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T.C. Boyles "Grün ist die Hoffnung"
Bis heute ein unwiderstehlich komischer Roman

Auf den ersten Blick ist die Handlung von "Die grüne Hoffnung" schnell zusammengefasst. Verbrechen lohnt nicht. Der kalifornische Chronist Thomas Coraghessan Boyle hat für die 1984 erstmals erschienene einfache Geschichte dennoch knapp 400 Seiten gebraucht. Und das hat seinen Grund.

Von Julia Schröder | 26.06.2016
    Der amerikanische Autor T.C. Boyle vor unserem Funkhaus am Hans-Rosenthal-Platz.
    Der amerikanische Autor T.C. Boyle vor dem Funkhaus von Deutschlandradio Kultur in Berlin. (Deutschlandradio - Andreas Buron)
    Auf den ersten Blick allerdings sind die Voraussetzungen ungetrübten Lesegenusses vielleicht nicht unbedingt gegeben. Man stelle sich vor: Felix Nasmythe, 31, ist ein typischer Vertreter der Hippie-Generation après la lettre, Überbleibsel der drogenseligen, sexbegeisterten Sechziger und Siebziger, ein Schluffi, der von allem Anfang an illusionslos vor den vergammelten Resten seiner einst grünenden jugendlichen Hoffnungen steht.
    T.C. Boyles Roman trägt im Original den doppeldeutigen Titel "Budding Prospects", also etwa "Blühende Erwartungen" oder eben "Aussichten auf die Blütezeit". "I've always been a quitter", bekennt dessen Ich-Erzähler Felix im ersten Satz. In der Neuübersetzung von Dirk van Gunsteren liest sich das so:
    "Ich hab nie was zu Ende gebracht. Ich bin aus der Pfadfindergruppe, dem Chor und der Marschkapelle ausgetreten. Hab aufgehört, Zeitungen auszutragen und in die Kirche oder zum Basketballtraining zu gehen.
    Ich hab das College abgebrochen, bin mit einem 4-F aufgrund mangelnder mentaler Belastbarkeit dem Militär entgangen, hab das Studium wieder aufgenommen, einen Promotionsstudiengang (Englische Literatur des 19. Jahrhunderts) belegt, in der ersten Reihe gesessen, eifrig mitgeschrieben, mir eine Hornbrille angeschafft und am Vorabend der entscheidenden Prüfung beschlossen, nicht hinzugehen.
    Ich hab geheiratet, mich bald getrennt und wenig später scheiden lassen. Ich hab das Rauchen, das Joggen und den Verzehr von dunklem Fleisch aufgegeben und jede Menge Jobs hingeschmissen."
    Es handelt sich in der Tat um eine Menge Jobs in der Art von Totengräber und Pornofilmvorführer, und wie wir später erfahren, bestreitet Felix zur Zeit der Romanhandlung Anfang der 80er seinen Lebensunterhalt durch Literaturkurse für Studienanfänger und das Restaurieren heruntergekommener viktorianischer Villen in San Francisco. Irgendwann hat er der Vollständigkeit des Versagens halber auch ein Mädchen geschwängert und sitzen lassen. Aber dann:
    "So ziemlich das Einzige, bei dem ich durchgehalten hab, war das Sommerlager. – Und davon will ich Ihnen jetzt erzählen."
    Eigenwillige Start-up-Idee
    Das "Sommerlager"? Au weia. Aber in "Grün ist die Hoffnung" geht es glücklicherweise nicht um die beliebte naturnahe Ferienvergnügung adoleszenter Nachwuchs-Amis. "Sommerlager" ist das Codewort für die erwähnte illegale Unternehmung, die Felix und zwei Mitstreiter, der Möchtegern-Bildhauer Phil und der bärenstarke, immer ein wenig gewaltbereite Gesh, im Auftrag des undurchsichtigen New-Age-Geschäftsmannes Herbert Vogelsang durchziehen sollen. Business-Idee (apropos "durchziehen"): Eine groß angelegte Marihuana-Plantage, die innerhalb einer Saison eine halbe Million Dollar abwerfen soll.
    Das eigenwillige Start-up im abgelegenen hügeligen Hinterland von Medocino verspricht also Schotter wie Heu für einfache körperliche Arbeit an der frischen Luft und fern der zerstörerischen Zivilisation mit ihren mannigfachen Versuchungen, fern auch von Fernseher, Stereoanlage und anderen Mitteln medialer Zerstreuung, die Felix gern mal gleichzeitig laufen lässt – hie ein Zombiefilm, da Stravinskys "Sacre du Printemps" -, während er sich anspruchsvoller Lektüre und dem Konsum bewusstseinsverändernder Substanzen widmet.
