Freitag, 10. Mai 2024

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Susanne Gaschke
"Kein Amt ist das wert"

Sowohl die Leipziger als auch die Frankfurter Buchmesse sind alljährlich Präsentationsort für substanziell oft eher magere Veröffentlichungen aus der Feder deutscher Politiker. Interessanter wird es, wenn eine gescheiterte Politikerin eine Innenansicht des Politikbetriebes vorlegt. Wie nun im Fall der früheren SPD-Oberbürgermeisterin von Kiel, Susanne Gaschke.

Susanne Gaschke im Gespräch mit Catrin Stövesand | 13.10.2014
    Susanne Gaschke
    Susanne Gaschke (dpa/picture-alliance)
    Susanne Gaschke: Na ja, ich hatte ja 15 Jahre sozusagen politischen Journalismus in der Tat hinter mir, und immer wieder haben wir in den verschiedensten Konstellationen in der Redaktion - aber ich auch zu Hause mit meinem Mann, der Bundestagsabgeordneter ist - diskutiert: Warum ist es eigentlich so schwer heute für die Politik, warum sind so viele Leute verdrossen, verärgert, wenden sich ab, haben eigentlich kein Vertrauen mehr oder nur noch wenig Vertrauen in unser System? Ich habe immer gesagt, na ja, wir Journalisten machen es euch auch nicht leicht, euch Politikern - diese Erfahrung hat sich übrigens aus der anderen Perspektive mehr als bestätigt. Und ich hatte so ein wachsendes Gefühl, ja so einer drängenden inneren Verantwortung, wenn Sie so wollen, auch also tatsächlich einmal selber Verantwortung zu übernehmen. Also tatsächlich zu sagen, ich will nicht immer nur die Haltungsnoten hochhalten - da war ich auch gut drin -, aber ich hatte eben auch dieses andere Gefühl, dass ich gesagt habe, also irgendwann muss man auch einmal selber was riskieren und selber in den Ring gehen.
    Catrin Stövesand: Sie schreiben, dass Sie mit den politischen Ritualen Probleme gehabt hätten. Was meinen Sie damit konkret, mit diesen Ritualen?
    Gaschke: Ich kann vielleicht einmal ein Beispiel erzählen. Also, es gibt so ein sehr rituelles sich gegenseitig auf den Kopf hauen von Regierung und Opposition. Und das ist im Prinzip von der demokratischen Rollenaufteilung, wenn es wirklich um etwas geht, auch richtig. Nicht wahr, die Opposition soll ja kritisieren, was die Regierung tut und soll das sozusagen immer kritisch und aktiv begleiten. Aber wenn wir zum Beispiel in Kiel, da haben wir wirklich viel Kraft in meiner ja viel zu kurzen Amtszeit sozusagen aber viel Kraft auf ein Thema verwendet, das war die Wohnungsbaupolitik. Da war in den vergangenen Jahren nicht viel passiert. Die Stadt wuchs. Günstiger Wohnraum für Studierende und Familien war wirklich rar, Mietsteigerungen um 15 Prozent in manchen Stadtteilen.
    Da musste was passieren. Und wir haben sozusagen sehr viel Energie der verschiedenen Ämter und auch ich als Oberbürgermeisterin darauf geschmissen zu sagen: Konzertierte Aktion, Aufmerksamkeit für das Thema, Investoren zusammenbringen und die Sache - natürlich findet sie auch so irgendwie statt -, aber wir wollten sie schneller, konzentrierter und auf diese bedürftigen Gruppen konzentriert haben. Das hat ganz gut funktioniert. Und dann ist man in der Ratsversammlung, und ein in dem Fall ja CDU-Ratsherr - das war die Opposition - sagt zu diesen Bemühungen: Frau Gaschke, kommen Sie zu Verstand! Und da habe ich mich gefragt: Was ist denn jetzt unverständlich, unvernünftig oder bescheuert daran, dass man versucht, dieses real existierende Problem, wo alle Fachleute sich einig waren, versucht zu adressieren? Und dann geht die CDU hin zwei Tage später und plakatiert im anstehenden Kommunalwahlkampf: Wohnungsnot bekämpfen!
    "Es war eine hochpolarisierte Situation"
    Stövesand: Man ist manchmal ein bisschen erstaunt, wenn man liest, was Sie überrascht. Einmal am Anfang, Torsten Albig hat die Kampfkandidatur gegen Ralf Stegner und danach verbünden sich beide. Da schreiben Sie, das hat Sie überrascht. Damit haben Sie nicht gerechnet. Aber hatte er überhaupt eine andere Wahl - auch angesichts der knappen Mehrheit nur?
