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Spahn: "Eine Bereinigung in der Krankenhauslandschaft"

In den Ballungsräumen gebe es zu viele Krankenhäuser, sagt Jens Spahn, Verhandlungsführer der CDU in der AG Gesundheit und Pflege bei den Koalitionsverhandlungen. Er fordert deshalb: Wenn eine Abteilung schlecht sei, sollte sie geschlossen werden.

Jens Spahn im Gespräch mit Christine Heuer | 04.11.2013
    Christine Heuer: In Berlin wird weiter fleißig über die Politik einer Großen Koalition verhandelt. Diese Woche kommt ein neues Thema dazu: Gesundheit und Pflege, traditionell dicke Brocken für jeden, der im Bund regiert. Grundlegende Reformen der Gesundheitspolitik sind immer kompliziert, teuer, heftig umstritten und werden am Ende selten nachhaltig umgesetzt. Verhandlungsführer der CDU in der AG Gesundheit und Pflege ist Jens Spahn. Guten Morgen!

    Jens Spahn: Guten Morgen, Frau Heuer!

    Heuer: Ihr Kollege Karl Lauterbach – das ist der Chefunterhändler für die SPD – hat schon gefordert, dass Krankenhäuser in Deutschland geschlossen werden sollen, weil es zu viele davon gibt. Machen Sie da mit?

    Spahn: Die Ansage ist schon zu pauschal. Wir müssen ja in Deutschland schauen, einmal in den ländlichen Regionen, dass wir die Grundversorgung sicherstellen, dass wir auch in zumutbaren Entfernungen noch Krankenhäuser und ein Krankenhausangebot haben, und wir haben Ballungsräume, da gibt es ohne Zweifel zu viele Anbieter, zu viele Krankenhäuser. Aber da würde ich mir einen Qualitätswettbewerb wünschen, dass die guten überleben und nicht die Politik zentral in Berlin vorgibt oder sonst wo, welches Krankenhaus bleibt und welches nicht.

    Heuer: Das können Sie ja auch gar nicht von Berlin aus vorgeben, denn dafür haben die Länder die Kompetenz. Wie wollen Sie denn die bei Schließungen ins Boot holen?

    Spahn: Das ist ja die große Chance dieser Großen Koalition, dass die Länder sehr mit im Boot sind, ja auch jetzt bei den Koalitionsverhandlungen beteiligt sind und wir deswegen Mechanismen finden wollen mit den Ländern für die Krankenhäuser, wie wir Qualität verbessern können, wie wir Qualität besser messen können, damit ich als Patient vor einer geplanten Operation, etwa einer Hüftoperation, dann schauen kann, welches Haus in meiner Umgebung ist eigentlich auch gut dafür. Und dann muss es auch verbindliche Mechanismen geben, die sagen, wenn da eine Abteilung schlecht ist, dann wird sie auch mal geschlossen.

    Heuer: Aber wenn die Länder Kompetenzen abgeben, Herr Spahn, dann werden sie vom Bund etwas fordern, zum Beispiel mehr Geld. Sind Sie bereit, das zu geben?

    "Mindeststandards für den ländlichen Raum"
    Spahn: Wir sind sicher grundsätzlich bereit, mehr Geld zu geben dann, wenn es auch eine Mitsprache des Bundes gibt. Das bedingt sich aneinander. Tatsächlich brauchen die Länder mehr Geld, auch gerade für die Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser. Dafür sind sie ja zuständig. Der Bund zahlt über die Krankenversicherung die laufenden Behandlungskosten. Und wenn wir da zu einem guten Kompromiss für die Finanzierung der Zukunft kommen, also der Bund steigt mit ein, dann heißt das aber auch, dass wir über Qualitätskriterien reden, oder aber auch über Mindeststandards für den ländlichen Raum, die wir gemeinsam definieren, nicht eine Seite einseitig.

    Heuer: Eine Krankenhausreform kostet Geld. Woher wollen Sie es nehmen?

