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Terrorismusexperte: Jemen ist ein sehr, sehr schwacher Staat

Der Jemen könne der terroristischen Bedrohung nicht Herr werden, sagt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Wegen der vielen innenpolitischen Probleme hätte die Bekämpfung von El Kaida keine Priorität. Direkte Interventionen der US-Amerikaner erwarte er aber dennoch nicht.

Guido Steinberg im Gespräch mit Gerwald Herter | 02.11.2010
    Gerwald Herter: Dr. Guido Steinberg war jahrelang Referent für Fragen des internationalen Terrorismus im Bundeskanzleramt in Berlin. Derzeit arbeitet er an der Stiftung Wissenschaft und Politik und mit ihm bin ich nun verbunden. Guten Morgen, Herr Steinberg.

    Guido Steinberg: Guten Morgen, Herr Herter.

    Herter: Herr Steinberg, nun schon wieder die Republik Jemen. Zwei Paketbomben, die in den letzten Tagen gefunden worden sind, sollen von dort aus verschickt worden sein. Schon 1992 wurden US-Einrichtungen im Jemen angegriffen. Angeblich steckte schon damals Osama bin Laden dahinter. Dann folgten Anschläge auf Schiffe und in den letzten Jahren Aktionen der El Kaida. Warum lässt sich dieser Bedrohung nicht Herr werden?

    Steinberg: Das hat mehrere Gründe. Zum einen hat der Jemen eine sehr, sehr große islamistische, dschihadistische Szene. Schon in den 80er-Jahren sind so rund 1000 Jemeniten nach Afghanistan gezogen, um dort am Kampf gegen die Sowjets teilzunehmen. Daran hat sich nichts geändert.

    Zum anderen haben wir im Jemen einen sehr, sehr schwachen Staat, der mit ganz vielen innenpolitischen Problemen zu kämpfen hat, beispielsweise mit einem Bürgerkrieg im Norden, einer starken, auch gewalttätigen separatistischen Bewegung im Süden. Und dieser Staat identifiziert El Kaida nur als eines von vielen Problemen. Das Thema hat keine Priorität, und deswegen sind die Bekämpfungsmaßnahmen auch nie sehr effektiv gewesen. Im Gegenteil: Die jemenitische Regierung hat öfter mit diesen Gruppierungen gegen andere innenpolitische Gegner, beispielsweise die Sozialisten des Südjemen, zusammengearbeitet.

    Herter: Ist Jemen denn bereits jetzt ein gescheiterter Staat, oder zumindest ein scheiternder Staat?

    Steinberg: Der Jemen ist noch kein gescheiterter Staat. Er hat immer noch eine Zentralregierung, die über Teile des Landes die Kontrolle ausübt, und das ist weitaus mehr als die großen Städte. Allerdings läuft der Jemen tatsächlich Gefahr, in den nächsten Jahren zu scheitern. Ein Großteil des Budgets wird aus den nicht sehr reichlich fließenden Öl- und Gaseinnahmen bestritten, und wenn nicht Neufunde erfolgen in den nächsten Jahren, dann wird der Jemen in etwa zehn Jahren über kein Öl mehr verfügen und dann auch fast über keine Einnahmen mehr.

    Gleichzeitig ist das Regime des Präsidenten Ali Abdullah Saleh stark abhängig von diesen Finanzen, weil es im Laufe der letzten Jahrzehnte ein Patronagesystem aufgebaut hat, bei dem die Loyalität der immer noch mächtigen Stämme vieler Teile des Landes gekauft wird, und wir können im Moment beobachten, dass dieses Patronagesystem langsam zerfällt aufgrund von Finanzmangel der Zentralregierung. Wenn sich also nicht grundlegend etwas ändert in diesem Land, könnte der Jemen durchaus in zehn, 15 Jahren zerfallen.

    Herter: Und es muss sich politisch etwas ändern?

    Steinberg: Es muss sich an ganz verschiedenen Fronten etwas ändern. Tatsächlich teile ich die Einschätzung der jemenitischen Regierung, dass der Bürgerkrieg im Norden, dass die separatistische Bewegung im Süden größere Bedrohungen sind als El Kaida, und letzten Endes sind diese Probleme nur politisch zu lösen. Es hat sich beispielsweise im Bürgerkrieg gezeigt – der dauert mittlerweile seit 2004 an und wird in immer wieder aufflackernden Waffengängen ausgetragen -, dort zeigt sich, dass die Regierung nicht in der Lage ist, das Problem militärisch zu lösen. Da sind politische Lösungen gefragt. Zurzeit gibt es einen Waffenstillstand, es gibt durchaus Hoffnung darauf, dass dieses Problem gelöst werden könnte, allerdings tatsächlich nur mit politischen Mitteln. Insgesamt jedoch braucht der Jemen eine Reform an Haupt und Gliedern, vor allem eine Reform der Zentralregierung in Sanaa, und da gibt es überhaupt keine Hinweise darauf, dass der Jemen die Absicht hat, aktiv zu werden.

