Freitag, 26. April 2024

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Schröders Fünf-Punkte-Plan zur sozialen Gerechtigkeit

Meurer: In Berlin bin ich nun telefonisch verbunden mit Rudolf Dreßler, SPD-Präsidiumsmitglied, stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Guten Morgen Herr Dreßler.

08.12.1999
    Dreßler: Guten Morgen!

    Meurer: Wie zufrieden sind Sie nach dem ersten Tag des Parteitages?

    Dreßler: Na, das kann man ja wohl auch. Das ist ja wohl gerechtfertigt, dass man zufrieden ist. Es ist gut gelaufen. Die Wahlen haben ein gutes Ergebnis gebracht. Die Rede ist gut angekommen. Viele der Voraussagen sind Gott sei Dank negativ, nicht erfüllt worden. Man kann schon zufrieden sein.

    Meurer: Ist Schröders Rede auch bei Ihnen gut angekommen?

    Dreßler: Er hat sich ja nun offensichtlich große Mühe gegeben, auf die Partei zuzugehen. Das war ja nicht zu überhören. Die Partei wiederum hat auch das Gefühl gehabt, dass sie ihm entgegenkommt, so dass das ein, wenn Sie so wollen, beiderseitiges gutes Ergebnis war.

    Meurer: Schröder ändert seine Haltung zur Partei. Er ändert seine Rhetorik. Ändert er aber auch Inhalte? Ändert er etwas an seinem Kurs?

    Dreßler: Das was er vorgeschlagen hat in Richtung des steuerpolitischen sozialen Ausgleichs, das ist ja nun etwas, was auch in der politischen Landschaft neu ist, dass ei-ne Regierungspartei auf einem Parteitag etwas beschließt, was sie bereit ist, anschließend sofort umzusetzen. Normalerweise werden solche Dinge immer im Sinne einer Perspektive auf die lange Bank geschoben, also Absichtserklärungen für eine mittlere oder fernere Zukunft. Hier ist ausdrücklich beabsichtigt, diese Punkte sofort in die Tat umzusetzen.

    Meurer: Entschuldigung, von welchen Punkten reden Sie jetzt: von der Erbschaftssteuer und den fünf Punkten Schröders?

    Dreßler: Richtig, genau das. Das ist neu in der Qualität. Ein Parteitag beschließt so etwas und setzt es anschließend im Sinne von Ausgewogenheit um.

    Meurer: Aber anschließend ist die Frage. Wann wird umgesetzt? Beispielsweise muss die Erbschaftssteuer noch im Bundesrat behandelt werden, die Kapitalsteuer wird sich noch lange hinziehen.

    Dreßler: Wir können ja nun nicht die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verändern. Das wollen wir ja auch gar nicht. Aber das was wir bereit sind zu tun, und zwar unverzüglich nach der Beschlussfassung des Parteitages, das wird in diesen fünf Punkten stehen. Dann wird man sehen müssen, an welche Grenzen man stößt. Es ist ja nun interessant zu beobachten, wie die CDU sich zu solchen Vorschlägen verhält. Der Koalitionspartner hat positive Signale gesendet. Insoweit bin ich sehr optimistisch, dass das auch kurzfristig umgesetzt werden kann.

    Meurer: Wie sehr reichen Ihnen die fünf Punkte, um der SPD wieder soziales Profil zu geben?

    Dreßler: Entscheidend ist ja, dass wir auf einem Parteitag nicht einen Beschluss fassen, wo dann anschließend nichts passiert. Entscheidend ist, dass hier ein Beschluss gefasst werden soll, von dem ich auch erwarte, dass er gefasst wird, der anschließend sofort umgesetzt wird, also das was ein Parteitag als Regierungspartei beschließt auch dann praktisch im Parlament Gegenstand der Auseinandersetzung und, wie ich erwarte, auch der Mehrheit sein wird. Das ist neu in der Qualität. Sonst sind solche Dinge immer auf die lange Bank geschoben worden und haben auf sich warten lassen.

    Meurer: Wie auch immer die einzelnen Punkte umgesetzt werden, Erbschaftssteuer, Kapitalsteuer, was muss Gerhard Schröder tun, um die soziale Gerechtigkeitslücke, wie sie von der Linken zumindest beklagt oder erkannt worden ist, zu schließen?