    So auch in jener regnerischen Februarnacht, da sein geschäftstüchtiger Bekannter Vogelsang an seine Tür klopft, im Schlepptau eine blond gefärbte Punk-Musikerin namens Aorta sowie den etwas verklemmten Botaniker Boyd Dowst, der für die fachmännische Behandlung der hoch-THC-haltigen Pflanzen sorgen soll.
    Damit ist das flamboyante Personal noch lang nicht vollständig. Im weiteren Romanverlauf, um nicht zu sagen Erzählrausch, lernen wir eine üble Selektion degenerierter Rednecks, kalifornischer Protofaschisten und verschlagener Hinterwäldler beiderlei Geschlechts kennen, zudem kleine Dealer und andere Player im Betäubungsmittelgeschäft, einen pathologisch rachsüchtigen Highway-Cop und eine erstrebenswerte junge Keramikerin namens Petra. Sie ist der Stein, auf dem Felix vielleicht das gründen kann, was sein Name – "der Glückliche" – verheißt.
    Boyle hat dem ersten von drei Teilen die Widmung "für meine gärtnernden Freunde" vorangestellt, zudem zwei Motti:
    "Du pflüge tief, wenn der Faule hält Ruh,/ so hast du zu essen und zu verkaufen dazu.' – Benjamin Franklin: "Der Weg zum Reichtum"
    "Also, Jungs, als ich 17 war, bin ich in den Dschungel gegangen, und als ich 21 war, kam ich wieder raus. Und bei Gott: Ich war reich." – Arthur Miller, "Tod eines Handlungsreisenden"
    Dschungelartig wuchernder Plot
    Die beiden Zitate benennen so etwas wie die untergründigen Leitmotive des seinerseits dschungelartig wuchernden Plots, zwei nicht nur ökonomische, sondern auch moralische Prinzipien, zwischen denen Boyles desorientierter Held hin und her gerissen scheint: Nämlich hie das Streben nach Rechtschaffenheit und da das Streben nach jener Sorte kleinkriminellen Schweineglücks, das den lieben Gott halt auch einmal einen guten Mann und Fünfe grade sein lässt, wenn etwas dabei rausspringt.
    Beides sind nicht eben Haltungen, die man von vornherein mit der Hippiekultur der amerikanischen Westküste verbinden würde, jenem zählebigen Biotop aus Flower Power, freier Liebe, nicht enden wollenden Gitarrensoli und Schwaden glimmenden Grases. TC Boyle aber zwingt das Disparate zusammen in dem bedauernswert ungefestigten Dreiertrüppchen mit dem – sagen wir's, wie's ist – verschnarchten Felix in der Mitten, in dem immer wieder so etwas wie Mitmenschlichkeit, Momente der Einsicht, Pflichtbewusstsein, sogar Edelmut stark aufkeimen, um dann umso erschütternder zu verkümmern und zu verdorren. Meist sind Drogen im Spiel.
    "'Ich bin es total leid, mir für andere den Arsch aufzureißen', erklärte Phil, als hätten wir ihm vorgeworfen, es zu genießen und dann so deprimiert zu sein, dass ich jeden Cent für Cocktails und Downers ausgeben muss.'
    Gesh grunzte zustimmend. (... ) 'Ich weiß genau, was du meinst', sagte ich. Wir saßen im Wohnzimmer herum, untätig, aber ungeduldig, und außerdem stinkbesoffen.
    Cannabis-Pflanze in der Nähe der nordisraelischen Stadt Safed
    Cannabis-Pflanze (dpa / picture alliance / Abir Sultan)
    Die Gesellschaft, sagte ich, sei durch und durch verkommen. Der Große fresse den Kleinen, und jeder denke nur an sich selbst. (...) Phil sagte, er wisse genau, was ich meine.
    Gesh hockte auf der Fensterbank und starrte in sein Glas. Dann hob er den Kopf. ,Gesellschaft – so ein Scheiß', sagte er mit echter Vehemenz und machte eine wegwerfende Handbewegung. 'Dieser verklärte Hippie-Mist.' Ich wusste, worauf er hinauswollte. Das ganze Hippie-Ethos – Perlen, Bärte, Bruderschaft, die Gemeinschaft der Menschen – war bloß Mumpitz, ein Ablenkungsmanöver, damit wir nicht merkten, dass es keine Jobs gab, dass es der Wirtschaft schlecht ging und die Ressourcen der Welt verheizt wurden. Und wir hatten das auch noch geglaubt, es erlebt, es erfunden. All die Jahre.
