid, seinen Bogen auch noch mal abgibt.

    Klein: Man stelle sich vor, ein Parteivorsitzender würde sich bereits drei Stunden vor Schließung der Wahllokale hinstellen und sagen, wir haben gewonnen, die anderen schaffen das sowieso nicht mehr (Sie können zu Hause bleiben, liebe Bürgerinnen und Bürger). Das ist nicht ganz das Gleiche, aber diese Analogie drängt sich natürlich bei vielen auf. Ist eigentlich eine solche Parteiführung noch tragbar?

    Canel: Die Parteiführung ist durchaus noch tragbar. Ich denke, da ist ein großer Fehler gemacht worden, und man muss auch den jüngeren Leuten mal zugestehen, dass sie Fehler machen. Wir haben einen Rösler, der nach der erfolgreichen Ära Westerwelle eine wirklich streng hierarchisch und monothematisch aufgestellte Partei übernommen hat. Da sind viele, viele Führungsstrukturen erst mal zu reformieren und zu erneuern, damit wir überhaupt dahin kommen, dass er auch in intelligenten Netzen führen kann. Ich glaube, dass Herr Rösler für ein neues, für eine neue Führungskultur durchaus der richtige wäre. Nur der Umbau, der passiert nicht von heute auf morgen und da brauchen wir auch gemeinschaftliche Unterstützung aus der Partei.

    Klein: Was steckt denn dahinter Ihrer Meinung nach hinter diesem Fehler? Schwache Nerven, wie Burkhard Hirsch jetzt vermutet?

    Canel: Ja. Also ich denke tatsächlich, da sind die Nerven an und für sich blank, das sieht man dann nach außen, und da fehlen wahrscheinlich auch die Älteren, die dann ein bisschen gelassener mit dieser Thematik umgehen.

    Klein: Es gab ja auch Kritik, Frau Canel, an der Verfahrensweise aus der Parteiführung. Es hieß, es seien Unterlagen verschickt worden in einer Weise, die verwirrend gewesen sei, nicht so, dass man wirklich taktische Fehler hätte nachweisen können. Was ist damit gemeint?

    Canel: Na ja, ich habe das selber auch als etwas tendenziös erlebt, aber wir Parteienmitglieder sind nicht ganz so doof, dass wir nicht im Grunde genommen eine "Elde" durchlesen können und dann den Schluss ziehen können, dass wir wirklich uns dann beteiligen können.

    Klein: Entschuldigung! "Elde" ist diese Zeitschrift, mit der zusammen diese Unterlagen verschickt worden sind.

    Canel: Ja, genau.

    Klein: Was genau war der Vorwurf jetzt?

    Canel: Der Vorwurf war, dass der eine Teil der Abstimmung im vorderen Teil des Hefts war und der andere Teil im hinteren Teil des Hefts. Das war verwirrend, das ist richtig. Auf der anderen Seite haben es ja viele geschafft, das trotzdem abzugeben. Wir haben das auch in der Öffentlichkeit sogar diskutiert, man konnte sich auch neue Unterlagen anfordern und schicken lassen. Also wenn man wirklich mitmachen möchte, dann hat man auch die Gelegenheit gehabt mitzumachen.

    Klein: Aber es gab ein gewisses Unwohlsein. Der FDP-Politiker Burkhard Hirsch wird heute Morgen aus der Zeitung "Die Welt" mit den Worten zitiert, der Bundesvorstand habe seine technischen und finanziellen Vorteile ausgenutzt, um gegen die Befürworter des Entscheids Stimmung zu machen. Sehen Sie das auch so?

    Canel: Also ich sehe die Stimmungsmache dahin gehend, dass auf der anderen Seite sehr bekannte Gesichter wie Genscher oder Kinkel gestanden haben, die sehr wohl eine sehr, sehr starke Meinung vertreten haben. Ich fand es sehr unglücklich, dass man diejenigen, die kritisch mit dem Thema umgehen, in die Europaskeptiker-Ecke gestellt hat. Da sind viele Sachen im Vorwege gewesen, die natürlich beeinflussend sind. Aber eine Meinung kann man sagen und auch ein Genscher darf seine Meinung sagen und wir müssen damit leben, dass wir uns auch öffentlich auseinandersetzen mit Meinung. Das ist eine Streitkultur, die durchaus liberal ist. Das, was an Formalien passiert ist, ja Gott, ich fand das selber auch nicht glücklich, aber ich weiß nicht, ob man da auch noch formal jetzt noch einen Blumentopf in der Öffentlichkeit gewinnen muss, damit man das jetzt auch noch mal herauszerrt.

    Klein: Hirsch sagt heute, er will das Vorgehen der Parteispitze prüfen lassen. Er sagt wörtlich, "Ich werde dafür sorgen, dass sich der Bundessatzungsausschuss damit befasst." Also das scheint ihm ja sehr ernst zu sein.

    Canel: Ja, das ist auch bestimmt sehr ernst. Herr Burkhard Hirsch ist da auch ernst zu nehmen. Und wenn alles in Ordnung ist, dann darf man das auch prüfen. Und vor dem Satzungsausschuss es prüfen zu lassen, das kann hinterher natürlich entweder eine Rechtfertigung geben, oder es kann natürlich sein, dass man Mängel aufdeckt. Dann sind die auch aufzudecken.

