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Schulen in Afghanistan
"Mädchen von der Bildung ausgeschlossen"

Fast die Hälfte aller Kinder in Afghanistan geht nicht zur Schule. Hauptursachen dafür seien die unsichere Lage im Land, eine mangelhafte Infrastruktur und fehlende finanzielle Mittel, sagte Ninja Charbonneau von UNICEF im Dlf. Doch die Probleme reichten noch weiter.

Ninja Charbonneau im Gespräch mit Michael Böddeker |
    Schüler lernen am 30.08.2015 an der Amani-Oberrealschule iin Kabul (Afghanistan) in einer Mathematikstunde Algebra.
    Algebra in Kabul: Schüler an der Amani-Oberrealschule in Kabul (dpa / Rainer Jensen)
    Michael Böddeker: Weltweit nimmt die Schulbildung zwar zu, aber trotz dieser positiven Gesamtlage gibt es immer noch sehr groß Ausnahmen und damit große Probleme. Jüngstes Beispiel: Afghanistan. Dort geht fast die Hälfte aller Kinder gar nicht zur Schule. Das besagt eine neue umfassende Studie von UNICEF zur Bildung in Afghanistan. Auf 120 Seiten werden da die vielen Probleme beschrieben, und darüber sprechen wir jetzt mit Ninja Charbonneau von UNICEF. Schönen guten Tag!
    Ninja Charbonneau: Hallo!
    "Mädchen von der Bildung ausgeschlossen"
    Böddeker: Wie kommt das denn, warum gehen in Afghanistan so viele Kinder überhaupt nicht zur Schule?
    Charbonneau: Wie immer gibt es da nicht die einfache Antwort, sondern es gibt natürlich einen Mix von Gründen. Die Hauptgründe, die in der Studie rausgestellt werden ist zum einen der andauernde, anhaltende Konflikt in Afghanistan, die Unsicherheit, die viele Kinder dazu bewegt, nicht zur Schule gehen zu können. Es sind aber auch fehlende Schulen, fehlende Lehrer und vor allen Dingen Lehrerinnen und wesentlich andere Gründe. Also die Infrastruktur, die Sicherheit, auch fehlende Ausstattungen mit Wasser und mit Toiletten, zum Beispiel an den Schulen, fehlendes Schulmaterial. Die Liste ist da relativ lang.
    Böddeker: Also viele Probleme, und auch die Sicherheitslage ist ein Problem, was auch zu einer Meldung passt, die uns heute erreicht hat, dass es nämlich wieder einen Anschlag gab in Kabul. Laut der UNICEF-Studie sind jetzt allerdings Mädchen noch mal besonders benachteiligt. Wie kommt das?
    Charbonneau: Das liegt leider in der Geschichte des Landes begründet. Das hat schlechte Tradition in Afghanistan, dass Mädchen von der Bildung ausgeschlossen sind, vor allen Dingen natürlich unter der jahrzehntelangen Taliban-Herrschaft, aber auch nach dem Ende der Taliban-Herrschaft sehen wir, dass insgesamt 60 Prozent der Mädchen nicht zur Schule gehen und einigen Provinzen, die auch von den Konflikt besonders betroffen sind, sind es sogar 85 Prozent. Auch hier spielt die Sicherheitslage eine große Rolle, aber eben auch die Diskriminierung von Mädchen.
    Böddeker: Gibt es denn trotzdem auch positive Entwicklungen?
    Charbonneau: Es gibt auch positive Entwicklungen, ja, zum Glück. Zum Beispiel sehen wir, dass die Rate der Jugendlichen oder jungen Menschen, die lesen können, sich in den letzten Jahren deutlich verbessert hat, wenn auch auf niedrigem Niveau, auf inzwischen etwas mehr als die Hälfte der Menschen zwischen 15 und 24, die lesen können, im Vergleich zu nur einen Drittel noch vor zehn Jahren. Von daher ist da ein Fortschritt zu sehen. Wir sehen auch, dass es eigentlich eine gute Entwicklung ist, dass nur relativ wenige Kinder, wenn sie einmal eingeschult sind, die Schule wieder abbrechen. Das heißt, von denen, die eingeschult werden in der Grundschule, schließen auch 85 Prozent die Grundschule wieder ab. Bei der Sekundarstufe Eins sind es sogar 90 bis 95 Prozent, die dann auch den Abschluss schaffen. Das Problem ist nur, die Kinder überhaupt erst mal in die Schule reinzubringen.
    Böddeker: Was müsste denn passieren, um die Lage im Land zu verbessern?
    "Hemmschwellen senken"
    Charbonneau: Wir arbeiten von UNICEF zum Beispiel in enger Abstimmung mit dem Bildungsministerium daran, die Bildung insgesamt auf eine breitere Basis zu stellen, auch in den Dörfern, in den Gemeinden, und gehen dabei zum Teil auch unkonventionelle Wege, wie zum Beispiel einfachen Unterricht in sehr einfachen Lernzentren anzubieten, auch in Gemeindezentren, um zumindest erst mal eine Basis zu schaffen. Das senkt die Hemmschwelle vor allen Dingen auch für Mädchen. Wir bieten auch spezielle Aufhol-, so Crashkurse an für Kinder und Jugendliche, denen einige Schuljahre fehlen, damit sie auch die Chance haben, wieder in das reguläre Bildungssystem einzusteigen, und das Dritte ist, dass wir bei der Ausstattung helfen, das heißt Schulen instand setzen, mit Wasserleitungen ausstatten und dafür sorgen, dass auch Schulmaterial vorhanden ist.
    Böddeker: Sicher sinnvolle Projekte, aber wie würden Sie es einschätzen, mit den Mitteln, die Sie haben, wie viel können Sie da insgesamt bewirken im Land als UNICEF?
    Bessere finanzielle Ausstattung "wäre hilfreich"
    Charbonneau: Die gute Entwicklung, die wir sehen, ist, dass auch die Regierung von Afghanistan Bildung eine hohe Priorität gibt. Das ist natürlich erst mal die Grundvoraussetzung, damit die Programme auch erfolgreich wirken können. Die Regierung von Afghanistan hat das Jahr 2018 zum Bildungsjahr erklärt, aber natürlich ist Finanzierung da auch immer eine Frage, und Afghanistan ist leider eines der Länder, die relativ wenig im Fokus der Öffentlichkeit stehen, für die dementsprechend auch relativ wenig gespendet wird. Da wäre eine bessere Ausstattung finanzieller Art sehr hilfreich, sage ich mal, um auch die Programm erfolgreich durchführen zu können und mehr Kinder erreichen zu können.
    Böddeker: Sagt Ninja Charbonneau von der UNICEF zur Lage der Kinder und Jugendlichen in Afghanistan. Laut einer neuen UNICEF-Studie besuchen über die Hälfte gerade überhaupt keine Schule. Vielen Dank für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.