Dienstag, 19. März 2024

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Syrien
"Wen wollen wir denn jetzt tatsächlich bekämpfen?"

Frieden in Syrien sei nur dann möglich, wenn Baschar al-Assad für eine Übergangsphase an der Macht bleibe, sagte Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Uni Mainz, im DLF. Im Fall seiner Absetzung würde ein Machtvakuum entstehen, das mit Sicherheit von den Dschihadisten gefüllt werden würde.

Professor Günter Meyer im Gespräch mit Dirk Müller | 27.08.2016
    Die Flagge der Al-Nusra-Front, hier im syrischen Bürgerkrieg nahe Damaskus.
    Die Kämpfer der islamistischen Al-Nusra-Front profitierten ebenso von den Waffenlieferungen der USA wie die als Moderate eingestuften Milizen, für die sie eigentlich gedacht waren, so Nahost-Experte Meyer. (dpa / picture-alliance / Str)
    Dirk Müller: Der Westen, Russland und Syrien, wir haben es gerade gehört, eine Waffenruhe soll es geben. Moskau und Washington wollen jetzt einen gemeinsamen Weg gehen im Syrien-Krieg. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Nahost-Experten Professor Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur arabischen Welt an der Universität in Mainz. Guten Tag!
    Günter Meyer: Guten Tag, Herr Müller!
    Müller: Herr Meyer, können wir das alles glauben?
    Meyer: Die Absicht kann man durchaus glauben. Klarheit über den Weg zu einer Wiederherstellung des Friedens und mit einer klaren Zielsetzung, auch Verhandlungen durchzuführen, das ist ein Ziel, was beide durchaus verfolgen können. Nur, der Teufel steckt halt bei allen Zielsetzungen immer im Detail, und jetzt sind die allgemeinen Rahmenbedingungen abgesteckt, aber der eigentliche Knackpunkt, das wurde eben auch schon angedeutet, der ist an der Stelle, wo es darauf ankommt, wen wollen wir denn jetzt tatsächlich bekämpfen. Und da haben die USA und da haben Russland sehr unterschiedliche Vorstellungen. Ob diese unterschiedlichen Vorstellungen dann von den technischen Experten hier gelöst werden können, das ist mehr als fraglich.
    Müller: Reden wir über die russische Seite. Wissen die Russen ganz genau, wen sie bekämpfen sollen und wen sie bekämpfen wollen aus Moskauer Perspektive?
    Meyer: Die Russen wollen grundsätzlich diejenigen bekämpfen, die gegen das Regime sind.
    Müller: Also alle?
    Meyer: Bitte?
    Müller: Also alle anderen?
    "Nusra-Front, eindeutig ein Ableger von Al-Qaida"
    Meyer: Also im wesentlichen alle anderen, das ist richtig. Der wirklich kritischste Punkt bei den Vorstellungen von Russland und USA ist die Frage der Nusra-Front.
    Die Nusra-Front, eindeutig ein Ableger von Al-Qaida, hat seinen Namen geändert, weil die Dschihadisten sehr wohl sich bewusst waren, wie groß die Gefahr ist, dass sie jetzt im Fadenkreuz sowohl vonseiten der USA als auch von Russland stehen. Nur, diese Namensänderung hat nichts damit zu tun, dass tatsächlich die ideologischen Ziele genau die gleichen bleiben.
    Und gerade diese Nusra-Front ist es, die an dem wichtigsten Brennpunkt der Kämpfe zwischen dem Assad-Regime und seinen Gegnern inzwischen das Kommando übernommen haben. Das heißt, die letzte Waffenruhe wurde vor allem dazu genutzt, dass die Oppositionellen, und darunter auch in erheblichem Maße die Nusra-Front, mit Waffen versorgt worden sind –
    Müller: Das war die Argumentation Russlands, dass das auf keinen Fall aus deren Sicht natürlich passieren darf, dass diese Waffenruhe benutzt wird, damit die Rebellen, die sie ja bekämpfen, sich stärken können.
    Nusra-Front sei unmittelbar verwoben mit den Moderaten
    Meyer: Genau. Und das ist bei der letzten Waffenruhe passiert. Das heißt, im großen Stil kamen während der Waffenruhe modernste Waffen über die Türkei, finanziert von Saudi-Arabien und Katar, produziert vor allem in Osteuropa. Das heißt, die Rebellen gerade im Norden Syriens, und hier speziell im Osten von Aleppo, die haben sich dort militärisch aufgerüstet bis hin zu schwerer Artillerie. Und darüber hinaus wurden die Kämpfer gerade auch der Nusra-Front abgezogen. Das heißt, die sitzen jetzt im Osten von Aleppo.
    Der Westen ist unter Kontrolle des Regimes, im Osten werden sie belagert. Mit modernsten Waffen wehren sie sich, und sie sind zusammen mit anderen Rebellen. Das heißt, sich hier zu einigen – die Nusra-Front ist unmittelbar verwoben mit den übrigen Milizen, die von den USA als Moderate angesehen werden. Wie soll man hier eine Lösung finden?
    Müller: Haben die Amerikaner direkt oder indirekt damit auch die Nusra-Front unterstützt, indem die anderen beliefert und unterstützt wurden und das irgendwie dann ausgetauscht wurde.
    Meyer: Das haben sie in jedem Fall. Das war voll mit Wissen der Amerikaner. Und übrigens durchaus auch indirekt sicherlich mit deutscher Beteiligung, denn die Tornados, die dort im Einsatz sind, um Luftaufklärung zu betreiben, liefern ihre Daten an militärische Operations- und Kontrollzentren, in denen die USA gemeinsam sich mit der Türkei mit Geheimdienstoffizieren aus Katar und Saudi-Arabien, und die Informationen, die dort ankommen, die werden weitergegeben an die Rebellen.
