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Sachsen-Anhalt
Urteil im Abwasserstreit

In Sachsen-Anhalt sollen Hausbesitzer nachträglich sogenannten Abwasserkanal-Beiträge für lange zurückliegende Kanal-Bauten begleichen - für manchen Hausbesitzer bedeutet das 10.000 Euro und mehr. Das Landesverfassungsgericht in Dessau hat diese Praxis der Abwasserzweckverbände überprüft und den Behörden zwar recht gegeben, doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.

Von Christoph Richter | 25.01.2017
    Ein Tropfen Wasser kommt am 21.03.2013 aus einem Wasserhahn in Frankfurt (Oder)
    Noch sind Abwasser- und Wasseranlagen ein Thema in den neueren Bundesländern, doch vermutlich auch bald für die alten Bundesländer - dort sind die Anlagen vielerorts veraltet. (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    Die sieben Richter am Dessauer Landesverfassungsgericht haben entschieden: Die Beiträge, die Abwasser-Verbände von Grundstücksbesitzern verlangen, sind rechtmäßig. Auch wenn es um Anlagen geht, die teilweise bereits vor Jahrzehnten gebaut wurden, die Rede ist von einem Zeitraum, der bis 1991 zurückreicht.
    Die sogenannten Abwasserzweckverbände – ein Zusammenschluss kommunaler Einrichtungen, die beispielsweise Pump- und Klärwerke betreiben – verstoßen damit weder gegen das Rechtsstaatsprinzip, noch gegen den Gleichheitsgrundsatz. Wilfried Schön ist ernüchtert. Zusammen mit 500 Betroffenen engagiert er sich in der Hettstedter Bürgerinitiative gegen die nachträgliche Erhebung von Anschluss-Beiträgen. Aber so richtig überraschend kam das Urteil dann doch nicht, sagt er noch.
    "Wir haben nichts anderes erwartet. Denn wir haben uns angeguckt, was die Brandenburger gemacht haben, da lief es genauso. "
    Rentner Schön ist Eigentümer in Hettstedt und auch von Nachzahlungen betroffen. Man muss es sich so vorstellen, erzählt er, man hat ein Haus und plötzlich flattert einem eine immense Rechnung von bis zu Zehntausenden Euro ins Haus, mit der man nie und nimmer gerechnet hat.
    "Also bei uns im Verein, der größte ist mit 60.000 Euro betroffen. Ein Gewerbetreibender, ein Zwei-Mann-Betrieb. Und die größte Forderung in unserer Gegend war 600.000 Euro, das war der Real-Markt. Sind 6.000 Bescheide bei uns rausgegangen, das ist einfach ungerecht."
    An der rückwirkenden Regelung entbrennt die Debatte
    Es gehe nicht um eine generelle Beteiligung an den Anschluss-Kosten, ergänzt Wilfried Schön, sondern das Problem sei die rückwirkende Regelung. Und genau das ist auch der Punkt, an dem sich die Debatte entbrennt.
    "Da gibt es Abbestellungen von Autos, da ist es teilweise so, dass die Leute ihr Haus zum Kauf angeboten haben, weil ältere Leute eben kein Kredit mehr bekommen haben, um die Abwasser-Anschluss-Rechnungen zu zahlen."
    Laut dem Verband Deutscher Grundstücksnutzer wurden allein 2015 rund 78 000 Bescheide mit einem Volumen von 77 Millionen Euro verschickt.
    Bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichts galt ein Moratorium, keiner brauchte zahlen. Das wird nun ausgesetzt. Praktisch heißt das, in den nächsten Tagen werden vielen Grundstückseigentümern in Sachsen-Anhalt Rechnungen im Briefkasten finden. Den Unmut der Menschen kann der oberste Dienstherr der Kommunen, CDU-Innenminister Holger Stahlknecht, gut verstehen. Sagt aber, dass man nun eine höchstrichterliche Entscheidung habe, die die Erhebung der Gebühren für verfassungsgemäß erklärt. Auch wenn das Urteil der Dessauer Verfassungsrichter mit vier zu drei Stimmen denkbar knapp ausfiel.
    "Nun wollen wir mal nicht sagen, was die Minderheit eines Gerichtes sagt, sonst bringen wir Verwirrung in die Bevölkerung. Sondern wir haben eine Entscheidung des höchsten Gerichtes des Landes, die besagt, dass alles verfassungsgemäß ist. Man gewinnt und verliert und muss Entscheidungen akzeptieren. Ich weiß, dass das schwierig ist."
    Entgültige Entscheidung erst durch Bundesverfassungsgericht?
    Doch damit ist der Streit jedoch nicht endgültig entschieden. Denn Grundeigentümer planen nun, vor das Bundesverwaltungsgericht bzw. Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Unterstützt werden sie dabei unter anderem vom Verband Deutscher Grundstücksnutzer. Für Pressesprecher Hagen Ludwig ist klar, mit der gestrigen Entscheidung habe man eine Chance vergeben, verloren gegangenes Vertrauen bei den Bürgern wiederherzustellen.
    "Ich denke, man hat nicht genügend auf die Signale des Bundesverfassungsgerichts gehört, das im Jahr 2015 zu zwei Fällen in Brandenburg den Vertrauensschutz und das Rückwirkungsverbot über die fiskalischen Interessen der Gemeinden und Verbände gestellt hat. Und insofern gehe ich davon aus, dass endgültige Rechtsklarheit in Sachsen-Anhalt wahrscheinlich erst durch das Bundesverfassungsgericht hergestellt wird."
    Der Streit um die Anschlussgebühren ist im Großen und Ganzen bislang ein ostdeutsches Thema. Die dort nach der Wiedervereinigung entstandenen Zweckverbände versäumten es damals, juristisch wasserfeste Regelungen und wirksame Satzungen und Gebührenordnungen zu schaffen. Weshalb man jetzt versucht, in Zeiten klammer Kassen, die Gebühren nachträglich einzutreiben. Das müssten die Grundeigentümer jetzt ausbaden, raunen die Grundbesitzerverbände.
    Modernisierung der Kanalisations- und Abwasseranlagen
    Aber: Künftig wird das auch ein Thema für die alten Bundesländer sein. Denn dort sind die Abwasser- und Wasseranlagen vielerorts veraltet, müssen also erneuert werden. Das werden die Zweckverbände – so die Vermutung - auf die Hausbesitzer umlegen. In vielen Kommunal-Abgabengesetzen ist das allerdings nicht vorgesehen, weshalb man auch hier die Hausbesitzer daran beteiligen wird. Immer mit dem Hinweis versehen: Der Wert der Häuser würde ja mit der Modernisierung der Kanalisations- und Abwasseranlagen auch wachsen.