Freitag, 26. April 2024

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Rudertour
Auf Flüssen und Kanälen durch Englands Westen

Vier Leute auf Rudertour von Bristol nach Bath - das bedeutet gemächliches Dahin-Mäandern, kein wettkämpferisches Rennen. Und Genuss pur: Sie erhalten zahlreiche Einblicke in die lokale Natur und alte Industriekultur. Obendrauf erleben sie leckere traditionelle englische Kulinarik.

Von Friedbert Meurer | 10.09.2017
    "Okay? Come forward and paddle!"
    Die Marina in Bristol, die Sonne scheint, es herrscht strahlend blauer Himmel. Richard gibt das Kommando zum Start. Wir rudern auf sechs Booten hintereinander auf dem Avon. Links und rechts sehen wir die Luxus-Neubauten der Hafenstadt, die entlang des Flusses entstanden sind.
    Unsere Boote machen aber auch einiges her. Sie sind aus hellem Mahagoni-Holz, echte breite Skiff-Boote, wie sie früher auf der Themse üblich waren, erklärt Russell, der Vereinsvorsitzende. Alle nennen ihn Captain. Wir sprechen uns wie in England üblich mit Vornamen an, erst recht im Club.
    "Es ist eine alte Stadt. Hier in Bristol wurde früher mit Zucker aus der Karibik gehandelt. Es gab auch Sklavenhandel im großen Stil. Das ist eben unsere Geschichte."
    Wie auf einer Sklavengaleere fühlen wir uns nicht, ganz im Gegenteil – alle freuen sich auf vier Tage Ruderfreizeit. In einem Boot sitzen jeweils vier Personen. Zwei rudern, einer "Stroke", in der Mitte, der andere "Bow", in Fahrtrichtung vorne. Hinten sitzt der "Cox", der Steuermann und hält zwei Seile in der Hand, mit denen er oder sie das Holzruder am Heck navigiert. Neben dem Cox sitzt Nummer 4 - und ruht sich aus.
    Nach Bath sind es ungefähr sechs Stunden stromaufwärts
    Nach einer halben Stunde wird gewechselt. Das ist gar nicht so einfach mitten auf dem Wasser. Aber auf den breiten, altmodischen Booten geht es doch. Links und rechts ziehe ich meine beiden "Blades", die Riemen. Man soll möglichst lange Züge machen, die Blades nicht zu tief ins Wasser halten und mit den Beinen sich immer gut abstützen.
    "Here we go!"
    Nach Bath sind es ungefähr sechs Stunden stromaufwärts, gut 30 Kilometer. Vom Wasser aus sehen wir die intakte Altstadt mit ihren markanten grauen Steinen, sie ist Weltkulturerbe. Viel sehen wir uns davon aber nicht an, denn am morgen geht es wieder früh raus – und unser Ziel ist eher die Natur.
    Die erste von mehreren Schleusen kurz hintereinander steht bevor. Mit unseren sechs Ruderbooten gleiten wir langsam in die tiefe Schleusenkammer. Von vorne zischt das Wasser hinein, die Boote geraten leicht ins Schwanken.
    "Take it easy!"
    Wir haben einen Fehler gemacht und die Boote nicht mit Seilen fixiert. Bei der nächsten Schleuse werfen wir Seile nach oben. Russell und Dominik fixieren sie an den Ringen oben, die im Boden einbetoniert sind. Das sei sicherer, erklärt Dan. Er hat die Tour für den Verein geplant und organisiert:
    "Es kann sehr gefährlich werden, wenn da tonnenweise Wasser in die Schleuse stürzt. Die Boote könnten kaputtgehen. Man kann sich schlimm verletzen. Wir müssen sehr diszipliniert sein und auf die Sicherheit achten."
    Dan und die anderen sind erfahrene Ruderer. Ich finde die vielen Schleusen, die wir passieren, eigentlich ziemlich spannend. Der "Kennet and Avon Canal" wurde um 1800 gebaut, um Bristol und Bath mit Reading im Osten zu verbinden und von dort dann auf der Themse mit London. An den Schleusen befinden sich oft uralte, sehr romantisch aussehende Pubs. Unsere Reise beginnt jetzt richtig – und bringt erst einmal strömenden Regen. Für echte Engländer aber kein Problem.
