Mittwoch, 01. Mai 2024

Archiv

Terror im Irak
"Tabuisierung des Militärischen halte ich für falsch"

In einem Konflikt wie aktuell im Irak dürften militärische Mittel nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, sagte Klaus Naumann, General a. D. im Deutschlandfunk. Der Hauptschwerpunkt müsse weiterhin auf der Krisenprävention liegen. Doch dürfe sich Deutschland nicht vor der Verantwortung drücken, ergänzte er.

Klaus Naumann im Gespräch mit Jasper Barenberg | 19.06.2014
    Klaus Naumann, General a.D. und früherer Generalinspekteur der Bundeswehr (Foto vom 11.10.2010)
    Klaus Naumann, General a.D. und früherer Generalinspekteur der Bundeswehr (Foto vom 11.10.2010) (dpa / picture-alliance / Andreas Gebert)
    Es liege nun mal in der Natur des Menschen, dass dieser nicht immer mit Verhandlungen oder Rechtsordnungen zur Raison zu bringen sei, unterstrich er seine Haltung. Bundespräsident Joachim Gaucks Forderung nach einem stärkeren militärischen Einsatz Deutschlands im internationalen Kontext befürwortete Naumann: "Sich zu drücken, halte ich für sehr falsch. Was wir gelernt haben, ist, dass wir Verantwortung übernehmen müssen". Gauck habe zu recht angeregt, in Fragen von Militäreinsätzen einen Konsens zu finden. Dennoch bleibe weiterhin der Schwerpunkt der Bundeswehr auf Krisenprävention.
    Isis kann bis an Europa heranreichen
    Die Tabuisierung des Militärischen in Deutschland hält Naumann für falsch. "Ich glaube, wir würden unsere Glaubwürdigkeit und unseren Einfluss in Europa aushöhlen, wenn wir uns raushalten". Im Irak zeichne die Gefahr ab, "dass wir hier ein terroristisches Gebilde haben, das bis an die Küsten des Mittelmeeres reicht und damit wird die Gefahr für uns und Europa deutlich."
    Keine innenpolitische Einmischung der USA
    Im Hinblick auf die Taktik der USA im Irak bei einer Intervention sagte er, dass Luftschläge für die Amerikaner sehr schwierig seien. Er könne sich Luftschläge nur auf Nachschubwege oder Reserven der Isis-Kämpfer vorstellen, sofern diese erkennbar seien.
    Ein mögliches Szenario für den Irak könnte zudem sein, dass das Land in drei Teile zerfalle, sagte er. In einen sunnitischen, einen schiitischen und einen kurdischen Teil. Eine Einmischung der USA in innenpolitische Fragen des Landes hält Naumann jedoch für sehr fragwürdig, auch wenn Ministerpräsident Al-Maliki "unter starkem Einfluss aus Teheran zu stehen" scheint.

