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Tagung der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
Wenn Wenige immer mehr besitzen

Einer Studie der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam zufolge besitzen nur 62 Menschen auf der Erde so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung insgesamt – das sind etwa 3,5 Milliarden Menschen. In Hamburg lud nun die Forschungsstelle für Zeitgeschichte zu einer Tagung, um die Erscheinungsformen des Reichtums und der Reichen im 20. Jahrhundert genauer zu untersuchen.

Von Ursula Storost | 25.02.2016
    Gegenwärtig, so die Historikerin Anne Kurr, ist der Anteil der reichsten Menschen am Gesamtvermögen so groß wie zuletzt vor der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre. Damals wie heute konzentrieren sich private Vermögen in den Händen weniger. Aber:
    "Reichtum löst keinen politischen Handlungsbedarf aus wie Armut. Also hat man sich auch in der Wissenschaft viel mehr mit Armut beschäftigt anstatt mit Reichtum."
    Deshalb hat die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für deutsche Zeitgeschichte an der Uni Hamburg jetzt eine Tagung zum Thema Reichtum organisiert:
    "Reiche Leute in Deutschland kommen meistens schon aus reichen Familien oder wohlhabenden Familien. Sie haben ein Startkapital oder ein Unternehmen schon."
    Auch in Hamburg, so die Historikerin Dr. Lu Seegers, Privatdozentin an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, ist über Jahrzehnte eine Oberschicht aus Kaufmannsfamilien und Industriellen gewachsen. Hoch geachtet in Gesellschaft und Politik. Sie erfanden ihren eigenen Mythos: die kaufmännische Ehrbarkeit. Vom Profit des Kaufmanns redete man nicht.
    "Das ist ja auch schon ein Kernelement des Reichtums, der aber durch den Ehrenkodex gerade des ehrbaren Kaufmanns verschleiert wird. Natürlich, es ging immer um die Frage des Profits. Und da gab es sicherlich auch Möglichkeiten, sich von denen abzugrenzen, die neureich waren. Also man selber sozusagen, der alte Reichtum, hat immer auch mit diesen Verhaltenskodizes gearbeitet, wie eben ehrbarer Kaufmann, Allgemeinwohlorientierung. Und man hat sich dann auch abgegrenzt von sogenanntem neureichem Reichtum, dem man dann eher zugeschrieben hat, sich bereichern zu wollen, ganz schnell großes Vermögen zu akkumulieren."
    Dieser als hanseatisch ehrbar definierte alte Reichtum, so Lu Seegers, hatte damals wie heute seine Netzwerke und Institutionen.
    "Ich denke da an Segelklubs. Norddeutscher Regattaverein und Ähnliches, wo man ja auch nur durch Bürgen hineinkommt. Und wo sicherlich heute noch immer diese hanseatische Gesellschaft präsent ist und sich natürlich aus sich selbst heraus auch rekrutiert."
    Die Geschichte des bürgerlichen Reichtums beginnt mit der Industrialisierung. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts verliert der Adel zunehmend an Macht. Das Bürgertum wurde immer wichtiger für Wirtschaft und Handel. Und damit immer reicher, sagt Dr. Michael Werner, Historiker an der Justus Liebig Universität in Gießen.
    "Also, wir haben um die Wende vom 19. zum 20 Jahrhundert eine regelrechte Reichtumsexplosion. Vermögensexplosion im Zuge von Hochindustrialisierung, Ausweitung Welthandel gibt es ne Reichtumsvermehrung. Die Vermögen wachsen wirklich an und es gibt immer mehr Vermögen."
    Den neu erworbenen Geldsegen und damit einhergehenden Einfluss wollten die Bürger zeigen, inspiriert vom gelebten Luxus der neuen Reichen in New York und Paris mit dem Adel wetteifern. Es entstand, so Michael Werner, eine neue Art der großbürgerlichen Kultur.
    "Also, die Villenkultur ist so ein klassisches Beispiel dafür. Aber auch Mäzenatentum. Also, dass immer größere Vermögen auch für gemeinnützige, für wohltätige Zwecke gespendet werden."
    Das Mäzenatentum, einst ein Privileg des Adels, beanspruchten die reichen Bürger jetzt für sich. Sie stifteten Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser und Kunst.
    "Das praktisch gehört zum Habitus eines reichen Bürgers, Kunst zu sammeln und dann der Öffentlichkeit zu schenken."
    Die Historikerin Anne Kurr hat sich mit den Mäzenen Peter und Irene Ludwig beschäftigt. Reiche Industrielle, die großzügig Kunst für die Allgemeinheit stifteten.