    Gaschke: Na ja, aber es hat 70 Prozent meiner Partei überrascht in Schleswig-Holstein. Also, es war eine hochpolarisierte Situation und Torsten Albig hat natürlich den Mitgliederentscheid um die Spitzenkandidatur in Schleswig-Holstein deshalb so klar gewonnen, weil die Partei sich aus dieser Umklammerung, also muss man wirklich so sagen, Ralf Stegner betrachtet die Partei offensichtlich als seinen Privatbestz in Schleswig-Holstein. Er hat keine einzige Wahl gewonnen. Also, unter seiner Führung ist die SPD niemals stärker gewesen als die Union. Insofern kann man schon berechtigterweise mal darüber reden, ob er die beste Variante für die Partei dort ist. Viele Menschen in der Sozialdemokratie waren offensichtlich nicht dieser Meinung und haben deswegen froh die Chance ergriffen, jemanden zu wählen, der eine Alternative darzustellen schien. Wenn der dann am nächsten Tag hingeht und sagt: Jetzt sind wir die besten Freunde - ist es erstmal eine große Enttäuschung.
    "Ich habe es auch wirklich nicht klug gemacht"
    Stövesand: Ein anderer Punkt, an dem man stutzig wird, ist der Grundkonflikt, den Sie ja mit Albig haben: dieser Steuerdeal, dieser umstrittene. Er hat ihn vorbereitet, und Sie machen das öffentlich - nach Absprache mit ihm - zu einem Zeitpunkt des Bundestagswahlkampfes. Die direkte Verbindung - Torsten Albig, Peer Steinbrück - sieht man auch von außen. Dass das für ihn nicht populär ist, dass das für ihn ein Problem werden könnte - haben Sie das nicht kommen sehen, dass Sie letztlich, weil Sie ja die Unterschrift geleistet haben, am Ende damit alleine stehen würden?
    Gaschke: Das verstehe ich. Und da würde ich sagen, kann man sagen, da bewegen wir uns noch im Bereich einer Stilfrage. Ich habe diese Entscheidung mir ja in keiner Weise ausgedacht, sondern die Fachverwaltung hat sie über Jahre vorbereitet und zwar unter Torsten Albig als Kämmerer - er war ja auch schon zuvor Kämmerer, dann war er mein Amtsvorgänger als Oberbürgermeister. Und die ganze Verwaltung - also, das müssen Sie sich vorstellen, wenn Sie dann den Fachvortrag von den Beamten bekommen, lief unter dem Satz: Torsten Albig wollte das so. Und dann kommt die Situation, wo Sie selber damit unter Druck geraten und natürlich niemand nimmt einem die politische Verantwortung für die Unterschrift ab - und in Klammern: Ich habe es auch wirklich nicht klug gemacht. Und das ist ein Punkt, den ich wirklich inzwischen sehr bedauere und wo ich sagen würde: Das war mangelnde politische Erfahrung, man hätte an der Stelle - so gut beraten ich mich da auch fühlte -, aber man hätte an der Stelle die Franktionsvorsitzenden im Rat einbinden müssen - und zwar wirklich sagen: Das wird mir hier vorgeschlagen; mir scheint das plausibel; könnt ihr das mittragen? - also alleine schon aus politischer Klugheit, um nicht alleine mit der Verantwortung dazustehen am Ende. Also das war ein Fehler.
    Stövesand: Vor gut einem Jahr, am 25. Oktober 2013, haben Sie Ihre Rücktrittsrede geschrieben. War das schon befreiend?
    Gaschke: Ja, weil das muss man auch wirklich sagen, ohne jetzt weinerlich sein zu wollen oder zu empfindlich, aber ich glaube, man kann sich, wenn man das nicht selber erlebt hat, wirklich nicht vorstellen, wie es ist, über Wochen - und das waren ja über zwei Monate - im Zentrum so einer vollkommen negativen und selbstlaufenden, sich immer mehr verstärkenden Medienberichterstattung zu stehen. Also, es gibt so einen Point of no Return, wo sie einfach, es ist egal, was sie dann noch sagen, also: Es gibt kein Argument mehr, das die berichtende Seite noch erreicht. Und das macht schon etwas mit einer Persönlichkeit. Das hat etwas potenziell Zerstörerisches. Das fühlt sich an wie ein körperlicher Angriff. Und das halten Sie nicht ewig durch. Und es ist wieder Schluss: Also, kein Amt ist das wert. Und das war dann in der Tat eine Befreiung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Susanne Gaschke: Volles Risiko: Was es bedeutet, in die Politik zu gehen,
    Deutsche Verlags-Anstalt, 256 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-421-04659-8