    "Der Regen? Wir rudern halt weiter, das passiert eben."
    "Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur die falsche Kleidung."
    "So ist da englische Wetter. Kaum hast du eine Regenjacke übergezogen, kommt die Sonne heraus."
    Rudern kann man bis ins hohe Alter
    An Tag drei herrscht strahlender Sonnenschein. Das Rudern klappt immer besser, es ist kein Rennen, sondern eine Mäander-Tour. So nennt man sie im Skiff-Club – ein wenig relaxed rudern halt. Rudern kann man bis ins hohe Alter. David ist 82 Jahre alt und rudert zehnmal besser als ich. Er war einmal in der englischen Ruder-Jugendnationalmannschaft.
    "Im Skiff Club bin ich sogar nur der Zweitälteste. Ich mache das seit über 60 Jahren. Die Technik verlernt man nie. Man ist nicht mehr so stark, das ja. Ich halte mich fit genug, um ohne Probleme mitrudern zu können."
    Wir unterhalten uns ein wenig über die Tradition des Ruderns in England. Auf der Themse ist das ein beliebter Sport in London, sobald man sich etwas stromaufwärts im Westen Londons aufhält, z.B. in Teddington, wo sich das Clubhaus befindet.
    "Traditionell wurde das Rudern an den Privatschulen gepflegt. Das Rennen zwischen Oxford und Cambridge steht dafür. Aber es ist überhaupt nicht mehr elitär. Heute hat fast jede Universität einen Bootsclub. Die staatlichen Schulen bieten Rudern an. 1950 gab es kaum Frauen beim Rudern. 90 bis 95 Prozent waren Männer. Das ist jetzt völlig anders."
    Gemächlich gleitet links und rechts die englische Landschaft an uns vorbei. Der Kanal ist nur zehn oder 15 Meter breit, vor und unter den Brücken sogar keine fünf. Anders als ich erwartet hatte, hat das Rudern in den alten schmalen Kanälen den großen Vorteil, dass wir die Natur am Ufer fast mit der Hand greifen können. Und das Wasser fließt sehr ruhig. Die Kanäle sind ein Freizeit-Paradies. Fahrrad-Fahrer passieren uns gemächlich – und auf dem Wasser die Narrow Boats.
    Besetzte Ruderboote in einer Schleuse
    Das Team passiert eine Schleuse (Deutschlandradio/Friedbert Meurer)
    Die Motorboote sind in der Tat sehr schmal, "narrow", dafür aber um die 20 Meter lang. Früher transportierten sie die berühmten grauen Steine von Bath nach London – heute sind es Hausboote, die von Touristen gemietet werden. Man gleitet nur wenige Meter aneinander vorbei und kommt leicht ins Gespräch dabei.
    "Macht ihr ein Rennen?"
    "Nein, wir rudern nur so zum Spaß."
    Vorbei an Hausbooten
    Bis zum Mittagessen will die Familie mit dem Motorboot in Bath sein. Es gibt aber auch viele, die auf den Narrow Boats dauerhaft wohnen. Auch in Bristol und Bath sind die Mieten und Hauspreise hoch. Die Wohnschiffe liegen am Ufer an. Es kann mit unseren Ruderbooten da auch schon mal eng werden, vorbei zu bugsieren. Der Cox, unser Steuermann oder Steuerfrau, muss hier genau aufpassen, erklärt Dominik:
    "Wir kommen gut voran, aber das ist typisch, wenn man auf dem Kanal rudert. An der Seite ist oft ein Schiff festgemacht. Das geht schon, außer uns kommt jemand entgegen."
    "Rudern auf dem Kanal ist kniffliger als auf dem Fluss. Mit den ausgestreckten Ruderriemen sind unsere Skiff-Boote ganz schön breit. Wir müssen laufend die Ruder schnell einziehen und dann wieder heraus. Das ist sehr harte Arbeit für den Cox. Du musst dich sehr konzentrieren an diesen Passagen."
