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Streit um Agrarpolitik
Die Wut der Bauern

Diese Woche beginnt in Berlin die "Grüne Woche". Doch zwischen Politik und Bauernschaft knirscht es mächtig im Getriebe. Der Grund: das neue Agrarpaket, auf das sich die Bundesregierung nach langem Ringen und auf Druck der EU geeinigt hat, sorgt für Ärger bei den Landwirten.

Von Alexandra Gerlach |
Ein Landwirt bringt Gülle auf einem Feld aus, aufgenommen am 12.03.2015 in Heinersdorf (Brandenburg). Foto: Patrick Pleul | Verwendung weltweit
Ein Streitpunkt: Bauern sollen zum besseren Schutz des Grundwassers das Düngen mit Gülle weiter einschränken (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
Kilometerweit leuchtet das Mahnfeuer auf den Schönfelder Höhen nahe Dresden. Rund ein Dutzend warnblinkende Traktoren haben sich auf dem abschüssigen und windzerzausten Triebenberg postiert. Alles blinkt in den tintenblauen Himmel.
Es ist kalt und windig, der Boden matschig. Sächsische Mitglieder der Whatsapp-Gruppe "Land schafft Verbindung" haben zu dieser Aktion eingeladen. Es gibt Suppe, Bratwürstchen vom Grill, Glühwein und auch ein gutes Bier. Von einem großen Anhänger, der zur Bühne umfunktioniert wurde, begrüßt Initiator Christian Ahrens:
"Hallo! Guten Abend! Kann man mich hören? Auch vorne beim Essen kann man mich hoffentlich auch hören. Ich möchte Euch hier alle recht herzlich begrüßen am Triebenberg vor Dresden!"
Landwirte stehen mit ihren Treckern nach einer Sternfahrt in der Hamburger Innenstadt auf dem Holstenwall. 
Landwirtschaftsvertreter: - "Wir brauchen verbindliche Vereinbarungen"
Georg Janßen, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, fordert eine gemeinschaftliche Agrarwende. Jahrzehntelang hätten Bauern zu billigsten Preisen gute Produkte liefern müssen, sagte er im Dlf. Dieses Modell stoße sowohl an wirtschaftliche als auch an gesellschaftliche Grenzen.
Doch der Andrang an diesem Abend ist mäßig. Vielleicht 100 Interessierte haben sich eingefunden. Fast alle sind selber Landwirte.
Das wurmt Christian Ahrens, den Landwirt aus dem rund 20 Kilometer entfernten Großharthau. Er ist enttäuscht: "Ich hatte jetzt geplant eine Ansprache zu machen, eine Begrüßung. Ich habe natürlich damit gerechnet, dass jetzt hier der Platz voll ist. Ich habe eine kleine Rede vorbereitet, wollte dem Verbraucher einiges auch erklären und es sollte aber eigentlich hier der Verbraucher oder der, ja unsere Kunden im Endeffekt, sollten hier mit uns ins Gespräch kommen. Wir fordern, dass wir mitsprechen wollen, bei den Sachen, die uns übergestülpt werden."
Doch es ist Vorweihnachtszeit, noch dazu ein Samstagabend und der Verbraucher scheint sich anderswo zu tummeln, womöglich auf dem Weihnachtsmarkt. Auch Heribert Meller ist enttäuscht. Der Landwirt stammt ursprünglich aus dem Rheinland und betreibt seit einigen Jahren im Schönfelder Hochland einen landwirtschaftlichen Betrieb mit 2.000 Hektar Land, rund 200 Mutterkühen sowie einer Biogasanlage.
Meller beschäftigt 20 Mitarbeiter und hat für diesen Abend den Acker am Triebenberg für die Aktion zur Verfügung gestellt. Es müsse dringend etwas passieren, sagt er, denn: "Wir machen uns Sorgen über die Zukunft der Landwirtschaft und wie wir auch die Arbeitsplätze für unsere Mitarbeiter zukünftig erhalten können. Mit den immer größer werdenden Anforderungen der Politik und des Umweltamtes, die leider, wie wir Bauern alle feststellen, nicht mehr fachlich begründet sind sondern von anderer Motivation getrieben wird. Und deshalb setzt die Landwirtschaft jetzt ein Zeichen und wird mehr Zeichen setzen, damit wir endlich auch wieder den Zuspruch von der Bevölkerung bekommen, den wir eigentlich verdienen."
