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Süssigkeiten an der Supermarkt-Kasse
"Kaufentscheidungen ohne Druck"

Eltern kennen das Problem: Kinder fangen an zu quengeln, sehen sie Süßigkeiten im Kassenbereich der Supermärkte. Deswegen will die Bundesregierung den Einzelhandel dazu bewegen, Familienkassen einzurichten, sagte CDU-Politikerin Gitta Connemann im DLF. An denen soll es dann nichts Süßes geben.

Gitta Connemann im Gespräch mit Friedbert Meurer | 15.01.2015
    Gitta Connemann (CDU), Vorsitzende im Enährungsausschuss des Deutschen Bundestages
    Gitta Connemann (CDU), Vorsitzende im Enährungsausschuss des Deutschen Bundestages (imago stock&people)
    "Wir wollen keine Süßigkeiten an der Kasse verbieten", sagte Gitta Connemann (CDU), Vorsitzende des Ernährungsausschusses, im Deutschlandfunk. "Es geht uns um Wahlfreiheit" - und deswegen solle der Einzelhandel dazu angeregt werden, Familienkassen bereitzustellen. "Quengelfreie Kassen sozusagen", sagte Connemann.
    Es könne nicht sein, dass die Kaufentscheidung, die im Supermarkt für oder wider Süßigkeiten getroffen wurde, im Kassenbereich noch einmal unter Druck gesetzt werde. Außerdem sei übermäßiger Konsum von Süßem ein Grund für Übergewicht bei Kindern. "Dafür gibt es jedoch noch andere Ursachen", so Connemann.

