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Mögliche Terrorzelle in der Bundeswehr
"Frau von der Leyen muss jetzt Antworten liefern"

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat versprochen, den Fall des mutmaßlich rechtsextremen Offiziers Franco A. lückenlos aufzuklären. Tobias Lindner, Verteidigungspolitiker der Grünen im Bundestag, sagte im DLF, er wolle von der Verteidigungsministerin wissen, wie sie die Strukturen bei der Bundeswehr konkret ändern wolle, damit Rechtsextreme auch sicher entdeckt würden.

Tobias Lindner im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Tobias Lindner, verteidigungspolitischer Sprecher von Bündnis90/Die Grünen im Deutschen Bundestag.
    Tobias Lindner, verteidigungspolitischer Sprecher von Bündnis90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. (Imago / Metodi Popow)
    Mario Dobovisek: Ein weiterer Bundeswehroffizier wurde gestern festgenommen. Auch er steht unter Terrorverdacht. Er könnte ein Komplize von Oberleutnant Franco A. gewesen sein, jenem Offizier mit rechter Gesinnung, der sich als syrischer Asylbewerber ausgegeben hatte, um möglicherweise Terroranschläge zu verüben.
    Am Telefon begrüße ich Tobias Lindner, Verteidigungspolitiker bei den Grünen im Bundestag. Guten Morgen, Herr Lindner.
    Tobias Lindner: Guten Morgen.
    Dobovisek: Sie sind auf dem Weg zur Sondersitzung des Verteidigungsausschusses, die die Grünen-Fraktion unter anderem beantragt hat. Was erwarten Sie von der Sitzung heute? Was erwarten Sie von der Ministerin?
    Lindner: Es geht um zwei Aspekte: zum einen natürlich um Sachaufklärung. Wir wollen von Frau von der Leyen wissen, was jetzt Sachstand ist. Es kann ja nicht sein, dass Abgeordnete sich hauptsächlich über die Medien informieren, wie weit die Ermittlungen gediehen sind. Natürlich interessiert mich auch, seit wann wusste die Ministerin davon, seit wann hat man Hinweise gehabt, wann hätte man es wissen können und was hätte man vielleicht auch verhindern können. Das ist der eine Fragenkomplex. Der andere ist natürlich, wie will die Ministerin jetzt generell gegen rechtsextreme Umtriebe in der Truppe vorgehen. Es hat mich doch schon überrascht, dass Frau von der Leyen, die ja beim Personal gern Ankündigungen gemacht hat, was Attraktivität des Dienstes betrifft und andere Dinge, dass Frau von der Leyen anscheinend erst jetzt darauf aufmerksam wurde, dass es rechtsextreme Umtriebe und rechtsextreme Probleme und Vorfälle in der Bundeswehr gibt, nachdem Franco A. verhaftet wurde. Wenn sie in die eigenen Berichte an den Verteidigungsausschuss beispielsweise, in den Bericht des Wehrbeauftragten früher reingeschaut hätte, dann hätte sie all das, was sie jetzt ankündigt, wo ich hoffe, dass sie es umsetzt, auch schon vor drei Jahren machen können.
    "Ist da weggeschaut worden?"
    Dobovisek: Die Verteidigungsministerin zeigt ja bereits Reue. Sie habe nicht früh genug tief gebohrt, sagt sie, und will aufklären. Können Sie bei Ursula von der Leyen ausreichend Aufklärungswillen erkennen?
    Lindner: Ursula von der Leyen ist ja immer durchaus gut darin, wenn es darum geht, öffentlichkeitswirksame Ankündigungen zu machen. Was mich natürlich jetzt interessiert ist, was hat sie konkret vor. Das eine, was wir wissen, ist, dass man jetzt mal – an sich eigentlich eine triviale Sache – bei der Bundeswehr in jeden Raum reingucken will, ob da irgendwie Wehrmachts-Devotionalien herumstehen.
    Dobovisek: Wir sprechen über die Razzia, die im Moment durch alle Kasernen geht.