    Auch wenn man sich einer Brücke nähert, müssen Ruderblätter und manchmal auch die Köpfe eingezogen werden. "Ten more strokes" ruft dann der Cox. Also noch zehn Ruderschläge, dann noch mal ein letztes Kommando: "Put the blades in!". Zieht die Riemen ein! Die Kunst ist es, genügend Schwung zu holen, um recht flüssig unter den kleinen Brücken hindurchzukommen. Aber auch eben nicht mit den Ruderblättern gegen die Seiten des Kanals anzustoßen.
    Wir rudern jetzt hoch oben über dem Avon, ein phantastisches Panorama öffnet sich. Die Ingenieure des frühen 19. Jahrhunderts haben kunstvolle Aquädukte für die Industrie-Kanäle gebaut, eines ist der "Avoncliff Aqueduct". Eine spektakuläre Brücke auf alten Pfeilern im Stil altrömischer Triumphbögen, auf der oben nicht Autos oder Züge fahren, sondern die Fahrrinne des Kanals verläuft. Mena gerät ins Schwärmen:
    "Das ist so fabelhaft. Ich kann es kaum glauben, wie schön das Land hier ist. So ein schöner Stein. Die Architektur bringt die Geschichte wieder zum Leben. Es ist absolut hinreißend."
    Gewaltige Industriearchitektur
    Das Aquädukt wurde 1797 bis 1801 gebaut, so steht es auf einer Plakette hoch oben. 100 m lang, fast 20 Meter hoch, auf drei gewaltigen gemauerten Bögen ruhend. Mitten auf dem Aquädukt ist die Fahrrinne so schmal, dass wir stehend rudern müssen, wie beim englischen Punten, wenn man sich mit einer langen Stange vom Flussboden abstößt.
    Wir steigen nach dem Aquädukt aus den Booten aus, um uns die gewaltige Industriearchitektur anzuschauen. Dabei lauschen wir den Geräuschen am Waldrand, der bis zum Kanal reicht.
    "Ich liebe das Landleben. Es ist so wunderschön. All die Vögel, die Enten und Schwäne mit den Küken. Und dann die Kameradschaft in der Gruppe. Man lernt sich immer besser kennen und hat zusammen Spaß."
    Jetzt ist Zeit für das Mittagessen. Die Hofanlage rund um das uralte, windschiefe Gasthaus ist wie aus der Zeit gefallen. Fehlt jetzt nur noch die Magd mit der Gans unter dem Arm oder der Bauer mit dem Heu, und man wähnt sich im 18. oder 19. Jahrhundert. Matthias ist auch Deutscher und empfindet es genauso.
    "Die abgeschiedenen Ortschaften, die alten Gebäude und Kirchen. Man fühlt sich um Jahrzehnte, wenn nicht gar um Jahrhunderte zurück versetzt. Das ist das Schöne, gerade die Kanäle. Es ist einfach phantastisch. Ich glaube, selbst wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist, hat man nicht so diesen tollen Einblick in die Natur."
    Ellie ist gebürtige Iranerin. Sie hat in Köln studiert und genießt jetzt das Mittagessen im Hof des Pubs.
    "Ich habe auf dieser Reise jederzeit die Landschaft und die englische Kultur genossen, die mir etwas unbekannt war. An englischer Kultur habe ich gelernt, dass sie viel Bier trinken, auch wenn sie Sport treiben. Sie haben viel Geduld und Respekt voreinander. Ich hab die Esskultur genossen. Ich habe nicht gedacht, dass traditionelle englische Gerichte so schön sein können. Was kriegt man in London? Immer Fish and Chips oder Yorkshire Pudding."
    Dazu ein Pint oder Half Pint Ale ...
    Auch kulinarisch kommen wir also nicht zu kurz während unserer Rudertour. Entenleber, Krabben aus Devon, Camembert aus Somerset, britische Muscheln, Pie in allen Variationen mit Rind, Lamm oder Hühnchen – und indische Gerichte wie Chicken Tikka Masala oder Tandoori , die alle längst Teil der britischen Küche geworden sind. Dazu ein Pint oder Half Pint Ale, eingeschenkt bis zur Oberkante des Glases ohne Schaum. Und nicht zu kalt. Danach geht es wieder auf den "Kennet and Avon Canal".