Ansehen der Bauern hat schwer gelitten
Die Mitglieder von "Land schafft Verbindung" - einer Graswurzelbewegung, die vor wenigen Monaten entstanden ist - sind fest entschlossen, in der öffentlichen Diskussion offensiv auf die Verbraucher zuzugehen und nicht nur auf die Politik zu setzen.
Es gehe ihnen darum, die gravierende Entfremdung von Politik, Verbraucher und Landwirtschaft zu überwinden, sagt Landwirt Meller: "Denn die meisten Leute können unser Handwerk gar nicht mehr nachvollziehen. Wir säen, wir düngen, wir machen Bodenbearbeitung. Danach ernten wir und wie das dann so schön heißt. Und die anderen wissen alles besser. Und da muss irgendwann jetzt mal - ich will nicht sagen, ein Riegel vorgeschoben werden, - aber wir müssen miteinander reden."
Das Ansehen der Bauern hat schwer gelitten in den letzten Jahren. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Nitratbelastung des Bodens und der Gewässer, das rätselhafte Insektensterben sowie die Massentierhaltung fühlen sich viele von ihnen zu Unrecht an den Pranger gestellt. So auch der 31-jährige Henry Robert, der gemeinsam mit seinen Eltern einen kleinen bäuerlichen Familienbetrieb im ostsächsischen Fischbach betreibt.
Landwirte aus ganz Deutschland sind am Dienstag 26.11.2019 mit tausenden Traktoren nach Belin gefahren um gegen verschärfte Umweltauflagen und strengere Duengeregeln zu protestieren. Das Foto zeigt die Straße des 17. Juni Richtung Brandenburger Tor von der Siegessaeule aus gesehen. Die Trekkerdemonstratin legte zeitweise den Verkehr in der Bundeshauptstadt lahm.
Landwirte aus ganz Deutschland waren im November mit tausenden Traktoren nach Berlin gefahren um gegen verschärfte Umweltauflagen und strengere Düngeregeln zu protestieren (imago images / epd / Rolf Zoellner)
Er sei Bauer aus Tradition und Leidenschaft, sagt Henry Robert und lächelt verschmitzt. Dennoch fühlt er sich: "Missverstanden. Und eben auch Sündenbock für viele Sachen, wo mir eigentlich auch gar nicht allein dafür verantwortlich sind. Wir haben natürlich einen großen Anteil an der Umwelt und einen Einfluss, aber nicht bloß, und wie gesagt, die Bevölkerung hat auch nicht das Verständnis dafür, warum wir das so machen. Die kriegen das immer nur aus den Mediensachen mit, wieso."
Der junge Bauer sieht einen großen Teil der Verantwortung für diese Schieflage auch in der Medienberichterstattung. Diese sei oftmals nicht sachkundig, sagt er, und aus seiner Sicht eher ideologisch motiviert. Das ärgert ihn. Deshalb hat er einen eigenen Youtube-Kanal gegründet, den er nutzt, um seinen Berufsalltag in dem kleinen Drei-Mann-Familienbetrieb zu erklären.
"Wir haben noch zwei Milchkühe, die restlichen Milchkühe haben wir aufgehört, weil es sich einfach nicht mehr lohnt bei uns. Und wir haben aber unseren eigenen Hofladen, wo wir unsere Ware selber vermarkten und dort haben wir eben zwei Kühe, dass wir eben eine Milchtankstelle betreiben. Wir haben so 16 Schweine, ungefähr haben wir da zur Direktvermarktung für den Hofladen und eben die Rinder werden geschlachtet, ein paar Schafe, Ziegen, Hühner, Gänse, was dazu gehört eben, wie es früher war."
Doch ansonsten ist nichts mehr wie früher. Seit Monaten rumort es in der bundesdeutschen Bauernschaft. Das beobachtet auch der freiberufliche Landwirtschaftsberater Andreas Wilhelm, der in Sachsen und darüber hinaus zahlreiche Betriebe betreut: "Sie sind in den letzten Jahren so in die Ecke gedrückt worden und die gesellschaftliche Akzeptanz ist so nach hinten gefahren worden. Sie fühlen sich von der Gesellschaft verunglimpft als Umweltverschmutzer, als Wasserverschmutzer, als Tierquäler."
