Freitag, 03. Mai 2024

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Scharping

DLF: Herr Minister Scharping, der Militärschlag der Briten und der Amerikaner in der zurückliegenden Woche gegen den Irak hat Ihnen schon mehrfach Gelegenheit gegeben, dazu Stellung zu nehmen. Mich hat in dem Zusammenhang ein Problem beschäftigt, wonach ich Sie gerne fragen möchte. Rußland ist auf Distanz gegangen, um es vorsichtig auszudrücken. Der russische Verteidigungsminister kam in dieser Woche nicht zum Nato-Rußland-Rat, es gab Meldungen über die Alarmierung von Streitkräften, die Botschafter sind zurückgerufen. Auch im Kosovo gibt es ja Probleme mit den Russen. Rußland ist aber als Kooperationspartner für eine europäische Sicherheitsordnung ein ganz wichtiger Partner. Wie sehen Sie die Möglichkeiten, mit den Russen zusammenzuarbeiten, wenn sie sich bei solchen internationalen Aktionen eigentlich verschließen zur Zeit?

Rolf Clement | 20.12.1998
    Scharping: Die Atmosphäre im Nato-Rußland-Rat in der vergangenen Woche hat deutlich gemacht, daß alle Beteiligten ein großes Interesse daran haben, die breite Grundlage der Kooperation mit Rußland und zwischen Nato und Rußland aufrechtzuerhalten. Das liegt übrigens auch im deutschen Interesse und ist erklärte Politik der Bundesregierung. Rußland ist für die Entwicklung europäischer Sicherheit ein außerordentlich wichtiger - in meinen Augen - unverzichtbarer Partner. Folglich will ich auch nicht überbewerten, daß es eine klare, harte Ablehnung des amerikanisch-britischen Vorgehens im Irak gibt. Das signalisiert aber auch etwas anderes, was man dabei nicht übersehen sollte: Es gibt Meinungsverschiedenheiten zum Beispiel zwischen den USA und Rußland, aber zum Beispiel auch zwischen Deutschland und Rußland, zum Beispiel in der Bewertung des irakischen Verhaltens und des Vorgehens der internationalen Staatengemeinschaft. Aber auf allen Seiten herrscht doch der Wille vor, über diese Meinungsverschiedenheiten nicht alles zerbrechen zu lassen, was an Kooperation vorhanden ist. Und mein Eindruck aus der letzten Woche war - und ich bin sicher, daß wird sich für die Zukunft bestätigen -, daß es so überragende gemeinsame Interessen gibt, daß die wegen einer unterschiedlichen Einschätzung der Fragen, die mit dem Irak zusammenhängen, am Ende nicht in Gefahr geraten. Dazu zählt Rüstungskontrolle und Abrüstung, dazu zählt wirtschaftliche Kooperation, dazu gehört Zusammenarbeit in der Partnerschaft für den Frieden und manches andere mehr. Also, um das zu resümieren: In einer Frage gibt es sehr tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten, aber es gibt ein diese Meinungsverschiedenheiten weit überragendes Interesse der Kooperation in der Zusammenarbeit.

    DLF: Zur Kooperation und Zusammenarbeit: Haben Sie nicht das Gefühl, daß Rußland zum Beispiel auch im Verhältnis zu Slobodan Milosevic - wo es ja engere Bindungen hat als andere - vielleicht mehr tun könnte, um auch im Kosovo zu einer positiveren Entwicklung zu kommen?