    Lesen Sie das gesamte Interview mit Klaus Naumann in voller Länge hier.
    Jasper Barenberg: Die USA verlassen einen souveränen, stabilen Irak, der für sich selbst sorgen kann. Das waren die Worte von US-Präsident Obama im Dezember 2011, als die letzten amerikanischen Kampftruppen das Land verlassen haben. Die Einschätzung hat sich als gründlich falsch erwiesen, wie sehr, das beweisen in diesen Tagen gerade die Kämpfer der islamistischen ISIS jeden Tag aufs Neue. Und Obama tut sich erkennbar schwer, auf die Bedrohung durch die Terroristen für den gesamten Irak eine Antwort zu finden. Im Kongress hat er jetzt mit führenden Demokraten und Republikanern die Lage beraten.
    Ein Bericht von Marcus Pindur aus Washington.
    Mitgehört am Telefon hat General a.D. Klaus Naumann, der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses. Schönen guten Tag!
    Klaus Naumann: Guten Tag, Herr Barenberg!
    Barenberg: Wir haben gerade gehört in dem Beitrag des Kollegen Marcus Pindur die Information, dass jetzt alle Optionen geprüft werden. Kann man das auch lesen als einen starken Hinweis auf die großen Schwierigkeiten, in denen die USA jetzt stecken?
    Naumann: Die USA sind sicherlich in Schwierigkeiten. Denn sie wissen einerseits, dass in dieser schwierigen Lage, in der auf dem Boden ISIS-Kämpfer und Teile der irakischen Armee wohl eng miteinander verzahnt sind, Luftschläge ausgesprochen schwierig durchzuführen sind, weil damit das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen doch beträchtlich ist; auf der anderen Seite gibt es wohl ein bilaterales Sicherheitsabkommen zwischen den USA und der irakischen Regierung, das in einem solchen Fall wohl Hilfeleistung erwarten lässt. Und da abzuwägen, was man tut, in einem Land, das zutiefst kriegsmüde ist und geführt von einem Präsidenten, bei dem außenpolitische Entscheidungsfreude wohl nicht zu den Kennzeichen seiner herausragenden Qualitäten gehört, ist sicherlich eine Zwickmühle.
    Barenberg: Wo wären denn Luftschläge, wenn man die militärisch Karte ziehen will, wo wären Luftschläge sinnvoll und wo wären sie es nicht?
    Naumann: Ich kann mir in der Situation – und ich bin ja auch nur auf das angewiesen, was ich aus den Medien über die Situation erfahre –, kann ich mir Luftschläge letztlich nur auf die Nachschubwege und mögliche Reserven der ISIS-Kämpfer, sofern sie überhaupt erkennbar, lokalisierbar sind, sinnvoll vorstellen.
    Zerfall Iraks in drei Teile
    Barenberg: Sie haben die Außenpolitik Obamas und das zum Teil sehr kritische Urteil darüber angesprochen. Jetzt heißt es, dass es einen klaren Aktionsplan geben muss und dass der erwartet wird vom Präsidenten. Aber wie könnte der in dieser schwierigen Situation aussehen, wenn man nicht wieder hineingezogen werden will in einen Krieg, den man beendet hat?
    Naumann: Da haben Sie sicherlich, um ein Lieblingswort der Obama-Administration zu nutzen, eine rote Linie angesprochen. Hineingezogen werden will man auf keinen Fall. Und deswegen auch die klare Aussage von Martin Dempsey, dass die äußerste Option letztlich Luftschläge seien. Darüber hinaus Einsätze von Kampftruppen auf dem Boden, das wird nicht vorkommen. Und das ist zugleich das Dilemma. Denn nach allem, was man gehört hat, ist die irakische Armee ja letztlich gelaufen. Die Einzigen, die gegen die ISIS standhalten, sind die Peschmerga im Norden, die die Kurdengebiete wohl halbwegs sicherhalten, und damit deutet sich möglicherweise das Drama an, dass der Irak am Ende doch in drei Teile zerfällt, in einen sunnitischen, einen schiitischen und einen kurdischen.
    Barenberg: Das alles hat ja auch damit zu tun, dass Ministerpräsident al-Maliki zur Last gelegt wird, die internen Konflikte im Land nicht genügend beachtet zu haben, eben nicht befriedet zu haben, sondern im Gegenteil Öl ins Feuer gegossen zu haben. Es gibt inzwischen schon Stimmen aus den USA, die seinen Rücktritt fordern als Bedingung für weitere Hilfe. Glauben Sie, dass die USA noch Einfluss nehmen können auf einen politischen Kurswechsel?
