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Sportmedizin
Die steigende Gefahr der Karriereruinen

Die Spitzensportreform unter dem Gedanken der Dopingprävention war auch Thema beim 30-jährigen Jubiläum des Nürnberger Instituts für biomedizinische Forschung von Professor Fritz Sörgel. Führende Sportmediziner warnen davor, dass die Reform unter dem Präventionsgedanken in die falsche Richtung läuft.

Von Jessica Sturmberg | 24.06.2017
    Fernandes Silva Clemilda aus Brasilien weint beim Olympischen Radrennen aus Enttäuschung.
    Viele Sportler riskieren viel für ihre Karrieren. Doch es lohnt sich immer weniger. (imago sportfotodienst)
    Der Mainzer Sportmediziner Professor Perikles Simon beobachtet gerade bei jungen Athleten immer häufiger eine Entwicklung, die er alarmierend findet: Athleten, die ihr bisheriges Leben dem Spitzensport gewidmet und untergeordnet haben, sind nicht nur frustriert, sondern geradezu desillusioniert, wenn sie die Endläufe bei Olympischen Spielen verfolgen und wissen, sie dürfen nur mitfahren, wenn sie da eine Chance hätten: "Die Leistungen sind einfach in Dimensionen, die soweit weg sind und auch so unrealistisch sind, für diese Nachwuchsathleten, immerhin schon Bundeskader, dass die Motivationsprobleme bekommen."
    Keine Aussicht, bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften dabei zu sein, obwohl sie so viel investieren. Denn nur, wer Endkampfchancen hat, soll in Zukunft noch topgefördert werden und zu den Höhepunkten hinfahren. Die Spitzensportreform könnte die Jugend zunehmend abschrecken. Wer will noch so viel investieren, wenn die Gefahr von Karriereruinen groß ist?
    Im Vordergrund Professor Perikles Simon, rechts Professor Gerhard Treutlein
    Im Vordergrund Professor Perikles Simon, rechts Professor Gerhard Treutlein (deutschlandradio / Jessica Sturmberg)
    Athleten müssen sich selber kümmern
    Andererseits kann sie auch wiederum - ungewollt - Karrieren retten. Weil Athleten selbstständiger werden, wenn die Topförderung für sie nicht mehr erreichbar ist: "Sie werden sich jetzt überlegen, wie weit bin ich dann überhaupt noch bereit zu gehen, kann ich auf diese Form der Sportförderung auch verzichten? Selbst wenn ich da reinkomme, was ist der Preis, den ich dafür bezahle? Und sie werden sich eventuell versuchen ganz klar auch neutral außerhalb des Profisports beraten zu lassen, was ist sinnvoll, was für ein Training verkraftet mein Körper?"
    Simon stellt auch zunehmend fest, dass Körper durch zu hohe und pauschale Trainingsintensitäten falsch belastet und damit kaputt gemacht würden. Die Athleten müssten stattdessen individuell gefördert und ein auf sie maßgeschneidertes Programm bekommen. Weniger könnte da auch mehr sein.
    Leistungssport und parallele Schulbildung kaum noch zu bewältigen
    Die hohen Belastungen sind auch für Harald Schmidt, Leiter der Nürnberger Eliteschule des Sports ein großes Problem. Das duale System aus Leistungssport und paralleler Schulbildung kann immer schwieriger bewältigt werden, sagte Schmidt. Der Druck schon in jungen Jahren mit 12, 13, 14 ein hochprofessionelles Training zu absolvieren, sei in den letzten Jahren ohnehin schon gestiegen, jetzt nehme dieser Druck weiter zu: "Dass hat in Konsequenz zur Folge, dass man durch die immer höheren Umfänge und Intensitäten, die von den Sportlern abverlangt werden, immer mehr Zeitfenster schaffen muss, damit sie dieses Pensum überhaupt noch bewältigen können."
    Dazu kommt ein Doping-Kontroll-System, dass auf der einen Seite wenig effizient ist, zugleich aber jedes Maß an Persönlichkeitsrecht längst überschritten habe. "Wenn Kinder aus dem Unterricht herausgezogen werden, weil man da sicher sein kann, dass man sie antrifft, um sie einer Sekretärin zu übergeben, die sie dann begleitet, bis ganz bestimmte Körpersekrete abgegeben sind, da halte ich die Grenzen dessen, was wir noch akzeptieren können für überschritten. Wir als Schule haben da auch in erheblichem Maße interveniert."
    Professor Fritz Sörgel, Dopingexperte und Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP).
    Professor Fritz Sörgel, Dopingexperte und Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP). (deutschlandradio / Jessica Sturmberg)
    Schlecht aufgestellt in der Prävention
    Der Heidelberger Sportpädagoge Professor Gerhard Treutlein sieht die Grenze des Zumutbaren hinsichtlich des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte bei Sportlern längst überschritten. Er fordert daher eine völlig andere Ausrichtung: "Man sollte eigentlich die Zahl der Kontrollen auf die Hälfte reduzieren, das würde als Abschreckungseffekt genügen und dann lieber das Geld nehmen und das Geld in die Prävention reinstecken. Wir sind bei der Prävention total entfernt von einer flächendeckenden Dopingprävention. Das, was wir machen ist gewissermaßen Alibi."
    Gastgeber Professor Fritz Sörgel möchte, dass genau diese Stimmen stärker gehört werden. Daher will er künftig an seinem Institut einen von der Politik, dem organisierten deutschen Sport und der Wirtschaft unabhängigen Austausch fördern: "Wir brauchen eine offene Diskussion, wir sind mit unserem Institut, der Ort wo sich Leute darüber unterhalten können. Wir brauchen eine Diskussion in der Gesellschaft, die nicht schon beim ersten Zusammentreffen gesteuert ist."
    Der Anfang ist an diesem 30-jährigen Jubiläum heute gemacht.