    Sein Lachen klang bitter. Wir seien jetzt älter und klüger, sagte er. Wir wüssten jetzt, worauf es ankomme: auf Geld. Auf Geld und sonst gar nichts."
    Irrwitzige Wendungen
    Dies ist vielleicht der rechte Zeitpunkt, ein bisschen mehr darüber zu verraten, wie T.C. Boyle aus der einfachen Geschichte vom schnellen Wohlstand durch unkonventionelle Landwirtschaft den unwiderstehlich komischen Roman macht, der "Grün ist die Hoffnung" bis heute ist. Zunächst sind da die irrwitzigen, der Logik des Albtraums nicht enden wollender Widrigkeiten folgenden Wendungen der Handlung. Das gern auf TC Boyles Prosa angewandte Epitheton "barock" darf man hier mit Fug strapazieren.
    Wir erinnern uns: Vogelsang kreuzt plötzlich tropfnass, Trockenfisch knabbernd und Mundspray inhalierend in Felix' von "bratwurstartigen" Zombie-Gedärmen und Stravinsky-Missklängen auf hängengebliebenem Vinyl erfüllter Behausung auf. Es braucht nicht viel, Felix zu überzeugen, dass die Pflanzung von 2000 Setzlingen Cannabis sativa und die Ernte des Blütenharzes sie alle, zuvörderst natürlich sich selbst, den Mann mit den innovativen Geschäftsideen, um ein paar 100.000 Dollar reicher machen wird.
    "Vogelsang (...) sah auf. ,Rechnen wir ein halbes Pfund pro Pflanze. Das macht tausend Pfund à sechzehnhundert Dollar. (...) Ich stelle das Kapital und das Land, Boyd kommt alle paar Tage vorbei und sieht nach dem Rechten, und du bist die Arbeitskraft. Wir teilen durch drei.'
    Mit einem Mal war ich hellwach, Gehirnzellen pulsierten wie die Freispielanzeige eines Flippers. Vogelsang machte keine Fehler – das wusste ich. Ich wusste auch, dass er einen genialen Riecher für lukrative Geschäfte hatte, denn ich hatte bei zwei glücklichen Gelegenheiten davon profitiert."
    Das nennt man verlässliche Auspizien. Allerdings wird umgehend klar, dass die Pflanzung von einem allein nicht zu bewirtschaften ist, also stubst der manipulative Vogelsang Felix wie nebenbei auf seinen alten Kumpel Phil, den Schrott-Künstler. Den muss Felix aber zunächst auf Kaution aus dem Untersuchungsgefängnis in Lake Tahoe holen, dito dessen Kumpel Gesh – was ihm zum ersten und gleich sehr eindrücklichen Kontakt mit dem cholerischen Highway-Polizisten verhilft. Und natürlich stellt das "Sommerlager" nicht das erträumte, von Felix' Kindheitserinnerungen an Sommer in Vermont gespeiste Idyll dar, mit luftiger Hütte an plätscherndem Bach, sondern eine verdreckte, von Ungeziefer und Ratten durchwimmelte Bruchbude an einem von Wolkenbrüchen durchweichten Steilhanggrundstück.
    Obwohl schon auf der Autofahrt dorthin allerlei mit dem Umzugsgut schiefgeht und die Inaugenscheinnahme des neuen Wirkungsfelds niederschmetternde Erkenntnisse zeitigt, machen die drei Jungbauern sich frisch ans Werk, beäugt und belauert von einem bauernschlauen Nachbarn mit Wegerecht und unzurechnungsfähigem Sohn.
    Schnell erfahren sie am eigenen Leibe die Gültigkeit der postparadiesischen Conditio humana, im Schweiße seines Angesichts solle Adam den Acker bestellen: Die auf Graswurzeln spezialisierten Kleinnager lachen über die mühselig gezogenen Zäune. Ein Bär verwüstet die Wasserleitungen und dezimiert die Pflanzen, um sich daran zu berauschen. Auf die Wolkenbrüche folgt eine Saison gnadenlos heißer Dürre und dann wieder Regen zur Unzeit. Es ist eben auch die steinalte Geschichte vom heldenhaften Kampf gegen die übermächtige Natur, die Boyle in "Grün ist die Hoffnung" erzählt.
