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Rhetorische Debatte an der TU Berlin
Profs nach Anzahl ihrer Hörer bezahlen?

Vorlesung mit Tanzeinlage und Cliffhanger? Bislang gehören solche Mittel nicht zum Repertoire von Professoren. Das könnte sich ändern, wenn man ihr Gehalt nach Anzahl ihrer Hörer bemisst. Bei der ersten Professoren-Debatte in Berlin ging es genau um diese Frage.

Von Anja Nehls | 08.12.2017
    Studenten der Wirtschaftswissenschaften sitzen im Großen Hörsaal vom Auditorium maximum der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) in Halle (Sachsen-Anhalt) bei einer Vorlesung
    Der Professor könnte ja die Formel auch mal vorsingen, dann wäre der Saal voller und die Gehaltsabrechnung höher - so das diskutierte Modell (picture alliance / Waltraud Grubitzsch/dpa-Zentralbild/ZB)
    "Das Problem sind leere Hörsäle", sagt Studentin Christina Dexel. Und das Problem der leeren Hörsäle könne man ganz einfach lösen, indem man das Gehalt der Professoren davon abhängig macht, wie viele Studierende sie in ihre Vorlesungen locken, so das Thema der ersten Berliner Professorendebatte an der Technischen Universität Berlin.

    "Wichtig war uns hier, dass das relevant ist, für die Professoren und für die Studenten, dass man einen Bezug dazu hat und darum haben wir dieses Thema ausgewählt", erklärt Chemieingenieursstudent Nico Lachmann, Organisator und Mitglied der Berlin Debating Union, einem Debattierklub bestehend aus knapp 150 vorwiegend studentischen Mitgliedern aller Berliner Hochschulen. Drei studentische Redner streiten dafür, dass Professoren nach ihrer Höreranzahl bezahlt werden, drei Vertreter der Professorenschaft streiten dagegen.

    "Die Professoren machen freiwillig mit und die haben auch alle sofort ja gesagt, als ich die gefragt habe, was sehr gut ist, ich habe noch einige gefragt und die drei haben sofort gesagt ja."
    Helene Fischer ist nicht die Lösung
    Vielleicht auch, weil sie von ihrer Position völlig überzeugt sind. In knackigen Redebeiträgen, die auf genau sieben Minuten begrenzt sind, gilt es die eigenen Argumente vor etwa 100 studentischen Zuhörern möglichst überzeugend darzulegen. Die Vorlesungen einfach leicht verdaulich und unterhaltsam zu machen, um Studenten in die Hörsäle zu locken, könne nicht die Lösung sein, meint Vera Meyer, Professorin für Mikrobiologie und Genetik an der TU Berlin. Und wenn es nur darum gehe, einen Hörsaal voll zu bekommen, würde ihm schon etwas einfallen, meint ihr Kollege Matthias Kraume, Professor für Verfahrenstechnik.

    "Cliffhanger, man baut Cliffhanger ein, wissen Sie was der besten Cliffhanger ist: Beim nächsten Mal erkläre ich Ihnen, was in der Prüfung drankommt. Ein exzellenter Cliffhanger, aber das kann es doch nicht sein. Wir wollen auch keine Helene Fischer hier atemlos über die Bühne hetzen sehen, die ist schon im Olympiastadion ausgepfiffen worden, nein, wir müssen doch wirklich etwas Seriöses hier anbieten."
    Ganz genau, entgegnet Germanisikstudentin Lara Tarbuk, und weil es ums Verstehen ginge, seien auch qualitativ gute Vorlesungen voll und schlechte eben leer.

    "Frau Meyer fragt sich, was ist gute Lehre und sagt Unterhaltung. Ich glaube, sie unterschätzt Studierende. Ich weiß nicht, wenn ich mich unterhalten fühle möchte, mache ich Netflix an, dann gehe ich nicht in den Hörsaal. Ich möchte da was lernen, ich und jede andere Studentin auch, möchten Prüfungen bestehen, das heißt, der Grund in eine Vorlesung zu gehen ist, dass ich diesen Stoff auch verstehen möchte."
    "Wir wollen lernen, keine Unterhaltung"
    Es geht darum, Argumente aufzunehmen, zu widersprechen, dem Gegner mitunter scheinbar zuzustimmen und dann zum Gegenschlag auszuholen, erklären die studentischen Debattierer.

    "Wir machen nicht nur böse Tricks, sondern wir lernen auch insgesamt beim Debattieren, Argumente zu wiederlegen. Das Allerwichtigsten beim Widerlegen ist Hören und Zuhören, um zu verstehen."
    "Aber natürlich ist es für uns als Redner spaßig, wenn man das Publikum mitnehmen kann, wenn man auch ein paar Lacher kriegt und auch für den Zuschauer, wenn man dröge redet und langweilig ist, hört keiner mehr zu und man kann auch niemanden überzeugen."
    "Also es ist oft wichtig, eine Basis zu finden, wo widersprechen wir uns eigentlich nicht, worauf können wir uns beide einigen, beide Seiten und darauf dann aufbauend aber zu erklären, warum dann die Schlussfolgerung der anderen Seite falsch ist."
    Für eine hochwertige Lehre
    Und gerade diesen letzten Aspekt haben dann aber die Professoren in ihrer Schlussrede brillant umgesetzt. Denn eigentlich wollen wir doch alle dasselbe, meint Professor Matthias Kraume.

    "Ja meine Damen und Herren, wir haben hier eine interessante Debatte verfolgt und ich muss sagen, es ist eine Sternstunde in diesem alten ehrwürdigen Gebäude, weil, wenn Sie richtig hinschauen, sind wir durchaus hier geeint, wir ringen darum, qualitativ hochwertige, universitäre Lehre zu realisieren"
    Und das könne man nie und nimmer erreichen, wenn man die Lehrenden nach ihrer Höreranzahl bezahlt, so die Professoren. Und weil sie gute Argumente hatten und die auch noch eindrucksvoll vermitteln konnten, wurden sie vom Publikum zum Sieger dieser Debatte erklärt. Vielleicht gibt es aber auch andere Gründe, mutmaßen die Verlierer.

    "Weil die Studierenden natürlich Angst hatten, gegen ihre Professoren zu stimmen. Ich glaube, wir hatten in diesem Fall aber auch drei Professorinnen und Professoren, die sehr engagiert waren und motiviert, das hat man gemerkt und ich denke, die drei Reden waren auch wirklich sehr gut, da waren wir beeindruckt von, auf jeden Fall."
    Die Professoren nach der Anzahl ihrer Hörer zu bezahlen, um die Hörsäle voll zu bekommen, hat übrigens niemand wirklich vor - aber vielleicht kann man darüber ja nochmal debattieren.