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Spanien
Wirtschaftliche Erholung oder Trugbild?

Mit der spanischen Wirtschaft scheint es wieder bergauf zu gehen, das zumindest sagen die Statistiker. Aber die Folgen der Krise sind noch spürbar: Die Arbeitslosenzahlen bleiben hoch, die Schlangen vor den Suppenküchen und Essensausgaben für Bedürftige lang.

Von Hans-Günter Kellner |
    Angela Merkel mit Mariano Rajoy
    Der spanische Regierungschef Rajoy verkündete während eines Besuchs von Bundeskanzlerin Merkel: Es geht bergauf. (afp / Miguel Riopa)
    Santiago de Compostela Anfang letzter Woche. Mariano Rajoy und Bundeskanzlerin Angela Merkel spazieren gemütlich entlang des Jakobswegs. Es sind nur wenige Kilometer, im Anschluss geben die beiden eine Pressekonferenz. Die Inszenierung soll den passenden Rahmen bieten für die wichtigste Ankündigung Rajoys, seit er 2011 Regierungschef wurde. Es geht wieder aufwärts mit Spanien:
    "In Spanien sehen wir jetzt die Früchte unserer Reformen, die wir gemeinsam mit Deutschland und den restlichen europäischen Partnern durchführen konnten. Wir haben eine dramatische Situation überwunden. Nach einer langen Rezession wächst Spanien wieder. Und noch viel wichtiger: Unsere Wirtschaft schafft wieder Arbeitsplätze. Zum ersten Mal seit sieben Jahren."
    Lola, 53 Jahre alt, seit 2008 arbeitslos. So wie ihr Mann und ihre beiden Söhne.
    "Es kommen immer mehr. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie oft wir die Leute wegschicken müssen, weil wir keine Lebensmittel mehr haben. Familien mit Kindern, die nichts haben. Gestern standen bei uns 47 Familien um Essen an. Wenn die Krise vorbei ist, warum stehen sie dann für Lebensmittel an? Die kommen ja mit den Bescheinigungen der Sozialarbeiter. Ich weiß nicht, wo die Krise zu Ende ist. Bei den Politikern vielleicht."
    Lola hilft in der Betroffeneninitiative "Pato Amarillo" – zu Deutsch: Gelbe Ente - im Madrider Stadtteil Orcasitas aus. Sie verteilt dort Lebensmittel an Bedürftige. Sie selbst steht auch einmal im Monat in der Schlange.
    Wohnungen stehen nach Zwangsräumung leer
    "Ich kam zur Gelben Ente, weil die Sozialarbeiterin mich hinschickte. Eigentlich bat ich sie um eine Sozialwohnung. Ich sagte ihr, dass ich aus meiner Wohnung zwangsgeräumt würde, weil ich die Hypothek nicht mehr zahlen konnte. Ich wollte nichts umsonst haben, aber eine Wohnung, die ich bezahlen könnte. Für 150, 200 Euro vielleicht. Aber die einzige Lösung, die sie für mich hatten, war ein Aufnahmelager für Frauen. Dafür hätte ich mich von meinem Mann und meinen Kindern trennen müssen. Das kam nicht infrage. Entweder gehen wir zu viert in eine Notunterkunft oder keiner. So entschlossen wir uns, eine Wohnung illegal zu besetzen."
    Was nicht schwer war. Im selben Block stehen viele Wohnungen nach Zwangsräumungen leer, haben allerdings auch keine Fenster und Türen. Davon erzählt Lola auf einer Bank vor einem Kinderspielplatz. In der Wohnung wollte sie das Gespräch nicht führen. Die beiden Söhne im Alter von 25 und 23 Jahren schämen sich, dass die Mutter die Einzige ist, die als Putzhilfe gelegentlich noch etwas Geld nach Hause bringt, sie selbst aber gar nichts zu tun haben.
    Ein Bettler sitzt am 07.06.2013 in Palma de Mallorca auf der Mittelmeerinsel Mallorca (Spanien). Spanien gehört zu den Ländern Europas mit der höchsten Armutsgefährdungsquote und den größten Einkommensunterschieden, wie das Statistische Bundesamt ermittelte.