    Abwechselnd sind übermenschliche Anstrengungen und unmenschliche Langeweile zu bewältigen. Der vorläufige Höhepunkt der Widrigkeiten ist, dass Phil im Zustand der Volltrunkenheit den Vorratsschuppen und schier die halbe Gegend abfackelt. Wen wundert's, dass es die drei zu Erholungszwecken gelegentlich ins Tal zieht, man muss ja auch mal die Vorräte auffrischen. Und sich mit legalen und illegalen Drogen für die Mühsal belohnen und für die Rückschläge entschädigen.
    Die Wege zum Ruin sind vielfältig, aber immer wieder kreuzen sie sich in einer üblen Redneck-Spelunke namens "Shirelle's Bum Steer", immer wieder gerät Felix dort mit biervernichtenden Stammkunden, der modemutigen Wirtin und deren fataler Tochter aneinander, und immer auswegloser wird die Tendenz, dass die drei Knechte des freien Unternehmertums, anstatt unauffällig zu pflanzen, zu düngen und zu gießen, eine wachsende Zahl von Furchen des Verdachts in ihre Richtung pflügen.
    Bis irgendwann nicht nur der rachsüchtige Highway-Polizist, mit dem Felix schon in Tahoe ungut Bekanntschaft geschlossen hatte, bei ihm aufkreuzt, sondern auch ein Typ, der unsere standhaften Pechvögel erpresst, weil er mit Vergleichbarem – also: leichtes Geld mit einer Marihuana-Plantage – im Vorjahr an selber Stelle gescheitert war. Drei Mal darf man raten, wer dem Mann dieses todsichere Geschäft vorgeschlagen hat.
    Und dies ist nur ein Bruchteil der erdrutschartigen Verwerfungen, die Felix zu gewärtigen hat. TC Boyle nennt seine "Budding Prospects" im Untertitel zwar "A Pastoral", aber er folgt weniger dem Muster der Pastorale oder des Idylls als dem des pikarischen Romans, in dem ein anfangs unbedarfter Held in die Welt hinauszieht, dort eine bunte Fülle von Abenteuern übersteht und am Ende gereift zurückkehrt.
    Wie weit Felix Nasmyth tatsächlich gereift aus der Handlung hervorgeht, steht freilich dahin. Immerhin verzichtet er, der so lang trotz deprimierend schwindender Gewinnerwartungen dem großen Plan des Sommerlagers die Stange gehalten hat, dann doch auf die letzte Konsequenz, erkennt die Perfidie seines vermeintlichen Wohltäters, resigniert und entscheidet sich für die ganz legale, stocknüchterne und gesellschaftlich höchst erwünschte Pflanzung eines anderen, seines eigenen winzigen Samens. Man darf vermuten: in Petra, der geerdeten Töpferin mit Kinderwunsch.
    Ein ausgesprochen unzartes Buch
    Wegen dieser zart erblühenden Aussichten am Ende eines ansonsten ausgesprochen unzarten Buchs vermuteten amerikanische Kritiker bei Erscheinen des Originals im Jahr 1984, T.C. Boyle habe in seinem zweiten Roman nach der ausufernden "Wassermusik" die Grenzen seiner eigenen Ironie ergründet und zu so etwas wie positiven Werten gefunden oder zurückgefunden. Man kann das so sehen, wenn man unbedingt will.
    Vor allem aber ist dieses Ende nur folgerichtig, wenn man sich an den Anfang des Buchs erinnert. Die beiden Motti, die Mahnung "Du pflüge tief ... " von Benjamin Franklin und der selbstzufriedene Rückblick des Miller'schen Handlungsreisenden, "Und bei Gott: Ich war reich", sie leuchten das Ganze Spektrum US-amerikanischer Entrepreneurship aus, vom puritanischen Ultraviolett bis zum raubtierkapitalistischen Infrarot – wobei sich kapitalistische Ruchlosigkeit ja gern mal in das härene Gewand des puritanischen Leistungsethikers kleidet. Das Ergebnis heißt dann Selfmade-Man mit Pioniergeist, wie das aktuelle Exempel Donald Trump lehrt, der mit dieser Schimäre Amerika wieder groß machen will.
    Trotz Jux und Tollerei, aus dem Ruder laufenden Grillpartys und pubertären Eskapaden, die allesamt mit großem Kotzen, Katzenjammer und anderen Katastrophen enden, handelt es sich nämlich bei diesem frühen Werk des heute 67-jährigen Boyle um mehr als die bekiffte Verherrlichung von Stoned-Sein als Lebensform.
