Archiv


Sinn warnt Metaller vor zu hohem Tarifabschluss

Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn hält die in der Metall- und Elektroindustrie erwogenen Lohnsteigerungen für zu hoch. Schon ein Abschluss auf Höhe des ersten Arbeitgeberangebotes von 2,5 Prozent würde Arbeitsplätze kosten, sagte der Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Statt einer Lohnsteigerung empfahl Sinn eine Beteiligung der Arbeitnehmer an Unternehmensgewinnen.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: Ihr Forschungsinstitut beobachtet ja ständig die Konjunkturentwicklung. Welche Erhöhung gibt Ihrer Einschätzung nach das Wirtschaftswachstum und der Produktivitätsfortschritt in der Metallbranche her?

    Hans-Werner Sinn: Ach ja, das ist eine schwierige Frage. Man kann natürlich beantworten, was beschäftigungsneutral wäre. Beschäftigungsneutral wäre eine Steigerung, die der Erhöhung der Nettopreise nach Mehrwertsteuer entspricht, zuzüglich der Reduktion der Arbeitgeberbeiträge, und das ist in diesem Jahr wegen der Mehrwertsteuererhöhung nicht allzu viel. Die Nettopreissteigerung ist gerade mal 0,3 Prozent, die Reduktion der Arbeitgeberbeiträge ist 0,5, macht 0,8, und dann können wir noch hinzu addieren die Zunahme der Produktivität der menschlichen Arbeit, das ist 1,2, dann sind wir genau bei 2,0.

    Alles, was darüber hinausgeht, ist nicht mehr beschäftigungsneutral. Die Frage ist allerdings, ob wir überhaupt eine beschäftigungsneutrale Lohnpolitik haben wollen, denn die Lohnkosten, gerade im verarbeitenden Gewerbe, sind relativ zur gesamtwirtschaftlichen Produktivität die höchsten auf der ganzen Welt, und insofern bräuchten wir eigentlich eine Moderation. Wir haben eine Massenarbeitslosigkeit. Im verarbeitenden Gewerbe wurde trotz der guten Konjunktur im letzten Jahr die Beschäftigung zurückgefahren. Hier beißen sich also die volkswirtschaftlichen Überlegungen total mit dem, was da derzeit verhandelt wird.

    Engels: Gerade gestern erst ist der von Ihnen veröffentlichte ifo-Geschäftsklimaindex wieder gestiegen. Da bleibt natürlich für die Arbeitnehmer der Eindruck, da müsste doch mehr drin sein.

    Sinn: Ja natürlich, der Eindruck ist da. Aber man darf nicht vergessen, Herr Steinbrück hat eben mit seiner Mehrwertsteuererhöhung dieses Jahr schon eine Menge weggenommen, und was er bekommen hat, das kann eben nicht noch mal verteilt werden. Man kann eben nur den Nettopreisanstieg nach Mehrwertsteuer berücksichtigen, und das ist dann nicht mehr viel. Das ist gerade mal 0,3 Prozent in diesem Jahr, und dann kann man noch die Produktivität berücksichtigen und dann noch das Geschenk der Reduktion der Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber, um einen halben Prozentpunkt haben wir da Spielraum, macht nach Adam Riese 2,0. Es sind 2,0 und nicht 2,1, das ist genau die Zahl.

    Alles, was darüber hinausgeht, kann man natürlich verhandeln, aber es kostet Arbeitsplätze. Und meine Befürchtung ist, dass in diesem Verhandlungspoker letztlich doch auch mehr herauskommt. Die Arbeitgeber haben ja selber schon 2,5 angeboten. Die Gewerkschaften fordern 6,5. Es kommt im Durchschnitt, was weiß ich, 3,5 oder so heraus. Das ist natürlich unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten alles prima. Nur: Es kostet uns immer wieder die Arbeitsplätze, und daran müssen wir halt auch denken bei dieser Geschichte. Vielleicht sollte man intelligentere Lohnverhandlungen machen und sollte auf Investitionslöhne setzen, dass man einen Teil der Steigerungen als Mitbeteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmenskapital auszahlt, also gewährt, nicht eben auszahlt. Das wäre dann eine Maßnahme, die den Unternehmen nicht so schadet, und umgekehrt den Arbeitnehmern auf die Dauer eben auch ein klägliches Vermögen beschert. Wenn man das längere Zeit macht, dann kommt schon was dabei raus.

