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"So kann man mit dem Parlament nicht umgehen"

Die Bundesregierung unterrichte den Bundestag weiterhin unzureichend über das gescheiterte Euro-Hawk-Drohnenprojekt, sagt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Deshalb solle der Bundestagspräsident das gesamte Kabinett rügen.

Thomas Oppermann im Gespräch mit Bettina Klein | 31.05.2013
    Bettina Klein: Die interessierte Öffentlichkeit wie auch das Parlament muss sich noch ein paar Tage gedulden: Am 5. Juni soll der Bericht des Verteidigungsministeriums über das gescheiterte Euro-Hawk-Projekt vorliegen und dann auch öffentlich diskutiert werden. Nun hat der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion die Debatte um die Aufarbeitung rund um das Drohnendebakel noch einmal bereichert mit der Forderung nach einer Rüge für die ganze Bundesregierung wegen deren Informationspolitik. Und Thomas Oppermann begrüße ich jetzt am Telefon, guten Morgen!

    Thomas Oppermann: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Herr Oppermann, das ganze Kabinett soll mithaften für mögliche Fehler aus dem Verteidigungsministerium, die noch gar nicht mal hundertprozentig analysiert sind?

    Oppermann: Die Bundesregierung ist verpflichtet, Auskunft zu erteilen. Das gehört zu den vornehmsten Rechten des Parlamentes, Fragen an die Bundesregierung zu stellen. Wir haben 23 schriftliche Fragen zum Euro Hawk eingereicht, von denen ist bisher keine einzige beantwortet. Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sieht zwingend vor, dass schriftliche Fragen eines Abgeordneten innerhalb von einer Woche zu beantworten sind, und deshalb haben wir den Bundestagspräsidenten jetzt gebeten, die Bundesregierung zu rügen. So kann man mit dem Parlament nicht umgehen.

    Klein: Ist denn eine solche Rüge auch vorgesehen in der Geschäftsordnung?

    Oppermann: Eine solche Rüge ist nicht förmlich vorgesehen, aber der Bundestagspräsident hat die Rechte des Parlamentes zu verteidigen. Eine Bundesregierung, die Fragen des Parlamentes einfach ignoriert, missachtet ihre verfassungsrechtlichen Pflichten. Und so was dürfen wir in einer Demokratie nicht einreißen lassen. Herr de Maizière sagt einfach, die Sache ist zu kompliziert. Was ein unerhörter Vorgang ist, denn hier geht es um ein Projekt von einer halben Milliarde Euro! Es geht um die Anschaffung eines Flugzeuges, das ganz offenkundig nicht fliegen darf, und da haben die Steuerzahler zu Recht einen Anspruch darauf, dass grundlegende Fragen zu einem solchen Projekt auch binnen 24 oder 48 Stunden beantwortet werden können.

    Klein: Aber die andere Betrachtungsweise, Herr Oppermann, ist doch, dass man sagen könnte – und viele tun das ja auch –, dass sich das Verteidigungsministerium wirklich Zeit nimmt, das gründlich zu prüfen, eine gründliche Analyse vorzunehmen, bevor es eben vorschnell mit irgendwelchen ungeprüften Fakten an die Öffentlichkeit oder auch das Parlament tritt. Also, man kann das ja eigentlich auch begrüßen!

    Oppermann: Die Tatsache, dass der Minister jetzt Wochen braucht, um sich einen Überblick über ein solches Projekt zu verschaffen, sagt doch alles! Diese Informationen muss er eigentlich ständig parat haben, wenn er ein solches Beschaffungsprojekt auf den Weg bringt, dann braucht er ein Controlling-System, dann braucht er eine Prozesssteuerung, bei der er, wie gesagt, kurzfristig alle wichtigen Informationen abfragen kann. Bei einem solchen Projekt muss der Minister nicht alles selber wissen, aber er muss die Wissensträger in seinem Verantwortungsbereich so organisieren, dass sie ganz schnell die notwendigen Informationen bereitstellen können. Und die Tatsache, dass das nicht möglich ist, zeigt, dass wir hier eine unglaubliche Verantwortungslosigkeit haben. Dies ist eine Geldverschwendung ungekannten Ausmaßes in Deutschland und der zuständige Minister taucht erst mal ab, will auf Nummer sicher gehen, will erst mal die ganzen Löcher dicht machen, die möglicherweise da sind. So kann man mit der Sache nicht umgehen, vor allen Dingen kann man so mit dem Parlament nicht umgehen!