    Der Autor ist heute, dreißig Jahre und ein gutes Dutzend Romane später, für das bestsellerträchtige Kunststück bekannt, aus historischer Recherche Funken drastischer Komik zu schlagen, ohne die Grausamkeit der Weltläufe zu beschönigen. – Nun, grausam sind in "Grün ist die Hoffnung" hauptsächlich die Mengen psychogener Substanzen, die manche Figuren ihren wehrlosen Körpern freiwillig zuführen.
    Aber im Ernst: Das verfassungsmäßige Recht auf das Streben nach Glück, den amerikanischen Traum vom verdienten Wohlstand, gegründet auf eigener Hände Arbeit, zerlegt TC Boyle nach allen Regeln der Kunst. Und Felix Nasmyth begreift am Ende, was das bedeutet, emanzipiert sich von seinem sardonischen Übervater Vogelsang, aber auch von den schädlichen Flausen der Jugend und gibt seinem Leben eine neue Richtung. Alles deutet aufs Ende der schlampigen Wanderjahre hin.
    Feuerwerk des popkulturellen Wissens
    Kann man "Grün ist die Hoffnung" also nicht nur als pikarischen, sondern auch als Bildungsroman begreifen? Die Frage bejahen heißt auf einen weiteren Umstand zu sprechen kommen, der die Lektüre der 380 Seiten vor diesem bürgerlichen Ende so vergnüglich gemacht hat. T.C. Boyle brennt darauf ein Feuerwerk des popkulturellen Wissens ab und verhilft dem Horrortrip des dilettierenden Kapitalisten damit zu so etwas wie unendlicher Ironie.
    Felix ist ja kein unbeschriebenes Blatt, was Bildungserlebnisse angeht, im Gegenteil – sie helfen ihm bloß wenig. Seine Bewusstseinsinhalte sind wie die Bratwurstgedärme seines Zombiestreifens zum Bersten erfüllt von Meisterwerken der Musik- und Kunstgeschichte, Kenntnissen über Wein, Spirituosen, Filmklassiker und Essen aus aller Welt und nicht zuletzt von seinem Fach, der englischen Literatur.
    Zudem hat er eine Vorliebe für elaborierteste Metonymien, für ausgesuchte Metaphern und knackig ausgefabelte Vergleiche, was dazu führt, dass der Autor seinem Erzähler eine Fülle von Anspielungen auf alles gestattet, was man bei "Trivial Pursuit" so braucht, und dieser sich manchmal ausdrückt wie Raymond Chandlers Philip Marlowe nach einem Oberseminar "Gruppenspezifische Eigenschaften akademischer Varietäten der Gegenwartssprache". Beziehungsweise so:
    "Die Küche war wie eine riesige Petrischale, in der stinkender Schimmel, schleimige Fäulnis und alle möglichen urtümlichen Wirkkräfte des Zerfalls aufs beste gediehen. ( ... ) die Wände waren gesprenkelt mit exotischen Saprophyten, auf der Theke waren blaugrüne Schimmelflecken, aus denen schwarze Fädchen wuchsen wie Bäume in einem Miniaturwald. ( ... ) Dieses Haus war schon bei unserem Einzug kaum bewohnbar gewesen, aber jetzt sah es aus, als hätte eine Pavianhorde einen Primärtherapie-Workshop darin veranstaltet."
    Edle Ausstattung für einen keimbereitenden Kern
    Dirk van Gunsterens Übersetzung folgt erkennbar lustvoll den Herausforderungen, die das scheint's unerschöpfliche Vokabular des Originals bereithält, und entscheidet sich dafür, den Icherzähler Felix seine Leser siezen zu lassen. Angesichts der Prätention, mit der der Ex-Doktorand in englischer Literatur sich zu äußern pflegt, eine gute Entscheidung.
    Der Hanser Verlag hat seinem Erfolgsautor nicht nur diese neue deutsche Fassung des Romans spendiert, sondern auch eine liebevolle Ausstattung mit geprägtem Leineneinband, hoffnungsgrünem Vorsatzblatt und Lesebändchen. Das scheint angemessen: als edle Schale für einen durch und durch und bis heute keimbereiten Kern.
    T.C. Boyle: "Grün ist die Hoffnung".
    Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren, Hanser Verlag, München, 384 S., 24,90 Euro.