Massive Zukunftsangst
Zudem seien die Erlöse in der Landwirtschaft deutlich gesunken, sagt Wilhelm. Auch das trage zu der verunsicherten negativen Stimmung der Bauern bei: "Es ist einfach so, dass das durchschnittliche Bruttoeinkommen eines landwirtschaftlichen Arbeitnehmers momentan gerade mal bei ca. 22.000 Euro liegt. Das ist aufs Jahr gerechnet nicht viel. Und viele kleinere Landwirtschaftsbetriebe sagen mir jetzt, vor allem in Nordsachsen nach den zwei trockenen Jahren, wir können eigentlich nur überleben, weil meine Ehefrau nicht mit im Betrieb arbeitet sondern einen Job in einer anderen Wirtschaft hat. Und damit können wir einigermaßen unser Familieneinkommen sichern."
Das sogenannte "Bauern-Bashing" und massive Zukunftsangst mit Blick auf die kommenden verschärften Auflagen für die Bewirtschaftung ihrer Betriebe, treiben die Bauern auf die Straße. Das Agrarpaket, auf das sich die Bundesregierung nach langem Ringen geeinigt hat, sieht drastische Veränderungen und Restriktionen für die Landwirtschaft vor, und soll schon bald in Kraft treten. So soll zum Beispiel der Einsatz von Düngemitteln deutlich reduziert werden, um die Nitratwerte im Grundwasser zu verringern.
Bauern demonstrieren vor dem Brandenburger Tor
Kritischer Agrarbericht - Konflikt zwischen Stadt und Land
Ein Bündnis aus Kleinbauern und NGOs hat den Kritischen Agrarbericht veröffentlicht. Ihre Botschaft: Eine Agrarwende kann nur gelingen, wenn Landwirte und Konsumenten an einem Strang ziehen.
Ein Gütesiegel für Fleisch soll eingeführt und die Regeln für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verschärft werden. Im letzten November führte der Streit um die Agrarpolitik zur größten Bauerndemonstration seit Jahrzehnten. Die Sternfahrt zum Brandenburger Tor in Berlin, mit Zehntausenden von wütenden Teilnehmern und Tausenden Traktoren, schaffte eindrucksvolle Bilder. Teilnehmer-Statements in Medien-Berichten machten deutlich, wie ernst die Lage ist:
"Wir sind ja alle im Bus von Niederbayern gekommen und etliche Höfe sind überschuldet, weil immer eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird."
"Wir möchten einfach auch zeigen, dass die Wertschätzung fehlt."
"Es werden immer wieder neue Gesetze und Verordnungen erlassen, ohne mit den Landwirten darüber zu sprechen!"
"Mit diesem Agrarpaket werden meines Erachtens 60 bis 80 Prozent der Höfe dicht machen."
"Wichtig ist, dass die Gesellschaft weiß, dass wir ökologische Forderungen durchaus erfüllen können, aber wir brauchen dafür auch einen ökonomischen Ausgleich."
Der wütende Protest zielt auch gegen SPD-Bundesumweltministerin Svenja Schulze. Nur mit großer Mühe gelingt es ihr für einen kurzen Moment ihre Rede zu beginnen, bevor ihre Worte im Tumult untergehen: "Also ich empfinde es als Respekt, dass jeder Deutsche und jede Deutsche 114 Euro jedes Jahr pro Kopf bezahlt für die gemeinsame Agrarpolitik."
Streit um Gülle
Der Ärger der Bauern richtet sich konkret gegen die neuen Vorschläge zum besseren Schutz des Grundwassers, welche die Bundesregierung im September beschlossen und an die EU-Kommission geschickt hat. Diese hatte zuvor Deutschland wegen zu hoher Nitratwerte im Grundwasser verklagt. Als Hauptverursacher dafür gilt die Landwirtschaft. Um die Werte zu senken sollen künftig längere Sperrzeiten für das Düngen im Herbst und im Winter gelten. Auf den Acker-Streifen in Gewässernähe soll das Düngen mit Gülle und anderen Düngern komplett verboten werden. Das bringt die Bauern in Rage. Sie befürchten eine mittel- und langfristige Unterversorgung des Bodens und daraus folgend erhebliche Ertragsausfälle, die sie allein nicht kompensieren können. Diese Maßnahmen stellten die Betriebe vor nicht lösbare Aufgaben, warnt der Deutsche Bauernverband.