    Spahn: Sie muss ja unter dem Strich mittelfristig nicht mehr Geld kosten, wenn wir tatsächlich dadurch auch eine Bereinigung in der Krankenhauslandschaft haben. Wenn auch da, wo wir zu viele Abteilungen haben in einer Region, dann welche geschlossen werden, dann verteilen sich ja auch, ich sage mal, Drumherum-Kosten anders und machen das ganze effizienter. Zum Zweiten haben wir die glückliche Situation, zum ersten Mal seit 20 Jahren in eine Gesundheitslegislatur zu starten, ohne ein Spargesetz machen zu müssen. Das ist das, was die christlich-liberale Koalition erfolgreich zurücklässt, Rücklagen und Überschüsse in der Krankenversicherung, und die geben uns die Chance, dann auch über gute Versorgung zu reden.

    Heuer: Jetzt muss ich aber Einspruch erheben, Herr Spahn. Daniel Bahr ist ja noch Gesundheitsminister und er hat kurz vor seinem Auszug aus dem Bundesgesundheitsministerium prognostizieren lassen, dass den gesetzlichen Kassen 2017 zehn Milliarden Euro fehlen werden, bei derzeit 30 Milliarden Überschuss. Haben Sie das Minus von 40 Milliarden schon eingeplant?

    Spahn: Nein. Das ist kein Minus von 40 Milliarden, sondern …

    Heuer: 10 + 30!

    Spahn: … das Jahresergebnis für 2017 wird nach heutiger Prognose minus zehn Milliarden sein. Davon sind die Rücklagen, die jetzt da sind, unbenommen. Die bleiben erst mal weiterhin.

    Heuer: Aber ein paar Milliarden werden fehlen?

    "Es wird wieder Defizite geben"
    Spahn: Ja. Wir werden - das war aber auch absehbar in der Gesundheitsversorgung und in der Pflege – in einer älter werdenden Gesellschaft natürlich wieder steigende Ausgaben haben und der wirtschaftliche Boom, immer mehr Arbeitsplätze, kommt ja irgendwann auch an Grenzen und an ein Ende. Deswegen ja, es wird wieder Defizite geben, aber ich sage noch mal: Das ist die erste Legislatur – und ich mache jetzt auch schon lange Gesundheitspolitik -, in die wir hineinstarten können, ohne gleich ein Kostendämpfungsgesetz machen zu müssen. Das gibt uns die Chance, ohne dass wir jetzt Geld irgendwie übermütig ausgeben, aber es gibt uns die Chance, in Ruhe über gute Versorgung in Deutschland zu reden, und diese Chance sollten wir mit SPD und Union auch nutzen.

    Heuer: Herr Spahn, irgendwann werden Ihnen viele Milliarden Euro fehlen. Wie wollen Sie diese gigantische Lücke füllen?

    Spahn: Es geht dann darum zu schauen, wie können wir Versorgung verbessern, effizienter gestalten. Wenn wir über Krankenhausversorgung reden, geht es auch darum, wie können wir unnötige Krankenhauseinweisungen vermeiden, also das Zusammenspiel von niedergelassenen Ärzten mit Krankenhäusern verbessern. Da lässt sich sicherlich noch eine Menge sparen. Gleichzeitig müssen wir – und das ist einer der großen Diskussionspunkte dieser Koalitionsverhandlungen – darüber reden, wie wir es finanzieren wollen.

    Heuer: Ja wie denn?

    Spahn: Über Beiträge, über Zusatzbeiträge, über Steuern? Das ist das, was wir jetzt mit dem Koalitionspartner besprechen.

    Heuer: Na da freuen sich die Bürger. Dann wissen sie ja jetzt schon, es kommen wieder neue Belastungen auf sie zu.

    Spahn: Sie bekommen ja auch was dafür. Ich habe aus den Veranstaltungen vor Ort auch im Wahlkampf schon das Gefühl, dass es ein gesundes Empfinden bei den Menschen dafür gibt, dass wenn wir alle immer älter werden – die Lebenserwartung steigt jeden Tag um vier bis fünf Stunden, jeden Tag -, dass wir, wenn wir immer alle älter werden wollen, wenn wir am medizinischen Fortschritt teilhaben wollen, dass wir dann auch mehr Geld dafür werden ausgeben müssen. Ich habe den Eindruck, die grundsätzliche Bereitschaft ist da, dann, wenn das Geld vernünftig eingesetzt wird.

    Heuer: Auf Ihrer Agenda steht ja auch die Pflegereform. Wollen Sie künftig dafür sorgen, dass auch Demenzkranke Pflegestufen bekommen?