    Lindner: Genau. Aber damit ist das Problem ja noch nicht gelöst, sondern es muss ja auch darum gehen zu fragen, haben wir Strukturen in der Bundeswehr, die so was vielleicht begünstigen, ist da weggeschaut worden, gab es da eine Naivität. Es ist ja eben auch die Masterarbeit von Franco A. angesprochen worden und jeder, der diese Arbeit gesehen hat, jeder, der die Gutachten über die Arbeit gesehen hat, bei dem hätten die Alarmglocken losgehen müssen. Und wenn dann einfach Ermittlungen wieder eingestellt werden, dann zeugt das entweder von einer unglaublichen Naivität, oder man muss natürlich die Frage stellen, gab es da weitere Personen, die Franco A. gedeckt haben.
    Dobovisek: All das lässt sich sicherlich nicht in einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses heute klären. Wie soll es nach heute weitergehen, mit einem Untersuchungsausschuss?
    Lindner: Ich bin immer der Meinung, wenn man im Parlament die Fragen, die sich stellen, aufklären kann, dann braucht es natürlich keinen Untersuchungsausschuss. Das hängt jetzt in erster Linie natürlich von der Ministerin ab, ob sie wirklich Transparenz gegenüber dem Parlament darstellt, wie sie mit dem Parlament umgeht, ob sie Fragen beantwortet. Damit werden wir heute anfangen, das sprechen Sie zurecht an, und dann wird man das natürlich in weiteren Sitzungen aufarbeiten müssen.
    "Da kann man auch von Zelle sprechen"
    Dobovisek: Fassen wir noch mal all das zusammen, was wir wissen. Der eine Soldat lässt sich als falscher Flüchtling registrieren, der andere deckt sein Fehlen, der dritte, ein Student, hortet die Munition der Bundeswehr. Die drei überlegen sich, wen sie töten wollen, verfassen eine Liste, ganz oben stehen Namen wie Joachim Gauck und Heiko Maas. Können wir da noch von Einzeltätern sprechen oder tatsächlich über eine Terrorzelle wie SPD-Fraktionschef Oppermann?
    Lindner: Ich war immer sehr skeptisch, dass Franco A. ein Einzeltäter ist. Allein wenn man die Unterlagen sieht rund um die angesprochene Masterarbeit, wenn man sieht, dass er anscheinend tausend Schuss Munition bei Seite geschafft hat, dann fällt es mir persönlich schwer, daran zu glauben, dass er irgendwie ein einsamer Wolf ist. Man hat ja auch an den Verhaftungen gesehen, dass das eine Gruppe ist. Da kann man auch von Zelle sprechen, selbstverständlich. Die Frage, die sich jetzt auftut, ist: Kommt da noch mehr raus? Gibt es noch weitere Beteiligte? Und ist diese Gruppe quasi ein Einzelfall, oder müssen wir wirklich schauen, ob es weitere solche Entwicklungen in der Bundeswehr gibt oder gegeben hat, und haben wir die Strukturen, …
    Dobovisek: Womit rechnen Sie?
    Lindner: Das ist sehr spekulativ. Da bin ich sehr vorsichtig. Für mich stellt sich wirklich die Frage, haben wir in der Bundeswehr hinreichend gute Strukturen, dass wir sicher sein können, wenn es eine weitere Gruppe geben würde, dass wir sie auch entdecken, dass wir sie aufklären. Da habe ich im Moment, ehrlich gesagt, nach den Erfahrungen im Fall Franco A., wo Leute nicht nur ein Auge zugemacht haben, da habe ich meine Zweifel an der Stelle. Und ich will von Frau von der Leyen wissen, wenn sie sagt, sie will jetzt energisch gegen Rechtsextreme in der Bundeswehr vorgehen, wie macht sie das denn konkret, was kommt denn nach der Ankündigung und was heißt das für die Strukturen, damit wir sicher sein können, dass man solche Gruppen auch finden wird.
    "Der Frau von der Leyen sind da die Pferde durchgegangen"
    Dobovisek: Geben Sie, wenn Sie so große Zweifel haben, Herr Lindner, der Verteidigungsministerin Recht, wenn sie der Bundeswehr fehlende Haltung attestiert?
