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Rogalla: Kosteneffizienteste Lösung für Energiewende fehlt

Es bräuchte eine bessere Koordinierung zwischen Bund und Ländern, wenn es um den Ausbau der erneuerbaren Energien geht, sagt Frauke Rogalla. Die Verbraucherschützerin nennt als weiteres Problem die Entlastung von Unternehmen bei steigenden Stromkosten. Keine Branche habe eine "Beweislast", dass sie von steigenden Strompreisen betroffen sei.

Jule Reimer im Gespräch mit Frauke Rogalla | 17.07.2012
    Jule Reimer: Beim Thema Energiewende ist die Bundesregierung derzeit bemüht, ihre Botschaften möglichst vielen Deutschen zukommen zu lassen. Denn was sonst soll man daraus schließen, wenn Bundesumweltminister Peter Altmaier sich am Sonntag in der "Bild am Sonntag" äußert und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler heute in der "Bild"-Zeitung nachlegt. Beide Minister signalisieren nicht, "Wir schaffen das schon", sondern sie sehen Zweifel, ob sich die Ziele bis 2020 erreichen lassen. Umweltminister Altmaier zweifelt daran, den Stromverbrauch bis 2020 um ein Zehntel senken zu können, Wirtschaftsminister Rösler fordert, nachzusteuern, wenn Jobs und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft bedroht sein sollten. Die Bezahlbarkeit von Strom für Verbraucher und Unternehmen hat für beide Minister hohe, wenn nicht oberste Priorität. - Am Telefon in Berlin begrüße ich Frauke Rogalla, Energieexpertin beim Verbraucherzentrale Bundesverband. Frau Rogalla, die Erzeugerpreise an der Strombörse in Leipzig sind gesunken, dennoch gehen die Endpreise für die Verbraucher in die Höhe. Geht es Ihnen genauso wie den beiden Bundesministern, fürchten Sie einen deutlichen Anstieg der Preise für die Verbraucher?

    Frauke Rogalla: Es ist natürlich als Verbraucherorganisation unsere Aufgabe, darauf hinzuweisen, dass es Preissteigerungen geben wird. Wir rechnen bei den jetzigen Entwicklungen so mit 100 Euro Mehrkosten für einen Vierpersonenhaushalt im nächsten Jahr. Was uns aber wirklich Sorge dabei macht, sind vielmehr die Gründe, warum es zu diesen Strompreissteigerungen kommen wird, weil wir da momentan einfach nicht sehen, dass die kosteneffizientesten Lösungen für die Energiewende gesucht werden.

    Reimer: Wo würden Sie denn kosteneffizienter arbeiten und wie?

    Rogalla: Was es eigentlich braucht, ist eine Art Kassensturz, also alle Kosten mal auf den Tisch und auch deren Verteilung, und dann eine bessere Koordinierung, wenn es um den Ausbau der erneuerbaren Energien geht, zwischen Bund und Ländern, eine bessere Koordinierung beim Netzausbau. Da ist einfach viel mehr Planungsaufwand nötig und letztendlich müssen volkswirtschaftlich sinnvolle Alternativen gefunden werden.

    Reimer: Dann werden Sie doch bitte konkreter. Zum Beispiel die Verteilung der Kosten: Wir haben Verbraucher, wir haben Unternehmen.

    Rogalla: Genau, und es gibt jetzt sehr viele Ausnahmen für Unternehmen derzeit. Das ist auch so weit okay, sofern die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen tatsächlich betroffen ist. Das müssen diese Unternehmen aber nicht beweisen. Es gibt überhaupt keine Beweislast dahin gehend, dass eine Branche tatsächlich von steigenden Strompreisen beispielsweise betroffen ist, es gibt kein Kriterium für die Handelsintensität. Das muss auf den Tisch, das muss überprüft werden, für wen soll es Ausnahmen geben und warum.

    Reimer: Haben Sie das Gefühl, dass ausreichend in den Ausbau dezentraler Lösungen in den südlichen Bundesländern investiert wird?

    Rogalla: Es gibt da ja viele Vorschläge. Was man da sieht, ist, dass die Länder hehre Ziele haben und diese ja jetzt auch ankündigen. Die stehen aber in keinerlei letztendlich Koordinierung zu dem, was der Bund plant, und das ist eigentlich das größte Problem. Da kann nicht jeder sein eigenes Süppchen kochen, sondern es muss eine Gesamtplanung geben und da müssen die Bundesländer Verantwortung wahrnehmen, und das sehen wir bis jetzt noch nicht so sehr.

    Reimer: Würden Sie denn so weit gehen, den Atomausstieg infrage zu stellen, oder zum Beispiel auch beim Klimaschutz Abstriche zu machen? Da kommen ja auch noch mal weitere Kosten in Sachen Gebäudedämmung beispielsweise auf uns zu.

    Rogalla: Nein, auf gar keinen Fall. Das ist natürlich ein sehr großes Projekt, aber gerade weil die Energiewende und auch der Klimaschutz so wichtig sind, üben wir natürlich auch Kritik an der derzeitigen Umsetzung und letztendlich würden wir das auch den beiden Ministern raten, jetzt nicht das Scheitern vorzubereiten, sondern viel mehr das Mal anzupacken und zu zeigen, dass da wirklich auch der Wille dahinter steht.

    Reimer: Dann erklären Sie noch mal: Warum erscheint Ihnen aus Verbrauchersicht die Energiewende sinnvoll?

    Rogalla: Das ist letztendlich ein gesellschaftlicher Konsens. Es geht darum, dass wir Umweltbelastungen reduzieren wollen, dass Verbraucher durch die Energiewende ja auch unabhängiger von ihren Energieversorgern werden können - das ist ein ganz großes Bedürfnis, was da ist -, und diese Chancen sind wirklich da. Letztendlich in langfristiger Sicht wird das auch die Kosten senken. Aber mittelfristig muss man dafür die richtigen Weichen stellen.

    Reimer: Können Sie sich erklären, warum diese Kassandrarufe dieser beiden Minister Altmaier und Rösler jetzt kommen?

    Rogalla: Es ist schon sehr interessant, dass Herr Rösler jetzt so schnell nachzieht. Wir hoffen wirklich, dass das nicht bedeutet, dass im Grunde vorbereitet wird, dass Ziele nicht eingehalten werden können, sondern dass das den Druck auf alle Beteiligten erhöht, also dass es jetzt zu einer Debatte kommt, dass man anfängt, darüber zu reden, wo hakt das bisher, und sich auch die Akteure in der Energiewirtschaft, in den Bundesländern, in den Verbänden darüber bewusst werden, was die da eigentlich für eine Verantwortung tragen.

    Reimer: Vielen Dank! - Das war Frauke Rogalla, Energieexpertin beim Verbraucherzentrale Bundesverband. Danke für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.