    Immer mehr Familien leben in Spanien unterhalb der Armutsgrenze. (Julian Stratenschulte / dpa)
    Vor der Räumung hatten die Behörden ihr eine Sozialwohnung mit der Begründung verweigert, dass sie ja noch eine Wohnung habe. Nach der Räumung hat sie aber erst recht keine Chance auf eine Sozialwohnung, weil sie mit der notgedrungenen illegalen Besetzung eine Straftat begangen hat. Auch der Antrag auf Sozialhilfe wurde letztlich zum Spießrutenlaufen durch die Bürokratie:
    "Die verlangen so viele Sachen. Bei mir ist das schon am Eintrag ins Einwohnermeldeamt gescheitert. Die akzeptieren keine Leute, die eine Wohnung illegal besetzt haben. Außerdem bräuchte ich dafür eine Strom- oder Gasrechnung, als Beleg dafür, dass ich dort tatsächlich lebe. Ich brachte ihnen eine Wasserrechnung, aber die reichte denen nicht. Ich versuchte, einen Vertrag für ein Telefon abzuschließen, um eine Rechnung mit der Adresse vorzuweisen. Aber wir sind ins Schuldenregister eingetragen. So hat uns die Telefongesellschaft auch nicht akzeptiert. Also, wir sind nicht gemeldet."
    Wieder mehr Neueinstellungen
    Anderswo in Spanien geht es jedoch wieder bergauf. Auf den Baustellen wird wieder gehämmert und geschweißt. Die Arbeitslosigkeit ist von ihrem Höchstwert von über 26 Prozent auf zuletzt 24,5 Prozent gesunken. Erstmals seit Jahren liegt die Zahl der Neueinstellungen über den Entlassungen. Das stärkt das Vertrauen vieler Spanier in die Zukunft, viele machen in diesem Sommer wieder Urlaub, manche kaufen sich sogar Wohnungen, erstmals seit vielen Jahren:
    "Von 2008 bis Ende letzten Jahres verkauften die Leute nur, weil sie das Geld brauchten. Paare, die sich getrennt hatten, Leute, die die Wohnung von ihren Eltern geerbt haben oder Arbeitslose, die die Wohnung nicht mehr bezahlen konnten."
    Jesús Ruiz, 35 Jahre alt, zwei Kinder, seit zehn Jahren Immobilienhändler. Er hat in Madrids größtem Neubauviertel Ensanche de Vallecas gerade ein Maklerbüro mit sieben Angestellten eröffnet.
    "Wir haben jetzt wieder Leute, die verkaufen, weil sie eine bessere Wohnung suchen. Ihnen gefällt das Viertel. Es ist ja ganz neu, jetzt gibt es Geschäfte, Kneipen, es ist attraktiv. Aber sie wollen eine größere Wohnung – und verkaufen darum ihre jetzige. Sie verkaufen nicht aus einer Notlage heraus, sondern, weil sie sich verbessern wollen."
    Verkauft wird trotz Verlusten
    Doch es ist längst nicht so wie zu Zeiten vor dem Boom. Da kauften sich die Leute an einem Nachmittag eine Wohnung – so wie an einem anderen Tag eine Jacke, sagt Jesús Ruiz. Wer heute verkauft, macht auch keinen Gewinn mehr, so wie bis 2008. Der Makler muss die Wohnungsbesitzer erst einmal auf den Boden der Tatsachen des Marktes herunterholen:
    "Man muss ihnen Beispiele zeigen. Die meisten Wohnungen hier haben drei Zimmer, 70 Quadratmeter. Dafür haben die jetzigen Eigentümer 2008 noch 300.000 Euro bezahlt. Heute kosten diese Wohnungen noch 170.000. Die Leute wollen ihr Geld natürlich wiederhaben. Aber wenn sie wirklich verkaufen wollen, müssen sie mit dem Preis runter. Hier im Viertel stehen jetzt mehr als 400 Wohnungen zum Verkauf. Neubauten, Wohnungen von Banken und Wohnungen aus zweiter Hand."
    Trotz der Verluste: Immerhin wird wieder verkauft und gekauft – was lange Zeit nicht passiert ist. Und die Banken vergeben wieder Kredite. Sonst würde er ja auch keine Abschlüsse erzielen, sagt Jesús Ruiz. Wenn die Banken den Geldhahn öffneten, wäre das auch eine gute Nachricht für die Kleinunternehmer, die seit Jahren unter der Kreditklemme leiden. Trotzdem weiß der Makler nicht, ob dies alles tatsächlich Vorboten für ein Ende der Krise in Spanien sind:
    "Für manche Leute und Branchen durchaus. Aber in der Baubranche wird es nicht mehr so sein wie früher. Außerdem ist es ja nicht überall wie in Madrid. Hier ist Krise vielleicht vorbei, aber auf dem Land wird das noch dauern. Das Problem von uns Maklern war immer, dass die Leute einfach keine Arbeit hatten. Wer keine Arbeit hat, kauft sich keine Wohnung. Er geht nicht mal mehr ein Bier trinken. Jetzt gibt es mehr Arbeit. Und das spüren wir. Der erste Monat ist besser gelaufen, als wir gedacht haben."