    Engels: Sie haben es angesprochen. Wir sehen aber gerade den Trend nicht unbedingt zu differenzierenden Abschlüssen, sondern wir sehen den Trend in den Branchen, wo es gut geht, auch zu recht hohen Abschlüssen. Denken Sie, das wird noch eine harte Tarifrunde?

    Sinn: Ja, es wird sicherlich eine sehr harte Tarifrunde, weil wegen der guten Konjunkturlage und der Zunahme der Beschäftigung konjunkturell die Gewerkschaften jetzt wieder Oberwasser kriegen, das ist halt immer so. Nur: Man darf nicht übersehen, das ist halt nur die Konjunktur. Die Konjunktur geht rauf und runter. Alle fünf Jahre verbessert sich die Situation, und fünf Jahre verschlechtert sie sich wieder. Im Trend müssen wir sehen, wie sich das alles entwickeln. Über zehn Jahre hinweg dauert solch eine Konjunktur, also das Auf und Ab, und im Trend war das jetzt die letzten Jahrzehnte nicht besonders gut. Wir haben halt doch immer mehr Arbeitslosigkeit entwickelt. Deutschland hat immer noch hier ein massives Problem mit einer riesigen Sockelarbeitslosigkeit von Menschen, die wir nicht integrieren in den Arbeitsprozess.

    Engels: Und wir haben auch natürlich in anderen Branchen schon jetzt Situationen, wo es nicht so gut geht: Metallbranche plus, Chemiebranche plus, beim Friseurhandwerk, bei der Post bis hin zur Gastronomie wird dagegen über Löhne auf sittenwidrig niedrigem Niveau diskutiert, auch über Mindestlöhne. Gefährdet diese Spreizung der Tariflandschaft, die ja offenbar zunimmt, den sozialen Frieden?

    Sinn: Ja, das mag wohl sein. Aber wenn man diese Spreizung nicht zulassen würde, dann würde sie eben die Beschäftigung in diesen Branchen noch mehr gefährden. Denn das Dienstleistungsgewerbe in Deutschland ist absolut unterentwickelt. Man kann sich heute Dienstleistungen, die früher möglich waren, nicht mehr leisten. Selbst die Handwerkerrechnungen sind wegen der Lohnkosten, die da drin sind, häufig unbezahlbar. Stellen Sie sich vor, im letzten Jahr hat die Beschäftigung im deutschen Handwerk abgenommen. Ich meine, schöner kann der Boom ja nicht werden als der, den wir jetzt haben. Und trotzdem nimmt die Beschäftigung dort ab, nimmt die Beschäftigung im gesamten verarbeitenden Gewerbe ab, und das verarbeitende Gewerbe ist nun mal der Kern der deutschen Wirtschaft, der glühende Kern, um den sich der ganze Rest rankt.

    Deutschland hat seit dem Fall des Eisernen Vorhangs die prozentual stärkste Verringerung der Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe unter allen entwickelten Ländern zu verzeichnen. Das muss uns schon zu denken geben. Da wandert sehr viel nach Osteuropa und nach China und sonstwo. Deutschland investiert netto im Ausland mehr Kapital als im Inland. Das alles sind Prozesse, die haben sicherlich mit dem extrem hohen Niveau der Lohnkosten in Deutschland zu tun, und angesichts all dieser Verhältnisse müsste die Gewerkschaft sich doch einmal überlegen, ob man 30 Jahre lang die richtige Lohnpolitik gemacht hat, aber nicht nur die Gewerkschaften, auch die Arbeitgeber sind hier in der Pflicht, und ich glaube, die Arbeitgeber machen eben auch was falsch. Die Arbeitgeber sind ja nur die, die schon sich etabliert haben. Wissen Sie, sie kommen mit den hohen Löhnen zurecht, die ersetzen die Menschen durch Maschinen, und die outsourcen Jobs nach Tschechien und nach Polen und sonstwo hin, und dann interessiert sie das Lohnthema kaum noch. Aber was machen wir mit den potenziellen Unternehmern und Arbeitgebern, die ein Unternehmen gerne gründen wollen? Die werfen doch gleich von vorneherein das Handtuch. Die sind nicht beim Tarifpoker dabei, genauso wenig wie die Arbeitslosen vertreten werden durch die Gewerkschaften. Hier machen also die Insider, die, die alle sich etabliert haben, ein Geschäft zu Lasten der Outsider.

    Engels: Hans-Werner Sinn, der Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Sinn: Gerne.