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SPD-Mitgliederentscheid
Juso-Chefin: Koalitionsvertrag kein großer Wurf

Die frisch ins Amt gewählte Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann bekräftigt ihr Nein zum Koalitionsvertrag. Es fehlten zentrale Punkte, die dem SPD-Nachwuchs wichtig seien, sagt Ueckermann und betont: Die Ablehnung richte sich gegen das Vertragswerk, nicht gegen Personen.

Johanna Uekermann im Gespräch mit Jasper Barenberg | 07.12.2013
    Porträtbild von Johanna Uekermann mit langen braunen Haaren und Halstuch
    Neue Bundesvorsitzende der SPD-Nachwuchsorganisation Jusos: Die 26-jährige Johanna Uekermann (picture alliance / dpa/ Armin Weigel)
    Jasper Barenberg: Die Stimmung bei den Sozialdemokraten scheint inzwischen ja prächtig: Tief sitzende Vorbehalte gegen die Koalition mit der Union, davon ist kaum noch die Rede. Im Gegenteil, nach jeder Regionalkonferenz geben sich Parteichef Gabriel und die anderen führenden Genossen noch mehr davon überzeugt, dass die Mitglieder den ausgehandelten Koalitionsvertrag mit CDU und CSU mit großer Mehrheit gutheißen werden. Inzwischen haben fast 200.000 von ihnen abgestimmt und damit schon doppelt so viele wie nötig, damit das Votum gilt. Beim nachwuchs sieht das Bild allerdings anders aus, viele Landesverbände der Jusos lehnen den Koalitionsvertrag ab. Zu ihnen gehört auch Johanna Uekermann. Auf dem Bundeskongress der Jungsozialisten möchte sie heute Sascha Vogt beerben, und im Gegensatz zum scheidenden Vorsitzenden spricht sie sich klar gegen Vertrag und Regierungsbündnis aus. Warum, das habe ich Johanna Uekermann vor dieser Sendung gefragt!
    Johanna Uekermann: Die SPD hat in vielen Punkten gut verhandelt, deswegen mache ich da unserer Verhandlungsgruppe auf keinen Fall einen Vorwurf. Aber mir fehlen trotzdem wichtige Punkte im Koalitionsvertrag, für die vor allem wir Jusos Wahlkampf gemacht haben. Dazu gehört insbesondere die Verbesserung der situation junger menschen, Perspektiven für junge Menschen. Wir haben Wahlkampf gemacht für eine BAföG-Reform, für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, für eine Mindestauszubildendenvergütung. Und diese ganzen Punkte sind leider nicht im Koalitionsvertrag. Und ein zweiter Punkt, der mir sehr wichtig ist, ist der Kurswechsel in der Europapolitik, dass wir tatsächlich wirksame Maßnahmen ergreifen gegen die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, auch davon ist leider wenig im Koalitionsvertrag zu finden.
    Barenberg: Auf der anderen Seite, Frau Uekermann, das ist Ihnen natürlich auch bewusst, gibt es Verhandlungserfolge wie den Mindestlohn, wie die Rente mit 63, wie die doppelte Staatsbürgerschaft, strengere Regeln für Leiharbeit und Werkverträge. Ich habe nur jetzt mal einige Punkte herausgegriffen, aber, ich denke schon, Punkte, die der SPD ja auch besonders wichtig waren. Warum kommen Sie in der Abwägung zu dem Urteil, dass das nicht reicht?
    Uekermann: Da haben Sie völlig recht, da sind gute Punkte dabei, Mindestlohn trotz Ausnahmen, der Einstieg in die doppelte Staatsbürgerschaft, das will ich auch gar nicht kleinreden oder kritisieren. Mir geht es aber darum, dass der große Wurf fehlt. Es fehlt die Antwort auf die großen Fragen, es fehlt zum Beispiel die Antwort auf die Frage, wie wir die Kluft zwischen Arm und Reich, die sich immer weiter vergrößert, schließen wollen. Wir als SPD haben Wahlkampf gemacht, wir als Jusos insbesondere auch für eine gerechtere Steuerpolitik, für mehr Umverteilung. Und davon findet sich leider gar nichts und das ist mir einfach zu wenig.
    Barenberg: Sie haben die Schere zwischen Arm und Reich angesprochen. Kann ich daraus schließen, dass sie den Mindestlohn jedenfalls für kein Instrument im Kampf gegen Armut halten?
    Uekermann: Das sind tatsächlich zwei Bereiche. Auf der einen Seite ist natürlich Mindestlohn gut, weil er quasi mehr Einkommen für Menschen natürlich generiert. Auf der anderen Seite fehlt mir eben das sekundare Instrument der Umverteilung durch auch Steuerpolitik. Das kommt einfach zu kurz.
    Barenberg: Das heißt, ohne Steuererhöhung ist für Sie ein Koalitionsvertrag nicht in Ordnung?
    Uekermann: Es ist einfach eine Gerechtigkeitsfrage, dass man was tut gegen die Kluft, die immer weiter auseinandergeht. Und da hätte man einfach mehr tun können, unter anderem eben durch Steuererhöhung, Vermögenssteuer, Abgeltungssteuer erhöhen, ja, das fehlt mir.
    Barenberg: Kann denn eine Partei, die ein sehr schlechtes Wahlergebnis eingefahren hat, mehr erwarten?
    Uekermann: Wie gesagt, ich finde, dass die SPD gut verhandelt hat. Es ist aber natürlich trotzdem auch eine Sachfrage, reicht mir das als Koalitionsvertrag oder reicht es mir einfach nicht? Und mit der Union, da war einfach nicht mehr durchzusetzen, das stimmt.