    Das Interview im Wortlaut
    Friedbert Meurer: Im Deutschen Bundestag wird heute ein Antrag eingebracht, wonach Supermärkte demnächst quengelfreie Kassen anbieten sollen. Gitta Connemann von der CDU leitet den Vorsitz des Ernährungsausschusses im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Frau Connemann!
    Gitta Connemann: Guten Morgen, Herr Meurer.
    Meurer: Was ist eine quengelfreie Kasse?
    Connemann: Das ist eine süßigkeitenfreie Kasse, also ganz normaler Kassenbereich, aber in dem sich befinden gegebenenfalls auch mal Nüsse, Obst oder Batterien, Handykabel, so was in der Art, aber eben nicht das Lockmittel Süßigkeiten.
    Meurer: Wie sind Sie auf diese Idee gekommen mit den quengelfreien Kassen?
    Connemann: Auf die Idee kommen die Eltern selbst. Es gibt immer wieder auch Anfragen und Bitten, ob es nicht in den Supermärkten auch Familienkassen geben könnte. Es geht gar nicht darum, dass jede Kasse quengelfrei ist oder süßigkeitenfrei, sondern es geht darum, dass es eben auch Kassen gibt, in die Eltern reingehen können, ohne dass der tägliche Terror vorprogrammiert ist.
    Meurer: Ihre Forderung lautet, eine Kasse soll quengelfrei sein, ohne Süßigkeiten, aber die fünf links und rechts daneben nicht?
    Connemann: Es geht darum, kein Verbot, sondern wirklich gemeinsam mit dem Lebensmittel-Einzelhandel darauf hinzuwirken, dass es quengelfreie Familienkassen gibt, dass diese zum Standardangebot gehören, aber nicht, dass jede Kasse quengelfrei wird.
    Meurer: Wenn eine Kasse keine Süßigkeiten hat, aber links und rechts daneben die dann schon, werden dann die Kinder nicht einfach ausbüchsen, drei, vier Meter links sind die Süßigkeiten? Was bringt die eine Kasse ohne Süßigkeiten?
    Connemann: Es können ja auch zwei oder drei oder vier oder fünf sein von zehn oder fünfzehn. Es geht wirklich nicht darum, es flächendeckend zu machen, und ich glaube, dass Eltern durchaus in der Lage sind, dann ihre ausbüchsenden Kinder schon einzufangen. Aber es geht hier darum, dass die Kaufentscheidung, die eigentlich im Markt getroffen worden ist, nicht noch mal auf den letzten Metern revidiert wird, und zwar unter einem erheblichen Druck. Das haben ja auch die Befragten durchaus deutlich gemacht.
    "Wir wollen kein Verbot, aber wir wollen Vernunft"
    Meurer: Ihnen schwebt vor, das Ganze soll ein Appell an den Einzelhandel werden. Haben Sie keine weitergehenden Möglichkeiten als nur zu appellieren?
    Connemann: Ich finde die Forderung, dass die Bundesregierung sich mit dem Lebensmittel-Einzelhandel zusammensetzt und gemeinsam darauf hinwirkt, dass ein solches Angebot vorgehalten wird, den richtigen Schritt. Ich bin wirklich niemand, der jetzt auch noch staatliche Vorgaben fordert, wie ein Kassenbereich ausgestaltet werden sollte. Wir wollen kein Verbot, aber wir wollen Vernunft an dieser Stelle, und diese Vernunft ist ja auch für einen Markt durchaus lukrativ. Die Märkte, die es anbieten - und das gibt es ja heute schon, auch schon hier in Berlin -, die machen damit hervorragende Erfahrungen. Die werden auch besucht und gesucht. Das ist durchaus ein zusätzliches Argument für einen solchen Markt. Deshalb würden wir uns wünschen, dass dieser Weg gemeinsam beschritten werden kann.
    Meurer: Was sind das für Beispiele, die es heute schon gibt?
    Connemann: Zum Beispiel hier in Berlin Märkte, an denen Obst angeboten wird oder Nüsse angeboten werden.
    Meurer: Und da verziehen die Kinder dann das Gesicht?
    Connemann: Nicht unbedingt. Ich besuche viele Kindergärten und erlebe immer wieder die totale Begeisterung, wenn es um das vermeintlich gesunde Frühstück geht, wenn dann dort aufgeschnittene Äpfel oder so was ist. Kinder können Sie mit einem Apfel durchaus verlocken. Aber es ist natürlich klar: Wenn Sie da einen Schokoriegel haben, oder das berühmte Ü-Ei und den Apfel - na, worauf fällt die Wahl. Worauf würde Ihre fallen, Herr Meurer?
    Meurer: Das sage ich Ihnen später.
    Connemann: Okay!
    Positive Erfahrungen mit quengelfreien Kassen in England
    Meurer: Die Beispiele, die Sie nennen, ist das vielleicht am Prenzlberg, da wo Berlin hip ist. Glauben Sie, dass das bundesweit funktioniert?
    Connemann: Ich glaube schon. Das zeigen auch die Erfahrungen aus England zum Beispiel, wo es Ketten gibt, bei denen das zum Standardangebot gehört. Es geht ja hier um Wahlfreiheit. Derjenige, der in die Süßigkeitenkasse will, soll das tun können. Aber derjenige, der sagt, ich gehe lieber an eine andere Angebotskasse, soll es eben auch tun können. Eine Kasse für jeden!
    Meurer: Haben Sie denn schon Signale aus dem Einzelhandel neben diesem Beispiel in Berlin, wir wollen mitmachen?
    Connemann: Die Signale aus dem Lebensmittel-Einzelhandel sind bei Weitem nicht so aufgeregt wie aus anderen Bereichen, sondern da ist natürlich schon die Überlegung auch, wie kann man gemeinsam darauf hinwirken, dass man sich gesund ernährt. Denn die Problematik, die daraus erwächst, ist ja allgemein bekannt. Allerdings wissen wir auch, dass das natürlich sehr lukrativ ist, und von daher gilt es sicherlich auch für den Lebensmittel-Einzelhandel, da Kosten und Vorteile abzuwägen.
    Meurer: Wenn der Einzelhandel nicht aufgeregt ist, dann vermute ich mal, dann denken die sich, der Umsatz an Süßigkeiten gerade auch für Kinder, der wird nur marginal zurückgehen durch so eine Maßnahme. Was meinen Sie?
    Connemann: Das kann sein, ja. Aber dann ist es eine fair getroffene Entscheidung, und zwar eine Entscheidung der Eltern und der Kinder dann, nicht bedingt durch irgendwie großen Eklat, Skandale, Schreierei, sondern weil Eltern und Kinder gemeinsam sagen, wir gehen halt jetzt in die Süßigkeitenkasse. Das ist dann eine Entscheidung und die sollte jeder akzeptieren.
    "Es geht um mehr Wahlmöglichkeiten"
    Meurer: Bekommen Sie eigentlich vom Einzelhandel zu hören, von den Supermärkten, auf welche Idee kommt ihr Politiker denn noch alles? Das ist unsere unternehmerische Freiheit, haltet euch bitte da heraus.
    Connemann: Die unternehmerische Freiheit wird ja nicht tangiert. Es geht nicht darum, ich betone das noch mal, hier Süßigkeitenkassen zu verbieten. Niemand will ein Verbot. Es geht um mehr Wahlmöglichkeiten, und davon profitiert am Ende auch ein Lebensmittel-Einzelhändler.
    Meurer: Wir haben ja auch Verbote bei Zigaretten. Die richten sich jetzt nicht unbedingt an Kinder. Aber man kann sich auf den Standpunkt stellen, Frau Connemann, Süßigkeiten, Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen ist eine wirklich gefährliche Sache. Ist Ihr Zugang vielleicht ein bisschen zu soft?
    Connemann: Ohne Frage. Natürlich ist Fehlernährung, sind Übergewicht, Diabetes ein Riesenproblem, auch zunehmend ein Problem. Aber jemand, der sich damit beschäftigt, weiß auch, dass Süßigkeiten nicht der Hauptgrund sind, dass jemand übergewichtig ist, sondern da gibt es ganz, ganz viele Gründe, ganz viele Ursachen, die dazu einen Beitrag leisten. Beispielsweise mangelnde Bewegung, das ist ein Thema, das kaum Erwähnung findet. Es gibt natürlich auch Fehlernährung, aber auch nicht unbedingt nur durch Süßigkeiten. Da gibt es ganz, ganz viele Gründe, anders als beim Tabak, wo ganz klar ist, da habe ich einen Stoff, das ist Nikotin, das ist Nervengift und das erwischt die Leute sofort und macht auch sofort süchtig.
    Meurer: Im Deutschen Bundestag wird heute ein Antrag eingebracht, wonach Supermärkte demnächst möglichst zumindest eine quengelfreie Kasse, also süßigkeitenfreie Kasse anbieten sollen. Gitta Connemann war das von der CDU, Vorsitzende des Ernährungsausschusses des Deutschen Bundestages. Frau Connemann, danke für das Interview im Deutschlandfunk. Auf Wiederhören!
    Connemann: Ich danke Ihnen. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.