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Rosa Liksom: "Die Frau des Obersts"
Eine NS-Ehe in Finnland

Eine alte Frau blickt auf ihr Leben im Norden Finnlands zurück. Prägend war ihre frühe Beziehung zu einem rechtsextremen Offizier der finnischen Armee. Es folgt ein Martyrium von ehelicher Gewalt und Erniedrigung. Der neue Roman der finnischen Autorin Rosa Liksom beruht auf einer wahren Begebenheit

Von Paul Stoop |
Die finnische Schriftstellerin Rosa Liksom und ihr Buch „Die Frau des Obersts“
Rosa Liksom hat ein Buch über Finnland zur NS-Zeit geschrieben (Foto: Pekka Mustonen; Buchcover: Penguin Verlag)
Eine alte Frau sitzt allein in einem heruntergekommenen Haus in Lappland, schaut auf die Häuser des Dorfes – und zurück auf ihr Leben. In ihrer monologischen Erzählung, die von diesem Moment der Rückschau umrahmt wird, nennt sie den eigenen Namen nicht. Sie ist "die Frau des Obersts". Auch der, ein großfinnisch gesinnter rechtsextremer Offizier, bleibt namenlos.
Eine Kindheit geprägt von Brutalität
Die Erzählerin berichtet von einem Leben voller Erniedrigung, Hassliebe und Selbstversklavung. Geprägt wurde sie als kleines Mädchen von der Gefühlskälte in der Familie. Der Vater war Antisozialist, ein "Weißer" im finnischen Bürgerkrieg 1918. Die Schwester hat in dem Roman nur eine Nebenrolle, aber immerhin einen Namen, Rebekka. Beide Mädchen litten unter den Schlägen und der religiös verbrämten Brutalität der Mutter:
"Ich walke euch zu anständigen und tugendhaften Töchtern durch, lautete ihre Leier, im Wesen eines Mädchens und einer Frau muss man den Willen Gottes erkennen. Sie war ein tiefgläubiger Mensch und immer irgendwie wütend, hatte in einem fort Angst um uns, und das weckt in einem ausgewachsenen Leben einen solchen Zorn."
Diese Härte wurde verstärkt durch die nationalistische Jugendbewegung "Lotta Svärd", der das Mädchen angehörte. Die halbwüchsige Erzählerin bewunderte die Gruppenführerin, von der sie lernte,
"dass eine Frau fleißig bis zur Selbstaufopferung und gehorsam sein und sich gründlich auf ihr künftiges Los als Soldatenmutter vorbereiten muss. Dass zum Mannsein ein Stück Tyrannei gehört und dass der Mann der Frau moralisch überlegen sein soll."
Der Oberbefehlshaber ihres Lebens wurde ein solcher tyrannischer Mann: der 28 Jahre ältere Oberst, ein antikommunistischer Freund des Vaters. Er zog sie schon als kleines Mädchen in seinen Bann. In den zwanziger Jahren ließ der Oberst sich in Deutschland ausbilden und wurde in den dreißiger Jahren ein glühender Hitler-Anhänger.
Unterwerfung in der Ehe
Die Erzählerin berichtet atem- und schnörkellos, in einer Sprache, die so derb und vulgär ist wie ihr Leben mit dem Oberst. Bedingungslos unterwirft sie sich ihm, zunächst in einer zehnjährigen Verlobungszeit, dann in der Ehe:
"Ich lebte für den Oberst und war bereit zu sterben, falls er es wollte. Ich erfüllte ihm jeden Wunsch, genoss es, ihm zu dienen und für ihn zu huren, ohne an mich und meine Lust zu denken. Ich machte aus mir genau so eine, wie er sie haben wollte."
Die seit der Kindheit vertraute Kälte und Rücksichtlosigkeit lässt die Frau des Obersts dessen Demütigungen, cholerische Anfälle, Affären mit anderen Frauen und Prügelorgien ertragen. In einer Art Größenwahn rationalisiert sie das Erdulden dieser Erniedrigungen:
"Ich glaubte, ihn durch uneigennützige Liebe vom Bösen reinigen und mit Gutem erfüllen zu können."
Finnlands Geschichte in der NS-Zeit
Der stolze Leidensbericht ist verwoben mit der Geschichte des extremistischen finnischen Nationalismus. Dieser wurde genährt von der Hoffnung, die sowjetische Dominanz abzuschütteln, und mündete im Zweiten Weltkrieg in eine Komplizenschaft mit Nazi-Deutschland. Den nicht-finnischen Lesern gibt ein hilfreiches Glossar Aufschluss über die Politik jener Jahre.
"Die Frau des Obersts" ist aber kein Roman, der über das Persönliche die Geschichte näher bringt, auch kein Beitrag zur Analyse der Nazi-Ideologie in der finnischen Variante. Das Persönliche steht im Mittelpunkt, es geht um Psychologie, nicht um Politik.
