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Sondierungsergebnis auf dem Prüfstand
Das Ringen der SPD

Weiterverhandeln oder platzen lassen? Rund 600 SPD-Delegierte stimmen am Sonntag beim Parteitag in Bonn darüber ab, ob die Sozialdemokraten Koalitionsverhandlungen mit der Union aufnehmen werden. Sollten sie den Daumen senken, dürfte auch der Rücktritt von Parteichef Martin Schulz unausweichlich sein.

Von Frank Capellan, Moritz Küpper und Christoph Richter | 18.01.2018
    Martin Schulz vor einem Logo der SPD
    Koalitionsverhandlungen oder nicht - wie wird es nach dem Parteitag der SPD weitergehen? (dpa)
    Es hat etwas von Stadionatmosphäre, als Martin Schulz, der einst ja Fußball-Profi werden wollte, Anfang der Woche zur Vorbesprechung mit den Delegierten aus dem Rheinland in einem Düsseldorfer Hotel eintrifft.
    Die Jusos in Nordrhein-Westfalen, der partei-eigene Nachwuchs also, empfangen ihren Parteivorsitzenden mit Trommeln und "No GroKo"-Plakaten. Lautstarker Widerstand im wichtigsten, weil mitgliederstärksten Landesverband der SPD – doch Martin Schulz kämpft.
    "Die Kritiker und die Befürworter der Großen Koalition halten sich in den Wortmeldungen die Waage. Wie das dann am Ende aussieht, bei der Abstimmung, ist schwer einzuschätzen. Aber das ist in Westfalen nicht anders als im Rheinland. Das ist ja auch für uns alle eine sehr intensive und zum Teil auch emotionale Debatte."
    Die der Parteichef die ganze Woche über mit der sozialdemokratischen Basis an den verschiedenen Orten in Deutschland führt. In Düsseldorf, aber auch in Dortmund, der sogenannten Herzkammer der Sozialdemokratie. Hier begann 1965 der Bundestagswahlkampf, den die SPD nach amerikanischem Vorbild organisierte. Tausende Parteimitglieder kamen damals nach Dortmund, um Willy Brandt zu hören. In der legendären Westfalenhalle fand auch der Bundesparteitag kurz vor der Wahl 1972 statt, die die SPD mit - aus heutiger Sicht traumhaften - 45,8 Prozent der Stimmen gewann. Die großen Zeiten der Sozialdemokratie – davon ist in Dortmund nichts mehr zu spüren, wenige Tage vor dem Sonderparteitag in Bonn. Am Sonntag entscheiden rund 600 Delegierte darüber, ob ihnen das 28-seitige Sondierungspapier genügt, um mit CDU und CSU in Koalitionsverhandlungen einzutreten.

    "Nach dem Sondierungspapier, das hat mich nicht überzeugt. Es fehlen auch die sozialdemokratischen Leuchtturmprojekte, die ich mir auch gerne erhofft hätte."
    "Nach den Ankündigen jetzt der Union, sieht es ein bisschen schlechter aus, weil wenn keine Nachverhandlungen, also keine Konkretisierung, etc. möglich sind, ja dann müssen sie dann mit einem entsprechendem Ergebnis rechnen."
    "Und das nächste ist, dass dieses Papier aus meiner Sicht nicht ausreichend Inhalte bietet, die einen Politikwechsel herbeiführen könnten, den der Bürger wollte. Und man wollte, glaube ich, kein Weiter-So. Dieses Papier ist aber im weitesten Sinne ein Weiter-So."
    Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz kommt am 15.01.2018 in Dortmund in den Sitzungssaal.
    Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz am 15. Januar 2018 in Dortmund (picture alliance / dpa / Marcel Kusch)
    Fehlende sozialdemokratische Inhalte im Sondierungspapier, das Misstrauen gegenüber der CDU, vor allem der CSU, aber auch der Umstand, der AfD nicht die Rolle als größte Oppositionspartei im Bundestag überlassen zu wollen – das sind die Argumente, die die Gegner einer Großen Koalition immer wieder nennen. Und es braucht schon sportlichen Ehrgeiz, um an diesem Abend einen Befürworter ausfindig zu machen:
    "Das ist eine Menge für Arbeitnehmer drin. Das wäre mit Jamaika nicht durchsetzbar gewesen und das wird die SPD in der Opposition nicht umsetzen können, sondern nur in der Regierung, und deshalb finde ich, muss man sich damit auseinandersetzen."
    Gut dreieinhalb Stunden bleibt Schulz bei der Basis in Dortmund, diskutiert intensiv – und sagt anschließend:
    "Sehr, sehr offener und wie ich finde sehr konstruktiver Meinungsaustausch. Wir haben viel erläutern können. Waren viele Nachfragen, die Delegierten haben sich das sehr intensiv zu eigen gemacht. Und ich hatte den Eindruck, dass wir eine ganze Menge Nachdenklichkeit hier ausgelöst haben."
    Groschek: "Das Prinzip Hände an die Hosennaht gibt es bei uns nicht"
    Viel Nachdenklichkeit also. Doch wird das reichen? Die insgesamt 144 Delegierten aus Nordrhein-Westfalen sind die mit Abstand größte Gruppe auf dem Parteitag in Bonn, stellen fast ein Viertel der Delegierten. Diesen 144 Frauen und Männern ist freigestellt, wie sie am Sonntag abstimmen wollen. Delegierte anderer Landesverbände – beispielsweise aus Thüringen oder Hamburg – sind dagegen an das Votum ihrer Parteitage gebunden, die bereits über das Sondierungsergebnis abgestimmt haben. Thüringen ist mit sieben Delegierten dagegen, Hamburg mit 15 dafür. Der SPD-Landeschef Michael Groschek nennt das Vorgehen in seinem Landesverband Nordrhein-Westfalen in unzähligen Interviews: Basis statt Basta.
    "Wir werden auch niemanden unter den Hammer legen, das Prinzip Hände an die Hosennaht gibt es bei uns nicht. Deshalb behandeln wir die Delegierten wie mündige Bürgerinnen und Bürger und freuen uns über kritische Diskussion. Natürlich werben wir für ein Ja, aber wir werben überzeugend und nicht überredend."
    Der 61-Jährige aus Oberhausen hat im Bundestagswahlkampf die Große Koalition noch vehement abgelehnt, sondierte vergangene Woche in Berlin dann mit – und ist nun ein Befürworter. Man habe zwar keinen Siegerpokal - wie vor vier Jahren den Mindestlohn - mit nach Hause bringen können, sagt Groschek, aber ganz viele Medaillen. Gerade für NRW seien das – neben den großen Themen Rente oder Parität bei der Krankenversicherung – eben Milliarden Euro für den Sozialen Arbeitsmarkt oder die Entlastung von Ländern und Kommunen bei den Flüchtlingskosten. Eine Prognose für den Sonntag gibt Groschek jedoch nicht:
    "Nein, wir spielen ja nicht Lotto-Toto, sondern wir diskutieren. Diskutieren auch noch auf dem Parteitag am Sonntag. Und dann muss jeder Delegierte wissen: Mitbestimmen heißt auch Mitverantworten. Und da bin ich gelassen."
    Doch innerhalb der eigenen Familie reichten seine Argumente schon mal nicht. Denn auch Jesco Groschek, der 27-jährige Sohn des SPD-Landesvorsitzenden, demonstrierte in Düsseldorf mit den Jusos gegen eine Große Koalition:
    "Mich persönlich stört, dass wir weder den großen Wurf gelandet haben - mit der sozialen Frage betrachtet - noch erhebliche Verbesserungen rausbekommen haben. Da wird zwar auf den Delegierten-Versammlungen drüber gesprochen, auch in der Presse drüber gesprochen, aber für mich fehlen da die Verbesserungen."