    Barenberg: Und da würden Sie sagen, dann ist es besser, auf den Oppositionsbänken platz zu nehmen und gar nichts gestalten zu können, als einige wichtige Projekte, von denen Sie ja auch sprechen, zusammen durchzusetzen?
    "Keine Angst vor Neuwahlen"
    Uekermann: Das wird sich ja zeigen. Wenn der Mitgliederentscheid so ausgeht, dass die SPD nicht in die Große Koalition geht, dann liegt ja quasi die Regierungsbildung erst mal wieder bei Frau merkel. Aber sollte sie da nicht hinbekommen, dann, glaube ich, braucht auch die SPD keine Angst vor Neuwahlen zu haben und, danach, wenn die parlamentarische Mehrheit es hergibt, auch zu gestalten.
    Barenberg: Sie sind wirklich der Auffassung, dass neuwahlen die Chance bieten würden, ein besseres Ergebnis für die SPD zu bekommen?
    Uekermann: Ich glaube, ja, durchaus, dass man da keine Angst davor haben braucht. Wenn die SPD glaubwürdig zu ihren Inhalten jetzt steht und das auch deutlich macht, wo ihre roten Linien laufen, dann, glaube ich, braucht sie keine Angst vor Neuwahlen haben. Aber so weit sind wir ja noch lange nicht. Warten wir erst mal das Mitgliedervotum ab.
    Barenberg: Genau. Und bei diesem Mitgliedervotum ist das Quorum immerhin schon erreicht worden. Mit welchem Meinungsbild rechnen Sie am Ende?
    Uekermann: Ach, das kann ich gar nicht so genau einschätzen, ich habe keine Glaskugel. Ich höre viele verschiedene Dinge, auf Regionalkonferenzen ist meistens eine positive Stimmung, wenn ich mit vielen Jusos spreche, und das habe ich jetzt getan, da ist dann natürlich hauptsächlich Ablehnung da. Von daher kann ich das nicht genau einschätzen.
    Barenberg: Aber Ihre einschätzung wäre schon … überwältigende Zustimmung, das ist ja das, was wir aus der parteispitze hören, wenn sie gefragt werden, wie ihr Eindruck ist bei den Regionalkonferenzen, die zurzeit durchgeführt werden, überwältigende Zustimmung, wachsende jedenfalls dort. Und Sie würden schon sagen, bei den Jusos ist es genau umgekehrt?
    Uekermann: Ja, definitiv.
    Barenberg: Acht Landesverbände haben sich ja öffentlich schon gegen den Koalitionsvertrag ausgesprochen. Werden Sie sich dafür einsetzen auf dem Bundeskongress, dass ein förmlicher Beschluss gefasst wird gegen eine Große Koalition?
    Uekermann: Ja, das ist so abgesprochen, dass wir mit Sigmar Gabriel unsere Positionierung als Jusos auch diskutieren. Da wird es unterschiedliche Meinungen auch bei den Jusos geben, aber ich gehe davon aus, weil, wie Sie schon gesagt haben, eben viele Landesverbände auch gemeinsam einen Antrag einbringen, dass es dort eine Mehrheit dafür geben wird, die große Koalition abzulehnen.
    Barenberg: Sollte es am Ende so kommen, dass die Mitglieder den Vertrag mehrheitlich ablehnen, kann sich dann Parteichef Sigmar Gabriel einen neuen Job suchen?
    Uekermann: Wenn es nach mir geht, auf gar keinen Fall. Ich finde, dass gerade das Mitgliedervotum an sich schon zeigt, dass wir einen großen Schritt nach vorne gemacht haben als Partei, eine unglaublich lebendige und diskutierende Partei sind, das finde ich richtig gut. Für mich ist das tatsächlich eine Sachentscheidung. Eine sachentscheidung, reicht mir das, was im Koalitionsvertrag steht, um in eine Koalition mit der Union einzutreten, oder reicht es mir nicht? Und das hat nichts damit zu tun, dass Sigmar Gabriel einen schlechten Job gemacht hat.
    Barenberg: aber die gesamte Parteiführung setzt sich ja jetzt für dieses Vertragswerk ein. Wie kann sie dann noch die SPD weiter führen, wenn die Mitglieder sagen, das finden wir aber nicht gut?
    Uekermann: Ich finde, wenn man so ein Instrument ergreift wie eben ein mitgliedervotum, und tatsächlich da demokratisch, basisdemokratisch auch drüber abstimmen lässt, dann muss man auch hinnehmen, wenn die Entscheidung anders ausfällt. Für mich hat das aber nichts damit zu tun, dass man dann komplett personelle Konsequenzen ziehen muss, sondern das ist einfach eine ganz normale Entscheidung über eine sachfrage.
    Barenberg: Sigmar Gabriel wird auch eine Rede halten auf Ihrem Kongress. Was vor allem wollen Sie ihm denn sagen und mitteilen auf diesem Kongress?
    Uekermann: Ich werde die Punkte, die ich vorher auch im Interview schon angebracht habe, deutlich machen, nämlich was mir aus Sicht auch insbesondere der Jusos eben fehlt: die Verbesserung und Perspektiven für Junge Menschen, den Kurswechsel in der Europapolitik und natürlich auch das Gerechtigkeitsthema.
    Barenberg: Okay, Frau Uekermann, danke für das Gespräch, danke für Ihre Zeit!
    Uekermann: Vielen Dank, gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.