Mittwoch, 17. April 2024

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SPD nach Sondierungsgesprächen
"Verantwortung ist wichtiger als Verweigerung"

Nach den Sondierungsgesprächen mit der Union habe die SPD nun die Schwierigkeit, ihre Basis davon zu überzeugen, dass Verantwortung wichtiger sei als Verweigerung, sagte Politologe Heinrich Oberreuter im Dlf. Um ihre Zukunft zu sichern, könne die Partei nicht "ideologisch an bestimmten kleinteiligeren Positionen" festhalten.

Heinrich Oberreuter im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 13.01.2018
    Der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz (r) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geben sich am 12.01.2018 im Willy-Brandt-Haus in Berlin nach einer Pressekonferenz die Hand.
    Nach den Sondierungen: Die SPD scheint zwischen CDU und CSU unterzugehen (dpa-Bildfunk / Maurizio Gambarini)
    Tobias Armbrüster: Am Telefon ist jetzt Heinrich Oberreuter, Politikwissenschaftler der Universität Passau. Schönen guten Tag, Herr Oberreuter!
    Heinrich Oberreuter: Guten Tag, guten Morgen!
    Armbrüster: Herr Oberreuter, das klingt alles nicht so besonders gut für die sozialdemokratische Partei. Kann man das jetzt schon sagen, die SPD ist der eigentliche Verlierer dieser Sondierung?
    Oberreuter: Das kann man so darstellen, aber ob sie das wirklich ist, ist natürlich eine Frage, die vertiefter Beantwortung bedarf. Es gibt ja doch im sozialen Bereich sehr viele Verbesserungen für die spezielle Kundschaft SPD, es gibt im Bereich der Gestaltung der Bildungspolitik das eine oder andere, es gibt diese große Verbeugung vor Europa und damit auch vor Martin Schulz. Also man kann in dieser Einigung schon einiges finden, was der SPD sehr entgegenkommt. Wer eine Koalition bildet, muss immer wissen, dass er seine klare, eindeutige Linie nicht durchsetzen kann, und wer ein mäßiges Wahlergebnis erzielt, muss das zweimal wissen, und insofern, glaube ich, muss man eine viel komplexere Diskussion führen als eine für ein klares Ja oder ein klares Nein, was die Inhalte betrifft. Klares Ja oder klares Nein kann sich nur beziehen auf Verantwortung wahrnehmen oder Verantwortung flüchten.
    Eine herausfordernde Dimension
    Armbrüster: Aber diese sozialen Punkte, die Sie da angesprochen haben, sind die nicht eher klein und mickrig im Vergleich zu dem, was die CDU und vor allen Dingen die CSU da rausgehandelt hat. Jetzt hier mal Stichwort Obergrenze: seit Monaten, fast seit Jahren wird darüber gestritten, jetzt hat es die Union reingeschrieben in dieses Papier. Einen solchen Erfolg hat die SPD ja nicht verbucht.
    Oberreuter: Na ja, klein und mickrig, ich meine, wir bewegen uns in einem Sozialstaat, der über Jahrzehnte ausgebaut worden ist in Dimensionen, die nicht ganz einzigartig sind, aber doch weltweit ihres gleichen suchen, und wenn man da dann anfängt, Ergänzungen oder Vervollkommnungen einzuführen, dann wirkt das relativ bescheiden. Das ist schon wahr, aber man hat ja auch Gleichstellungsprobleme darin angegangen in dem Papier, man hat auch soziale Gerechtigkeitsprobleme der lastentragenden älteren Generation angesprochen. Das ist alles nicht wenig, zumal man sich jahrzehntelag ja nicht hat durchreißen können, diese Probleme zu lösen. Die Flüchtlingsfrage ist eine neue und eine herausfordernde Dimension, die uns in diesem Umfang zum ersten Mal begegnet, und insofern ist das, was da verabschiedet wird, in der Tat dramatischer, aber es ist ja fast so dramatisch wie die frühere Formulierung der Einführung einer sozialen Marktwirtschaft, nur um den historischen Vergleich heranzuziehen. Also das kann man so darstellen, und natürlich werden Interessenträger in der SPD das so darstellen und in der CSU übrigens sicher auch, nur mit umgekehrten Vorzeichen, aber ich halte die Vergleichbarkeit der Materien in ihrer historischen Gewichtung nicht für so krude gegeben, wie das vielleicht dargestellt wird.
    Armbrüster: Kann denn die SPD mit dem, was sie da rausgeholt hat, kann sie damit wirklich bei ihren Mitgliedern, bei ihren Wählern punkten?
    Oberreuter: Das wird sich beweisen. Ich bin kein Prophet. Interessant wird sein, dass alle Verantwortungsträger in der SPD, denke ich, sich für diesen Kompromiss einsetzen werden oder die wesentlichen zumindest.
    Eine Überraschung?
    Armbrüster: Ist das denn wirklich überraschend?
