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Schulz: Papandreous Pläne sind mit "äußerstem Risiko" behaftet

Der EU-Sozialdemokrat Martin Schulz ist sich nicht sicher, ob die Regierung von Giorgios Papandreou angesichts der für Freitag geplanten Vertrauensfrage das kommende Wochenende noch übersteht. Papandreous Kurs löse international "große Ängste und Irritationen" aus.

Martin Schulz im Gespräch mit Peter Kapern | 02.11.2011
    Peter Kapern: Es steht Spitz auf Knopf in Griechenland und damit in der gesamten EU. Regierungschef Papandreou will die Bürger seines Landes über die Hilfsmaßnahmen, die beim EU-Gipfel vergangene Woche beschlossen worden sind, abstimmen lassen – in ein paar Wochen. Vorher aber, noch in dieser Woche, stellt er sich einer Vertrauensabstimmung im griechischen Parlament. Seine Regierungsmehrheit schmilzt dabei zusehends. Immerhin aber: in der vergangenen Nacht hat sich Papandreou die Rückendeckung seines Kabinetts gesichert.
    Bei uns am Telefon ist nun Martin Schulz, der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Schulz.

    Martin Schulz: Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Schulz, haben Sie schon mit Papandreou gesprochen, seit er Europa mit seiner Referendumsentscheidung, um es mal salopp zu formulieren, vom Hocker gehauen hat?

    Schulz: Ich hatte die Gelegenheit, vorgestern Abend mit ihm kurz zu sprechen, und ich bin mit seinem Außenminister, der ein guter Freund von mir ist, wie Papandreou selbst auch, in ständigem Kontakt. Ja, ich habe mit ihm gesprochen und ich habe ihm auch meine Meinung gesagt.

    Kapern: Wie fiel die aus, Ihre Meinung?

    Schulz: Dass ich das nicht verstehen kann, was er macht, und dass ich auch Bedenken habe. Auf der internationalen Ebene löst das verständlicherweise große Ängste und Irritationen aus. Verstehen kann ich ihn innenpolitisch, weil ich die griechische Situation relativ gut kenne. Dort ist er konfrontiert mit einer enormen Last, die seine Regierung schultern muss, und mit einer Opposition – Sie haben Herrn Samaras gerade gehört -, die bisher zu jeder Maßnahme Nein gesagt hat, nicht bereit ist, irgendetwas, was die Regierung tut, mit zu akzeptieren. Das Pikante daran ist, dass Herr Samaras der Führer der Schwesterpartei von Angela Merkel ist und sitzt bei jedem europäischen Gipfel, bei der Vorbereitung der christdemokratischen Regierungschefs, mit am Tisch, und wenn er nach Athen kommt, macht er verbrannte Erde. Innenpolitisch kann man also Papandreou verstehen. Er versucht, diese Opposition vor die Alternative zu stellen, endlich diese Zerstörungspolitik aufzugeben. International ist das, was er macht, sicher mit äußerstem Risiko behaftet.

    Kapern: Nimmt er Europa, die Europäer, die ihm eigentlich helfen wollen, jetzt als Geisel? Muss man das so sehen?

    Schulz: Das glaube ich nicht. Ich bin auch ein bisschen verunsichert, weil die Nachrichten, die man aus Athen bekommt – ich habe Ihrem Bericht sehr aufmerksam zugehört -, auch teilweise sich widersprechen. Papandreou hat in der Kabinettssitzung, die Ihr Korrespondent erwähnt hat, die gestern Abend stattgefunden hat, gesagt, wir werden alle Maßnahmen, die in Brüssel beschlossen worden sind, noch in Gesetze umwandeln. Das würde also bedeuten, alle Auflagen werden durch Gesetze noch vor dieser Volksabstimmung umgesetzt. Da fragt man sich natürlich, worüber soll dann bei der Volksabstimmung abgestimmt werden. Das ist zum Beispiel ein Widerspruch, der bisher nicht aufgelöst ist. Und ich sehe auch – da, finde ich, hat Ihr Korrespondent einen absolut richtigen Hinweis gegeben -, ich sehe auch nicht, ob diese Regierung das Wochenende überlebt, denn in der Pasok-Fraktion, in der sozialdemokratischen Fraktion, herrscht natürlich auch große Skepsis, sowohl gegenüber dem Referendum als auch gegenüber Neuwahlen. Unsere Partei – das sind ja meine Parteifreunde in Griechenland – haben bisher die gesamte Last des Umstrukturierens dieses Landes alleine tragen müssen, und da sind Maßnahmen drunter, die reichen von der Rentenkürzung bis zur Steuererhöhung, das ist kein sozialdemokratisches Programm. Und das Volk rebelliert unter anderem auch deshalb, weil dort Maßnahmen durchgesetzt werden, die sehr einseitig sind. Es werden Hunderte Milliarden von sehr reichen Leuten aus Griechenland herausgebracht in Steueroasen, während kleine Rentner die Rentenkürzungen hinnehmen müssen, da würde in jedem anderen Land das Volk auch rebellieren, und das in einer sozialdemokratischen Regierung. Also man kann schon verstehen, dass die in einer verzweifelten Lage sind. Dass die Europäer als Geiseln genommen werden, das sehe ich so nicht. Wir sind auch noch nicht am Ende des Prozesses. Aber dass da verzweifelte Leute handeln, ich glaube, das sieht man.