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Immobilienkrise in Spanien - Bauruine in Playa Honda-La Manga am Mar Menor in der Provinz Murcia. (picture alliance / dpa)
    Der Export zieht an
    Zwei Realitäten, die widersprüchlicher nicht sein könnten. Während im Ensanche de Vallecas der Immobilienmarkt in Schwung kommt, stehen die Arbeitslosen im Nachbarviertel Orcasitas um Essen an, bitten die Behörden vergeblich um staatliche Unterstützung oder wenigstens ein Dach über dem Kopf. Ist die Krise nun vorbei oder ist alles nur ein Trugbild?
    Beim Blick vom 27. Stockwerk des Hochhauses der Bank BBVA im Madrider Finanzviertel hinunter auf den geschäftigen Paseo de la Castellana, wirken die alltäglichen Sorgen der Menschen merkwürdig weit weg. Dicke Scheiben lassen nichts vom Lärm der Hauptstadt eindringen. Eine Klimaanlage vertreibt die Sommerhitze.
    Hier regieren die makroökonomischen Zahlen, untersucht von Rafael Doménech. Er ist Chefvolkswirt bei BBVA-Research, Hochschulprofessor an der Uni Valencia. Er ist optimistisch:
    "Seit Mitte vergangenen Jahres zeigen die Statistiken, dass Spanien aus der Krise rauskommt. Die Exporte steigen inzwischen so stark wie in keinem anderen Land der EU. Seit letztem Jahr wird mehr im Maschinenbau investiert. Seit Ende des letzten Sommers erholt sich der Inlandskonsum. Und am wichtigsten: Seit einem Jahr werden mehr neue Arbeitsplätze geschaffen als vernichtet. Die Zinsen für Staatsanleihen sinken. Die Wirtschaft wird im nächsten Jahr noch stärker wachsen. Die Krise ist damit nicht zu Ende. Bei einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent brauchen wir noch viele Jahre, bis wir uns davon erholt haben. Aber wir ernten die ersten Früchte der harten aber notwendigen Reformen und Einschnitte."
    Arbeitnehmerrechte abgebaut
    Besonders umstritten war die Arbeitsmarktreform, beschlossen 2012 nur wenige Monate nachdem die Regierung Rajoy die Amtsgeschäfte aufgenommen hatte. Mit der Reform sind die Abfindungen für grundlose Kündigungen von 45 Tagessätzen pro Beschäftigungsjahr auf 33 Tagessätze reduziert worden. Wiederholte Krankschreibungen, attestiert vom staatlichen Gesundheitssystem, sind jetzt ein legitimer Kündigungsgrund. Auch bei sinkenden Umsätzen können Betriebe ihren Angestellten jetzt leichter kündigen. Außerdem können sich Unternehmen und Beschäftigte auch auf andere als in den Tarifverträgen geregelte Arbeitsbedingungen einigen.
    Die Gewerkschaften meinen, es sei weniger der Reform als ihrer Zurückhaltung bei den Lohnabschlüssen zu verdanken, wenn Spanien wieder wettbewerbsfähiger geworden ist. Die Arbeitsmarktreform habe nur Arbeitnehmerrechte abgebaut. Für Chefvolkswirt Doménech hat die Reform dagegen Unternehmenspleiten verhindert und hohe Hürden für Neueinstellungen abgebaut. Viele Unternehmer hätten es bislang gescheut, jemandem einen unbefristeten Vertrag zu geben. Sie hätten ihn ja nur gegen teure Entschädigungszahlungen wieder entlassen können.
    "Die Reform war absolut notwendig, aber sie reicht nicht aus. Sie hat die Gehälter flexibilisiert und damit ermöglicht, dass der Arbeitsmarkt sich praktisch ein Jahr früher erholt, als wir alle erwartet hatten. Wir schätzen, dass wir heute eine Millionen Arbeitslose weniger hätten, wäre diese Reform schon 2008, zu Beginn der Krise, in Kraft getreten."