Julia Klöckner (CDU)
Julia Klöckner (CDU), Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft (dpa / Fabian Sommer)
Die Bundeslandwirtschaftsministerin, Julia Klöckner von der CDU kontert und wird grundsätzlich: "Wir werden nur dann eine Akzeptanz in der Gesellschaft haben, wenn die Bauern auch deutlich machen, uns liegt die Bewahrung der Schöpfung am Herzen und wie wir auch mit Tieren umgehen.
Und die Debatte mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern werden wir nicht gewinnen, indem wir einfach die Augen und Ohren zu machen und sagen "uns interessiert nicht, wie das Grundwasser aussieht". Wer das leugnet, der wird doch nicht ernst genommen!"
Ortswechsel. An einem späten Nachmittag im Januar macht Landwirt Hartwig Kübler einen Kontrollgang über seinen Hof in der Lommatzscher Pflege nahe Meißen:
"Hier auf der rechten Seite sind unsere Tiere untergebracht. Da haben wir die Färsen, also die Rinder, die mit einem Alter von sechs Monaten hierher kommen und dann aufgezogen werden und dann kurz vor der Abkalbung wieder in ihren Stall zurückgehen. Hier auf der linken Seite ist unsere Biogasanlage seit 2007 hier in Betrieb. Es ist eine Anlage die 537 KW elektrische Leistung hat. Unser Betrieb hat 20 Arbeitsplätze, die sowohl in der Tierproduktion wie auch hier in der Biogasanlage beschäftigt sind und insgesamt circa 2.300 Hektar Landwirtschaftsfläche bewirtschaften."
Hartwig Kübler ist seit Anfang der 90er-Jahre in Sachsen ansässig. Sein Betrieb ist hochmodern ausgestattet. Viele Betriebsabläufe sind bereits digitalisiert, die Ackerbewirtschaftung wird schon bald im Modellversuch mittels der neuen 5G-Kommunikationstechnik betrieben werden. Das spart Ressourcen und Arbeitsgänge und schont den Boden. Ohnehin wird in Raitzen seit über 20 Jahren pfluglos gearbeitet um den Boden nicht zu belasten und Erosionen zu verhindern. Präzisions-landwirtschaft werde hier betrieben, sagt Kübler:
"Das heißt wir erfassen sehr exakt den Bedarf unserer Pflanzen und bringen auch sehr exakt die Mengen aus an Nährstoffen, speziell Nitrat, Stickstoff, die wirklich benötigt werden. Und wir scannen auch während der Fahrt bei der Stickstoffdüngung genau, welcher Bedarf wo ist und bringen nur so viel aus, wie wir brauchen. Das können wir nachweisen."
Kritik an fehlender Repräsentativität des deutschen Nitratmessnetzes
Dennoch hat Küblers Betrieb ein gravierendes Problem. Er liegt in einem der rot gekennzeichneten Flächenbereiche, die für höchste Nitratbelastung stehen und daher besonders betroffen sein werden von den neuen Verordnungen. Nach Inkrafttreten darf in diesen Gebieten künftig grundsätzlich nur noch 20 Prozent weniger Dünger ausgebracht werden. Die Folgen seien gravierend, sagt Landwirtschaftsberater Andreas Wilhelm:
"Die Einschränkungen, die jetzt auf die Landwirtschaft zukommen, gerade auch in der Sicht der neuen Nitratverordnung werden dazu führen, dass wir auch nicht im Ansatz mehr dazu in der Lage sind, die Pflanzen ordentlich zu ernähren. Und das wird zu starken Ertragsdepressionen in den nächsten Jahren führen, unabhängig davon, ob ich mit starker Trockenheit oder starker Nässe kämpfen muss."
