Dienstag, 14. Mai 2024

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Schweizer Bodeninitiativen
Gegen Zersiedelung und Bodenspekulationen 

Land ist ein begehrtes Gut - besonders in der Schweiz: Dort steigen die Mieten ins Unbezahlbare, das letzte verbliebene Ackerland wird zersiedelt, Grundbesitz ist längst zum Spekulationsobjekt geworden. Deswegen setzen sich Bürgerinitiativen gegen den Verkauf öffentlicher Flächen ein - mit Erfolg.

Von Stefanie Müller-Frank | 19.04.2016
    Zentrale des Pharmaunternehmens Novartis in Basel: Industriegebäude am Rhein.
    Zentrale des Pharmaunternehmens Novartis in Basel: Die Stadt hatte zum Ärger der Bürgerinitiativen eine ganze Straße, die durch das Viertel verläuft, an das Unternehmen verkauft. (dpa/picture alliance/Patrick Seeger)
    Klaus Hubmann steht am Rhein in Basel und zeigt zum anderen Ufer. Dort liegt der Campus des Pharmakonzerns Novartis: Bürotürme mit Glasfassaden, ein eigenes Viertel, umzäunt von einer Mauer. Das Gelände ist nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Straße, die durch das Viertel führt, hatte der Kanton dem Pharmakonzern kurzerhand verkauft, weil der gedroht hatte, andernfalls seinen Hauptsitz ins Ausland zu verlegen. Das habe viele Basler aufgeschreckt, erzählt Hubmann, einer der Initiatoren der "Neuen Bodeninitiative":
    "Also bei uns zuhause am Küchentisch eine Wut. Wirklich eine Wut. Und die hat viel Grundlagen geliefert für eine lange Geschichte der Bodeninitiative. Wir haben eigentlich zwei Bodeninitiativen lanciert. Die erste dann mit einem guten Gegenvorschlag der Regierung zurückgezogen - und den Gegenvorschlag der Regierung als neue Initiative ans Volk gebracht. Das hat aber ganz viele verschiedene Leute mobilisiert, dass dieses Tafelsilber - und solche zentrale Sachen wie eine Straße - nicht mehr verkauft werden dürfen."
    "Der Druck hier auf den Boden wird immer größer"
    Gleich zwei Volksinitiativen haben für den Verkaufsstopp gekämpft - mit Erfolg: eine im Kanton Basel-Stadt und eine in Emmen, bei Luzern. Auch dort darf die öffentliche Hand jetzt keinen Grund und Boden mehr veräußern. Mit einer Ausnahme: Sie kauft anderswo dieselbe Fläche wieder hinzu. Was nach einem Verwaltungsakt klingt, ist de facto existenziell für die Schweiz. Die Mieten steigen ins Unbezahlbare, das letzte verbliebene Ackerland wird zersiedelt, Grundbesitz ist zum Spekulationsobjekt geworden, weil das eine hohe Rendite verspricht.
    "Der Druck hier auf den Boden von der Nutzung, für Erholungs- und Gewerbeflächen wird immer größer. Für die Bevölkerung zum Wohnen, aber auch seitens Gewerbe und gleichzeitig als Anlagemöglichkeit. Und dem kann eigentlich die Wohnbevölkerung nichts entgegenhalten, wenn Großinvestoren, Pensionskassen, ausländische Firmen oder Fonds Land kaufen wollen, dann kann man hier nicht mehr mitspielen."
    Aktive Bodenpolitik in Biel
    Basel und Emmen machen Schule: In Luzern ist man allerdings noch dabei, Unterschriften zu sammeln. In Zürich muss immerhin jeder Grundstücksverkauf im Wert von über einer Millionen Franken vom Stadtrat genehmigt werden. In Biel in der Westschweiz hingegen wird schon lange eine aktive Bodenpolitik praktiziert.
    Hinter dem Bahnhof von Biel liegt eine dieser typischen Brachflächen, wie man sie in Städten so häufig findet. Bald aber wird hier die neue Technische Fachhochschule des Kantons gebaut. Biel hat den Standortwettbewerb für sich entschieden, weil man die nötige Fläche zur Verfügung stellen konnte, erzählt der Bürgermeister Erich Fehr.
    "Das ist genau der Grund dafür, warum langfristige Bodenpolitik sinnvoll ist: Als man das Anfang der Neunzigerjahre zusammengekauft hat, wusste man nicht, was da mal hinkommen wird. Aber es war ein Gebiet zum Restrukturieren - und jetzt kann man es eben auch nutzen."
    Biel kauft seit knapp 100 Jahren gezielt Flächen an, um darüber bestimmen zu können, wer das Land bekommt und wie es genutzt werden soll. Durch diese aktive Bodenpolitik ist heute ein Viertel des Stadtgebiets im Besitz der öffentlichen Hand. Darum, sagt der Bürgermeister, beneideten ihn durchaus auch Kollegen aus anderen Städten.
    "Wir können zum Beispiel sagen: Wir wollen keine Waffenproduzenten. Oder wir wollen keine Betriebe, die die Umwelt stark belasten. Wir können aber auch sagen, wir geben unser Land nicht für eine riesengroße Lagerhalle mit wenigen Mitarbeitern, sondern wir wollen, dass eine hohe Wertschöpfung entsteht. Und wir können auch was dazu sagen, wie die Parzellen ausgenutzt werden."
    "Hier sind Politik und Bevölkerung gefragt"
    Eine Stadt lässt sich offenbar nur solange planen und entwickeln, bis das an die Grenzen des Privateigentums stößt. Die öffentliche Hand kann zwar einen Bebauungsplan erstellen, der Wohn- oder Industriezonen ausweist. Sie kann auf Subventionen, Steueranreize, Gebühren, Abgaben oder Informationen setzen. Aber wenn ein Privateigentümer Boden horten und ihn brach liegen lassen will (oder mit einer Mauer umzäunt), kann die öffentliche Hand nichts dagegen tun. Außer natürlich: Sie wird selbst zur Eigentümerin.
    Und sie muss es natürlich auch bleiben, wie jetzt in Emmen und Basel. Klaus Hubmann dreht sich um und zeigt auf den Rheinhafen hinter sich. Der Hafen wird bald verschwinden, das Gelände wird also frei für ein neues Stadtviertel. Das Grundstück wiederum ist im Besitz des Kantons - und das wird aufgrund der Abstimmung auch so bleiben.
    "Hier ist ja jetzt einfach die Politik und die Bevölkerung gefragt, wie es weitergeht. Aber die Grundlage ist geschaffen, dass es langfristig prägbar bleibt, indem der Boden beim Kanton bleibt."
    So können auch die nächsten Generationen noch mitentscheiden, wofür sie Grund und Boden nutzen wollen.