    Martin Schulz sieht das anders. Vergangenen Freitag – nach einem 26-stündigen Verhandlungsmarathon – tritt er mit den Vorsitzenden von CDU und CSU, Angela Merkel und Horst Seehofer, vor die Presse und spricht von Erneuerung. Der SPD-Chef zeigt sich mit dem Sondierungsergebnis zufrieden.

    "Wir haben als sozialdemokratische Partei einstimmig in der Sondierungsrunde entschieden, dem Parteitag der SPD zu empfehlen, der Parteiführung ein Mandat zu geben, Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer Bundesregierung aufzunehmen."
    Horst Seehofer (CSU), Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) informieren die Medien über die Ergebnisse der Sondierungsgespräche.
    Horst Seehofer (CSU), Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) informieren die Medien über die Ergebnisse der Sondierungsgespräche. (Imago)
    Seehofer: "Es gibt viele Beschlüsse, die den Aufbruch untermauern"
    Dabei war Martin Schulz schon früh klar, die ganz große Trophäe, die er bräuchte, um - wenn schon nicht die Jusos- dann aber doch wenigstens ein paar andere Skeptiker zu überzeugen, diesen Skalp – wie es formuliert wurde - würde er in den Sondierungen nicht bekommen. Und doch müht er sich seit Tagen, die sozialdemokratischen Kernpunkte offensiv und selbstbewusst zu verkaufen. Am Ende der langen Sondierungsnacht aber ist es ausgerechnet Horst Seehofer, der die SPD-Themenliste präsentiert. Auch so können die alten Genossen-Ängste geschürt werden, in einer Regierungskoalition mit der Union schon wieder unter die Räder zu kommen.
    "Es gibt so viele Beschlüsse, die diesen Aufbruch untermauern, dass man geradezu Schwierigkeiten hat, sich das selbst zu merken. Aber dass die Bundesrepublik Deutschland mit dieser Großen Koalition eine Grundrente einführt, dass wir ein umfassendes Pflegepaket zimmern, dass wir das Rentenniveau bis 2025 festschreiben - das ist ein Aufbruch. Oder der Rechtsanspruch in der Grundschule, Betreuung für unsere Kinder, das ist Aufbruch!"
    Viele Sozialdemokraten können diesen von Seehofer beschriebenen Aufbruch jedoch nicht erkennen: Dass das Rentenniveau in den nächsten sechs Jahren stabil bei 48 Prozent des Nettolohnes bleiben soll, war ohnehin beschlossene Sache, argumentieren sie. Entscheidend sei, was danach kommt.
    Dass es ein Rückkehr-Recht von Teilzeit- auf Vollzeit geben wird, auch das preist die Parteispitze als SPD-Erfolg. Das stand aber schon im letzten Koalitionsvertrag.
    Vor allem aber vermissen viele Genossen mehr Steuergerechtigkeit, doch ein Spitzensteuersatz von 45 oder 48 Prozent für Super-Reiche war mit der Union nicht zu machen. Fraktionschefin Andrea Nahles verweist auf den Wegfall des Solidaritätszuschlages:
    "Wir machen eine steuerliche Entlastung bei den kleinen und mittleren Einkommen beim Soli, wirklich in lupenreinster sozialdemokratischer Form. 90 Prozent der Menschen in Deutschland werden den Soli nicht mehr zahlen müssen. Die zehn Prozent Spitzenzahler werden in dieser Legislaturperiode nicht entlastet, das ist steuerpolitisch ein klares Signal und erwischt zum Glück, was die Entlastung angeht, die Richtigen!"
    Aber bei der Belastung die Falschen? Auch bei diesem Thema gießen die parteiinternen Kritiker Wasser in den Wein. Wenn der Soli ab einem Jahreseinkommen von 60.000 Euro voll zu zahlen ist, heißt es, treffen wir auch den Facharbeiter, der doch eigentlich SPD wählen soll.
