Freitag, 26. April 2024

Archiv

Spanien
Mit Sport gegen Volkskrankheiten

Trotz Sparmaßnahmen im Sozial- und Bildungssektor im Zuge der Wirtschaftskrise sind die Sportzentren in Spanien weitestgehend von Kürzungen verschont geblieben. Im Gegenteil: Anders als in Deutschland, wo die DLRG immer wieder über Schwimmbadschließungen klagt, meinen viele spanische Ärzte, Bürger und Politiker, dass sich die Ausgaben sogar lohnen.

Von Hans-Günter Kellner | 11.08.2015
    Ein Mann springt kopfüber in ein Schwimmbad.
    Um Volkskrankheiten vorzubeugen, verordnen viele spanische Ärzte Sport auf Rezept. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Im Stadtteilschwimmbad von Palomeras in Madrid ist der Schwimmunterricht längst vorbei, doch die Sechsjährigen springen trotzdem noch mal ins Wasser. Es ist eine großzügige Sportanlage mit einem Becken in Olympiamaßen, zwei kleineren Nichtschwimmer- und einem Babybecken. Die öffentliche Sportanlage hat zudem Tennisplätze, Klein- und Großfelder für Ballspiele und eine Laufbahn. Die Menschen in dem traditionellen Arbeiterviertel haben lange um einen solchen Sportplatz gekämpft. Badegast Jesús González erinnert sich:
    "Das muss so 1973, 1974 gewesen sein, als wir damit anfingen. Wir waren eine Jugendbewegung, halb illegal, Diktator Franco lebte ja noch. Hier gab es nichts. 1970 wurde zwar ein kleines Freibad eröffnet, aber das war alles. 1987 hat man dann dieses Schwimmbad eingeweiht",
    erzählt Jesús unter einem Sonnenschirm vor dem Café der Anlage. Im Hallenbad dahinter lernte das halbe Viertel Schwimmen, auch seine Familie. Seine Kinder schwammen später recht erfolgreich im Verein, auf der Laufbahn wurde die Tochter sogar zu einer ambitionierten Mittelstreckenläuferin. Der Vater wollte hingegen nie Rekorde brechen. Unverzichtbar ist das Sportzentrum für ihn aber dennoch:
    "Ich weiß gar nicht, was aus mir ohne das Schwimmbad und ohne Sport geworden wäre. Das hält mich im Gleichgewicht. Es läuft mal besser, mal schlechter, aber es macht immer Spaß. Und es beugt Krankheiten vor. Es ist doch viel teurer, jemandem ein Bett im Krankenhaus zu finanzieren als mit einer solchen Einrichtung die Möglichkeit zu bieten, Sport zu treiben."
    Experten warnen vor Sparmaßnahmen
    Gerade das ist eines der ausschlaggebenden Argumente zugunsten der 71 Sportzentren in Madrid. Eine gesunde Bevölkerung koste den Staat weniger an Gesundheitsausgaben, sagt der Arzt Marcos Franco. Er untersucht an der Universität von Alcalá de Henares, wie Städte die Gesundheit ihrer Bürger fördern können. Verzichteten sie künftig auf Radwege, Parks aber auch öffentlich finanzierte Sportanlagen, würden Europas Gesundheitssysteme aufgrund der immer älteren Bevölkerung bald kollabieren, warnt er. Gesundheitspolitik müsse ganzheitlich verstanden werden:
    "Spanische Hausärzte behandeln hohe Cholesterinwerte inzwischen zunächst mit der Aufforderung, den Lebenswandel zu ändern, nicht gleich mit Tabletten. Die Patienten bekommen ein Protokollheft, in dem sie aufzeichnen sollen, wie oft sie in der Woche ins Schwimmbad oder zum Laufen gegangen sind. Solche Patienten brauchen dann natürlich auch Orte, an denen sie Sport treiben können."
    Im Rahmen eines Pilotprojekts stellen in Madrid Hausärzte Patienten Rezepte für Sportkurse aus. An manchen städtischen Schwimmbädern arbeiten sogar Sportärzte, bei denen Patienten sich untersuchen und beraten lassen können.
    Es bröckelt und tropft
    Doch auch Klagen sind mittlerweile laut geworden: Sportler klagen über schlecht funktionierende Filteranlagen, nur noch kaltes Wasser in den Duschen, Decken, durch die es durchregnet und stark abgenutzte Laufbahnen und Sportplätze. Javier Odriozola, seit zwei Wochen neuer Generaldirektor "Sport" im Rathaus, kann die Beschwerden verstehen:
    "Leider gibt es seit Jahren keine Mittel für die Instandhaltung der Einrichtungen. Keinen Cent! Was kaputt geht, wird derzeit nicht repariert. Wir werden das im nächsten Haushalt sofort ändern. Alles andere wäre völlig verkehrt. Schließlich sind die Anlagen ausgelastet, die Plätze in den Kursen reichen nicht für alle. Wir müssten über eine Ausweitung unseres Angebots nachdenken."
    Odriozola wurde von der neuen linken Stadtregierung ernannt, die im Mai die Kommunalwahlen gewonnen hatte. Er ist 62 Jahre alt, war selbst Leistungssportler und erzielt in seiner Altersklasse bei Volksläufen noch heute Spitzenzeiten. Zwar ist Madrid mit sechs Milliarden Euro hoch verschuldet. Doch im städtischen Haushalt ist das Sportbudget mit 121 Millionen Euro ein vergleichsweise kleiner Posten. Und obwohl die Einnahmen aus Eintrittskarten und Kurs-Gebühren nur 35 Prozent der Ausgaben decken können: Die Menschen in Madrid halten ihre Sportanlagen trotzdem für rentabel. So wie Jesús González im Stadtteilbad Palomeras.
    "Darum haben ja auch so viele gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen protestiert. Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen und eben Sportstätten gehören ja der Öffentlichkeit, jedem von uns. Letztlich gab es darum ja auch diesen Machtwechsel hier in Madrid. Hoffentlich spüren wir diesen Wandel jetzt auch in der täglichen Politik."