    Scharping: Es ist ganz eindeutig so, daß Rußland - vielleicht doch stärker als andere Staaten - die Möglichkeit hat, das Verhalten bestimmter Regierungen zu beeinflussen. Das tut Rußland, soweit ich es beobachten kann, auch in einer durchaus konstruktiven Weise. Allerdings kann man nicht erwarten, daß das eine Verhaltensweise oder ein Vorgehen wird nach dem Motto: 'Rußland drückt auf den Knopf und dann verhalten sich mit Rußland befreundete Regierungen entsprechend'. Das gilt im Irak in besonderer Weise, weil Saddam Hussein ja nun wirklich ein verbrecherischer Diktator ist, der die volle Verantwortung dafür trägt, daß Massenvernichtungswaffen hergestellt werden, daß für die Nachbarn des Irak und darüber hinaus Gefahren entstehen, und daß die internationale Staatengemeinschaft völlig zu Recht erwartet und notfalls durchzusetzen sucht, daß dieser Diktator sich in voller Übereinstimmung mit den Erwartungen und Beschlüssen der internationalen Staatengemeinschaft, in diesem Falle des Weltsicherheitsrates, verhält. Ähnlich ist es im Kosovo und mit Blick auf Milosevic. Man kann das nicht gleichsetzen, das weiß ich auch. Aber es ist ganz eindeutig so, daß bei der Implementierung der unbewaffneten zivilen Beobachter auf dem Boden im Kosovo erhebliche Schwierigkeiten bestehen, und daß Milosevic versucht, nicht nur die OSZE-Mission zu behindern, sondern in seinem Verhalten wird auch eine Intension sichtbar, die ich für außerordentlich gefährlich halte, nämlich die OSZE mit ihren etwa 2.000 Beobachtern - die es im Januar ja sein sollen - nicht etwa Teil der Lösung des Problems werden zu lassen, sondern zum Teil des Problems zu machen - ein Verhalten, das wir früher in Bosnien und Herzegowina schon einmal beobachten mußten und das zu großen Gefahren geführt hat. Unterm Strich also: Da wir in der OSZE mit Rußland ja ebenfalls sehr eng zusammenarbeiten, da Rußland und die Ukraine - um nur zwei Staaten zu nennen, genau so wie viele andere - Beobachter im Rahmen der OSZE-Mission zur Sicherung des Waffenstillstandes stellen, sollte es auch unser gemeinsames Interesse sein, die Regierung Milosevic zu bewegen, einer dauerhaften friedlichen Lösung für den Kosovo zuzustimmen. Übrigens: Es ist auch eine gemeinsame Verpflichtung, das gegenüber der kosovo-albanischen Seite deutlich zu machen. Insbesondere die UCK verfolgt ja - in Teilen jedenfalls - Ziele, die wir nicht billigen können, insbesondere mit Blick auf eine Zerschlagung des jugoslawischen Staatsverbandes und den Folgen, die daraus für den ganzen Balkan - übrigens auch für Bosnien-Herzegowina, Albanien oder Mazedonien - entstehen könnten, um nur drei Staaten zu nennen.

    DLF: Wie kann man das denn verhindern, daß die OSZE-Beobachter instrumentalisiert werden in der Milosevic-Politik?

    Scharping: Indem die OSZE darauf achtet, daß möglichst rasch und möglichst umfangreich die Beobachter ihre Aufgabe wahrnehmen können, indem darauf geachtet wird, daß die Beobachterteams in den Nationalitäten der verschiedenen Staaten, die zivile Mitarbeiter dorthin entsenden, eine gewisse Mischung eintritt und nicht in den verschiedenen regionalen Zentren, die im Kosovo aufgebaut werden, dann plötzlich eine Separierung nach Nationen möglich wird, weil das den Aktionsraum für Milosevic unzulässig vergrößern würde.

    DLF: In Bosnien spricht man von einer möglichen Reduzierung der SFOR-Mission um 10 Prozent infolge von Straffung von Nachschubwegen. Wird da auch das deutsche Kontingent reduziert werden?

    Scharping: Damit rechne ich nicht. Die Ergebnisse der Überprüfung jetzt für das zweite Halbjahr 1998 sind so, daß man etwas effizienter im Bereich der Hauptquartiere der Logistik und anderer Bereiche agieren kann; das wollen wir auch gerne tun. Im übrigen hängt eine weitere Reduzierung mit Blick auf das erste Halbjahr 1999 ganz entscheidend davon ab, daß in Bosnien-Herzegowina mehrere Bedingungen erfüllt werden. Die erste ist, daß die ethnischen Gruppen ihre gemeinsame Verantwortung für den Staat und seine Zivilentwicklung konsequenter wahrnehmen als das in der Vergangenheit der Fall war. Ich weiß sehr wohl, daß dieser Friedensprozeß noch nicht selbsttragend ist, daß man Geduld - aber auch Konsequenz dafür aufbringen muß, und daß insbesondere in Bosnien-Herzegowina nach diesem mörderischen Bürgerkrieg die Bereitschaft zur Versöhnung schrittweise entwickelt werden muß. Aber noch einmal: Wenn auf der Seite der ethnischen Gruppen in Bosnien-Herzegowina der Wille nicht wächst, friedlich zusammenzuleben, gemeinsam zu arbeiten, das Land gemeinsam voranzubringen, eine multiethnische Polizei aufzubauen, den gemeinsamen Schutz der Grenzen sicherzustellen, dafür zu sorgen, daß es unabhängige zivile Institutionen gibt, usw., usw. - übrigens bis hin zu einer unabhängigen Justiz -, dann gibt es keinen selbsttragenden Friedensprozeß. Das zweite ist, daß die internationale Staatengemeinschaft mehr tun sollte. Auch nach dem Treffen in Madrid zur Implementierung des Dayton-Abkommens und des Friedensprozesses in Bosnien-Herzegowina bleibe ich bei dem Urteil, daß wir insbesondere in Europa, insbesondere mit Blick auf die Europäische Union, effizienter und konsequenter handeln müssen als bisher. Es muß ein klares System geben, das es erlaubt, schnell und unbürokratisch zu entscheiden, zivile Entwicklungen voranzubringen, zum Beispiel zu helfen beim Aufbau von Häusern, bei der Rückkehr von vertriebenen Personen in ihre Heimatgebiete, bei der Entwicklung der Infrastruktur, bei der Sicherung des Schulsystems und bei anderem. Das sind Dinge, die das Militär nicht leisten kann, für die es aber - seitens beispielsweise der Bundeswehr - durchaus Kooperationsbereitschaft gibt. Das setzt aber voraus, daß die internationalen Institutionen und Organisationen schneller, entschlossener, weniger bürokratisch, konsequenter handeln als bisher.