    Lindner: Sind wir mal ehrlich. Der Frau von der Leyen sind da in diesem Fernsehinterview die Pferde durchgegangen. Ich glaube, niemand hätte sich beschwert, wenn sie gesagt hätte, wir haben, wenn es um rechtsextreme Tendenzen in der Truppe geht, oftmals ein Problem mit Führung und Haltung. Wenn sie so was gesagt hätte, hätte das jeder verstanden. Der Fehler, der Frau von der Leyen passiert ist, dass sie diese Einschränkung, wenn es um rechtsextreme Tendenzen geht, nicht gemacht hat. Das hat dann wie ein Generalverdacht gewirkt gegen alle und gegen jeden. Es ist gut, dass sie das dann klargestellt hat. Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass sie das sofort gemacht hätte, ein paar Tage später, dass sie das auch über die Medien gemacht hätte. Das hätte viel Unruhe aus der Bundeswehr rausgenommen und vor allem hätte es den Weg freigemacht für die notwendige Sachaufklärung, die jetzt geleistet werden muss.
    Dobovisek: Schauen wir uns doch mal gemeinsam ein Beispiel an. Wenn in einem Aufenthaltsraum bei der Razzia, die gerade durchgeführt wird, in einer Kaserne in einer Vitrine ein alter Stahlhelm der Wehrmacht liegt, daneben eine Wehrmachts-Maschinenpistole, ist das für Sie noch Wehrkunde oder schon Nazi-Kult, an dem hunderte von Soldaten vorbeigehen?
    Lindner: Für mich ist so was nicht tolerabel und ich kann nicht verstehen, warum da nicht ein Vorgesetzter eingeschritten ist und sofort gesagt hat, das Zeug muss weg.
    Dobovisek: Aber da geht es ja dann um hunderte, um tausende. Also doch ein Haltungsproblem?
    Lindner: Na ja, wir wissen ja nicht, wie viele Räume es gibt und wo es die gibt. Aber klar ist, so ein Fall ist nicht tolerabel. Und klar ist auch, wir müssen natürlich an den Stellen fragen, ist die Art und Weise, wie die Ausbildung in der Bundeswehr läuft, richtig und ist die angemessen, oder sind in den vergangenen Jahren Dinge wie innere Führung, sind Dinge wie politische Bildung eher vernachlässigt worden oder als Schönwetterfächer dargestellt worden. Auch da muss Frau von der Leyen jetzt Antworten liefern.
    "Die Bundeswehr soll Teil unserer Gesellschaft sein"
    Dobovisek: Wo ziehen Sie denn eine Linie zwischen Militärhistorie und Nazi-Kult?
    Lindner: Für mich beginnt das auf jeden Fall an den Stellen, wo man Devotionalien in Aufenthaltsräumen aufstellt. Wenn man über das Dritte Reich redet, wenn man über die Verbrechen der Wehrmacht spricht, dann sind das eigentlich Angelegenheiten, die in den Schulunterricht gehören. Das sind Angelegenheiten, die in den Bereich der politischen Bildung in der Bundeswehr gehören. Das sind Dinge, die in Gedenkstätten und in Museen gehören, aber mit Sicherheit nicht in Aufenthaltsräume.
    Dobovisek: Ich glaube, ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, Sie haben Zivildienst geleistet, steht so auch in Ihrem Lebenslauf. Ich selber habe auch nicht gedient. Ist das einfach etwas, dass wir beide nicht verstehen können, oder was die Bundeswehrsoldaten nicht verstehen?
    Lindner: Unabhängig davon: Die Bundeswehr soll Teil unserer Gesellschaft sein. Sie ist auch Teil unserer Gesellschaft und deswegen muss sie sich auch an den gleichen Maßstäben messen lassen am Ende des Tages. Und es ist in Deutschland unmissverständlich, dass die Bundeswehr nicht in der Tradition der Wehrmacht steht und zu stehen hat. Deswegen muss man da auch energisch an solchen Stellen, wie angesprochene Devotionalien in irgendwelchen Aufenthaltsräumen, dann auch mit aller Konsequenz vorgehen.
    Dobovisek: Tobias Lindner ist Verteidigungspolitiker der Grünen im Bundestag. Er nimmt heute Vormittag an der Sondersitzung des Ausschusses rund um die rechten Vorwürfe bei der Bundeswehr teil. Ich danke Ihnen!
    Lindner: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.