    Naumann: Ich halte das in hohem Maße für fragwürdig, ich würde es auch nicht für das Verhalten einer Weltmacht halten, dass man sich in innenpolitische Fragen einmischt. Dass Maliki einen eher die Spaltung denn den Zusammenhalt befördernden Kurs gefahren hat und dass er unter starkem Einfluss aus Teheran steht, das scheint zweifelsfrei zu sein und das hat natürlich die Sunniten, die immerhin in den letzten Jahren, Jahrzehnten, bis Saddam Hussein fiel, die dominierende Minderheit waren und ihrerseits auch nicht gerade zimperlich waren in der Unterdrückung der Schiiten, angestachelt, noch mal den Weg zu suchen. Und da kam ISIS sicherlich als ein willkommener Gehilfe. Was mich bedrückt bei der ganzen Geschichte, ist, dass sich die Gefahr abzeichnet, dass wir letztlich ein terroristisches Gebilde haben, das bis an die Küsten des Mittelmeers reicht. Und damit wird die Gefahr für Europa und auch für uns doch recht deutlich.
    Deutschland muss Verantwortung für Europa gerecht werden
    Barenberg: Und das bringt uns zu unserem zweiten Diskussionsthema, Gesprächsgegenstand: Ursula von der Leyen ist zu Gast in den USA, wird heute den amerikanischen Verteidigungsminister treffen, und der wird sorgfältig registriert haben, dass auch die Verteidigungsministerin ein ums andere Mal mehr Engagement Deutschlands in Aussicht gestellt hat. Ist das eine richtige, eine wichtige Diskussion, die in Deutschland geführt wird?
    Naumann: Ich denke schon, dass wir uns gründlich überlegen müssen als Bundesrepublik Deutschland, fast das einzige in allen Feldern der Politik handlungsfähige Land Europas, wie wir unserer Verantwortung für unser Land und für Europa gerecht werden. Die von einigen Teilen unserer Gesellschaft betriebene Tabuisierung alles Militärischen als äußerste Handlungsoption der Politik halte ich für falsch, habe mich auch immer, wie ja bekannt, dagegengestellt, soweit ich das konnte. Und ich glaube, wir würden damit auch unsere Glaubwürdigkeit und unseren Einfluss in Europa letztlich aushöhlen. Nehmen Sie das letzte Beispiel, als ganz unschuldig, wirklich unschuldig überlegt wurde, wie man angesichts einer doch sich zuspitzenden Situation an der Ostgrenze der NATO gegebenenfalls auf Ersuchen unserer Bündnispartner, vorbeugend zu überlegen, ob man Truppen im NATO-Vertragsgebiet stationiert, dass man dann sofort in Berlin in einigen Quartieren von Säbelrasseln sprach, das halte ich schlicht für hirnrissig.
    Barenberg: Und Sie würden Bundespräsident Joachim Gauck unterstützen und zustimmen, wenn er von der militärischen Option, von militärischen Mitteln als einer Möglichkeit spricht, die man auch im Auge haben muss, unter bestimmten Voraussetzungen?
    Krisenprävention ist entscheidend
    Naumann: Unter bestimmten Voraussetzungen. Der Bundespräsident hat sehr, sehr klar gesagt, sowohl in München wie auch jetzt in Norwegen, dass für ihn das vorbeugende Entschärfen von Krisen der entscheidende Punkt ist. Und das sage ich als ein ehemaliges Mitglied der Kommission, die damals den Begriff der Responsability to Protect geprägt hat, auch: Wir haben den Hauptschwerpunkt in unserem Bericht auf Prävention gelegt, aber wir haben in allen Phasen einer Konfliktbewältigung eben gesagt, das militärische Element als äußerstes Mittel, nicht als letztes, als äußerstes Mittel darf man nicht ausschließen. Weil einfach die Natur des Menschen dagegen steht. Der Mensch ist nun mal gelegentlich nicht mit guten Worten und mit Verhandlungen und mit Hinweis auf Rechtsordnungen zur Räson zu bringen. Und auf diesen Punkt hat der Bundespräsident – ich finde, völlig zu Recht – hingewiesen und angeregt, dass wir in dieser Frage zu einem Konsens in Deutschland finden. Uns immer wieder mit dem Hinweis auf die Schuld, die in der Vergangenheit Generationen auf sich geladen haben, zu drücken, halte ich für falsch. Was wir aus der Geschichte lernen müssen, ist, dass wir Verantwortung tragen müssen.
    Barenberg: Klaus Naumann, der ehemalige Vorsitzende im NATO-Militärausschuss heute live hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Herr Naumann, für die Zeit und das Gespräch!
    Naumann: Vielen Dank, Herr Barenberg!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.