    Klein: Diese Mängel sind ja gestern von Generalsekretär Lindner bereits zurückgewiesen worden, beziehungsweise sagte er, auf ausdrückliche Nachfrage seien keine Mängel im Parteivorstand angesprochen worden. Da steht offenbar Aussage gegen Aussage. Was ist denn nun richtig?

    Canel: Ich bin ja nicht der Bundessatzungsausschuss. Also da müssen wir abwarten, bis das Ergebnis vorliegt.

    Klein: Frau Canel, ich muss Ihnen die Frage natürlich auch stellen. Rechnen Sie denn noch damit, dass Sie am heutigen Tage dieses Quorum erreichen werden?

    Canel: Ich kann mir das gut vorstellen, dass das jetzt eine unglaubliche Welle gemacht hat, dass wenigstens die Leute sich beteiligen, denn im Grunde genommen: Die Nichtbeteiligung, die finde ich viel problematischer als das Ergebnis am Ende, ob es nun für oder wider des Mitgliedsentscheids ausgeht.

    Klein: Welchen Wert hätte dieser Entscheid, wenn das Quorum nicht erreicht werden wird?

    Canel: Wir hätten auf alle Fälle ein ganz deutliches Signal, dass die Partei doch motiviert werden muss, überhaupt an politischen Entscheidungen wieder teilzunehmen. Ich denke mir, da sind wir in der Pflicht, auch als Abgeordnete, sehr viel mehr Parteiarbeit zu leisten und sehr viel mehr den Kontakt zu den Mitgliedern herzustellen.

    Klein: Frank Schäffler hat ja gesagt, selbst wenn nur einige Tausend Mitglieder hingehen oder sich beteiligen an diesem Entscheid und gegen den Kurs der Parteiführung stimmen, müsse das ernst genommen und diskutiert werden. Welche Konsequenzen würden daraus erwachsen für die Parteiführung?

    Canel: Ich finde das richtig. Das ist auch ernst zu nehmen. Ich fand es am Anfang schon sehr abenteuerlich, dass Angela Merkel ihren Kurs als alternativlos dargestellt hat. Damit hat sie den Liberalen die Möglichkeit genommen, Alternativen zu entwickeln, und darauf sollten wir auch nicht verzichten.

    Klein: Weshalb hat sich denn in der Sache, Frau Canel, nach den Beschlüssen des EU-Gipfels am Wochenende nichts geändert für Sie?

    Canel: Doch, es hat sich sehr viel geändert, denn man sagt ja immer, dass der Schäffler-Antrag so viel Sprengstoff hätte, dass sogar die Koalition brechen müsste. Jetzt nach dem neuen Ergebnis sehe ich das bei Antrag B ganz genauso, denn die Gläubigerhaftung ist plötzlich infrage gestellt. Die Gläubigerhaftung ist auch Teil des Antrags B. Das heißt, auch dort haben wir Sprengstoff drin, der die Koalition gefährden kann, wenn man denn das imperative Mandat wirklich ernst nimmt. Das haben wir nicht, wir Abgeordnete haben nach bestem Wissen und Gewissen bisher abgestimmt, und ich denke, das werden die Abgeordneten auch weiter tun.

    Klein: Also wenn Sie die erforderliche Mehrheit für Ihren Antrag bekämen, Frau Canel, dann nähmen Sie eine Verschlechterung der Situation im Euro-Raum in Kauf, denn dann würde wo möglich das, was jetzt beschlossen ist, nicht mehr umgesetzt werden können?

    Canel: Das ist eine relative Spekulation, weil Sie davon ausgehen, dass man mit Schulden Schulden bekämpfen kann. Ich glaube, anders herum ist es richtig. Wir müssen zu einer neuen Stabilität kommen. Da war Angela Merkel dahin gehend erfolgreich, dass sie die automatischen Bremsen durchgesetzt hat. Ich würde mir wünschen, dass die automatischen Schuldenbremsen wirklich in den Verfassungen aller Mitgliedsstaaten so verankert sind, dass dann erst ein Mechanismus greifen kann, der dazu führt, dass man natürlich auch entschulden kann. Wir haben uns ja nie gegen Hilfen ausgesprochen, nur gegen diesen Automatismus und diese Bevorzugung von Schuldenstaaten.

    Klein: Würden Sie den Bruch der Regierung dafür in Kauf nehmen, wenn das Quorum erreicht werden würde und die Parteiführung von ihrem Kurs weg müsste?

    Canel: Ich sehe überhaupt nicht den Bruch der Koalition. Ich finde, das wird alles überbewertet. Denn wir haben jetzt einen innerparteilichen Abstimmungsprozess, den wir vorantreiben, und Partei und Fraktion sind unterschiedliche Dinge. Partei darf sehr wohl andere Positionen vertreten als eine Fraktion, die in Regierungsverantwortung ist. Die muss auch mal Kompromisse machen.

    Klein: Silvia Canel war das, FDP-Bundestagsabgeordnete, zum heutigen letzten Tag des FDP-Mitgliederentscheids zum Kurs der Partei bei der Euro-Stabilisierung. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Canel.

    Canel: Ich danke auch. Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.