Das werde die außereuropäische Konkurrenz freuen, beispielsweise die Ukraine, die ungehindert von derlei gesetzlichen Vorgaben zu einem Bruchteil der deutschen Produktionskosten in den freien Markt nach Europa liefern dürfe, warnt Landwirt Hartwig Kübler. Als Vorstandsvorsitzender des Verbandes der familiengeführten Landwirtschaftsunternehmen in Sachsen und Thüringen fordert er:
"Wir wollen, dass wir fair bilanziell düngen dürfen. Das heißt, soviel wie wir entnehmen, wollen wir auch wieder zugeben. Wir wollen nur nicht, dass wir vorneweg schon weniger düngen dürfen, wie das, was unserer Pflanzen eigentlich benötigen! Alles, was wir tun können, tun wir gerne, aber wir wollen nicht noch darüber hinaus bestraft werden für Dinge, für die wir nicht verantwortlich sind. Und das heißt, wenn wir jetzt nicht mehr so viel düngen dürfen, wie wir benötigen, dann bedeutet das für uns einen Einkommensverlust, das bedeutet Qualitätsverlust bei unserem Getreide, das heißt für uns ist unser Betrieb langfristig gefährdet."
Hauptkritikpunkt aus Sicht der Bauern ist die fehlende Repräsentativität des deutschen Nitratmessnetzes, das explizit als Belastungsnetz angelegt wurde. Zum einen gebe es viel zu wenige Messpunkte, zum anderen werde im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern nur an den besonderen Belastungspunkten und nicht in der Fläche gemessen, was die Ergebnisse verzerre. In der EU schneidet Deutschland, was die Nitratwerte betrifft, besonders schlecht ab, was die EU-Kommission dazu bewogen hat Deutschland zu verklagen. Zugleich hatte auch die Kommission jedoch die fehlende Repräsentativität des Messnetzes bemängelt. Kübler wehrt sich gegen den Eindruck, dass die Landwirte bewusst fahrlässig handelten:
"Wir würden uns ja unserer eigene Zukunft, unsere eigene Grundlage entziehen, wenn wir unsere Böden nicht ganz sorgfältig behandeln und ganz vorsichtig mit ihnen umgehen."
Diese Argumentation kennt auch Wolfram Günther, der neue sächsische Staatsminister für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft. Der Rechtsanwalt für Planungs- und Umweltrecht hat auch ein Studium der Kunstgeschichte in der Tasche und stand in den vergangenen fünf Jahren an der Spitze der Landtagsfraktion der Bündnisgrünen in Sachsen. Zum ersten Mal in der bald 30-jährigen Geschichte des Freistaates steht mit ihm jetzt ein Grüner an der Spitze des Landwirtschaftsressorts. Seine Parteizugehörigkeit und die Tatsache, dass er im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger keine landwirtschaftliche Ausbildung hat, wird von vielen hiesigen Bauern kritisch gesehen. Doch der erste direkte Kontakt im Amt mit den Spitzen des Sächsischen Bauernverbandes sei gar nicht schlecht verlaufen, sagt Günther:
"War insgesamt ein sehr angenehmes Treffen und ich denke es geht vor allen Dingen darum, dass man in diesen Zeiten miteinander redet, aber eben nicht nur miteinander redet, sondern vor allem einander zuhört. Und das hat sehr gut funktioniert auf dieser Tagung."
Landwirte aus ganz Deutschland sind am Dienstag 26.11.2019 mit tausenden Traktoren nach Belin gefahren um gegen verschaerfte Umweltauflagen und strengere Duengeregeln zu protestieren.
Bauernproteste im November (imago images / epd-bild / Rolf Zoellner)
Der Bündnisgrüne möchte Brücken bauen in seiner Amtszeit. Zugleich möchte er aber in der Landwirtschaft und in der Agrarpolitik die Weichen neu stellen. Daran lässt er keinen Zweifel. Die Probleme der hohen Nitratwerte und anderer umweltschädlicher Wirtschaftsmethoden in der Landwirtschaft seien Folge einer langjährigen subventions- und fehlgesteuerten Agrarpolitik, sagt Günther:
"Wir haben das Problem, dass die Landwirtschaft unter bestimmten Rahmenbedingungen handelt und diese Rahmenbedingen, die hat die Gesellschaft, die hat auch die Politik gesetzt über Jahrzehnte, und in denen haben die sich bewegt. Und jetzt haben wir die Ergebnisse."
