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Streit um mehr als nur Sprache

Das Verhältnis zwischen Kroatien und Serbien bleibt angespannt. An der gemeinsamen Grenze ist nun ein Streit um die Beschriftung von Straßenschildern entbrannt. Sowohl Kroaten als auch Serben wollen damit ihre nationale Identität und jeweilige Sicht auf die Geschichte ausdrücken.

Von Martin Sander | 01.07.2013
    Die Barockstadt Vukovar liegt im Osten Kroatiens, am Ufer der Donau, wo die Grenze zur Republik Serbien verläuft - und seit heute die Außengrenze der Europäischen Union. Der Übergang nach Serbien wird von nun an komplizierter. Doch es sind gerade die Serben im kroatischen Vukovar, immerhin ein Drittel der Einwohner, die sich für den EU-Beitritt Kroatiens begeistern. Der Grund: Brüssel unterstützt sie, wenn sie amtliche Aufschriften und Schilder in kyrillischer Schrift fordern. Zwar haben die Serben keinerlei Sprachprobleme mit den Kroaten. Aber sie beharren auf Kyrillisch, weil ihnen dieses Alphabet als Ausweis der nationalen Identität gilt. Vojislav Stanimirović, Neuropsychiater und Vertreter der Serben von Vukovar, klagt:

    "Wenn Sie nach Erdut fahren, fünf oder sechs Kilometer von hier, wo Serben, Kroaten und Ungarn leben, da sehen sie ungarische und kroatische Ortsschilder. Serbische gibt es nicht. Wenn sie nach Istrien fahren, haben sie italienische und kroatische Schilder. Aber wenn Sie hier in eine serbische Gemeinde kommen, wo wir sogar die Mehrheit bilden, da gibt es keine zwei Schriften. Das gilt nur für uns Serben. Man bringt die kyrillische Schrift mit dem Angriffskrieg in Verbindung."

    Auch wenn Zagreb im Einklang mit Brüssel auf Verwendung von zwei Schriften in Vukovar drängt, ist das nur schwer durchsetzbar. Viele Kroaten reagieren allergisch, ihre Kombattantenverbände organisierten immer wieder Proteste. Zdenko Kuner, ein kroatischer Verteidiger von 1991, heute Kriegsinvalidenrentner.
    "Ich bin dagegen. Sie haben uns überfallen, es war ein blutiger Kampf. Jetzt stellen sie Forderungen. Das sollten sie nicht tun. Kyrillische Schrift sollte es hier in den nächsten 50 Jahren nicht geben, meine ich."

    Nach knapp dreimonatiger Belagerung und Bombenkrieg hatten die Militärs von Slobodan Milošević Vukovar im November 1991 erobert. Unter den Zivilisten und Soldaten, die sich im Krankenhaus verschanzt hatten, richteten die serbischen Sieger ein Massaker an, erschossen Hunderte und verscharrten sie auf einer ehemaligen Schweinefarm. Andere ließen sie in Internierungslagern verschwinden.

    Heute erinnert man an die Verbrechen im Keller des Krankenhauses. Die Gedenkräume sind im Originalzustand, aus Lautsprechern schallt die Geräuschkulisse von damals - ein zentrales Kapitel kroatischer Opfer- und Heldengeschichte.

    "Wir haben in Vukovar zwei Welten und zwei Wahrheiten über Vukovar und den Krieg. Jede Wahrheit stimmt. Aber jede nur zur Hälfte. Im Krankenhaus haben sie bestimmt nicht gehört, dass im Verteidigungskrieg auch Serben teilgenommen haben."

    Ljiljana Gehrecke, eine Vukovarerin mit deutschen Wurzeln, hat in der Stadt ein Europahaus gegründet – für die Verständigung und gemeinsame Fortbildung beider Bevölkerungsteile.

    "Kroatien hat sehr gute Gesetze für den Schutz der Minderheiten, also auf der europäischen Ebene, aber im täglichen Leben sind die Serben diskriminiert, weil bei den Kroaten ist ein Gefühl des Triumphes entwickelt worden. Die sind Sieger, die haben recht, die tun immer alles gut."

    Heute erhalten serbische und kroatische Kinder in Vukovar separaten Schulunterricht. In den Fächern Sprache, Literatur und vor allem Geschichte sind Lehrstoffe auf die jeweilige nationale Sicht ausgerichtet. Vojislav Stanimirović, der Vertreter der Serben, hält diese Separation für unentbehrlich:

    "Solange die Schulbücher nicht verändert werden, müssen wir getrennte Schulen haben. Zuerst muss man das Schulprogramm an den kroatischen Schulen ändern, damit die Kinder im Geschichtsbuch nicht lesen müssen, dass ihre Eltern Besatzer waren, Eltern, die hier gelebt haben. Wir Serben leben hier doch seit 300 oder 400 Jahren."