Dienstag, 07. Mai 2024

Archiv

Streit um Tengelmann-Edeka-Fusion
"Alarmiert bis in die Haarspitzen"

Die geplante Übernahme der Kaisers-Tengelmann-Supermärkte durch den Edeka-Konzern droht zu scheitern - und das lässt die Tengelmann-Beschäftigten im Ungewissen. Schon kündigten viele von sich aus, berichtet der NRW-Betriebsrat Rainer Schroers im DLF. Zudem würden Mietverträge für Filialen nicht mehr verlängert.

Rainer Schroers im Gespräch mit Birgid Becker | 19.09.2016
    Kaiser's Tengelmann und EDEKA Logos in Bonn.
    Edeka will Kaiser's Tengelmann übernehmen. (imago / Kosecki)
    Birgid Becker: Für die angeschlagene Supermarktkette Kaisers Tengelmann könnte diese Woche so etwas wie eine Woche der Entscheidung werden. Kurzer Blick zurück: Die Fusion mit Edeka war geplant, vom Kartellamt aber gestoppt worden, per Ministererlaubnis dann wieder ans Laufen gebracht worden und per Gerichtsentscheid wieder gestoppt worden. Mit der ganzen Angelegenheit befasst sich nun der Bundesgerichtshof. Aber dem Eigentümer von Kaisers Tengelmann, Erivan Karl Haub, geht wohl die Geduld aus. Übers Wochenende wurde ein Brandbrief bekannt, in dem er mit umfangreichen Entlassungen in Nordrhein-Westfalen droht, wie zuvor schon in Berlin und in Bayern. Am Telefon begrüße ich Rainer Schroers, nordrhein-westfälischer Betriebsrat bei Kaisers Tengelmann. Guten Tag.
    Rainer Schroers: Schönen guten Tag.
    Becker: Herr Schroers, was weiß man bei Ihnen in den Filialen? Entlassungen womöglich geplant, die jeden zweiten Arbeitsplatz betreffen könnten? Dieser Brief, der da am Wochenende bekannt geworden ist, hat den die Belegschaft, haben den die Betriebsräte auch erhalten?
    Schroers: Nein, den Brief haben wir nicht erhalten. Der war uns und auch der Belegschaft in den Läden so nicht bekannt.
    Becker: Ist es denn vorstellbar für Sie, dass jeder zweite Arbeitsplatz von Entlassungen bedroht sein könnte?
    Schroers: Zum Zeitpunkt jetzt - Stand der Ministererlaubnis - ist es für uns nicht so vorstellbar, weil wir bisher davon ausgegangen sind, dass es noch eine Möglichkeit gibt, um den Zusammenschluss zu erreichen. Dann wären die Arbeitsplätze gesichert. Wenn dies natürlich nicht geschehen kann, wenn kein Übergang zu Edeka stattfinden kann, dann sind die Arbeitsplätze natürlich gefährdet, klar.
    Becker: Wie ist denn die Stimmung in den Filialen im Moment? Wie alarmiert ist man denn da?
    Schroers: Alarmiert ist man bis in die Haarspitzen, vor allen Dingen, weil auch die Zeitspanne schon so lange ist. Es wird täglich für die Mitarbeiter schwerer, auch für sich selber zu planen. Das geht ja bis ins Private rein, bis ins Häusliche: Kann ich meinen Jahresurlaub nächstes Jahr überhaupt planen, kann ich Anschaffungen tätigen, die ich jetzt schon zwei Jahre zurückschiebe? Es wird schon immer schwerer für die Kollegen draußen.
    Becker: Ist das zutreffend, dass es schon jetzt scharenweise Mitarbeiter von Tengelmann gibt, die von sich aus kündigen?
    Schroers: Ja, wir haben erhöhte Eigenkündigungen. Und man kann es ja auch keinem Kollegen oder keiner Kollegin verdenken. Wenn die jetzt einen vergleichbaren zumutbaren Arbeitsplatz finden - bei der Zukunftsprognose, die im Moment bei uns herrscht, kann man keinem böse sein, wenn er geht. Und die Kollegen und Kolleginnen greifen dann schon zu. Bisher haben wir es geschafft, das tägliche Geschäft noch am Laufen zu halten, aber das wird natürlich von Monat zu Monat schwerer.
    Becker: Bislang gibt es ja Berichte, dass diese Eigenkündigungen vor allem, ich sage mal, im Back-Office-Bereich stattfinden, also im Bereich der IT oder im zentralen Dienstleistungszentrum, das ist bei Ihnen gibt. Ist das so, oder gehen die Kündigungen auch in die Verkaufsräume? Betreffen die auch das Verkaufspersonal?
    Schroers: Die betreffen auch das Verkaufspersonal. Sicherlich ist im Back Office jedenfalls ein gewisser Eigenkündigungsanteil da. Der geht aber bis in die Läden und auch bis in die Logistik teilweise.
    Becker: Im Beitrag eben war zu hören, dass es ja so ein Last-Minute-Spitzentreffen geben soll, ein Treffen zwischen allen Beteiligten. Auch Rewe soll dabei sein. Wissen Sie etwas über dieses Treffen?
    Schroers: Ja, nur das, was in den Artikeln in Zeitungen, in den Nachrichten im Fernsehen gekommen ist. Nur das wissen wir. Das haben wir da gelesen, und mehr kann ich im Moment nicht dazu sagen.
    Becker: Auch das ist ja bereits berichtet worden, dass Vermieter der Märkte dabei seien, die Mietverträge nicht mehr zu verlängern und gegebenenfalls sogar dafür zu werben, dass Filialen an Wettbewerber gehen. Ist Ihnen das auch untergekommen?
    Schroers: Ja, das ist uns natürlich auch untergekommen – bei der Berichterstattung, wie es um unser Unternehmen steht. Die Filialen sind ja natürlich bei den Vermietern nicht mehr die erste Wahl, und Expansion ist bei uns ja auch schon eine ganze Zeit lang nicht mehr wirklich betrieben worden.
    Becker: Haben Sie den Eindruck, denn der drängt sich ja auch ein bisschen auf, dass der Tengelmann-Eigentümer Erivan Karl Haub jetzt bewusst Druck aufbaut mit diesen Entlassungsplänen, dass er bewusst öffentlichen Druck aufbaut, um alle Beteiligten in so einen Alarmzustand zu versetzen?
    Schroers: Da kann ich nichts zu sagen. Ich weiß, dass der Eigentümer immer gesagt hat, dass er das Unternehmen als Ganzes abgeben möchte und alles dafür tun würde. Dazu kann ich Ihnen jetzt im Moment nichts sagen, das kann ich nicht beurteilen.
    Becker: Geben Sie denn der Fusion mit Edeka überhaupt noch Chancen?
    Schroers: Das ist schwer zu sagen. Ich habe einfach die Hoffnung, dass es noch funktioniert, und ich sage jetzt einfach mal, wenn dieses Gespräch zustande kommt, wo alle Betroffenen am Tisch sitzen, dann ist es auch bestimmt möglich, eine Lösung zu finden. Ich sage mal so: Ich habe einfach noch die große Hoffnung, dass es funktioniert, auch natürlich für alle knapp 16.000 Mitarbeiter von uns.
    Becker: Ich danke Ihnen! - Rainer Schroers war das, Betriebsrat von Kaisers Tengelmann in Nordrhein-Westfalen. Danke fürs Gespräch.
    Schroers: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.