    Schließlich suchen die Groko-Gegner im Sondierungspapier vergebens nach den "Leuchtturmprojekten" einer Neuauflage der GroKo. In der Europapolitik bleibt Schulz´ Antwort auf den französischen Präsidenten Macron sehr vage. Und vom Lieblingsthema vieler linker Genossen – der Bürgerversicherung – war in den Sondierungen niemals die Rede. Eigentlich zu Recht, meint Ministerpräsident Stephan Weil, in Niedersachsen Chef einer Koalition mit der Union.
    Weil: "Bürgerversicherung kein einziges Mal angesprochen"
    "Ich kann nur darauf aufmerksam machen, dass das Thema Bürgerversicherung auf unseren Wahlplakaten keine hervorragende Rolle gespielt hat. Ich habe im Herbst eine Unzahl von Bürgerversammlungen gehabt, und da ist kein einziges Mal das Thema Bürgerversicherung angesprochen worden."
    Wird das Thema innerhalb der SPD also überhöht, um die Koalition mit der Union zu verhindern? Könnte man nicht wenigstens über eine Angleichung der Arzthonorare die Auswüchse der Zwei-Klassen-Medizin angehen?
    "Wir müssen in intensive Gespräche gehen, die Details müssen besprochen werden. Und natürlich müssen wir auch Themen, die uns besonders wichtig, dort noch mal ansprechen können."
    Betont Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Sie war in der SPD die prominenteste Befürworterin einer Minderheitsregierung und wirbt jetzt für Koalitionsverhandlungen. Ihrem Auftritt könnte am Sonntag großes Gewicht zukommen.
    Ein großes Hindernis aber bleibt: Das tiefsitzende Misstrauen der Sozialdemokraten der CSU gegenüber.
    Freitag, 5 Uhr früh. Die Sondierungen stehen kurz vor dem Abschluss. Da twittert der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner - im SPD-Sondierungsteam für die Flüchtlingspolitik zuständig - einen musikalischen Morgengruß nach Bayern: "Halbstark – von den Toten Hosen".
    Da ist klar, dass sich die Tonlage in den Stunden zuvor verschärft hat. Die CSU kämpft mit harten Bandagen – so war Stegners Anspielung zu verstehen. Generalsekretär Andreas Scheuer soll sogar gegen den Willen der SPD einen Satz ins Papier geschmuggelt haben, der es Flüchtlingen verbieten würde, Aufnahmeeinrichtungen zu verlassen und finanzielle Unterstützung vom Staat zu erhalten. Von einer Intrige ist die Rede, und erst nach großer Verwirrung wird diese Forderung der CSU wieder aus dem Papier gestrichen. Doch an der SPD-Basis bleibt man skeptisch. Skeptisch auch dem eigenen Führungspersonal gegenüber. Das zeigt ein Streit zwischen Stegner und Thomas Kutschaty, der Parteitagsdelegierter aus Nordrhein-Westfalen ist. Er fragt sich, ob sich die SPD nicht vielleicht doch eine Flüchtlingsobergrenze aufdrücken ließ.
    "… also insofern ist das Kapitel zwar mit ein bisschen CSU-Rhetorik durchsetzt in dem Teil, aber inhaltlich haben wir bei der Humanität Dinge verbessert gegenüber dem Ist-Zustand und dem was Jamaika wollte. Darauf lege ich großen Wert, denn ich habe das Kapitel selbst verhandelt! – Ralf, da muss ich dir widersprechen, ich darf da wörtlich raus zitieren, da steht drin: ´Wir stellen fest, dass die Zuwanderungszahlen inklusive Kriegsflüchtlinge die Spanne von 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden, was soll das denn sein, wenn keine Obergrenze?"
