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Spanien: Schuften für die Studiengebühren

Das spanische Bildungsministerium musste in diesem Jahr 22 Prozent weniger ausgeben und für kommendes Jahr stehen weiter Kürzungen an. Die Folgen sind verheerend: Studieren wird immer teuer und forschen ist fast unmöglich.

Von Hans-Günter Kellner | 30.10.2012
    "Öffentliche Hochschule, was war das noch mal?" Diese Frage stellt ein Plakat am Gebäude der Fakultät für Kommunikationswissenschaften auf dem Campus der Complutense Universität in Madrid. Die Universität hat schon 150 Millionen Euro Schulden und die Madrider Regionalregierung fordert noch einmal 50 Millionen Euro Mehreinnahmen in diesem Studienjahr und Kürzungen beim Personal in Höhe von 18 Millionen Euro. Enrique Vicente studiert im vierten Semester Medizin, auf einer Wiese auf dem Campus sagt er:

    "Heute Morgen hatten wir eine Vollversammlung mit dem Rektor. Der sagte uns, dass die Situation der Uni so prekär ist, dass sie den Professoren in den letzten drei Monaten des Jahres keine Gehälter mehr zahlen kann. Schon im letzten Jahr wurde einigen Fakultäten die Gasversorgung abgestellt, da funktioniert dann die Heizung nicht mehr. Da kann man im Winter eigentlich keine Seminare mehr abhalten."

    Die Hochschulleitung wirbt auf diesen Vollversammlungen um Verständnis für eine Situation, für die sie kaum etwas kann. Die Regionalverwaltung kürzt, die Hochschule muss die Studiengebühren anheben. Die Studenten zahlen sie immer für ein ganzes Jahr, also für zwei Semester, es sind stattliche Summen:

    "Als ich anfing, zahlte ich 1400 Euro. Im letzten Jahr wurden es 1700 Euro. Wenn man einen Kurs wiederholt, wird es richtig teuer. Bei mir sind das in diesem Jahr drei Kurse aus dem dritten Jahr. So habe ich für das vierte Studienjahr nur drei weitere Kurse belegt, sonst wäre es zu teuer geworden. Ich zahle jetzt 1900 Euro. Bei dem Preis konnte ich einfach nicht alle Fächer des vierten Jahres belegen. Das hätte mich fast 3000 Euro gekostet. Außerdem muss ich arbeiten, ich wohne nicht bei meinen Eltern, das kostet auch Geld."

    Die Studiengebühren werden nach belegten Fächern berechnet. So belegen manche Studenten nur noch die Hälfte eines Studienjahres, weil sie sich nicht mehr leisten können. Oder, weil sie nicht riskieren wollen, durchzufallen. Strafgebühren für durchgefallene Examen, eine Idee von Bildungsminister Ignacio Wert, findet Enrique besonders empörend:

    "In der Medizin gibt es Fächer, da fallen im ersten Examen 80 Prozent durch. Da zu sagen, 'das sind alles faule Leute' ist doch absurd, als würden sie eine Geldstrafe verdienen. Und nicht nur das, wer durchfällt, verliert auch noch sein Stipendium."

    Immerhin, es gibt sie noch, Studienbeihilfen für Studenten aus sozial schwachen Familien. Ema Zelikovitch kommt in die Runde. Sie studiert im zweiten Jahr Philosophie, das kostet jetzt 1200 Euro statt bisher 750 Euro. Doch die Gebühren sind nicht das alleinige Übel, sagt die 19-Jährige:

    "Da versuchst Du, das Studium irgendwie zu bezahlen. Gleichzeitig tust Du alles dafür, um nicht durchzufallen. Am Ende studierst Du weder richtig - noch arbeitest Du genug. Bologna hat da einen großen Druck aufgebaut. Wir haben ja Anwesenheitspflicht. Wer drei Mal fehlt, darf nicht mehr am Examen teilnehmen."

    Die Krise betrifft nicht nur die Lehre. Spanische Forscher haben jüngst einen Appell veröffentlicht, die Forschung an den Hochschulen sei auf das Niveau der Jahre nach dem Spanischen Bürgerkrieg zurückgeworfen worden. Enrique Maestu hatte nach seinem Politikstudium ein Forschungsprogramm, in dem er Korruption untersuchte:

    "Wie werden in den Kommunen die Haushalte aufgestellt und für was wird das Geld letztlich ausgegeben? Oder: Warum entscheidet das Finanzministerium, dass die Steuerfahndung bei großen Vermögen gar nicht ermittelt? Auch eine Werbekampagne zu bezahlen, die es nie gegeben hat, ist Korruption. Ich könnte unzählige Beispiele nennen."

    Auch für dieses Programm gibt es nun keine Mittel mehr. Die Aussichten sind also auch nach dem Studium schlecht. Für jene, die danach forschen wollen und auf dem Arbeitsmarkt sowieso. So gehen viele ins Ausland. Die Hochschulleitung berichtet von ausländischen Studenten, die ihr Studium in Spanien abbrechen, um nach Deutschland oder Frankreich zu gehen. Dort seien das Studium billiger und die Jobaussichten besser.