    2008 - da war Doménech noch Berater des sozialistischen Regierungschefs José Luis Rodríguez Zapatero. Doch Zapatero hörte kaum auf seine wirtschaftspolitischen Berater und sperrte sich lange gegen eine Neugestaltung des Arbeitsrechts. Stattdessen legte er eine sehr vorsichtige Reform vor. Aber auch die Reform der konservativen Nachfolge-Regierung geht Rafael Doménech nicht weit genug. Denn sie hat die Tendenz zu prekären, befristeten Arbeitsverträgen nicht gestoppt.
    Sieben Tage Arbeit im Jahr
    Weder die niedrigeren Entschädigungszahlungen noch eine sogenannte Flatrate bei den Beiträgen zur Rentenkasse von 100 Euro hat etwas an der Scheu der Unternehmer vor unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen geändert. Fast 95 Prozent der neuen Arbeitsverträge sind immer noch befristet. Doménech mahnt darum eine neue Arbeitsmarktreform an. Und:
    "In Spanien sind vor allem die Arbeitsplätze der unqualifizierten Beschäftigten abgebaut worden. Während wir bei den Arbeitsplätzen für Akademiker trotz der Krise sogar einen Zuwachs haben. Alle Daten weisen darauf hin, dass die Ausbildung grundlegend ist. Die Unternehmen geben sogar an, dass sie Probleme haben, gute Kandidaten für ihre freien Arbeitsplätze zu finden. Die einzige Lösung für dieses Problem ist, die Leute besser auszubilden."
    "Ich war von Dezember bis Juli arbeitslos. Mein Arbeitgeber meldete sich im Juli wieder und bot mir einen projektbezogenen Vertrag an. Für drei Tage. Dann haben sie mich wieder entlassen. Nach einer Woche riefen sie wieder an. Ich habe vier Tage gearbeitet und bin wieder entlassen worden. Ich habe in diesem Jahr also bislang nur sieben Tage gearbeitet."
    Madrid im September 2012: Damals protestierten viele Spanier gegen das Sparprogramm der Regierung.
    September 2012: Damals protestierten viele Spanier gegen das Sparprogramm der Regierung. (picture alliance / dpa / Fabian Stratenschulte)
    Kaum qualifiziert, arbeitslos und wenn, dann immer nur kurzfristig beschäftigt. Carmen aus dem Stadtteil Tetuán im Norden Madrids passt haargenau zu den statistischen Erhebungen der Volkswirte. Eine abgebrochene Lehre zur Sachbearbeiterin ist ihre einzige Berufsausbildung, erzählt die 53-Jährige in einem Café in ihrem Viertel. Nun hat sie zum ersten Mal keinen Job.
    "Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet. Irgendetwas habe ich immer gemacht. Jetzt nichts zu tun zu haben, macht mich fertig. Es macht mich nervös, deprimiert. Ich sitze nicht gerne rum, ich will am Leben teilnehmen. Es macht mich krank, nicht zu arbeiten."
    Prekariat entwickelte sich schon vor der Krise
    Obwohl die Experten die mangelnde Qualifikation längst als eines der Hauptprobleme der Arbeitssuchenden erkannt haben, unternehmen die spanischen Behörden wenig. Die Arbeitsämter bieten kaum noch Fortbildungen an, sagt Carmen. Richtige Umschulungen für Langzeitarbeitslose gab es noch nie. So hat Carmen jetzt viel Zeit, sie engagiert sich in der Stadtteilinitiative "Die Unsichtbaren". Die Initiative hat in ihrem Stadtteil Menschen ohne Einkommen fotografiert, eine Druckerei hat daraus Poster gemacht. Die hängen jetzt an jeder Straße.
    "Die Unsichtbaren", die "Gelbe Ente" und viele ähnliche Initiativen machen auf ein Problem aufmerksam, dass es nicht erst seit der tiefen Wirtschaftskrise gibt. Schon während des jahrelangen Wirtschaftswachstums davor habe sich ein Prekariat entwickelt, das sich mit Zeitverträgen während des Booms ganz gut durchschlagen konnte und ein falsches Gefühl sozialer Sicherheit hatte, so wie Lola oder Carmen, sagt Francisco Lorenzo, Soziologe bei der spanischen Caritas:
    "Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, was vor der Krise passiert ist. Da war Spanien das Land der EU, in dem das Prokopf-Einkommen am meisten stieg und die meisten Arbeitsplätze geschaffen wurden. Trotz der fantastischen Wirtschaftsstatistiken war die soziale Situation von etwa der Hälfte der Bevölkerung sehr instabil. Die tauchten in keinen Statistiken auf, sie galten nicht als arm. Sie hatten keine schwerwiegenden Probleme. Wir hatten Wachstum, schafften aber vor allem prekäre Arbeitsverhältnisse. Mit der Krise brach diese bis dahin unsichtbare soziale Blase auf und schlägt sich jetzt auch in den Statistiken nieder."
