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Schuldenstreit mit Griechenland
"Den moralischen Ton absenken"

Grünen-Finanzpolitiker Sven Giegold plädiert in der griechischen Schuldenkrise für mehr Zurückhaltung. Vor jedem Treffen der Eurogruppe würden Gerüchte hochgekocht und werde über den Grexit spekuliert, sagte Giegold im DLF - und kritisierte namentlich den FDP-Politiker Lambsdorff.

Sven Giegold im Gespräch mit Christiane Kaess | 30.03.2015
    Grünen-Politiker Sven Giegold bei der Präsentation der Europawahlkampagne im April 2014
    Grünen-Politiker Sven Giegold (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Lambsdorff hatte im Deutschlandfunk am Montagmorgen einen Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone in Betracht gezogen. Giegold betonte, dass die Lage Griechenlands schlechter dargestellt werde, als sie sei. Athen erwirtschafte einen Primärüberschuss. Gleichwohl habe das Land weiterhin erhebliche Probleme bei der Korruptionsbekämpfung. Auch habe es Berufungen durch die neue griechische Regierung gegeben, die wenig Vertrauen in die Reformfähigkeit aufkommen ließen. "Geld darf es nur für konkrete Zusagen geben", sagte Giegold. Zugleich mahnte er die Politik hierzulande, keine rhetorischen Steine in den Weg der Verhandlungen zu legen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Viel Konkretes ist nicht bekannt aus den nicht öffentlichen Verhandlungen über die Reformvorschläge aus Griechenland, aber das Wenige klingt vernichtend in Bezug auf weitere finanzielle Hilfen. Keine brauchbare Verhandlungsgrundlage, so heißt es über die offenbar nur rudimentären Vorschläge aus Athen.
    Am Telefon mitgehört hat Sven Giegold. Er ist Finanzexperte der Grünen im Europaparlament. Guten Tag!
    Sven Giegold: Guten Tag, Frau Kaess.
    Kaess: Alexander Graf Lambsdorff, der hat heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk gesagt, Griechenland steht finanziell vor dem Abgrund und der Rest Europas vor einem Rätsel. Herr Giegold, Sie haben immer relativ viel Verständnis für Griechenland gezeigt. Können Sie dieses Rätsel für uns lösen? Was will die griechische Regierung?
    Giegold: Nein. Ich bin nicht der Regierungssprecher der griechischen Regierung und die letzten Wochen haben es auch den Freunden der Griechen nicht leicht gemacht. Das wird allerdings nicht besser dadurch, wenn wir in einer ritualisierten Verunsicherungskampagne sind.
    "Das Rätselraten muss jetzt aufhören"
    Kaess: Was meinen Sie damit?
    Giegold: Das läuft jetzt schon seit vielen Jahren immer gleich. Erst werden irgendwelche Informationen hochgekocht, danach äußern sich Politiker in abwertender Weise und spekulieren über den Grexit, wie jetzt auch wieder Herr Lambsdorff, und am Schluss werden dann doch wieder versöhnliche Töne angeschlagen und irgendeine Lösung gefunden.
    Das hilft überhaupt niemandem. Im Moment gilt für alle, die das kommentieren: Wir sind nicht in den Verhandlungsräumen und das Rätselraten muss jetzt aufhören. Man muss die Experten in Ruhe ihre Arbeit machen lassen. Bisher gibt es weder Dokumente, noch gibt es klare Erklärungen, wo die Verhandlungen stehen und welche Lösungen bis zu der Telefonkonferenz und auch gegebenenfalls noch in der nächsten Woche gefunden werden.
    Kaess: Von allem, Herr Giegold, was wir bisher wissen, was nach außen dringt, was ja tatsächlich nicht so viel ist, welches Bild gibt das denn für Sie ab?
    Giegold: Nein, ich bin natürlich auch zutiefst frustriert, dass in den letzten Wochen, was die Umsetzung von Reformen angeht, so wenig passiert ist. Das griechische Parlament hat erst wenig beschlossen und da gilt natürlich das, was auch Udo Bullmann gesagt hat: Die Regierung ist neu und hat offensichtlich große Probleme auch in der eigenen Parlamentsfraktion, für vieles von dem, was jetzt notwendig ist, Verständnis zu suchen. Das sehe ich ebenso kritisch.