Die Landwirtschaft sei aber nicht nur Verursacher, sondern zugleich auch Leidtragende dieser Entwicklung, sagt der Minister, und müsse sich schon aus Eigeninteresse der Suche nach einer Lösung stellen. Ein bundesweites "Weiter so", könne es allerdings nicht geben, meint Günther entschieden: "Also die Nitratrichtlinie der EU, die gibt es schon seit 1991. Aber erstens muss man feststellen, wir haben sehr, sehr viele Jahre Zeit verloren. Die Probleme sind auch schon lange bekannt."
Riesenbaustelle für den gesamten Agrarsektor
Das Argument, dass das Nitratmessnetz in Sachsen und bundesweit nicht ausreichend bestückt und daher nicht repräsentativ sei, weist er zurück, dennoch soll es überprüft und in Sachsen in Kürze erweitert werden: "Wir haben in Sachsen offiziell 36 solche Messpunkte, die den Standards entsprechen der EU. Faktisch gemessen und auch als Grundlage für diese Ausweitung der roten Gebiete sind es aber knapp 1.700 Messpunkte, davon auch eine große Anzahl, die weit überwiegende Zahl private Messpunkte und wir werden hier in Kürze in Sachsen noch 15 Messstellen zu diesen 36 offiziell dazu bringen, weitere 85 sind auch geplant, das heißt das Messnetz wird in Sachsen also deutlich dichter werden."
Von einer grundlegenden Neubewertung der besonders gefährdeten Gebiete geht der sächsische Landwirtschafts- und Umweltminister jedoch nicht aus. Der Protest der Bauern wird ihn auch auf der diesjährigen "Grünen Woche" in Berlin begleiten. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich das Thema als Riesenbaustelle für den gesamten Agrarsektor:
"Wir müssen doch zu Kenntnis nehmen, dass im Prinzip alle Akteure im Bereich von Landwirtschaft gerade eine hohe Unzufriedenheit haben. Also, ob die Betriebe konventionell oder biologisch sind, ob sie groß oder klein sind, sie sind nicht zufrieden mit der Situation. Wir haben das Problem seitens der Umwelt-/Naturschutzverbände, wir haben es seitens der Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn man sagt, alle sind im Moment unzufrieden, dann ist das doch eigentlich genau der Moment, wo man sagt, wir brauchen ein gemeinsames Leitbild, wo es hingeht, damit wir das mal alles wieder zusammenführen und damit wir eine Zukunft erleben, wo wir nicht mehr diese Proteste brauchen."
Seit wenigen Tagen ist bekannt, dass Bayern erwägt, im Bundesrat ein Veto gegen das neue Agrarpaket einzulegen. Noch ist nicht absehbar, ob diese Überlegung Signalwirkung für andere Bundesländer haben könnte. Sie folgte unmittelbar auf den Bauernprotest anlässlich der zurückliegenden CSU-Klausur in Kloster Seeon und signalisiert, dass die CSU ihre traditionell bäuerlich geprägte Mitgliederbasis nicht verprellen möchte.
"Also das ist ja… Wir sind ja von der EU schon verklagt worden als die Bundesrepublik Deutschland, da gibt es ja einen enormen Druck. Ja, und es wird die Regelung geben, die ist für das Frühjahr ja gesagt, wenn da Bayern jetzt sein Veto einlegt, das müssen wir jetzt besprechen, auch mich den Kollegen, und da werden wir gucken, dass wir möglichst auch zu abgestimmten Positionen kommen, damit es Sicherheit gibt. Denn das ist eines der Hauptprobleme in der Landwirtschaft, diese geringe Planungssicherheit. Also man hat dort die Förderkulisse, von der man abhängig ist, man hat die rechtlichen Rahmenbedingungen. Bei allen beiden ist gerade ganz große starke Bewegung drin, und ein Landwirtschaftsbetrieb muss sowohl, was sein Betriebskonzept anbelangt, also auch die daraus folgenden Investitionen, die er tätigt, die er ja auch für mehrere Jahre, Jahrzehnte tätigt, da braucht er eine ganz hohe Sicherheit und deswegen ist es jetzt die Aufgabe der Politik, relativ bald für die Klarheit bei den Rahmenbedingungen zu sorgen.
Was ein mögliches Veto für die Zukunft des Agrarpaketes bedeuten würde, ist offen.