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Schlacht bei Sedan vor 150 Jahren
Als Kaiser Napoleon III. Gefangener Preußens wurde

Mit der Schlacht bei Sedan erfuhr der Deutsch-Französische Krieg 1870 eine entscheidende Wendung: Der französische Kaiser Napoleon III. wurde gefangen genommen – mit ihm kapitulierte eine ganze Armee, die von preußisch-deutschen Truppen geschlagen worden war. Der Krieg endete damit aber noch nicht.

Von Bernd Ulrich | 02.09.2020
    Gefangennahme Napoleons III. durch König Wilhelm im Schloss Bellevue in Sedan am 2. September 1870, Frankreich, deutsch-französische Kampagne von 1870.
    Gefangennahme Napoleons III. durch den preußischen König Wilhelm in Sedan am 2. September 1870 (imago images / imagebroker)
    "Die Armee ist geschlagen und gefangen, ich selbst bin Gefangener."
    Kürzer ließ sich das Unglück kaum beschreiben. Und kam auch aus berufenerem Munde: Charles-Louis Napoléon Bonaparte, seit seiner selbst vorgenommenen Inthronisierung bekannt als Kaiser Napoleon III., unterrichtete im Telegrammstil darüber, dass er seit dem 2. September 1870 Gefangener der Preußen war. Ebenso auch die Offiziere und Soldaten einer ganzen Armee. Sie war tags zuvor bei Sedan, einer Festungsstadt an der Maas nahe der Grenze zu Belgien, vernichtend geschlagen worden.
    In einem noch am gleichen Tage verfassten Brief an Kaiserin Eugénie wurde Napoleon etwas präziser: "Wir haben einen Marsch gemacht, der allen Grundsätzen Hohn spricht. Das musste zu einer Katastrophe führen. Sie ist vollständig. Ich wäre lieber gestorben, als eine so vernichtende Kapitulation mit ansehen zu müssen – und doch war es unter den gegebenen Umständen das einzige Mittel, die Niedermetzelung von 60.000 Menschen zu vermeiden."
    Das Ende des Zweiten französischen Kaiserreichs
    Der Kaiser der Franzosen, Sohn eines Bruders des großen Napoleon Bonaparte, von dessen Nimbus er gezehrt hatte, war gefangen. Hinzu kamen noch über 180.000 Soldaten, die in der lothringischen Festung Metz von preußisch-deutschen Truppen eingeschlossen worden waren. So etwas hatte die Welt noch nicht gesehen. Die rasche Niederlage besiegelte das Ende des Zweiten französischen Kaiserreichs. Eines Reiches, dessen politische Führer diesen Krieg am 19. Juli 1870 mit der Kriegserklärung an Preußen eigentlich vom Zaun gebrochen hatten, um die kriselnde Herrschaft Bonapartes zu stabilisieren.
    Preußische Truppen bei der Schlacht von Sedan am 1. September 1870 (Illustration): Gefallene und verwundete französische Soldaten vor der heranrückenden preußischen Garde
    150 Jahre Deutsch-Französischer Krieg - Ein prägender, aber fast vergessener Krieg
    Bis heute sind sich Historiker uneins, wer 1870 den Deutsch-Französischen Krieg begann. Deutschland wurde dadurch zum Kaiserreich geformt, Frankreich zur dritten Republik. Ein Rückblick auf diesen Krieg vor 150 Jahren, der zwei Länder prägte und an den heute kaum jemand mehr denkt.
    Nach allen Regeln des zeitgenössischen Kriegshandwerks hätte der Krieg nun zu Ende sein müssen. Aber davon konnte keine Rede sein. Eine Zeitzeugin berichtete über den Abend des 3. September, da bereits in Paris Zehntausende durch die Straßen zogen:
    "Gegen zehn Uhr abends ähnelt der Boulevard von der Rue Montmartre bis zur neuen Oper einem riesigen Forum. Der Hass, die Gewalt quellen aus allen Herzen; Drohungen, Schmähungen, Beleidigungen, Anklagen häufen sich auf Bonaparte."
    "Nicht die Nation war geschlagen, sondern allein Napoleon"
    Am nächsten Tag entlud sich diese Energie in der Erstürmung des Parlaments. Dort verkündete um drei Uhr nachmittags der Abgeordnete Léon Gambetta, getragen von der Stimmung der Bevölkerung:
    "Weil das Vaterland in Gefahr ist, weil wir die aus allgemeinen freien Wahlen hervorgegangene Staatsgewalt sind, erklären wir, dass Louis-Napoléon Bonaparte und seine Dynastie für immer aufgehört haben über Frankreich zu herrschen."
    Noch am 4. September riefen Gambetta und der Abgeordnete Jules Favre im Pariser Rathaus die Republik aus. Die sich sofort bildende "Regierung der nationalen Verteidigung", in der Gambetta Innen- und Favre Außenminister wurden, war entschlossen, den Krieg fortzuführen – trotz der schweren Niederlagen, ob bei Wörth, Weißenburg, Spichern, Vionville und vor allem bei Sedan. Der Publizist und Historiker Wolfgang Schivelbusch:
    "Nicht die Nation war geschlagen, sondern allein Napoleon, und die Schande von Sedan verschwand mit ihm in der deutschen Gefangenschaft. Die Revolution aber und ihr Geschöpf, die Republik, war – daran zweifelte niemand – die Garantie für den Sieg."
    Feindbild Frankreich
    Der natürlich nicht kam. Aus preußisch-deutscher Sicht geriet nun der schnelle, überaus opferreiche Krieg zum blutigen, zähen Abnutzungskampf. Die deutsche Besatzungsarmee führte dabei nicht einen ideologischen Krieg gegen die französische Republik.
    Der Historiker Christian Rak: "Es gab sehr harsche Feindbilder über Frankreich, die auch schon historisch überliefert waren aus dem Krieg gegen Napoleon, und das war alles abrufbar bereit quasi. Die Franzosen wurden geschildert als sittlich und religiös verkommenes Volk. Das waren sehr harsche Feindbilder, die dann auch noch oft konfessionell unterlegt waren."
    Die Schlachtfelder des August und September 1870 sollten für lange Jahrzehnte zu preußisch-deutschen Erinnerungsorten werden. Vor allem die bis 1919 am 2. September gefeierten "Sedantage" bestimmten in ihrer Zementierung des "Feindbildes Frankreich" das kulturelle Gedächtnis des deutschen Kaiserreichs, das seine Gründung dem Krieg von 1870/71 verdankte. Bezeugt wurde das nicht zuletzt durch unzählige nach Sedan benannte Plätze, Straßen und Brücken. Allein in Berlin gab es bis 1945 neun davon. Ganze zwei Straßen existieren bis heute. Letzte Zeugen einer Schlacht und eines Krieges, an die sich kaum noch jemand erinnert.