    Gleichzeitig muss man auch sagen, dass der moralische Ton, der hier angeschlagen wird, von der Substanz nicht berechtigt ist, denn es wird nach wie vor der Eindruck vermittelt, als sei Griechenland eigentlich kurz vor dem Kollaps, weil es über seine Verhältnisse lebt, und das stimmt einfach nicht, sondern Griechenland erwirtschaftet einen Primärüberschuss. Das heißt, vor Zinsen und Tilgung zahlt Griechenland inzwischen seine Rechnungen selbst. Und es geht einfach nur darum, wie schnell die Schulden zurückgezahlt werden, und da hat Griechenland große Schwierigkeiten und dafür müssen Lösungen gefunden werden. Aber der moralische Ton, den kann man etwas absenken, gerade in Deutschland.
    "Keine rhetorischen Steine in den Weg der Verhandlungen legen"
    Kaess: Wenn Sie da so optimistisch, sage ich mal, sind, dann gehen Sie auch davon aus, dass am 9. April Griechenland diese halbe Milliarde Euro an den IWF zurückzahlen kann?
    Giegold: Sie verstehen mich falsch! Ich bin nicht optimistisch. Ich bin selbst nicht in den Verhandlungen, die Kollegen auch nicht und haben auch nicht die Dokumente. Beim letzten Mal wurden auch vor der Eurogruppe Gerüchte hochgekocht, was China, was Russland angeht, die Griechen hätten keinerlei Unterlagen vorgelegt.
    Als die Griechen dann selbst öffentlich gemacht haben, was sie in der Eurogruppe veröffentlicht haben, stellte sich plötzlich heraus, die Pläne waren nicht nur auf Griechisch, sondern ziemlich konkret. Was diesmal der Fall ist, weiß ich nicht, und ich kann nur allen raten, keine rhetorischen Steine in den Weg der Verhandlungen zu legen, sondern jetzt die Institutionen mit den Griechen verhandeln zu lassen, und dann muss beschlossen werden. Aber ich teile grundsätzlich die Auffassung, dass natürlich Geld nur fließen kann für konkrete Zusagen.
    Kaess: Aber, Herr Giegold, nur um das noch mal klarzustellen: Sie gehen davon aus, dass die Zahlungsunfähigkeit Athens nicht bevorsteht?
    Giegold: Natürlich hat Griechenland Liquiditätsprobleme. Das haben sie ja auch eingeräumt. Aber mir ist entscheidend zu sagen, woher das kommt. Es kommt daher, dass Griechenland Zusagen gemacht hat, dem IWF und den anderen Geldgebern, Schulden zu tilgen, und zwar sehr schnell. Dieses Jahr sollten die eigentlich drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts an Primärüberschuss erzielen. Das ist sehr viel. Im nächsten Jahr 4,5 Prozent in einem Land mit 25 Prozent Arbeitslosigkeit. Und das ist eine Situation: Sie haben einen Häuslebauer, die Familie ist arbeitslos geworden und kann jetzt die Tilgung nicht so schnell bedienen, wie sie der Bank mal zugesagt hat.
    In der Situation sind wir und ein solches Problem ist grundsätzlich erst mal lösbar. Aber eben nicht, wenn die griechische Regierung nicht bereit ist, Reformen tatsächlich umzusetzen.
    Kaess: Und Sie haben selbst gesagt, es ist bisher eigentlich zu wenig passiert. Was hätte denn passieren müssen? Wo hätte denn die griechische Regierung ein konkretes Zeichen setzen können, um zu signalisieren, ja, wir sind auf diesem Reformkurs, der eigentlich von den Geldgebern auch verlangt wird?
    Giegold: Was ich erfreulich fand war ja, dass sie gesagt haben, sie wollen mit den zwei wichtigsten Bereichen wirklich ernst machen, nämlich der Steuervermeidung und der Korruptionsbekämpfung. Und im Bereich der Korruptionsbekämpfung war nicht alles vertrauenserweckend, was passiert ist. Zum Beispiel die unabhängige Steuerbehörde, die ja schon von der vorigen konservativen Regierung wieder eingeschränkt wurde, da hätten Schritte unternommen werden können, dort wirklich so viel Autonomie zu schaffen, dass diese Verfolgung von Steuerhinterziehern glaubwürdig wird.
    Ein zweiter Punkt, wo ich ins Nachdenken gekommen bin, ist, dass in einige Spitzenpositionen im Bereich der vier griechischen Banken, die ja teilweise in öffentlichem Besitz sind, jetzt wieder Leute zum Zuge gekommen sind, denen man vielleicht nicht voll vertraut, und genauso bei dem griechischen Finanzstabilitätsfonds. Es gab Berufungen, die einen nicht völlig Vertrauen schaffen lassen, dass wirklich eine neue Zeit da jetzt angefangen hat. - Das wären zwei Beispiele.
