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Schweizer Experte
"Die Deutsche Bahn ist in einer nicht sehr guten Verfassung"

Verspätungen, Ausfälle, Fehlplanungen: Über die Deutsche Bahn ärgern sich viele. Hinter den Ablaufschwierigkeiten stünden Probleme mit dem Europäischen Zugsicherungssystem, aber auch mit der Struktur des Konzerns - so Walter von Andrian, Chefredakteur der Schweizer Eisenbahn-Revue, im Dlf.

Walter von Andrian im Gespräch mit Silke Hahne | 13.12.2017
    Reisende steigen am 07.10.2017 in Hamburg im Hauptbahnhof in einen ICE nach Berlin ein, der eine Ersatzstrecke über Uelzen befährt.
    Warten auf den Zug: Teil vieler Reisen mit der Deutschen Bahn (dpa-Bildfunk / Daniel Bockwoldt)
    Silke Hahne: Was sind die Ursachen für Verspätungen und Fehlplanungen von Großprojekten bei der Bahn? Um das herauszufinden, blicken wir heute mal von außen auf die Bahn und fragen in der Schweiz nach. Denn dort – so konnte man es in den letzten Tagen zumindest in zahlreichen Zeitungsartikeln lesen – funktioniert der Zugverkehr angeblich mehr oder weniger reibungslos. Was die Deutsche Bahn sich von den schweizerischen Bundesbahnen abgucken kann, darüber konnte ich kurz vor der Sendung mit Walter von Andrian sprechen. Er ist Chefredakteur der Schweizer Eisenbahn-Revue, einer Zeitschrift, die ziemlich einmalig sein dürfte in Europa. Und von der gibt es auch eine Ausgabe für Deutschland. Als erstes habe ich Walter von Andrian gefragt: Von außen betrachtet – ist die Deutsche Bahn überhaupt noch zu retten?
    Walter von Andrian: Die Deutsche Bahn ist in einer nicht sehr guten Verfassung. Die ganze Neuorganisation des Eisenbahnwesens in Europa – das geht mittlerweile 20 Jahre – hat sie nicht so sehr gut verdaut, wenn man das so sagen darf. Die Aufteilung in Netz und Betrieb führt zu gegenläufigen Interessen im Unternehmen und zu finanziellen Konflikten auch zwischen den Interessen der einzelnen Gesellschaften, so dass das ganze System gar nicht mehr nur auf den Kunden ausgerichtet ist.
    Probleme mit dem Europäischen Zugsicherungssystem
    Hahne: Das Geld für Großprojekte geht der Bahn ja schon mal aus. Gründe für Verspätungen hingegen nie. Zum Beispiel werden jetzt aktuell Probleme mit dem Europäischen Zugsicherungssystem ETCS auf der Strecke München-Berlin angeführt. In der Schweiz gibt es das System ja auch, und zwar schon länger. Klappt das bei Ihnen denn eigentlich besser?
    von Andrian: Jetzt klappt es einigermaßen. Die Anfänge waren grauenhaft und es braucht einfach seine Zeit, wie auch jede neue Strecke braucht ein paar Tage, bis sie wirklich läuft.
    Hahne: Das heißt, das ist normal, was jetzt passiert?
    von Andrian: Ja, es ist fast normal. Man muss dazu aber auch sagen, das ist der Punkt, für den man die DB eigentlich nicht verantwortlich machen kann, denn das ist ihr von Europa aufoktroyiert worden. Die DB wollte das System nicht und die DB hat sich gewehrt, solange sie konnte, aber sie musste. Sie ist heute gesetzlich verpflichtet, dieses System einzuführen. Ein weiteres Problem, das neu dazukommt: Es wird ständig verändert und es wird ständig wie eine neue Büro-Software modernisiert und verändert und das bringt horrende Kosten.
    Schweizer Zugverkehr wie ein Uhrwerk?
    Hahne: Das ist tatsächlich ein Problem von außen auf die Bahn gebracht. Relativ intern scheint allerdings die Pünktlichkeit ewig Thema. Das Pünktlichkeitsziel für dieses Jahr hat die DB auch schon wieder einkassiert, während der Schweizer Zugverkehr angeblich läuft wie ein Uhrwerk. Was kann sich die Bahn denn da abgucken?
    von Andrian: Der Schweizer Zugverkehr läuft auch nicht so wie ein Uhrwerk. Er ist weniger durch Verspätungen gekennzeichnet als durch Zugausfälle. Man kann sich vielleicht von der Schweiz abgucken, dass die Schweiz die größeren Baumaßnahmen vorab in den Fahrplan einplant und entsprechend die Fahrzeiten ein bisschen anpasst. In Deutschland wird das zu wenig gemacht.
    Hahne: Woran liegt das? Ist das Optimismus?
    von Andrian: Das ist auch wieder eine Frage. Diese Struktur des Unternehmens, die völlig ausgetrennt ist in DB Netz, DB Fernverkehr, DB Regio, DB Cargo. Jeder optimiert für sich und denkt erst in zweiter Linie an den anderen.
    Hahne: Gleichzeitig schießt der Bund der Bahn jedes Jahr Geld zu und gleichzeitig soll das Unternehmen Gewinn machen. Ist auch das eine Fehlkonstruktion?
    Besser wieder eine Bundesbehörde?
    von Andrian: Das ist überall in Europa so. Die Bahn als Ganzes ist kaum je irgendwo gewinnbringend. Der Regionalverkehr ist überall verlustbehaftet. Der Fernverkehr ist grundsätzlich gewinnbringend und jetzt ist es einfach eine Frage der wirtschaftlichen Organisation des Unternehmens, ob das Ganze Gewinn bringt, wenn der Staat die defizitären Teile finanziert, oder ob man das aufteilt und dann der Fernverkehr Gewinn bringt und der Regionalverkehr ungedeckte Kosten hat.
    Hahne: Wäre es vielleicht Zeit, dass die Bahn wieder eine Bundesbehörde wird?
    von Andrian: Es wäre vielleicht schon angebracht, dass man die Infrastruktur, also das Netz, eher in staatlicher Hand lässt. Es ist grundsätzlich ja so, dass die verschiedenen im Nahverkehr konkurrierenden Verkehrsunternehmen ja auf dem gemeinsamen Netz fahren. Auf der Straße ist das ja auch so. Die Straße gehört dem Bund, dem Land oder der Gemeinde und verschiedene Busse oder Reiseunternehmen fahren mit dem Privatverkehr zusammen auf der gemeinsamen Straße, aber die Straße ist in öffentlicher Hand. Vielleicht sollte man mindestens das bei der Schiene auch wieder einführen.
    Hahne: Über den Zugverkehr in Deutschland und der Schweiz habe ich gesprochen mit Walter von Andrian, Chefredakteur der Schweizer Eisenbahn-Revue und langjähriger Beobachter des europäischen Zugverkehrs.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.