    DLF: Gibt es für Sie ein Junktim zwischen der Erfüllung der Forderung, die Sie geschildert haben, und einer möglichen Reduzierung im Juli?

    Scharping: Nicht im Sinne eines Junktims, aber es ist ganz klar, daß wir uns ja unverantwortlich verhalten würden, wenn wir mit Blick auf irgendeine Zeittafel Reduzierung in der militärischen Präsenz vornehmen wollten, und dann möglicherweise das Risiko steigt, daß es wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt. Deshalb geht es mir weniger um eine Zeittafel und mehr darum, daß klare Bedingungen genannt und auch erfüllt werden. Dann kann man den Umfang der militärischen Präsenz und auch den Charakter der militärischen Präsenz verändern, und zwar so, daß es eine enge Koordinierung, eine enge Zusammenführung von zwei Prozessen gibt. Der eine Prozeß wird von des SFOR-Truppen gewährleistet, nämlich Gewaltfreiheit, Rückkehr von Flüchtlingen und Hilfe beim zivilen Aufbau. Aber die Substanz des zivilen Aufbaus muß von den Kräften in Bosnien-Herzegowina und von den internationalen Organisationen wie Institutionen sichergestellt werden. Denn mit diesen Aufgaben - über die notwendige Kooperation hinaus - wäre Militär überfordert. Und wir wollen ja nicht eine dauerhafte Kultur von Abhängigkeit entstehen lassen.

    DLF: Herr Minister, Sie sind jetzt ungefähr zwei Monate im Amt des Verteidigungsministers. Es ist in diesen zwei Monaten sehr viel geschrieben und gesprochen worden von Kontinuität, die Sie wahren wollen. Es war ein Regierungswechsel; was soll sich denn ändern in der Bundeswehr und in der Sicherheitspolitik?