    "Aber gleichzeitig sind sie auch Unternehmer. Und das merkt man in dem Verhandeln mit der Politik. Also, für ihre Großzügigkeit der Schenkung fordern sie ein, dass zum Beispiel ihr Name an dem Museum steht."
    Dass die großzügigen Stifter ihre Namen als Namensgeber für die Museen einforderten, ist für Anne Kurr mehr als nur Eitelkeit.
    "Dadurch drücken sie auch gleichzeitig aus, dass sie auch vorgeben, was da ausgestellt wird, welche Sammlung sie geben, sie geben den Geschmack vor. Und sie drücken damit auch aus, dass sie Einfluss haben auf die Kulturpolitik und so weiter."
    Kaum erforscht, so die Historikerin Simone Derix, Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Gießen, seien die Infrastrukturen des Reichtums,
    "Also, es gibt bestimmte Orte, die besonders attraktiv sind für Vermögende und das liegt auch daran, dass da weniger Steuern gezahlt werden müssen oder dass es eine Infrastruktur von Beratern gibt, von Vermögensverwaltern, die natürlich dann auch mehr aus dem Geld machen können, als es die Vermögenden vielleicht selbst könnten."
    Neben den großen Metropolen wurden St. Moritz, Saint Tropez und Monaco schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu Orten, an denen die Superreichen sich vernetzten und ihre Fäden zogen.
    "Dazu gehört unter anderem, dass die mehrere Wohnsitze in unterschiedlichen Ländern haben, dass die bei Bedarf auch die Staatsangehörigkeiten wechseln, dass sie ihr Vermögen international streuen, dass sie neben diesen Wohnsitzen noch zahlreiche andere Aufenthaltsorte haben, also sprich internationale Holdingstrukturen, Finanzverflechtungen."
    Fakt ist, die Reichen werden immer reicher werden, sagt Dr. Dorothee Spannagel, Referatsleiterin für Verteilungsanalyse am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler Stiftung. Zum Einen führt sie das darauf zurück, dass ein Hochvermögender mit seinem Geld frei jonglieren kann.
    "Der hat eben die Möglichkeit, seine Vermögen auch in Hochrisikosachen anzulegen. Also das heißt, Termingeschäfte beispielsweise, das heißt, hochriskante Aktienanlagen, was der Otto Normalverbraucher nicht kann, weil er a gar nicht genug hat. Und b, weil Otto Normalverbraucher ja gar keine Verluste in dieser Größenordnung hinnehmen kann."
    Außerdem, so die Soziologin, gibt es eine exorbitante Gehaltsentwicklung bei Top-Managern.
    "In den letzten 20, 30 Jahren haben da die Gehälter enorm zugenommen. Und das ist ein zweiter Punkt, wieso gewisse Kreise einfach immer reicher wurden beziehungsweise auch in diese Kreise aufsteigen konnten."
    Statt die Unternehmensgewinne an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auszuschütten, verbleiben sie zunehmend in der Manageretage, bemängelt Dorothee Spannagel. Bei deren schwindelerregenden Gehältern stellt sich auch die Frage der Leistungsgerechtigkeit.
    "Dann wird häufig das Argument der Verantwortung gebracht. Ja, die tragen doch Verantwortung für das ganze Unternehmen. Ja, das tun sie ein Stück weit. Aber letztendlich tut das derjenige, der am Band steht und die Teile fehlerfrei zusammenschraubt, auch."
    Die Soziologin plädiert für eine stärkere Besteuerung der Superreichen und für eine Umverteilung der Betriebsgewinne. Das passt allerdings kaum zum Zeitgeist, sagt der Giessener Historiker Michael Werner. Während Ende des 20. Jahrhunderts Reichtum eher kritisch gesehen wurde, ist er heute wieder gesellschaftlich akzeptiert. Mäzene und Stifter seien gefragt und würden hofiert.
    "In dem Moment, wo der Staat auch das nicht mehr finanzieren konnte, was er vermeintlich wollte, ob das im Kultur- oder im Sozialbereich war und dann wieder auf die Reichen zurückgreifen musste oder wollte, in dem Moment ist auch die Präsentation von Reichtum, sich wieder als Reicher zu geben, einfacher geworden wieder. Man muss nicht mehr so tun, als wäre man wie alle andern."
    Ein Ende der Schere zwischen Arm und Reich sei also nicht in Sicht. Natürlich müsse man darüber nachdenken, wie man Armut abschafft. Aber den Reichtum? Das sei kaum möglich.
    "Selbst in Naturvölkern gibt es eine Vermögensakkumulation und Unterschiede. Ich glaube, das ist einfach irgendwo schon angelegt. Die Frage ist nur, wie groß ist die Schere. Und wie geht der Reichtum mit dem Reichtum um."