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Smartphonenutzung bei Kindern
"Es bringt nichts, das zu verteufeln"

Unter anderem Hyperaktivität und Fettleibigkeit sollen Smartphones bei Kindern fördern, stellt eine Studie der Bundesregierung fest. Die Medienpsychologin Astrid Carolus sagte im DLF, es sei überhaupt nicht klar, wie hoch der Zusammenhang sei und welche Faktoren sonst noch eine Rolle spielen würden. Und: Der Ruf nach Verboten ginge schlicht an der Realität vorbei.

Astrid Carolus im Gespräch mit Christiane Kaess | 29.05.2017
    Ein Kind hält ein Smartphone in den Händen.
    Kind mit Smartphone (Ole Spata/dpa)
    Christiane Kaess:Darüber sprechen möchte ich mit der Medienpsychologin Astrid Carolus von der Universität Würzburg. Sie sitzt im Beirat der Initiative "Schau hin!", die Kindern einen kompetenteren Umgang mit Medien vermitteln will, und sie ist jetzt am Telefon. Guten Morgen.
    Astrid Carolus: Guten Morgen!
    Kaess: Frau Carolus, werden mit dieser Blickstudie wieder einmal digitale Medien zu sehr verteufelt?
    Carolus: Ja. Ich glaube, was ganz wichtig ist, ist grundsätzlich die Idee zu sagen, wir wollen uns mal angucken, welchen Effekt denn Medienkonsum oder hier Smartphonekonsum auf Kinder haben kann – eine wichtige Fragestellung. Die Kinder wachsen in einer digitalisierten Welt auf. Auch der Ansatz, über die Kinderärzte und diese Untersuchung der Kinder zu gehen, ist interessant. Die Schlüsse, die daraus gezogen werden, sehe ich allerdings äußerst kritisch.
    Kaess: Warum?
    Carolus: Weil tatsächlich in dieser Studie sich Zusammenhänge angeschaut wurden. Es wurden die Leute, die Eltern, die Kinder gefragt, wie viel Medien sie nutzen, und dann wurden allerlei Variablen erhoben. Sie haben das im Einspieler genannt. Und die Idee, die jetzt formuliert wird, Smartphones machen irgendwas, zum Beispiel dick, das ist dann wissenschaftlich einfach nicht präzise. Wir haben lediglich Zusammenhänge, das eine ist nicht die Ursache vom anderen, und das ist dann einfach ein sehr wichtiger Unterschied.
    Kaess: Schauen wir auf ein paar Einzelergebnisse. Es heißt ja, dass auch bei 13-Jährigen die tägliche Nutzung von mehr als einer Stunde zu Hyperaktivität und Konzentrationsschwäche führen wird. Ist das nicht in dem Alter selbstverständlich, täglich mehr als eine Stunde mit digitalen Medien zuzubringen?
    "Es bringt nichts, jetzt Verbote zu fordern"
    Carolus: Genau. Da sprechen Sie zwei Sachen an. Zum einen: "Das führt zu", das ist genau das, was ich gerade meinte. Das wissen wir eben nicht. Wir sehen lediglich, ein 13-Jähriger, der eine Stunde oder mehr nutzt, hat die und die Eigenschaften. Wir wissen aber nicht, ob er das nicht auch ohne Smartphonenutzung hätte. Der zweite Punkt, den Sie nennen, ist: Da müssen wir wirklich ein bisschen realistisch sein. Wenn wir uns den Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen anschauen, dann bringt es nichts, jetzt Verbote zu fordern. Das geht schlicht an der Realität vorbei, auch, wenn manche Eltern oder Politiker sich das vielleicht irgendwie wünschen würden.
    Kaess: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, dann ist das wissenschaftlich überhaupt nicht belegt, das was schon oft diskutiert wurde, dass zu viel Nutzung von digitalen Medien zu Konzentrationsschwächen führen kann.
    Carolus: Wir müssen uns anschauen, was passiert ist. Es wurden Zusammenhänge herausgefunden und die wurden als signifikant bezeichnet. Wir würden sagen, statistisch betrachtet sind die gegen den Zufall abgesichert. Was wir überhaupt nicht wissen, was auch bisher noch nicht klar ist, wie hoch sind überhaupt diese Zusammenhänge. Dass das eine nicht Ursache vom anderen sein muss, ist Punkt eins, und das Zweite ist, wie hoch sind die Zusammenhänge. Nur weil etwas statistisch signifikant ist, heißt es nicht, dass es wirklich ein substanzieller Zusammenhang ist. Es ist dann mathematisch die Stichprobe recht groß. Die Wahrscheinlichkeit, dass dann Zusammenhänge signifikant werden, steigt damit deutlich. Wir wissen aber nicht, wie groß ist der Zusammenhang. Und was wir auch nicht wissen: Der Teil der Varianz, der nicht durch Smartphonenutzung aufgeklärt wird, mathematisch gesprochen, wodurch wird der denn erklärt, und da schaut halt keiner drauf. Die Idee ist jetzt zu sagen, okay, das liegt irgendwie an den Smartphones, aber was steckt denn da noch hinter.
    Kaess: Sie haben es gerade schon gesagt. Diese Untersuchung der Bundesregierung, die stützt sich unter anderem auf Auskünfte von Kinder- und Jugendärzten. Das heißt für mich, auch in dem Bereich ist man dafür schon sensibilisiert?