    Scharping: Nun, zunächst geht es mir darum, daß die Bundeswehr nach fünf verschiedenen Planungen seit der deutschen Einheit natürlich in einem noch nicht völlig abgeschlossenen Zustand der Umstrukturierung ist. Man darf nicht übersehen, was das für die betroffenen Menschen und ihre Familien bedeutet. Ein Offizier beispielsweise muß im Rahmen seines Berufslebens 15 bis 18 mal umziehen. Das ist ganz normal. Wenn aber durch diese Bundeswehrplanungen zusätzlich pro Jahr etwa 50.000 Menschen umziehen, neue Wohnorte, neues soziales und kulturelles Umfeld sich erschließen mußten, dann war das eine sehr zusätzliche starke Belastung - neben den ganzen Reduzierungen, die es gegeben hat. In dieser Situation kommt es zunächst darauf an, daß jenen Menschen Sicherheit gegeben wird, von denen wir einen Einsatz verlangen für die Sicherheit unseres Landes, also Sicherheit für die Produzenten von Sicherheit. Das zweite ist, daß manche Menschen natürlich fragen: 'Wo ist denn eigentlich die Friedensdividende?'. Und ich möchte darauf aufmerksam machen, daß im Zuge der Umstrukturierung und Reduzierung der Bundeswehr sich erstaunliche Fortschritte ergeben haben. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wendeten wir noch 25 Prozent der Steuereinnahmen des Bundes auf für Verteidigungsaufgaben. Jetzt ist das abgesunken auf einen Prozentsatz von 14 Prozent der Steuereinnahmen des Bundes. Das bedeutet, daß wir Jahr für Jahr gegenüber den achtziger Jahren etwa 30 Milliarden Mark einsparen. Ohne das Engagement der Bundeswehr in Bosnien - um ein zweites Beispiel zu nennen - wäre die Rückkehr von Flüchtlingen in diesem Umfang nicht möglich gewesen. Die Bundesrepublik Deutschland hatte etwa 350.000 Flüchtlinge aufgenommen; deren Zahl ist jetzt auf unter 100.000 gesunken. Wenn man sich die daraus entstehenden finanziellen Vorteile, die gesunkenen Kostenbelastungen anschaut, dann sieht man noch einmal einen Betrag von deutlich über 10 Milliarden Mark im Jahr. Das heißt: Die Bundeswehr und ihre politische Führung haben in hohem Masse dazu beigetragen, daß es solche Friedensdividenden gibt. Und vor diesem Hintergrund wird vielleicht deutlich, warum es jetzt notwendig ist, zwei Prozesse miteinander zu verzahnen: Auf der einen Seite die notwendige soziale und planerische Sicherheit für die Soldaten, für die Staatsbürger in Uniform, und auf der anderen Seite die notwendige Vorbereitung auf künftige Aufgaben, denn das neue strategische Konzept der Nato das veränderte und erweiterte das Aufgabenspektrum der Bundeswehr. Das wird uns vor neue Herausforderungen stellen. Es bleibt zwar bei den großen Kernaufgaben: Landesverteidigung, gemeinsame Sicherheit im Bündnis, Beteiligung an internationaler Friedenssicherung und - ganz selbstverständlich auch - Hilfe in humanitären Notfällen oder in Katastrophensituationen, wie man es an der Oder oder in diesem Jahr bei den schweren Hochwassern gesehen hat. Aber in diesem Aufgabenspektrum verändern sich die Gewichte. Und darauf muß man sich einstellen, das tun andere Länder auch. Und die Kommission, die sich mit der Sicherheit Deutschlands und der Zukunft der Bundeswehr beschäftigen wird, steht genau vor dieser interessanten Herausforderung, diese Aufgaben zu bewerten auf der Grundlage einer sorgfältigen Risikoanalyse, und der Bewertung der Sicherheitslage unseres Landes dann Vorschläge zu machen. Und danach werden Regierung und Parlament ihre Entscheidungen zu treffen haben.

    DLF: Sie sind als Inhaber der Kommando- und Befehlsgewalt über die Bundeswehr auch sozusagen der Vorgesetzte - aber auch derjenige, der ein bißchen prägen soll oder vorgeben soll, wie ein Soldat heute aussieht. Es gab in den zurückliegenden Jahren schon einmal die Forderungen, ein Soldat müsse wieder stärker, ein Kämpfer werden, wie er es früher war. Welches Soldatenbild schwebt Ihnen vor, auch vor dem Hintergrund dieser neuen Aufgaben und der neuen Missionen, die die Bundeswehr jetzt wahrnimmt?

    Scharping: Die Soldaten stehen wie jeder andere verantwortungsbewußte Staatsbürger in einer besonderen Verpflichtung für Frieden und Freiheit. Das heißt, sie sind nach unserer Verfassung und auf der Grundlage dieser Verfassung in einem besonderen Masse gefordert, für die Sicherheit des Landes, für seine friedliche Entwicklung, für seine freiheitliche Verfassung zu sorgen und dafür einzutreten. Das tun sie auch, übrigens auf der Grundlage einer ausgezeichneten Ausbildung und einer sehr hohen Motivation und Leistungsfähigkeit. Vor diesem Hintergrund wird in meiner Tätigkeit das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform - das Ideal der inneren Führung - ein Stück stärker im Vordergrund stehen, im Sinne eines mitdenkenden Soldaten. Ich werde im Januar und Februar des nächsten Jahres sechs Tage mit Bundeswehrangehörigen verschiedenster Dienstgrade und verschiedenster Erfahrung durchführen. Es geht mir darum, in die künftige Gestaltung, in die künftige Wahrnehmung von Aufgaben durch die Bundeswehr, die Soldaten so eng wie irgendmöglich einzubeziehen, denn die sind ja nicht zuerst Befehlsempfänger, sondern Staatsbürger.

    DLF: Ein mitdenkender Soldat soll auch ein querdenkender sein?