    Was zeigt, dass die SPD an einigen Stellen nachverhandeln will und muss – vorausgesetzt der Sonderparteitag macht den Weg für Koalitionsgespräche frei. Die potenziellen Regierungspartner aber wollen solche Forderungen nicht hören. CDU-Chefin Angela Merkel:
    "Die Eckpunkte dieses Papiers können nicht neu verhandelt werden, das ist ja ganz klar!"
    Ein Satz, mit dem Martin Schulz am Sonntag sicherlich häufig konfrontiert wird. Wie ihm auch folgendes Versprechen vorgehalten werden kann.
    "Mit dem heutigen Abend endet zugleich unsere Zusammenarbeit mit der CDU/CSU in der Großen Koalition!"
    Jamaika platzt - Schulz hält am Oppositionskurs fest
    Es ist der Abend der Bundestagswahl, die Sozialdemokraten müssen mit einem Ergebnis von 20,5 Prozent der Stimmen gerade eine historische Klatsche wegstecken, aber der Jubel im Willy-Brandt-Haus ist so groß, als hätte man gerade die absolute Mehrheit geholt. Nie mehr mit Merkel – eine Last scheint von der SPD abzufallen…
    "Wir werden nicht in eine Große Koalition eintreten, und gleichzeitig ist unsere Position so, dass wir Neuwahlen für den richtigen Weg halten!"
    Martin Schulz bleibt standhaft, so macht es wochenlang den Anschein. Selbst als Jamaika überraschend platzt, hält er an seinem Oppositionskurs fest. Der SPD-Chef hat das Gefühl, andernfalls jegliche Glaubwürdigkeit zu verlieren. Als er an jenem denkwürdigen Montag im vergangenen November über Neuwahlen spricht, hat der Bundespräsident noch kein Wort darüber verloren, wie es mit der Regierungsbildung nun weitergehen könnte. Dabei liegt es laut Grundgesetz in Händen seines alten Parteifreundes Frank-Walter Steinmeier, ob es überhaupt zu Neuwahlen kommen kann und soll. Schulz scheint das gleichgültig zu sein. Bis Steinmeier ihn zum Gespräch ins Schloss Bellevue bittet und ins Gebet nimmt. Danach hat Martin Schulz eine 180-Grad-Wende hinlegen müssen, die es in sich hat…
    "Keine Option ist vom Tisch!"
    Ergebnisoffen - lautet kurz vor Weihnachten noch die Botschaft. Groko oder Koko, echtes Bündnis oder Kooperationskoalition mit wechselnden Mehrheiten - die Minderheitsregierung im strengen Sinne - oder eben doch Neuwahlen – alles sei möglich, betont Schulz ein ums andere Mal.
    Ein Gast der Wahlparty der SPD hält am 24. September 2017 ein Schild mit der Aufschrift "No more Groko".
    Ein Gast der Wahlparty der SPD hält am 24. September 2017 ein Schild mit der Aufschrift "No more Groko". (dpa / picture alliance / Christian Charisius)
    Dabei ist auch Fakt: Für Neuwahlen ist die Partei nicht aufgestellt, mit ihm als Spitzenkandidaten würde – so sagen es Umfragen voraus – ein weiterer Absturz drohen. Und eine Minderheitsregierung der Union bedeutet nicht automatisch, dass sozialdemokratische Inhalte durchgesetzt werden können, denn CDU und CSU könnten sich im Bundestag auch anderer Parteien bedienen.
    Trotzdem – für die Jusos ist Martin Schulz zum Umfaller geworden. Und der 28-jährige, redegewandte neue Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert sitzt seinem Vorsitzenden mit der "No GroKo"-Kampagne im Nacken.
    "Aus Hasenfüßigkeit immer wieder in die Große Koalition zu gehen, weil man glaubt alles andere sei noch schlimmer, das verzwergt wirklich die SPD auf Dauer. Und deswegen bin ich dafür, diesen Teufelskreis jetzt einmal zu durchbrechen, die Schmerzen die damit verbunden sind in Kauf zu nehmen und endlich den Blick zu weiten, für eine Neuausrichtung dieser Partei."