    Oberreuter: Von den Vorgaben her ist es überraschend, vom Verhandlungsprozess her und von der Einsicht, dass es dem Gemeinwohl dient, Verantwortung wahrzunehmen, und das Grundgesetz eigentlich nicht verlangt, in schwierigen Situationen Parteiprofile zu schaffen, sondern das Land soll stabil sein, und Parteien sollen nicht nur ihre Klientel im Auge halten, sondern das Gemeinwohl, um mich etwas geschwollen auszudrücken. In der Situation befindet sich die SPD gerade.
    Armbrüster: Meinen Sie denn, für die – entschuldigen Sie, Herr Oberreuter, wenn ich Sie da unterbreche –, aber meinen Sie, für die SPD war jemals die Minderheitsregierung eine echte Option?
    Oberreuter: Also eigentlich müssen Sie das die SPD fragen. Ich meine, ich halte die Minderheitsregierung für eine Ausflucht, die natürlich von der SPD im Wesentlichen angetreten worden ist, weil sie ja am Anfang sich strikt auf die Position zurückgezogen hat, wir verweigern das Mitregieren, wir wollen in der Opposition uns schärfen. Also hat sie allerlei – diese Kompromisskoalition, ist ja auch noch zu erwähnen –, allerlei Instrumente entwickelt, wie sie bei dieser Verweigerungshaltung bleiben kann und ist dann eigentlich durch Jamaika-Scheitern dazu genötigt worden, ihre Position neu zu bedenken, aber sie hat jetzt die Schwierigkeiten, nachdem sie ein viertel Jahr lang sozusagen die Weichen anders gestellt hatte, ihre Basis davon zu überzeugen, dass Verantwortung wichtiger ist als Verweigerung und dass man dann inhaltlich Kompromisse machen muss. Auch die SPD steht vor der Frage, ihre Zukunft zu sichern, und das wird sie nicht alleine dadurch tun, dass sie quasi ideologisch an bestimmten kleinteiligeren Positionen festhält. Ich glaube, der Erfolg einer Regierung wird immer auch eigentlich den Regierungspartnern zugutekommen, und wenn dieser Erfolg der SPD in Großen Koalitionen nicht sich so auszahlt, wie sie es gerne erwartet, dann muss sie sich Fragen stellen, wie sie denn ihre Regierungsarbeit öffentlich kundgetan hat und ob sie nicht die eine oder andere Position bezogen hat, die im Volk nicht populär war, oder wenn ich mich an die Geschichte erinnern darf: Wer in einer Großen Koalition vier Parteivorsitzende verschleißt, muss sich im Nachhinein nicht wundern, wenn er bei der nächsten Wahl die Quittung erhält.
    Armbrüster: Ja. Lass ich mal so stehen. Lassen Sie uns noch kurz auf die Union blicken, CDU und CSU. Können die sich jetzt erst mal zurücklehnen?
    Oberreuter: Ich habe den Eindruck, so wie sie aufgetreten sind und wie auch Entscheidungen schnell herbeigeführt werden, obwohl auch die CDU, wie man hört, darüber nachdenkt, einen Sonderparteitag einzurichten, aber die Union kann mit diesen Ergebnissen leben. Sie hat die Bürgerversicherung vom Tablett geschoben, und sie hat mit Sicherheit im militärpolitischen Bereich, Rüstungsbereich, das eine oder andere kleine Opfer gebracht, das ist aber nicht so bemerkenswert, denke ich, wie andere thematische Dimensionen, die man dann eher bei der SPD vermissen wird.
    Diskussion innerhalb der Partei fördern
    Armbrüster: Und ab wann wird in der Union geredet über eine Nachfolgeregelung für Angela Merkel?
    Oberreuter: Also die Union ist weit weg von revolutionären Talenten, aber auf der anderen Seite hat man doch in den letzten Monaten gemerkt, dass Angela Merkel nicht ohne Grund in eine umstrittenere Position geraten ist. Ihre nicht gerade sehr ausgeprägte Fähigkeit, für politische programmatische Positionen zu stehen, sie zu erklären, sie auch in gewisser Weise populär zu machen – Kaube hat in der "FAZ" mal geschrieben, die Kanzlerin hat geredet, aber was hat sie gesagt –, also diese Problematik und auch die Tatsache, dass sie innerparteilich unterstützt vom Fraktionsvorsitzenden doch relativ stringent führt und den innerparteilichen Pluralismus nicht so zum erblühen bringt, wie man das eigentlich gerne hätte in einem parlamentarischen System, das sind alles Attitüden, die in dieser Amtszeit, die wohl ihre letzte sein wird, und nach einem eigentlich verheerenden Wahlergebnis, und sie hat nie so tolle Wahlergebnisse eingefahren, das wird die Diskussion innerhalb der Partei fördern, Nachfolger zu suchen. Ich weiß auch nicht, ob diese Koalition vier Jahre durchhält. Auch darüber muss man mal nachdenken angesichts der innerparteilichen Diskussion in der SPD, und wenn es dazu kommt, zu einer Koalitionsinstabilität, dann, glaube ich, sind auch die Tage von Angela Merkel ganz automatisch gezählt.
    Armbrüster: Sagt hier bei uns im Deutschlandfunk der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter. Vielen Dank für Ihre Zeit an diesem Samstagmittag!
    Oberreuter: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.