    Scharping: Ich habe nichts dagegen, wenn Menschen querdenken, weil nur mit scheinbar unkonventionellen Gedanken auch Fortschritt zu erreichen ist. Es gibt eine Grenze dafür. Die ist einmal durch die Verfassung und zum anderen an das Selbstverständnis der Bundeswehr gezogen, beispielsweise sind wir keine Interventionsarmee und wollen es auch nie werden. Beispielsweise sind wir auch der Verteidigung und der gemeinsamen Sicherheit verpflichtet, nicht auf Kriegsführung. Die Bundeswehr ist ein Instrument der Kriegsverhinderung, nicht der Kriegsführung. Vor diesem Hintergrund gibt es Grenzen; ich könnte andere dafür nennen. Aber innerhalb dieser von Verfassung und Auftrag gezogenen Grenzen sollten wir miteinander reden und deswegen gibt es ja beispielsweise im nächsten Jahr diese 6 Tage mit den Angehörigen der Bundeswehr.

    DLF: Sie haben gesagt: Neue Missionen, die die Bundeswehr übernehmen muß und Sie beschrieben, wie viel eingespart worden ist im Haushalt in den letzten Jahren und was die Bundeswehr dazu beigetragen hat, daß auch in anderen Bereichen eingespart wird. Die Nato hat in dieser Woche zum ersten Mal einen Haushalt verabschiedet, der etwas höher liegt, als der des Vorjahres - zum ersten Mal seit 15 Jahren. Wenn neue Aufgaben auf die Streitkräfte zukommen, braucht man da nicht eigentlich auch mehr Geld?

    Scharping: Zunächst, was die Nato betrifft: Dieser leicht ansteigende Haushalt der Nato erklärt sich aus der Tatsache, daß drei neue Mitglieder in die Nato eintreten werden, nämlich Polen, Ungarn und die Tschechische Republik. Für Deutschland selbst ändert sich dabei allenfalls maginal etwas, es hat keine wirkliche finanzielle Bedeutung. Im übrigen: Diejenigen, die von der Bundeswehr weitere finanzielle Beiträge erwarten, die muß man darauf aufmerksam machen, daß die Erfahrung aller unserer Partner und Freunde eher andersherum gelaufen sind. Frankreich beispielsweise schafft die Wehrpflicht ab, reduziert die Armee um 25 Prozent, gleichzeitig wird sie dabei um 30 Prozent teurer, weil natürlich eine reine Berufsarmee - wenn ich das mal so als Kontrapunkt der bisherigen Situation der Bundeswehr setzen sollte - wesentlich teurer ist als eine Wehrpflichtarmee, wie wir sie zur Zeit heute haben - ganz abgesehen von allen anderen Gründen, die für die Wehrpflicht sprechen, nämlich insbesondere gesellschaftliche Verankerung, die alltägliche Herausforderung für Unteroffiziere und Offiziere, sich mit der Entwicklung in der jungen Generation auseinanderzusetzen und nicht zuletzt das Ideal, daß die gemeinsame Sicherheit eines Landes auch eine gemeinsame Verpflichtung seiner Staatsbürger ist.

    DLF: Im Januar wird der neue Haushalt der Bundesregierung im Kabinett verabschiedet. Welche anderen Schwerpunkte setzen Sie denn im Vergleich zu dem Hauhalt der Vorgängerregierung?

    Scharping: Also angesichts der Langfristigkeit der beschriebenen Entwicklungen, die ja immer auch mit der Langfristigkeit von Sicherheitspolitik zu tun haben - man kann ja nicht aus Tagesaktualität heraus mit solchen Herausforderungen mal so und mal anders umgehen -, muß man den Prozeß der Umsteuerung auch sehr sorgfältig vornehmen und immer als langfristigen Prozeß begreifen. Deshalb wird es im Haushalt 1999 vermutlich keine großen Änderungen geben. Wohl aber in der Art und Weise, wie man innerhalb des Haushaltes mit dem vorhandenen Geld umgeht., wird es Korrekturen geben. Ich will das an einem einzigen Beispiel verdeutlichen: Die Bundeswehr beruft ja im Rahmen der Wehrpflicht etwa 65-70 Prozent der jungen Männer ein. Es ist ja eine sehr hohe Zustimmungsrate für die Bundeswehr. Gleichzeitig achten wir natürlich darauf, daß im Zuge solcher Einberufungen auch eine Hilfe für junge Männer entsteht, zum Beispiel dadurch, daß man Arbeitslosigkeit berücksichtigt, daß man versucht, solchen jungen Männern zu helfen. Und ich kann mir lebhaft vorstellen, daß man das ausbaut.