    Klein: Herr Oppermann, nun hat der FDP-Abgeordnete Jürgen Koppelin gestern, ich sage mal: gekontert, er ist im Haushaltsausschuss für den Verteidigungsetat zuständig und hat bekannt gegeben, dass das Ministerium umfangreiches Material dem Haushaltsausschuss zur Verfügung gestellt hat, so viel, dass man Stunden gebraucht habe, das auszudrucken, und sicherlich eine längere Zeit brauchen wird, um es überhaupt auszuwerten! Ist damit der Vorwurf der Nicht-Unterrichtung ausgeräumt?

    Oppermann: Damit wird der Vorwurf der Nicht-Unterrichtung untermauert. Denn ich kann natürlich auch durch Desinformation mich meiner Unterrichtungspflicht entziehen. Wir haben konkrete Fragen gestellt, auf die wollen wir konkrete Antworten. Herr de Maizière überschwemmt jetzt die Verteidigungspolitiker mit umfangreichen Akten, die sie in der kurzen Zeit gar nicht sichten können. Denn sie waren bisher über diese Dinge überhaupt nicht informiert, auch nicht eingebunden. Es ist aber Sache des Ministeriums, die eigenen Akten genau zu kennen, und deshalb müssen sie auch die Fragen beantworten. Und nur sie können die Fragen beantworten. Jetzt sozusagen Berge von Akten auf den Ausschuss niederprasseln zu lassen, das ist auch Ausdruck eines respektlosen Umganges mit dem Deutschen Bundestag.

    Klein: Der Sicherheitsexperte Walther Stützle, selbst ehemals in einem Ministerium der Verteidigung tätig, hat gestern Morgen hier um diese Zeit beklagt, auch die Haushaltspolitiker im Deutschen Bundestag müssen sich da an die eigene Nase fassen, denn sie würden nicht unbedingt immer ihrer Verantwortung nachkommen, wenn es um den Verteidigungsetat geht. Ziehen Sie sich den Schuh für Ihre Fraktion nicht an?

    Oppermann: Den Schuh ziehen wir uns nicht an. Wir stellen kritische Fragen im Haushaltsausschuss, wir haben hier die Fragen gestellt, die nicht beantwortet werden, und jetzt kann man nicht einfach den Spieß umdrehen und die Parlamentarier für eine dilettantisch organisierte Milliardenbeschaffung in Bezug des Bundesverteidigungsministers machen. Wir fordern doch gerade die parlamentarische Kontrolle ein und der Bundesverteidigungsminister entzieht sich dieser Kontrolle! Insofern: Das Motto "Haltet den Dieb", das funktioniert hier ganz sicher nicht!

    Klein: Aber uns ist auch nicht bekannt, dass Haushaltspolitiker der SPD das Thema selbst auf den Tisch gebracht hätten, weder jetzt, noch in der Zeit, als Sie selbst in der Regierung waren, Herr Oppermann!

    Oppermann: Nun braucht man natürlich auch Hinweise darauf, dass etwas nicht funktioniert. Diese Hinweise hatte Herr de Maizière, seit 2011 weiß er, dass es unglaublich schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist, für die Drohnen eine deutsche Zulassung überhaupt zu bekommen. Das heißt, er weiß seit zwei Jahren, dass dieses Flugzeug, diese Drohne wahrscheinlich nie fliegen darf! Da hätte er sofort die Pflicht gehabt, den Ausschuss darüber zu informieren, dann hat der Ausschuss wiederum die Möglichkeit, umfassend seine Kontrollbefugnisse wahrzunehmen. Aber der Ausschuss kann doch nicht wissen, was alles im Ministerium schief läuft, er kann doch nicht einfach abstrakt alles gleichzeitig prüfen in diesem Haus. Wir haben eine Gewaltenteilung und hier ist erst mal der Minister in der Verantwortung. Und dieser Verantwortung wird er nicht gerecht.

    Klein: Es sind ja auch in der Sache noch immer Fragen offen, es gibt viele Ungereimtheiten, zum Beispiel Aussagen aus den Unternehmen EADS und Northrob Grumman, es gäbe natürlich diese erforderlichen Systeme und es sei auch kein Problem, die einzubauen! Damit wäre doch eigentlich ein erheblicher Teil des sogenannten Debakels vom Tisch?

