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Sozialstatistik
Immer mehr Obdachlose in Deutschland

Nach Auskunft der Bundesregierung ist die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland auf rund 335.000 gestiegen - ein Plus von 35 Prozent im Vergleich zum Jahr 2010. Unter ihnen sind 29.000 Kinder. Die Fraktion der Linkspartei im Bundestag hatte nach den Zahlen gefragt. Die Bundesregierung erklärte, an Wohnraum mangele es nicht.

05.12.2016
    Auf einem Gehweg sitzt ein Mann in einer Decke. Vor ihm steht ein Becher. Ein Passant geht vorbei.
    335.000 Menschen in Deutschland sind wohnunglos. (dpa / picture alliance / Paul Zinken)
    Das Bundessozialministerium stützt sich bei seinen Angaben auf Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe, da es keine amtliche Statistik zu den Wohnungslosen gibt. Man nehme das Problem ernst, teilte das Ministerium mit. Es betreffe vor allem Männer. Aktuell seien aber auch 29.000 Kinder unter den Obdachlosen, schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort. Die BAG prognostizierte bis 2018 einen Zuwachs auf 536.000 wohnungslose Menschen. Das sind nach ihrer Definition alle Menschen, die auf der Straße leben, die ohne Mietvertrag in Wohnungen auf Kosten des Staats untergebracht sind, die in Notunterkünften oder Heimen untergebracht oder bei Verwandten untergekommen sind.
    "Wohnungslosigkeit liegt nicht an fehlendem Wohnraum"
    "Wohnungslosigkeit liegt vielfach nicht in fehlendem Wohnraum begründet, sondern hat in der Regel eine Reihe anderer sozialer und zum Teil auch psycho-sozialer Ursachen", heißt es im Schreiben der Regierung. Oft sei gezielte Hilfe nötig, weil familiäre Probleme, Sucht oder Krankheiten eine Rolle spielten.
    Die stellvertrende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sabine Zimmermann, die die Angaben angefragt hatte, widersprach. Die Bundesregierung verschließe die Augen vor der Realität. Sie verwies auf eine steigende Einkommensarmut breiter Bevölkerungsschichten. "Der Wohnungslosigkeit muss der Kampf angesagt werden", forderte Zimmermann. Die Regierung müsse eine Statistik zur Zahl wohnungsloser Menschen etablieren. Die BAG kritisiert schon länger, die Unionsfraktion im Bundestag verweigere sich einer solchen bundesweiten Statistik.
    Mögliche Gründe
    Die Diakonie Deutschland, der Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirche, betont in einem Schwerpunkt zum Thema Obdachlosigkeit auf ihrer Website, den "typischen Wohnungslosen" gebe es nicht. Die Wahrscheinlichkeit, wohnungslos zu werden, werde umso größer, je mehr Risikofaktoren zusammenträfen. Dazu gehörten der Verlust der Arbeit, finanzielle Probleme, Trennungen, häusliche Gewalt, Krankheit, psychische Probleme sowie der Anstieg von Mieten und zunehmende Gentrifizierung.

    Neben wirtschaftlichen Notlagen führten in der Regel einschneidende Erlebnisse wie ein schwer zu verarbeitender Schicksalsschlag mit einer sich anschließenden Armutsspirale zum Verlust der Wohnung. Menschen, die dann zum Beispiel über kein soziales Umfeld verfügten, das ihnen ausreichend Rückhalt biete, verlören aufgrund von Lebenskrisen leicht den Halt.
    (nin/tgs)