    Herter: Herr Steinberg, wie viele Journalisten und Sie auch lese ich täglich Agenturmeldungen. Eine hat mich gestern doch etwas beunruhigt. Britische Streitkräfte planen keinen Einsatz im Jemen, so die Schlagzeile, derzeit keine konkreten Pläne, heißt es dann im Text. Glauben Sie das?

    Steinberg: Ja, das glaube ich schon. Die Amerikaner und die Briten, vor allem aber die Amerikaner haben doch aus den Erfahrungen der letzten Jahre gelernt, dass die Folgen von direkten militärischen Interventionen gerade in der muslimischen Welt oft katastrophal sind. Der Irak ist dafür ein Beispiel. Wir müssen allerdings immer damit rechnen, dass Staaten, in denen dann Terroranschläge tatsächlich zum Erfolg führen, zum Erfolg im Sinne von El Kaida, dass die überreagieren, und das gilt ganz besonders für die USA. Es gibt bereits Nachrichten, vor allem aus dem Dezember 2009, dass die Amerikaner Luftangriffe geflogen hätten, dass sie dort Drohnen einsetzen, mit denen sie versuchen, El-Kaida-Führer vor allem zu liquidieren, und auch diese Einsätze sind schon hoch problematisch, weil sie die Legitimität des Regimes, weil es mit den Amerikanern zusammenarbeitet, noch einmal schwächen und damit eine langfristige Stabilisierung des Jemen eher behindern. Direkte Interventionen wird es nicht geben, aber ganz sicherlich Drohnenangriffe, vielleicht auch mal den einen oder anderen Luftangriff.

    Herter: Und vielleicht die Entsendung von Kommandotruppen? Wir haben auch in dieser Sendung darüber berichtet. Solche Überlegungen soll es in Washington geben, Truppen unter dem Kommando der CIA, in den Jemen zu schicken. Halten Sie das für seriös, glauben Sie, solche Meldungen haben einen Hintergrund?

    Steinberg: Es gibt in jedem Fall solche Überlegungen. Allerdings hat die US-Regierung gerade im Jemen in den letzten Jahren doch einige Zurückhaltung gezeigt. Das Problem ist im Jemen auch, dass die ganz großen Führer der dschihadistischen Bewegung dort fehlen. Das ist eher Personal aus der mittleren Führungsebene von El Kaida, was dort die Operationen leitet, und es ist auch eher unwahrscheinlich, dass die USA versuchen werden, dort mit Bodentruppen vorzugehen. Das ist eher denkbar in Pakistan, wenn es eben dann darum geht, jemanden wie Osama Bin Laden oder seinen Stellvertreter Sawahiri zu fangen. Im Jemen ist das im Moment, glaube ich, eher unwahrscheinlich.

    Herter: Auffällig ist, dass wir nach dem Fund der Paketbomben sehr viele Informationen aus dem Jemen hören, die offenbar von Geheimdienstleuten stammen müssen. Sind westliche Geheimdienste dort stark aktiv?

    Steinberg: Westliche Geheimdienste sind dort stark aktiv und in den letzten Jahren immer stärker, und es gibt da einige Daten, die das deutlich machen. Im September 2008 hat es einen spektakulären Angriff auf die amerikanische Botschaft gegeben, und das war eine Art Weckruf für die Amerikaner, dass dort eine neue Bedrohung entsteht. Dann folgte im Dezember 2009 der gescheiterte Versuch, ein Flugzeug beim Anflug auf Detroit in die Luft zu jagen, und seitdem sind die Amerikaner dort verstärkt aktiv. Die Briten sind traditionell sehr gut, was den Jemen angeht. Insgesamt muss man aber wohl befürchten, dass die Nachrichtenlage vor allem der westlichen Nachrichtendienste, was den Jemen angeht, nicht besonders gut ist. Da sind sie auf die Zusammenarbeit mit nahöstlichen Nachrichtendiensten angewiesen, vor allem mit den Saudi-Arabern.

    Herter: Informationen von Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Steinberg, vielen Dank für das Gespräch und schönen Tag nach Berlin.

    Steinberg: Sehr gerne.