    Oppermann: Ganz im Gegenteil. Wenn jetzt die Industrie sagt, das sei alles mit vertretbaren Kosten zu reparieren, dann ist das sicherlich auch der Versuch, diesen Rüstungsauftrag noch zu retten. Aber wenn das richtig ist, was die Industrie da sagt, dann hätte de Maizière ja mit dem Stoppen des Auftrages in Panik gehandelt. In jedem Fall zeigt mir das, er hat den Überblick über diese Dinge verloren, wenn er ihn denn überhaupt je gehabt hat. Und ich habe noch nie eine so verworrene Lage bei einem solchen Projekt gesehen. Wie gesagt, es geht um eine halbe Milliarde Euro, das ist das Geld der Steuerzahler und hier wird herumdilettiert in einer Art und Weise, die in keiner Weise vertretbar ist. Und ich finde, die Empörung, die darüber herrscht, die kann gar nicht groß genug sein!

    Klein: Ist Ihnen eigentlich klar geworden, Herr Oppermann: Es befinden sich ja Drohnen bereits im Einsatz, also Flugzeuge der USA, auch solche, die die Bundeswehr bereits geleast hat, da geht es um unterschiedliche Aufgaben, das ist schon klar, aber die müssen auch alle irgendwie hoch- und wieder herunterkommen auf den Boden und Antikollisionssysteme haben. Passen die nicht in den Euro-Hawk oder gibt es da Unterschiede, die das einfach nicht als kompatibel erscheinen lassen? Wissen Sie das selbst?

    Oppermann: Das weiß ich selber nicht, diese Frage kann ich nicht beurteilen. Das müssen die Fachleute im Verteidigungsausschuss und im Ministerium klären. Jedenfalls ist für mich eines klar: Wenn Waffensysteme beschafft werden oder in diesem Fall Aufklärungsinstrumente beschafft werden, dann muss doch, bevor ich so umfangreiche finanzielle Verpflichtungen eingehe, umfassend geklärt werden, ob ich die Baupläne dieser Waffen kenne oder kennenlernen darf. Ob ich Einblick bekomme in die Konstruktion, damit sie gewartet werden können. Ob ich eine Zulassung bekomme, ob die überhaupt im europäischen Luftraum fliegen dürfen. Das muss ein verantwortliches Ministerium vorher klären und erst dann Verträge unterschreiben beziehungsweise Verträge kündigen, wenn sich herausstellt, dass solche Schwierigkeiten entstehen können. Das ist die Verantwortung, die ein Ministerium hat. Und dieser Verantwortung, sage ich noch einmal, ist es in keiner Weise gerecht geworden.

    Klein: Ich würde gern noch mal auf eine aktuelle Meldung schauen. Das ARD-Magazin Panorama hat darüber gestern berichtet, ebenso – ich habe es angedeutet – die "Süddeutsche Zeitung" heute: Die US-Luftwaffe steuert angeblich oder tatsächlich Drohnenangriffe in Somalia nach diesen Berichten über amerikanische Militärbasen in Deutschland. In einer Flugleitzentrale auf dem US-Stützpunkt in Rammstein würden Einsätze in Afrika geplant. Die Bundesregierung sagt, ihr sei das nicht bekannt. Ist es Ihnen bekannt?

    Oppermann: Mir ist es auch nicht bekannt. Ich habe das heute mit Sorge zur Kenntnis genommen. Die SPD lehnt gezielte Tötungen ab, sie sind nach deutschem Recht eindeutig illegal. Außerhalb von bewaffneten Konflikten ist es absolut untersagt, sich an gezielten Tötungen zu beteiligen. Und wenn ich sehe, dass auch der US-Präsident Obama angekündigt hat, die ausgeuferte Praxis der gezielten Tötungen durch bewaffnete Drohnen außerhalb von bewaffneten Konflikten wieder überprüfen und eindämmen zu wollen, dann müssen wir das sehr ernst nehmen. Die Bundesregierung muss aufklären, was in Rammstein passiert ist, ich werde sie bitten, dazu im parlamentarischen Kontrollgremium schnellstmöglich vorzutragen.

    Klein: Thomas Oppermann, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Oppermann!

    Oppermann: Ich danke auch, Frau Klein, schönen Tag noch!


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