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Pferdesport
Tierquälerei im großen Stil

Fast vier Jahre nach dem Tod des Pferdes Castlebar Contraband wurde Anfang Juni ein beispielloses Urteil gefällt: Castlebars Reiter Scheich Al Qasimi wird wegen Tierquälerei und der Verwendung von Doping für zwanzig Jahre gesperrt. Eine geschichtsträchtige Entscheidung in einem brisanten Fall.

Von Darian Leicher | 21.06.2020
Ein Distanzreiter in der Wueste kuehlt sein Pferd mit Wasser aus einer Flasche.
Beim Distanzreiten muss das Pferd auf unterschiedlichem Gelände bis zu 160 Kilometer zurücklegen und trotzdem gesund ins Ziel gelangen (imago)
Es ist der 15. Oktober 2016. In Fontainebleau in Frankreich begeben sich an diesem Tag 86 Reiterinnen und Reiter auf einen Distanzritt über 90 Kilometer. In der dritten und letzten Runde bricht das Pferd des Scheichs Al Qasimi mit dem Namen Castlebar Contraband plötzlich zusammen. Die Diagnose: Ein offener Bruch am rechten Vorderbein. Und dennoch scheint Castlebar kaum Schmerzen zu spüren. Als Folge einer derart schwerwiegenden Verletzung muss das Pferd eingeschläfert werden.
In der Blutprobe, die nach Castlebars Tod genommen wird, findet sich die Substanz Xylazine. Ein verbotenes Medikament, das betäubend und schmerzstillend wirkt, erklärt Henrike Lagershausen, leitende Veterinärin der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, FN: "Xlyazine bietet aufgrund seiner Nebenwirkungen ein Missbrauchspotenzial, da es zum Beispiel die Herzfrequenz erniedrigen kann."
Hinzu kommen zahlreiche alte und frische Einstiche in Castlebars Halsvenen, akute Verletzungen am Maul, Druckstellen am Kopf und in der Sattellage – so ist es in dem mehr als 50-seitigen Gerichtsprotokoll der Internationalen Reiterlichen Vereinigung FEI dokumentiert: grausame Tierquälerei.
20 Jahre Sperre wegen Pferdemissbrauchs und Doping
Die Folge: Anfang Juni fällt der internationale Verband ein beispielloses Urteil. FEI-Rechtsdirektor Mikael Rentsch ordnet ein: "Dies ist eine Rekordsanktion von 20 Jahren. Die höchste, die je von der FEI verhängt wurde." 18 Jahre wegen Misshandlung und zwei wegen der Verwendung der verbotenen Medikation Xylazine. Dazu gibts für den Scheich eine vergleichsweise milde Geldstrafe von 37.000 Schweizer Franken.
Sönke Lauterbach, Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung FN, begrüßt das harte Durchgreifen des FEI-Gerichts: "Das ist ein ganz deutliches Signal für Übeltäter und Menschen, die sich ganz bewusst und wiederholt nicht an Regeln halten."
Systematische Regelverstöße in den Emiraten
Doch der Fall Castlebar bildet nur die Spitze des Eisbergs. Schon seit Jahren gebe es in den Vereinigten Arabischen Emirate eine Szene, in der sich einfach nicht an die Bestimmungen gehalten wird, meint Lauterbach: "Auch im Rest der Welt gibt es mal jemanden, der sich nicht an Regeln hält. Aber nicht in einer solchen Systematik."
Siegen um jeden Preis? Eigentlich unüblich für diese Disziplin. Beim Distanzreiten muss das Pferd auf unterschiedlichem Gelände bis zu 160 Kilometer zurücklegen und trotzdem gesund ins Ziel gelangen – sozusagen ein Marathon für Pferde. Dabei kommt es auf eine verantwortungsvolle Beziehung zwischen Ross und Reiter an, erklärt Renan Borowicz – Präsident des VDD, Verein Deutscher Distanzreiter: "Erst muss man die Strecke besiegen, bevor man sich überlegen kann, ob ich noch gegen einen anderen reiten kann."
Besonders in den Emiraten handeln die Reiter aber oft mit ganz anderen Zielen, behauptet Borowicz: "Dort spiegelt man natürlich über einen Sieg einen gewissen Stand wieder. Wenn dort Mitglieder von Familien vorne mitreiten, dann ist das natürlich etwas, womit man sich präsentieren kann. Ich denke, dass es dabei vor allem um Prestige anstatt um Geld geht."
Brücken bauen anstatt einreißen
Der Sieg über dem Wohl der Tiere: Eine Haltung, die nicht ungestraft bleibt. So suspendierte die FEI die Emirate bereits 2015 für vier Monate – auch hier wegen Tierquälerei und Betrug. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung lässt derzeit gar keine Distanzreiter mehr in den Emiraten starten. Generalsekretär Lauterbach begründet die Entscheidung: "Wir haben viele Jahre lang ganz anders mit den Menschen dort diskutiert und versucht, sie im Guten zu überzeugen. Aber das hat einfach nicht gefruchtet. Und dann muss die nächste Stufe der Eskalation eintreten."
Der Sport- und Kulturwissenschaftler Sven Güldenpfennig appelliert hingegen, die Tür zu den Emiraten möglichst weit offen zu lassen, um somit weiterhin Brücken zwischen der westlichen, östlichen und arabischen Welt zu bauen: "Ich halt es für gut, dass wir diese Region, die in der Allgemeinpolitik eine ausgesprochen Krisenreiche ist, in der Sportpolitik präsent machen. Deswegen sollten wir mit unseren Urteilen etwas vorsichtig sein."
Emirate koppeln sich weiter von der FEI ab
Vom Verband der Emirate gibt es zum Urteil im Fall Castlebar bislang kein offizielles Statement. Auch Anfragen des Deutschlandfunks blieben unbeantwortet. Fraglich ist, ob das harte Strafmaß das Verhältnis zwischen der FEI und den Emiraten weiter strapaziert. Denn bei der FEI-Generalversammlung im Herbst 2019 verabschiedeten die Delegierten ein neues Regelwerk für das Distanzreiten. Dabei ging es vor allem um den Schutz der Pferde. Die Folge: Die Emirate ziehen sich immer weiter in nationale Wettbewerbe zurück, sagt Renan Borowicz: "Mit den neuen FEI-Regeln hat man gesehen, dass die Vereinigten Arabischen Emirate deutlich weniger internationale Veranstaltungen organisieren oder ausschreiben. Das heißt, sie veranstalten mehr national."
Und nationale Wettbewerbe werden nicht von der FEI, sondern vom jeweiligen Verband ausgetragen. Deswegen befürchtet Borowicz, dass das die Lage für die Pferde weiter verschlimmert: "Es besteht natürlich die Gefahr, dass sie sich mehr von der FEI abkoppeln und die FEI dann keinen Einfluss mehr auf die Wettbewerbe und die Reiter hat."
Für die Pferde sind das keine guten Nachrichten. Denn Verletzungen wie die von Contraband könnten weiterhin vorkommen – ohne dass die FEI eine Handhabe hätte, dies in den Emiraten zu verhindern.