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Sozialerhebung des Studentenwerks
Das Dilemma mit dem Bafög

Die finanzielle Situation der Studierenden in Deutschland hat sich verbessert - laut Statistik. Das ist das Ergebnis der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks. Anzeichen dafür kann der grüne Bundestags-Abgeordnete Kai Gehring jedoch nicht erkennen. Zudem würden zu wenige Studenten gefördert.

Von Peter Sawicki | 27.06.2017
    Studenten an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen verfolgen eine Vorlesung im Fach Maschinenbau.
    Die finanzielle Situation der Studenten in Deutschland hat sich laut Statistik verbessert, aber die soziale Lage bleibt angespannt. (picture-alliance / dpa / Oliver Berg)
    Mehr als 60.000 haben sich bundesweit an der 21. Sozialerhebung des Deutsche Studentenwerks beteiligt. Eine Rekordzahl. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka freut sich über das Interesse an der Erhebung: "Und das liegt natürlich auch daran, dass man online was gemacht hat. Wo Studenten natürlich auch eher Zeit haben und sich beteiligen."
    Daraus hebt Johanna Wanka vier Ergebnisse besonders hervor: "Einmal ist der Wunsch der Studierenden nach mehr Praxisbezug - hatten wir vor Jahren nicht so. Dann zweitens der Bedarf an flexibleren Studienformen. Drittens der Wunsch nach Verbesserung der wirtschaftlichen Situation. Und viertens, ein Punkt, der uns oft beschäftigt, die steigenden Mietkosten."
    Immer mehr Studenten jobben
    Mit den ersten beiden Punkten verbindet sie einen Appell an die Hochschulen in Deutschland. Die Gruppe der Studierenden als solche sei heterogener geworden. Auf die Bedürfnisse müssten die Hochschulen entsprechend reagieren. So sei zum Beispiel der Anteil der Studierenden mit Kind auf sechs Prozent angewachsen.
    Und beim Thema Jobben neben dem Studium zeigt sich: "Hier ist der Anteil gestiegen. Wir haben jetzt 68 Prozent. Und dadurch, und auch durch höhere Zuwendungen der Eltern hat sich die finanzielle Situation der Studierenden seit 2012 verbessert. Sie haben 918 Euro monatlich im Schnitt. Das waren damals, 2012, im Schnitt 842 Euro."
    "Es braucht eine Bafög-Reform mit Biss"
    Verbesserungen bei der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden kann der Grünenabgeordnete Kai Gehring allerdings nicht erkennen. Im Gegenteil. Die Tatsache, dass die meisten Studierenden ihr Lebenseinkommen aus verschiedenen Quellen finanzieren müssten, sei ein Anzeichen für eine Anspannung der sozialen Lage. Seine Forderung: "Es braucht jetzt endlich eine große Bafög-Reform mit Biss, anstatt dem größten Bafög-Bluff in der Geschichte der Bundesrepublik. So würde ich die letzte Bafög-Novelle bezeichnen."
    Diese trat im August 2016 in Kraft. Sie legt einen Höchstsatz von 735 Euro fest. Laut einer Studie des Deutschen Studentenwerks ist das noch zu wenig. In die aktuelle Sozialerhebung ist die Novelle zwar nicht eingeflossen, weil die Daten vorher erhoben wurden. Kai Gehring fordert dennoch eine weitere Anhebung. Und auch eine andere Zahl macht ihm Sorgen: "Nach zwölf Jahren unionsgeführter Regierung kriegen nur noch 18 Prozent der Studierenden Bafög."
    Angst vor Verschuldung
    Diese Zahl greift auch der Dieter Timmermann auf. Der Vorsitzende des Deutschen Studentenwerks ergänzt außerdem: "Sorge bereitet uns, dass die soziale Herkunftsgruppe ‚Niedrig‘, für die das Bafög ja in erster Linie gedacht ist, dass in dieser Gruppe 37 Prozent keinen Bafög-Antrag gestellt haben. Sie begründen das im Wesentlichen damit, dass sie keine Schulden machen wollen."
    Wer Bafög bekommt, muss 50 Prozent davon zurückzahlen - fünf Jahre nach dem Erstabschluss. Timmermann plädiert dafür, mehr fürs Bafög zu werben. Eine Umfrage an der Freien Universität in Berlin zeigt aber, dass sich am Thema Bafög die Geister scheiden: "Ich kenne kaum jemanden, der da was bekommt. Also Bafög kriegt fast gar keiner mehr."
    "Ich würde es jedem Studenten raten, sich wenigstens zu bemühen und beim Bafög-Amt nachzufragen. Das Antragstellen kostet ja an sich nichts. Und meistens gibt’s auch was dafür."
    "Ich kenne natürlich auch Leute, die zum einen auf viel Bafög angewiesen sind. Aber das Bafög reicht nie komplett."
    Wanka lehnt Anhebung der Sätze ab
    Eine dauerhafte und automatische Anhebung der Bafög-Sätze lehnt Johanna Wanka ab. Genau so einen Automatismus bei der Anhebung fordern Gehring und Timmermann ein. Auch, um den Kostendruck für die Studierenden insgesamt zu senken.
    Druck steigt auf die Studierenden auch anderer Stelle. Elf Prozent von ihnen haben bei der Sozialerhebung angegeben, an einer Krankheit zu leiden, die sie im Studium beeinträchtigt. Häufig sind das psychische Erkrankungen. Die Hintergründe dazu werde man aber noch auswerten, so Johanna Wanka.