Personen, Begegnungen und Ereignisse – alles ist grob geschnitzt, wirkt primitiv und roh. Das persönliche Handeln nicht nur des Obersts ist so abstoßend wie die obszöne Sprache. Es gibt keine Zwischentöne, keine Nuancen. Nur in einem einzigen Moment verweigert sich die Erzählerin als Jugendliche der Härte. Als ein zum Kommunismus neigender Schulfreund in die Fänge ihrer Faschistenfreunde gerät, schwört sie, der sei doch gar kein Linker, sondern ein harmloser Konservativer. Das bringt ihr den Vorwurf allzu großer Weichheit ein. Worauf sie der Bewegung spontan den Rücken kehrt, nicht etwa um sich von ihren rechten Freunden abzuwenden, sondern um sich ganz dem deutschen Nationalsozialismus zu verschreiben.
Die zweite Ehe scheitert
Eine Ahnung melancholischer Zartheit lässt Rosa Liksom nur aufkommen, wenn es um die Schönheit der nordfinnischen Landschaft geht. In der Beziehung mit dem Oberst gibt es Momente menschlicher Wärme nur in der Form lächerlichen Kitsches, etwa wenn der Oberst theatralisch jammert, er könnte im Krieg den Sowjets in die Hände fallen – also in einem Krieg, nach dem er selbst seit Jahren gelechzt hat. Oder wenn Täter und Opfer nach einer der vielen Gewalttaten in Tränen ausbrechen:
"Manchmal, nachdem er mich geschlagen hatte, weinten wir zusammen wie die kleinen Kinder. Auf seltsam kranke Art liebte er mich, und darum konnte oder wollte ich nicht weggehen. Wenn der Mensch Liebe hat, und wenn sie noch so krank ist, hat er alles."
Nach dem Krieg kommt die Erzählerin vom Obersten los. Er prügelt ihr das Kind aus dem Leib, das sie nicht abtreiben wollte. Sie landet nach diesem letzten Gewaltexzess in der Psychiatrie, die Schwester hilft ihr auf den Weg zurück in ein Leben ohne den Tyrannen. Aus der Frau des Obersts wird eine Lehrerin und Autorin. Sie bändelt mit dem 14jährigen Tuomas an – wieder eine asymmetrische, unreife Beziehung, diesmal unter anderem Vorzeichen. Tuomas heiratet die 22 Jahre ältere Frau als 17jähriger. Er ist fasziniert von der immer noch wirkenden Aura des Obersts, der für ihr Leben eine so wichtige Rolle gespielt hat.
Die Ehe hält nicht. Die Frau des Obersts wird eine doppelt geschiedene alte Frau, die schreibt und schreibt, impulsiv und weiterhin wenig feinsinnig:
"Ich brachte alles zu Papier. Ich kotzte es aus, und es kam mir vor, als würden mit der Kotze auch alle Zähne rausfliegen."
Gewalt und Wahrhaftigkeit
Dieser Roman ist schwer zu ertragende Kost. Zu direkt erscheint zunächst die ungefilterte Wiedergabe von Hässlichkeit und Menschenverachtung. Eine Entwicklung ist den Personen nicht gegönnt, eine erlösende Wendung bleibt aus. Das macht aber am Ende die Wahrhaftigkeit der Geschichte aus. Die gelegentlichen Gefühlsausbrüche machen aus den verkrüppelten Seelen keine differenzierten Charaktere. Dem Leser wird die Möglichkeit verwehrt, sich mit einer angeblich ambivalenten Protagonistin am Ende doch zu identifizieren. Ein solcher Ausweg, wie ihn Bernhard Schlink in "Die Vorleserin" bietet, und der die Monstrosität der Ereignisse leugnet, ist nicht Rosa Liksoms Sache.
Auch der Gefahr der Gewaltverherrlichung durch die ausführliche Beschreibung der Verbrechen weiß die Autorin zu entgehen. Im Krieg arbeitet die Frau des Obersts als Buchhalterin in den Lagern für sowjetische Kriegsgefangene. Das Unmenschliche dieser Lager wird benannt, der einzelne Gewaltakt aber nicht lustvoll in allen Details ausgemalt, wie Jonathan Littell das in "Die Wohlgesinnten" getan hat, dem umstrittenen Gewaltwerk von der achtfachen Länge dieses schmalen Bandes.
Dessen Quintessenz mag simpel erscheinen, ist aber eindrücklich dargestellt: Ja, es gibt sie, die enthemmte Gewalt, die durch nichts als Gefühlsarmut und Hass gerechtfertigte Erniedrigung anderer Menschen. Nicht irgendwo da draußen, sondern hier, in der Ehe, in der Familie und darüber hinaus.
Rosa Liksom: "Die Frau des Obersts"
aus dem Finnischen von Stefan Moster
Penguin Verlag, München. 224 Seiten, 20 Euro.