    Kapern: Wenn Sie so skeptisch sind, was das Referendum und die Vertrauensabstimmung angeht, Herr Schulz, wären dann Neuwahlen nicht das kleinere unter den gigantischen Übeln?

    Schulz: Ich glaube, dass wir noch nicht am Ende dieses Prozesses sind. Möglicherweise werden wir am Wochenende Neuwahlen sehen. Ich bin mir nicht sicher, wie die nächsten 48 Stunden ausgehen.

    Kapern: Welche Optionen gibt es da, was denken Sie?

    Schulz: Es kann sein, dass die Vertrauensabstimmung zu seinen Gunsten ausgeht; dann wird es sicher zu diesem Referendum kommen, wobei, ich wiederhole, ich bis dato nicht sehen kann, worüber abgestimmt werden soll, denn beim besten Willen glaube ich nicht, dass man über die Auflagen abstimmen lassen kann, zu denen Griechenland sich bereits verpflichtet hat. Dann ist die Frage, worüber wird dann abgestimmt, vielleicht über zukünftige, noch einzuleitende Maßnahmen. Das weiß ich nicht. Ich kenne den Gegenstand dieses Referendums nicht. Ich sehe nur, dass bei nüchterner Betrachtungsweise diese Regierung so unter Druck ist, dass sie versucht, mit der Ankündigung eines solchen Referendums – und jetzt mache ich mal eine Klammer – (Sie haben recht: es entsteht der Eindruck, dass alle in Europa damit in einer Art Mithaftung genommen werden) – ihre Opposition zur konstruktiven Mitarbeit zu verpflichten, und ich muss das noch mal sagen: Man bekommt das in Deutschland so nicht mit. In Deutschland hat die Opposition, also die deutsche Sozialdemokratie, als es um den Rettungsschirm ging und die FDP sagte, wir machen nicht mit, der Kanzlerin gesagt, wir stabilisieren aber mit unserer Zustimmung das Land.

    Kapern: Dass Herr Samaras das nicht so macht, Herr Schulz, das ist ja angekommen. Aber die Frage ist ja: wenn das Referendum schiefgeht, wenn es zu Neuwahlen kommt und eine neue Regierung mit diesem Rettungspaket nicht einverstanden ist, bleibt dann etwas anderes als der Austritt Griechenlands aus dem Euro?

    Schulz: Nein! Sie werden dann sehen, dass der von Ihnen gerade genannte Herr Samaras, in meinen Augen die zweifelhafteste Figur der europäischen Politik, der will an die Macht. Schlicht und ergreifend ist es so, dass wir immer nur auf den Regierungschef schauen. Es wird möglicherweise zu Neuwahlen kommen und dann werden Sie erleben, dass Herr Samaras diese Wahlen gewinnt. Dann ist er Regierungschef und dann wird er genau das machen, was Papandreou bisher auch gemacht hat, nur als Regierungschef. Das ist ein zynisches Spiel, das da gespielt wird, und Herr Kapern, Sie sind mir da ein bisschen zu schnell. Dass angekommen sei, dass der Herr Samaras ein Zerstörer ist, den Eindruck habe ich bis dato nicht. Wenn Sie in Deutschland mit jemand reden, wer Herr Samaras ist, das weiß überhaupt niemand. Deshalb bin ich Ihnen dankbar, dass Sie jetzt mal die Gelegenheit geben, über diesen Mann zu reden.

    Kapern: Die habe ich Ihnen ja sogar zweimal gegeben, Herr Schulz. Trotzdem meine Frage: Wenn das Referendum schiefgeht, muss Griechenland dann raus aus dem Euro?

    Schulz: Ich muss das noch mal wiederholen, Herr Kapern. Wissen Sie, worüber abgestimmt wird? Ich habe das eben schon mal gesagt. Ich weiß es noch nicht. Wenn darüber abgestimmt würde, dass die Maßnahmen, die Griechenland zu tragen hat, um die Hilfszahlungen zu bekommen, abgelehnt werden, dann ist das meiner Meinung nach automatisch damit verbunden, dass Griechenland die EU verlassen müsste, denn man kann aus dem Euro nur austreten, wenn man die EU verlässt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass über diese Gegenstände noch abgestimmt wird, zumal Papandreou und seine Regierung selbst gesagt haben, alle Maßnahmen, die wir in Brüssel mit nach Hause genommen haben, werden vorher noch in Gesetze geschmiedet und im Parlament verabschiedet. Das führt wieder dazu, dass wir genau auf die Parlamentsdebatte von heute und morgen schauen müssen, denn auch dort weiß ich nicht, wird die Vertrauensfrage mit irgendeiner konkreten Gesetzesmaßnahme verbunden. Sie sehen, ich bin auch ein bisschen hilflos, weil ich nicht weiß und beim besten Willen mir das bis dato in Athen auch niemand gesagt hat, wie die Sachlage tatsächlich ist. Ich kenne nur diese Ankündigung, ich halte sie für falsch und gefährlich, und ich schaue auf die Entwicklung. Es ist möglich, dass wir statt eines Referendums schnell Neuwahlen bekommen. Das Referendum, glaube ich, wäre auch sehr gefährlich.

    Kapern: Martin Schulz war das, der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament. Herr Schulz, danke für das Interview und wir werden natürlich auf die Entwicklung in Griechenland weiter achten und uns dann wieder mit Ihnen verabreden. Danke bis hierher und auf Wiederhören.

    Schulz: Danke schön.

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