    Carolus: Das ist man. Das zeigt die Studie in der Tat. Und wie gesagt: Die Idee, der Ansatz und auch grundsätzlich die Methode ist ein spannender Ansatz. Was es aber auch zeigt und das ist nicht neu, für mich aber immer wieder überraschend diese Haltung den Medien gegenüber, dass die Medien so schlimm sind. Bei mir in der Kindheit war das Fernsehen, noch schlimmer das Privatfernsehen, was genau diese Effekte damals gemacht hat, irgendwie dumm, dick und sonst noch was. Das haben wir jetzt exakt wieder mit Smartphones und wir Wissenschaftler sind wieder wissenschaftlich nicht präzise dargestellt. Aber es zeigt diese Haltung und da müssen wir ein bisschen aufpassen. Wir haben fast schon, psychologisch gesprochen, Angst vor diesen übermächtigen Medien. Das ist immer in einem negativen Zusammenhang. Ich habe in Ihrem Einspieler nicht einen positiven Effekt von Smartphonenutzung gehört, den man sich vielleicht mal angeguckt hat. Da müssen wir ein bisschen aufpassen, dass wir uns nicht selber von unseren Ängsten leiten lassen und dann immer wieder dabei rauskommen, sei es Fernsehen, sei es Computerspiele, sei es Smartphone oder Internet, wir wollen am liebsten, dass das die Kinder gar nicht machen, und das kann in der heutigen Welt natürlich überhaupt keine Lösung sein.
    Kaess: Neu sind vielleicht die Zahlen zu den Allerkleinsten. Hat Sie das überrascht, dass drei Viertel aller Kinder im Alter von zwei bis vier Jahren täglich schon 30 Minuten mit Smartphones spielen?
    "Wir haben eine sehr unterschiedliche Haltung verschiedenen Medientypen gegenüber"
    Carolus: Ich wäre da insofern erst mal kritisch, weil gefragt wurden ja die Eltern und das ist jetzt erst mal die Quelle. Da müssen wir erst mal schauen, vielleicht ist das sogar unterschätzt. Vielleicht sagen die Eltern sogar lieber ihren Kinderärzten, maximal 30 Minuten, und es ist tatsächlich mehr. Da müssen wir ein bisschen gucken. Es wird ja jetzt nicht irgendwie die Zeit gestoppt, sondern das sind Selbstauskünfte, was grundsätzlich schwierig ist. Aber Medien sind für Kinder spannend. Da bewegt sich was, das macht irgendwie Geräusche. Ich erinnere mich dunkel an dieses Buch, was wir auch schon spannend fanden, wo man sich ein Bilderbuch angeschaut hat. Auch da waren Kinder fasziniert von und da wurde jetzt nicht die Zeit gemessen, wie viel Zeit verbringt das Kind denn mit dem Buch. Wir haben eine sehr unterschiedliche Haltung verschiedenen Medientypen gegenüber. Und dass Kinder das spannend finden, das ist vielleicht nicht so überraschend.
    Kaess: Unsere Kinder müssen sich ja auch in dieser digitalisierten Welt mal zurechtfinden. Das wird für sie einfach alltäglich sein. Wie kann man sie denn am besten an diese digitale Medienwelt heranführen?
    Carolus: Sie sagen es. Selbst wenn wir heute die Idee hätten, wir wollen die Kinder beschützen bis sie 18 sind und erst dann dürfen sie das erste Mal einen Bildschirm sehen, funktioniert ja schlicht nicht. Wenn wir auf die Welt gucken, ist es heute schon eine der zentralen Kompetenzen, dass wir das mit der Medienkompetenz hinkriegen. Und damit meine ich nicht, dass wir ein Tablet bedienen können, das können Kinder schon wahnsinnig früh, sondern dass wir lernen, dass unsere Kinder lernen, wofür nutze ich das, wie nutze ich das, wie kriege ich das hin, dass ich meinen eigenen Konsum möglicherweise in Grenzen halte. Und dann zu sagen, grundsätzlich sollten Kinder das gar nicht machen, oder erst sehr spät, ist ein Ansatz, den ich äußerst kritisch sehe. Wir haben ja in diesen Medien auch durchaus Vorteile. Das kann man ja auch für was Positives nutzen. Und das ist die Idee auch unter anderem bei "Schau hin!" zu sagen, es bringt nichts, das zu verteufeln. Das bringt auch schlicht nichts. Dann nutzen die Kinder es irgendwie heimlich oder bei Freunden. Sondern es wird darum gehen, mit Kindern zusammen medienkompetent mit diesen Geräten umzugehen.
    Kaess: Das heißt, erklären?
    Carolus: Das heißt, erst mal selber überlegen, wie kompetent bin ich denn im Umgang. Ich meine damit nicht, dass ich wischen kann und abspeichern, sondern dass ich weiß, wann ich wie was nutze. Und da zeigt die Studie ja auch, wenn ich gerade mit dem Kind interagiere, wenn ich es füttere und so weiter, dann ist es irgendwie keine gute Idee, parallel was am Smartphone zu machen so als Dauerhaltung. Sich selber kritisch zu hinterfragen als Eltern und Erziehende, das ist das eine. Wann lege ich das Telefon auch weg, wann nutze ich es auch bewusst nicht. Da geht es ja durchaus auch um solche Aspekte. Dann aber auch zu gucken, was kann denn das Gerät und was will ich denn, was es kann, welche Seiten will ich mir denn vielleicht nicht angucken, an welchen Stellen will ich das Telefon denn zur Seite legen im Haus, zum Beispiel beim Essen. Darum wird es gehen, das Kind zu begleiten. Dem Kind nur Angst zu machen oder meine eigenen Ängste, die ich als Elternteil vielleicht habe, oh Gott, was wird es da alles sehen, Pornografie, Gewalt, oh Gott, oh Gott, das wiederum in kompetentere Bahnen zu lenken.
    Kaess: Die Medienpsychologin Astrid Carolus von der Universität Würzburg. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Carolus: Vielen Dank! Einen guten Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.