    Dreßler: Ich glaube, dass vieles an dem auch in der Vergangenheit Rhetorik war. Man wird, selbst wenn man mit dem spitzen Bleistift arbeitet, der Regierung und auch den Mehrheitsfraktionen nicht nachweisen können, dass sie sozial ungerechte Beschlüsse gefasst hätten. Der entscheidende Punkt ist, dass viele in der Partei - das gilt jetzt nur für die SPD - rhetorisch den Eindruck erweckt haben, man würde es tun können oder man beabsichtige es. Bei der SPD ist der Versuch schon strafbar. Diese Vermischung von dem, was wir angeblich tun wollten oder was einige für die Partei tun wollten, und dem, was nun tatsächlich getan worden ist, diese Lücke haben wir nicht schließen können in der Rhetorik, in der öffentlichen Darstellung. Ich glaube nicht, dass man uns nachweisen kann, dass wir eine Politik betrieben haben, die sozial ungerecht wäre. Das haben wir nun kritisiert bei der Vorgängerregierung, und zwar nachweisbar. Bei uns ist das nun eben ein ganz sensibles Thema. Da dürfen wir auch nicht den Eindruck erwecken, es könnte bei uns passieren.

    Meurer: Wird die Geschlossenheit genau heute wieder in Frage gestellt werden bei der Debatte über den Leitantrag, bei der Debatte über Vermögenssteuer oder dem Vorschlag der Parteiführung, wie Vermögende ihren Beitrag für die Zukunftssicherung leisten können?

    Dreßler: Nein, das wird eine lebendige Diskussion. Das ist Charakter einer Volkspartei, lebendig zu diskutieren, auch strittig, auch kontrovers. Eine Partei, die dieses nicht mehr tun würde, würde ihren Charakter als Volkspartei aufgeben. Man muss unterscheiden zwischen einem Streit und zwischen einer kontroversen Diskussion in der Sache. Wenn eine Partei wie die SPD das nicht mehr leisten könnte, das wäre ja furchtbar. Nein, das wird kunterbunt gehen. Entscheidend ist, dass ich glaube, dass eine Mehrheit des Parteitages mittlerweile die Fassung der Antragskommission, die ja jetzt auf dem Parteitag vorliegt, auch mit trägt. Sie hat sich schwer verändert vom Ursprungsentwurf und hat die Komponenten, die man soziale Gerechtigkeit nennt, auch Identität der SPD, jetzt als Inhalt. Das ist das entscheidende. Es hat ja auch einen Diskussionsprozess in den letzten zwei Monaten gegeben. Das hat die SPD bisher immer so gemacht. Das hat sie stark gemacht. Ich bin froh, dass das auch diesmal wieder so der Fall ist.

    Meurer: Noch einmal die Frage nach den Wahlen von gestern. Wie stabil, glauben Sie, ist das Verhältnis zwischen der SPD jetzt und ihrem Vorsitzenden? War das gestern ein Vertrauensvorschuss?

    Dreßler: Das war auf der einen Seite ein Vertrauensvorschuss. Die Partei hat ganz offensichtlich das Gefühl, dass sie Schluss machen will mit den Turbolenzen der letzten Monate. Das ist auch nötig. Wir haben zwei große wichtige Wahlen vor uns: in Schleswig-Holstein im Februar, im Mai in Nordrhein-Westfalen. Da muss die SPD Geschlossenheit zeigen. Das wird von ihr, von uns erwartet. Dieses haben die Delegierten gestern auch damit zum Ausdruck bringen wollen, dass sie dieses erkennen und dazu bereit sind.

    Meurer: Wie haben Sie das gestern empfunden, dass Rudolf Scharping, der stell-vertretende Parteivorsitzende, gerade so schlecht abgeschnitten hat?

    Dreßler: Man sagt, wenn jemand in den 70er Prozentwerten liegt, es sei ein schlechtes Wahlergebnis.

    Meurer: Das sind minus 19 Prozent gegenüber dem letzten Wahlergebnis. Das ist schon ganz ordentlich.

    Dreßler: Ja gut, das erinnert mich immer an Albanien, wo es Prozentsätze gab, die weit über 90 oder an die 100 Prozent gingen. Wir leben in einer Demokratie. Wenn Delegierte nun in einem Wert von 28 Prozent jemanden mal nicht wählen wollen, dann ist das eben so. Das muss man hinnehmen. Aber eine Zustimmung von 72, 73 Prozent für einen Kandidaten, das ist doch, finde ich, eine Mordsmehrheit.

    Meurer: Gibt es eine Lehre, die Rudolf Scharping aus dem Ergebnis ziehen kann?

    Dreßler: Scharping ist ein erfahrener Politiker und der wird ein solches Ergebnis so nehmen wie es ist. Es ist eine Momentaufnahme. Da haben nun eine Reihe von Delegierten ihn nicht unterstützt in diesem Falle. Stellen Sie sich vor, Gerhard Schröder hat vor wenigen Monaten 75 Prozent der Stimmen bekommen, und nach zehn Monaten bekommt er 86 oder 85. So schnell können sich die Zeiten und die Zustimmungen ändern.

    Meurer: Rudolf Dreßler war das, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und Mitglied des Präsidiums seiner Partei. - Herr Dreßler, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!