    Eine Stimmung, die sich am vergangenen Wochenende auch auf dem Parteitag der SPD Sachsen-Anhalt wiederspiegelte. Die Landespartei hat sich bundesweit als erste gegen das Sondierungsergebnis gestellt. Sechs Delegierte reisen nach Bonn. Und der Streit um die Große Koalition auf Bundesebene legt auch im SPD-Landesverband den Riss zwischen den Generationen offen. Es sind die jungen Mitglieder – wie die 32-jährige Julia Brandt aus Magdeburg – die gegen die eigene Parteispitze opponieren.
    "Es bedeutet nicht, dass es das Ende der Demokratie ist, wenn es keine große Koalition gibt. Es bedeutete ja auch nicht das Ende der Demokratie, dass es keine Jamaika-Koalition gab."
    Lang hat sich die Partei als Dienstleister des Staates gesehen
    Dabei war die ostdeutsche SPD - insbesondere die in Sachsen-Anhalt - nach ihrer Neugründung vom Pragmatismus geprägt. 28 Jahre lang hat sich die Partei quasi als Dienstleister des Staates gesehen. Ein Verständnis, mit dem man nach 1990 die demokratischen Strukturen mit aufgebaut hat - ohne Grundsatzdebatten. Der Pragmatismus ging so weit, dass man in Sachsen-Anhalt sogar mit dem so genannten Magdeburger Modell in eine Minderheitsregierung ging und sich von der PDS tolerieren ließ. Es gehe in der Politik um die Suche nach realistischen Lösungen – über Parteigrenzen hinweg. Sagt der aus Quedlinburg stammende Eberhard Brecht. Er reist als Delegierter zum Sonderparteitag und wird – gegen den Willen seiner Parteifreunde daheim - für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen stimmen. Weil er….
    … eine ganz große Sorge habe, dass eine Instabilität in Deutschland, die extremen Ränder beflügeln könnte. Ich denke, wir haben jetzt auch in den neuen Bundesländern jetzt auch eine Generation, die nachgewachsen ist, die auch nicht mehr so stark die christliche Bindung hat, wie wir sie in der Gründungsgeneration hatten. Die auch natürlich wesentlich ungebundener ist, was geschichtliche Erfahrung angeht, ist. Die auch keine lebendige Erfahrung mehr an DDR-Diktatur haben. Und das ist daher auch ein anderer Denkansatz, den die jungen Leute haben."
    Weiterverhandeln oder platzen lassen, Neuauflage der Großen Koalition, Minderheitsregierung oder vielleicht sogar Neuwahlen – rund 600 SPD-Delegierte haben es am Sonntag in der Hand. Beobachter rechnen mit einem sehr knappen Abstimmungsergebnis. Wenn sie in Bonn den Daumen senken, dürfte auch der Rücktritt von Martin Schulz unausweichlich sein. Geben sie den Weg für Koalitionsgespräche frei, steht am Ende immer noch das Votum der 440.000 Mitglieder über den Koalitionsvertrag an. Manuela Schwesig, die stellvertretende Vorsitzende, warnt aber davor, Druck auf die Basis auszuüben.
    "Ich will solche Fragen ungern diskutieren, weil es dann so wirkt, als ob man auch Druck auf die Basis macht, das ist das, was die Basis überhaupt nicht vertragen und auch nicht gebrauchen kann."
    Kevin Kühnert bedankt sich am 24.11.2017 beim Juso-Bundskongress im E-Werk in Saarbrücken für seine Wahl zum Juso-Bundesvorsitzenden.
    Der Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert am 24. November 2017 kurz nach seiner Wahl in Saarbrücken (dpa / Oliver Dietze)