    "Die Griechen haben bisher wenig geändert"
    Kaess: Wenn Sie so konkrete Vorstellungen und Ideen haben - und ich nehme mal an, diese Ideen und diese Vorstellungen gibt es aufseiten der Geldgeber auch -, war es im Nachhinein gesehen falsch, keine genauen Forderungen an Athen zu stellen?
    Giegold: Es sind ja genaue Forderungen gestellt worden. Die Verhandlungen liefen ja so ab: Es gab die Vereinbarung, auf der die Auszahlungen bisher beruhten. Auf dieser Basis wurde ja dann in der Eurogruppe verhandelt und die Griechen haben daraufhin 54 Reformpunkte mit der Eurogruppe vereinbart, und viele stammten ja aus dem alten Programm, und die Griechen haben ja selbst gesagt, dass 60 bis 70 Prozent von dem, was vorher gefordert war, durchaus vernünftig war. Nur der Teil, der übermäßig bei den Armen Sozialleistungen gekürzt hat und umgekehrt die Reichen bis heute nicht besteuert, dieses Ungleichgewicht haben die Griechen zurecht zu ändern verlangt. Nur geändert haben sie bisher wenig.
    Kaess: Wir müssen noch einen anderen Punkt ansprechen: die offenbar Hinwendung zu Russland aus Athen. Heute ist der griechische Energieminister in Moskau. Es soll unter anderem um niedrigere Gaspreise für Griechenland gehen. Wie würden Sie diese Annäherung bewerten?
    Giegold: Erst mal: Dieser Besuch war geplant. Das ist jetzt keine Sonderaktion. Genauso wollte Herr Tsipras nach Russland reisen ...
    "Gerüchte helfen uns nicht, Probleme zu lösen"
    Kaess: Und zwar früher als geplant.
    Giegold: Er war zuerst bei den europäischen Partnern. Und dass die miteinander reden, ist normal. Alles Weitere beruht für mich im Wesentlichen auch auf Gerüchten, und die Gerüchte helfen uns nicht, um die Probleme zu lösen. Sollte es dort zu einer Sonderannäherung kommen, dann wäre das in der Tat besorgniserregend. Aber erinnern Sie sich: Noch vor einigen Wochen waren auch in Deutschland die Medien voller Töne, Griechenland würde die Ukraine-Politik der EU stören, etwa mit Vetoeinlegung. Das ist dann alles nicht passiert und hat sich als falsch herausgestellt.
    Deshalb rate ich noch mal, die Berichterstattung und auch die Diskussion ein Stück runterzukommen und auf Fakten beruhen zu lassen, nicht auf Gerüchten.
    Kaess: Aber das sind doch schon ganz konkrete Vorschläge, wenn es zum Beispiel um niedrigere Gaspreise für Griechenland geht. Wie bewerten Sie das denn?
    Giegold: Grundsätzlich kann jeder mit seinem Partner über Preisreduktionen verhandeln, umso mehr, wenn es jemandem schlecht geht.
    Kaess: Mit Moskau vor dem Hintergrund von Sanktionen wegen der Ukraine-Krise?
    Giegold: Die Verknüpfung mit den Sanktionen haben Sie eben hergestellt. Ich kenne kein Schriftstück, keine Äußerung, auf der Sie das belegen könnten.
    Kaess: Sie gehen davon aus, dass Griechenland die EU-Staaten hier nicht gegeneinander ausspielt?
    Giegold: Das weiß ich nicht, aber ich beteilige mich nicht an einer Gerüchteküche, die am Ende dann immer darin endet, dass jemand solches nicht im Euro bleiben kann. Diese Debatten helfen keinem Menschen, und lassen Sie doch bitte die Institutionen jetzt mal ein paar Tage arbeiten und danach wird Bilanz gezogen auf der Basis von Fakten. Das finde ich richtig.
    Ich bin hier weder übermäßig optimistisch, ich bin auch überhaupt nicht unkritisch der neuen Regierung gegenüber. Ich lehne bloß dieses hohe Maß an Aufregungspotenzial über jede Information, die irgendwo herausfliegt, ab. Das halte ich nicht für richtig und für hilfreich.
    Kaess: Sven Giegold war das. Er ist Finanzexperte der Grünen im Europaparlament. Danke für dieses Interview.
    Giegold: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.