    Mehr Haushalte ohne Einkommen
    So wie Lola und Carmen nun Teil der Armutsstatistik sind: Jeder Vierte ist in Spanien ohne Arbeit, unter den Jugendlichen sogar jeder Zweite. Die Quote der Armutsgefährdeten ist in den letzten sechs Jahren von 19 auf rund 23 Prozent gestiegen, sieben Prozent der Bevölkerung sind für die Caritas als ernsthaft notleidend anzusehen, doppelt so viele wie vor der Krise. Die Zahl der Haushalte ohne jegliches Einkommen hat sich von 300.000 auf 750.000 mehr als verdoppelt. Doch besonders schlimm ist für den Soziologen Lorenzo: Diese Menschen drohen dauerhaft von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt zu werden. Wie schon in vorherigen Wirtschaftskrisen:
    "Wenn das nicht mit einer entsprechenden Sozialpolitik korrigiert wird, kommen die Leute nicht aus dieser Situation heraus. Mit etwas Glück finden sie wieder prekäre Arbeitsverhältnisse, die nicht lange andauern. Natürlich ist das besser als nichts. Wir laufen damit aber auch Gefahr, eine ganze Gesellschaft auf dem Prekariat zu errichten. Die Frage ist nicht, wann kommen wir aus der Krise raus. Die Frage ist: Wie?"
    Sein Vorschlag: In einem ersten Schritt solle Spanien eine Sozialhilfe und auch Wohnraum für Haushalte anbieten, die gar kein Einkommen haben. Das Land müsse auch unbedingt mehr für Bildung und die Integration der sozial Ausgegrenzten ausgeben. Es dürfe die Menschen nicht weiter sich selbst überlassen, appelliert der Soziologe an die Politik. Dass für die Politiker dagegen erst einmal die Haushaltskonsolidierung im Vordergrund steht, stört ihn nicht. Beharrlichkeit sei auch eine Frage des Glaubens, und Caritas schließlich eine christliche Organisation, lächelt Lorenzo.
    Ein Preisschild hängt an einem Gemälde bei einem Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe in Palma de Mallorca.
    Ein Preisschild hängt an einem Gemälde bei einem Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe in Palma de Mallorca (dpa / Julian Stratenschulte)
    Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer
    "Alle Statistiken, die wir haben, auch die letzte OECD-Studie, weisen darauf hin: Die Kluft zwischen Reich und Arm in Spanien wird immer breiter. Wir haben jetzt eine große Chance: Wir können unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Modell überprüfen, das uns in diese Krise geführt hat. Oder wir gehen weiter diesen Weg in eine immer stärker polarisierte Gesellschaft, in der manche sich bisherige Grundrechte wie Bildung und Gesundheit leisten können und andere nicht. Das macht natürlich auch den sozialen Zusammenhalt unmöglich und gefährdet das Zusammenleben."
    Ohne Job, Sozialhilfe und in manchen Fällen sogar ohne eine richtige Wohnung werden Menschen wie von der Gelben Ente oder den Unsichtbaren dagegen abgehängt, wenn sich Spaniens Wirtschaft wieder in Bewegung setzt. Lola erwartet gar nicht viel. Ein Besuch in ihrem Viertel, echtes Interesse der Politik an ihrem Schicksal wären ihr schon viel wert:
    "Ich bin so wütend. Wie oft haben wir nichts gegessen, um die Wohnung bezahlen zu können. Und ich habe sie doch verloren. Seit ich zwölf Jahre alt bin, arbeite ich. Und wenn ich getreten wurde, habe ich mir gesagt, weiter geht’s! Aber jetzt sehe ich, so oft ich auf aufstehe und kämpfe: Ich habe nichts. Ich habe ja nicht mal Türen in der Wohnung. Das muss sich alles ändern. Die Politiker sollten nur einmal hierher kommen, zur Gelben Ente und sehen, wie viel Leute mit Kindern um Essen anstehen. Sind wir denn der letzte Dreck?"