    "Nicht zu schnell rudern, wir sind nicht beim Rennen, sondern auf der Mäander-Tour",
    erinnert Richard noch einmal. Der Weg ist das Ziel beim Mäandern. Keine fünf Meter rechts von mir grasen Schafe – und weiter vorne schwimmt eine Entenfamilie. Mitten auf dem Kanal macht sich jetzt eine Gruppe weißer Schwäne breit.
    "Sie beschützen ihre Jungen, sie sind ziemlich aggressiv deswegen. Wenn sie ihre Flügel anheben, dann ist das als Drohung gemeint. Normalerweise gehen sie aus dem Weg, sie fühlen sich aber gestört von uns. Der da sieht aggressiv aus. Zieht die Ruder ein!"
    Besetztes Ruderboot auf einem Kanal
    Die Rudertour bedeutet Mäandern, nicht Hetzen (Deutschlandradio/Friedbert Meurer)
    Wir rudern an den Schwänen vorbei, alles ist gut. Man muss auf dem Kanal etwas aufpassen, weil es eng und man nicht alleine ist. Aber dafür werden wir reichlich entschädigt, wie wir hier mitten durch die abgelegene englische Landschaft paddeln.
    "Ich liebe das Tierleben hier. Die kleinen Enten und Gänse. Man erlebt die Natur auf dem Wasser aus einem anderen Blickwinkel. Wir bekommen normalerweise das Leben auf dem Wasser nicht mit, die Tiere verstecken sich am Ufer vor unseren Blicken. Das ist das Besondere und ein Privileg, das zu entdecken."
    "Man nimmt mehr wahr, du spürst die Gerüche. Im Wald gibt es wilden Knoblauch, der Duft weht uns in die Nase. Die vielen Blumen, das ist einfach wirklich entzückend."
    Nichts tut weh, nur ein oder zwei Schwielen an den Händen
    Unsere Reise neigt sich dem Ende zu, wir rudern wieder zurück in Richtung Bristol. Vier von uns legen noch eine Schippe drauf und wollen nach London weiterrudern. Das dauert noch einmal eine Woche, 200 km liegen vor ihnen. Wir anderen werden am Ende etwa 130 Kilometer zurückgelegt haben. Da man sich ja abwechselt, bin ich etwa 60 oder 70 Kilometer in vier Tagen gerudert. Aber nichts tut weh, ein oder zwei Schwielen an den Händen, mehr nicht. Hätte ich Handschuhe angezogen, wäre selbst das nicht passiert.
    "Ich fühle mich gesünder jetzt, richtig stärker. Nachdem wir solange auf dem Boot waren."
    "Mir geht es prima, das hat gut getan. Wir haben es nicht übertrieben und sind so schnell gerudert."
    "Ich habe Muskelkater, aber ich habe Ibuprofen genommen. So hab ich den ganzen Trip überstanden."
    "Ah, ich merke manchmal ein bisschen die Kniegelenke. Ich glaube, das kommt, wenn man auf den Knieen so hockt und durch enge Durchfahrten dongelt, wie wir das nennen. Eine Wunde auf der linken Pobacke habe ich. Das ist das Anstrengendste, auf der Cox-Bank zu sitzen. Nächstes Mal weiß ich: zwei Unterhosen anziehen und Vaseline vorher draufmachen. Ich hab das erst nach dem ersten Tag angefangen, das war zu spät."
    "Happy Birthday to you!"
    Die Wehwehchen sind bei allen schnell vergessen, stattdessen feiert Hubert seinen 60. Geburtstag. Mit Matthias und ihm sind wir drei Deutsche bei der Rudertour gewesen, gemeinsam mit den britischen Vereinsfreunden vom Skiff Club in London. Auch Kevin, einer der sehr guten Ruderer, ist mit uns und den anderen jetzt recht zufrieden:
    "Sie waren alle wirklich gut. Die letzten Tage wurde es immer besser. Jetzt ist es nur noch ein klein wenig, aber ich glaube, wir haben es wirklich gut gemacht."