    Das heißt, der Vorstoß, das Durchbrechen des Belagerungsrings, was wir im Westen Aleppos erlebt haben, geht mit Sicherheit auf solche Aufklärungsergebnisse zurück. Das heißt, die Amerikaner tun durchaus alles, um das Regime auch zu schwächen, zwar nicht im direkten Angriff, aber zumindest doch indirekt.
    Müller: Also ich muss da noch mal nachfragen, Herr Meyer – das heißt, die Amerikaner, für Sie jedenfalls klipp und klar, die Amerikaner unterstützen Extremisten und Islamisten und Terrorgruppen, die ihre Verwurzelung bei Al Kaida gefunden haben oder immer ideologisch vielleicht auch noch finden, gegen Baschar al-Assad?
    Die Waffen der Amerikaner landen bei der Nusra-Front
    Meyer: Sie unterstützen primär sogenannte moderate Gruppen, nur, diese moderaten Gruppen arbeiten mit der Nusra-Front zusammen. Das heißt, auch die Waffen, die an die Moderaten geliefert werden, landen im Endeffekt bei der Nusra-Front, die das Oberkommando speziell auch im Osten von Aleppo hat.
    Müller: Also würden Sie sagen, ja, die Amerikaner unterstützen Extremisten.
    Meyer: Das kann man durchaus so sagen. Nicht direkt, aber indirekt.
    Müller: Und indirekt unterstützen die deutschen Tornados ebenfalls diese Entwicklung?
    Meyer: Sie tragen zumindest dazu bei, dass die Opposition gerade bei den jüngsten Angriffen auf Aleppo so stark gewesen ist und erhebliche Erfolge erzielen konnte.
    Müller: Sind die Extremisten, die Islamisten besser als Baschar al-Assad?
    Meyer: Das kann man auf jeden Fall sagen. Denn wenn man sich die Perspektive anschaut – das Assad-Regime wird abgesetzt, es entsteht ein riesiges Machtvakuum. Dieses Machtvakuum kann nur gefüllt werden und wir mit Sicherheit gefüllt von den stärksten militärischen Gruppen. Und das sind Dschihadisten. Und gerade die Nusra-Front, Al-Qaida- Ableger, spielt hier eine ganz wichtige Rolle.
    "Für die nächsten Jahrzehnte einen total gescheiterten Staat"
    Das heißt, bei der Alternative, gegenwärtig noch ein relativ stabiles Regime in Damaskus zu haben – dieses Regime hat den weitaus größten Teil der syrischen Bevölkerung, die noch im Lande sind, unter Kontrolle, und sorgt dort auch für relativ stabil Verhältnisse. Wenn dieses Regime zusammenbricht und ersetzt wird durch die dschihadistischen Kräfte, dann haben wir definitiv für die nächsten Jahrzehnte einen total gescheiterten Staat und keinerlei Aussicht auf eine Friedensperspektive.
    Müller: Das heißt also, die gesamte westliche Politik, einschließlich der Beteiligung der Bundesregierung, der deutschen Soldaten, geht in die völlig falsche Richtung?
    Meyer: Das Bestreben sollte dahin gehen, wirklich für stabile Verhältnisse zu sorgen.
    Müller: Es gibt ja auch stabile Verhältnisse unter Islamisten, also wenn man ganz zynisch ist. Der IS hat ja auch innerhalb seiner Hoheitszone stabile Verhältnisse.
    Meyer: Da haben Sie vollkommen recht, aber für das gesamte syrische Gebiet ist das Regime von Baschar al-Assad die militärische Macht, die in erster Linie in der Lage wäre, das Land wieder zu einigen. Wobei die Diskussion im Wesentlichen darüber geht – und da hat sich auch die Türkei in der Zwischenzeit bewegt, dass sie durchaus bereit ist, auch bei einer zukünftigen Friedenslösung zumindest in einer Übergangsphase noch zu akzeptieren, dass Baschar al-Assad an der Macht bleibt.
    Müller: Herr Meyer, dann würden Sie auch ganz klar dafür plädieren, dass die westliche Politik, auch die deutsche Politik viel besser zuhören muss bei dem, was Moskau sagt und will?
    Baschar al-Assad sollte für Übergangsphase an der Macht bleiben
    Meyer: Das ist mit Sicherheit der Fall. Wir müssen realistisch die politischen Verhältnisse uns anschauen. Wobei hier natürlich auch die US-amerikanische Politik eine ganz wichtige Rolle spielt. Obama versucht, in der Endphase, in den letzten Monaten seiner Regierung, zumindest noch eine einigermaßen Stabilisierung dort zu erreichen. Wenn er abtritt, sowohl Hillary Clinton als auch Trump haben erklärt: Wir werden wesentlich schärfer gegen das Assad-Regime vorgehen.
    Das heißt, selbst wenn es jetzt noch zu einer einigermaßen positiven Entwicklung kommen kann, das, was anschließend bei der neuen US-amerikanischen Regierung droht, das ist eindeutig gegen das Assad-Regime. Und über die Konsequenzen – das wird uns noch viele Probleme bereiten.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk, Nahost-Experte Professor Günter Meyer von der Universität in Mainz. Danke, dass Sie wieder für uns Zeit gefunden haben. Ihnen noch ein schönes Wochenende!
    Meyer: Gern, Herr Müller!
    Müller: Auf Wiederhören!
    Meyer: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.