    DLF: Sehen Sie Probleme in dem Umfang des Etats in den Beratungen, die vor Ihnen liegen zu Beginn des Jahres, oder ist das alles klar mit dem Finanzminister?

    Scharping: Das wird immer Diskussionen geben, aber vor dem Hintergrund der geschilderten Entwicklungen und der sehr festen Zusagen des SPD-Parteivorsitzenden, der Finanzminister ist, und des Bundeskanzlers selbst denke ich, kann man diesen Diskussionen mit einer gewissen Gelassenheit entgegensehen.

    DLF: Es gibt - auch wieder zum Thema 'neue Missionen', 'gemeinsame Missionen mit anderen Partnern' - die Diskussion um die Technologielücke, die es gibt unter den Nato-Partnern. Irgendwann kommt das in einen Bereich hinein, wo man dann nicht mehr zusammenarbeiten kann. Ist das ein Punkt, wo Sie sagen: 'Hier müssen wir stärker umsteuern, hier müssen wir mehr Geld investieren'? Wie wollen Sie mit dieser Technologielücke umgehen?

    Scharping: Na, ich mache mir das Wort von der Technologielücke ausdrücklich nicht zu eigen. Aber Sie beschreiben natürlich insgesamt eine Herausforderung, die auf alle europäischen Staaten zukommt: Die Frage nämlich, ob wir den künftigen Herausforderungen in vollem Umfang gewachsen sind. Dazu gehört, daß Streitkräfte heute - anders als in der Zeit des Ost-West-Konfliktes - auf ganz verschiedene Krisenursachen reagieren müssen. Man sieht es ja in Bosnien-Herzegowina, man sieht es im Kaukasus. Nicht zu vergessen das humanitäre Engagement der Bundeswehr wie jüngst beispielsweise bei den Versorgungsflügen für vom Hunger bedrohte Bevölkerung im Südsudan, oder - um ein anderes Beispiel zu nennen - die Garantie von Waffenstillstand in dem georgisch-abchasischen Konflikt, also einem Engagement, das wir eingegangen sind innerhalb der Vereinten Nationen und dem Kaukasus. Vor diesem Hintergrund spielen Fragen eine Rolle, wie beispielsweise folgende: Wer gewinnt die Informationen, wer verfügt also beispielsweise über die Satelliten, wer verfügt über die Aufklärungstechniken usw., usw.? Das spielt in einem Bündnis wie der Nato deshalb eine große Rolle, weil derjenige, der über die Informationen verfügt und ein Monopol hätte auf ihre Auswertung, natürlich bei der Führung von Operationen, bei der Beurteilung einer Lage, bei dem Ziehen politischer Konsequenzen, immer in einer privilegierten Situation ist. In einem Bündnis unter gleichberechtigten Mitgliedern sollte man das vermeiden.

    DLF: Also braucht Deutschland, brauchen die Europäer einen eigenen Satelliten?

    Scharping: Nein, nicht einen eigenen Satelliten, aber einen gleichberechtigten Zugang zu den sogenannten Rohdaten, also zu den Informationen, die man gewinnt, und nicht nur zu solchen, die schon von Dritten - und seien es auch die engsten Freunde - bewertet wurden.

    DLF: Haben Sie mit dem Programm, was Sie vorhaben, nicht einen sehr starken Diskussionsbedarf mit Ihrem Koalitionspartner?

    Scharping: Nein, überhaupt nicht. Alles, was ich Ihnen hier schildere, ist Inhalt der gemeinsamen Politik in der Bundesregierung und zwischen den Koalitionspartnern, völlig unstreitig.

    DLF: Ihnen macht das neue Amt Spaß!

    Scharping: Ja, es macht mir Spaß. Es ist eine herausfordernde Aufgabe unter mehreren Gesichtspunkten: Verantwortung für 480.000 Menschen ist - für sich genommen - schon eine sehr große Herausforderung, aber eben auch eine, in der man Führungsqualitäten nachweisen kann, soziale Kompetenz - und zwar in einem umfassenden Sinne - und gleichzeitig Sicherheits- und Außenpolitik betreiben kann. Alles zusammengenommen: Es ist eine sehr wichtige, eine sehr herausfordernde Aufgabe und ich mache sie gerne - ohne zu verschweigen, daß mir die Umstände der Übernahme alles andere als gepaßt haben.