    Spahn: Damit haben wir ja schon in den letzten Jahren begonnen, auch Demenz in ersten Schritten anzuerkennen, dass wir Betreuung, dass mal jemand kommt, spazieren geht, vorliest, begleitet, dass wir Betreuung auch für Demenzkranke im ambulanten wie im stationären Bereich möglich gemacht haben.

    Heuer: Aber eine Gleichstellung mit körperlichen Mängeln im Alter, wollen Sie die?

    Spahn: Eine Gleichstellung haben wir noch nicht. Das ist der Punkt, an dem wir jetzt arbeiten müssen. Als man die Pflegeversicherung in den 90er-Jahren eingeführt hat, hat ja keiner prognostiziert, auch wenn man sich die Debatten von damals anschaut, dass es so eine große Zahl, über eine Million heute schon von Demenzkranken in Deutschland geben würde. Was es am Ende braucht, ist vor allem mehr Zeit für Betreuung, für Begleitung, auch mehr Pflegekräfte in den Einrichtungen, und das ist ein gemeinsames Ziel von SPD und Union. Aber auch das wird – das gehört ehrlich dazu – mehr Geld kosten.

    Heuer: Genau. Wie viel denn? 0,5 Prozent Beitragserhöhung sind im Gespräch. Reicht das aus?

    "Kapitalrücklage in der Pflegeversicherung bilden"
    Spahn: Bis zu 0,5 ist das, worüber wir reden. Es geht ja auch darum, dass man das Geld vernünftig einsetzt. Wir müssen jetzt erst mal darüber reden, was wollen wir eigentlich mit welchen Instrumenten erreichen, damit wir vor allem bei den Menschen, ich sage mal, am Bett ankommen, dass die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen und die Pflegekräfte eine Verbesserung spüren und nicht am Ende andere, die Träger oder die Länder und Kommunen das Geld zwischendurch bei sich haben. Wir müssen über die konkreten Maßnahmen reden, dann wissen wir, was sie kosten. Und ich werbe zum Zweiten auch sehr dafür, dass wir eine Kapitalrücklage in der Pflegeversicherung bilden. Wir wissen heute schon, dass die großen Jahrgänge an Pflegebedürftigen ab 2030/35 in die Pflege kommen, über 80 Jahre alt werden. 1965 war das geburtenstärkste Jahr in Deutschland, 1964/65, und deswegen sollten wir für diese Zeit jetzt auch Vorsorge treffen, Kapital, Geld zurücklegen.

    Heuer: Die Bürgerversicherung ist auch ein Thema, Herr Spahn. Die SPD möchte sie gerne. Sie ganz persönlich haben sich oft gegen die Zwei-Klassen-Medizin ausgesprochen. Das ist doch die beste Gelegenheit, jetzt mit der SPD etwas daran zu ändern und für die Bürgerversicherung zu kämpfen. Machen Sie das?

    Spahn: Die Bürgerversicherung als solche löst ja die Probleme nicht, die wir da adressieren sollten in den Verhandlungen. Sie macht Versorgung nicht besser, sie macht auch keine bessere Finanzierung in der gesetzlichen Versicherung, weil ja nicht nur Reiche kommen und Gutverdiener, sondern auch viele kleine Selbstständige oder auch kleinere Beamte, sondern die Private hat in sich Probleme, nämlich starke Beitragssteigerungen – erfahren wir ja gerade wieder dieser Tage. Die lösen wir gerne zusammen mit der SPD.

    Und zum Zweiten, was die Zwei-Klassen-Medizin angeht: Ich finde zum Beispiel, wir sollten eine verbindliche Regelung machen, dass Kassenärztliche Vereinigungen, also die Ärzteschaft, Patienten innerhalb von zwei bis drei Wochen einen Termin beim Facharzt anbieten müssen. Ansonsten wird ihr Gesamtbudget gekürzt. Dann kriegen die Kassenärztlichen Vereinigungen weniger Geld von den Krankenkassen. Das wäre mal eine wirkliche Hilfe für gesetzlich Versicherte, verbindliche Qualitäts- und Terminkriterien, und nicht einfach nur eine Bürgerversicherung.

    Heuer: Jens Spahn, der CDU-Unterhändler in der AG Gesundheit und Pflege in den Koalitionsverhandlungen. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

    Spahn: Sehr gerne!


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