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Terrorverdächtiger begeht Selbstmord in JVA
Al-Bakrs Anwalt: "Ich bin einigermaßen fassungslos"

Nach dem Suizid des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr sagte dessen Anwalt Alexander Hübner im Deutschlandfunk, er sei davon ausgegangen, dass aufgrund der Gesamtumstände eine besondere Beobachtung seines Mandanten stattfinde. Seine Überwachung sei offensichtlich unzureichend gewesen. Al-Bakr habe sich in seiner Zelle erhängt.

Alexander Hübner im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 13.10.2016
    Ein Polizeiwagen steht am späten 12.10.2016 vor der Justizvollzugsanstalt (JVA) Leipzig (Sachsen). Das sächsische Justizministerium hat bestätigt, dass der unter Terrorverdacht festgenommene Dschaber al-Bakr tot ist. Den Angaben zufolge tötete sich der 22-jährige Syrer am Mittwochabend selbst in der JVA.
    Den Angaben zufolge tötete sich der Syrer Dschaber al-Bakr am Mittwochabend selbst in der JVA Leipzig. (picture alliance/dpa - Jan Woitas)
    Al-Bakr habe sich im Hungerstreik befunden, Flüssigkeit verweigert und in seiner Zelle an Steckdosen manipuliert und eine Lampe zerstört, sagte Hübner. Er selbst sei gestern Abend von der Oberstaatsanwältin informiert worden, dass sein Mandant sich in seiner Zelle in der JVA Leipzig erhängt habe. Er habe aber noch keine Einzelheiten erfahren und wolle sich mit Schuldzuweisungen zurückhalten. Für 11 Uhr wurde eine Pressekonferenz angesetzt.
    Hübner sagte, er sei davon ausgegangen, dass al-Bakr ständig beobachtet werde. Das sei allerdings nur einmal pro Stunde erfolgt. Er habe mit seinem Mandanten bislang vor allem über dessen persönliche Situation in der JVA gesprochen und nicht über die Vorwürfe gegen ihn.
    Al-Bakr war am Montag in Leipzig festgenommen worden. Er hatte zuvor aus Chemnitz fliehen können, wo die Polizei in einer Wohnung hochexplosiven Sprengstoff fand. In Leipzig sprach er Landsleute an, die ihn zunächst aufnahmen, dann überwältigten und festhielten, bis die Polizei kam. Er soll einen Anschlag auf einen Berliner Flughafen und Züge in Deutschland geplant haben. Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz unterhielt der 22-Jährige Beziehungen zur Terrormiliz IS.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Wir kommen noch einmal zurück zum wichtigsten Thema an diesem Donnerstagmorgen. Der terrorverdächtige Syrer Dschaber al-Bakr, er wurde erst Anfang der Woche in Sachsen festgenommen, soll einen Anschlag geplant haben, wurde spektakulär überwältigt von mehreren Landsleuten und der Polizei übergeben, Dschaber al-Bakr hat gestern Abend in seiner Gefängniszelle in Leipzig Selbstmord begangen. Das ist eine Tat, ein Vorgang, der natürlich viele Fragen aufwirft, der vor allen Dingen die sächsischen Sicherheitsbehörden wieder in ein ganz besonderes Licht stellt. Sie hatten ja schon in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder mit Vorwürfen zu kämpfen, sie würden nicht ganz auf Höhe der Zeit arbeiten.
    Der Name Alexander Hübner ist bereits gefallen. Er ist der Pflichtverteidiger von Dschaber al-Bakr und wir haben ihn jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Hübner.
    Alexander Hübner: Guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Hübner, was genau wissen Sie über die Todesumstände von Herrn al-Bakr?
    Hübner: Ich bin gestern Abend informiert worden, habe mich mit Leipzig in Verbindung gesetzt, habe dort mit der Oberstaatsanwältin Dr. Laube gesprochen, die vor Ort war und mir mitgeteilt hat, dass mein Mandant sich erhängt hat.
    Armbrüster: Haben Sie nähere Einzelheiten erfahren?
    Hübner: Nein, bislang nicht.
    Armbrüster: Wie sind denn Ihre Gespräche mit Herrn al-Bakr in den vergangenen Tagen verlaufen?
    Hübner: Wie so Gespräche meistens verlaufen, dass man die Situation bespricht, in der sich der Mandant befindet, dass man ihn versucht zu stabilisieren, ein bisschen Mut zu machen. Mir lagen ja die Akten noch nicht vor, sodass wir inhaltlich jetzt nicht sehr viel gesprochen haben zu der Sache. Es ging mehr um persönliche Dinge und seine Situation in der JVA.
    "Ich bin einigermaßen fassungslos"
    Armbrüster: Wie bewerten Sie denn nun das, was da passiert ist, dass Ihr Mandant sich umgebracht hat, dass er überhaupt in die Lage dazu kommen konnte, sich zu erhängen in seiner Zelle?
    Hübner: Wie Sie sicherlich wissen, kommt es leider Gottes häufiger zu Suiziden oder Suizidversuchen in Justizvollzugsanstalten. Nur in diesem speziellen Fall bin ich einigermaßen fassungslos, weil ich schon davon ausgegangen bin, dass aufgrund der Gesamtumstände, die ja auch bekannt waren - ich meine zum Beispiel den Hungerstreik und die angebliche Motivation, die dann dahinter gesteckt hat -, eine besondere Beobachtung stattfindet. Dann hatte ich am gestrigen Nachmittag noch mal mit der Anstalt telefoniert. Da ist mir gesagt worden, dass er in der Zelle an Steckdosen manipuliert hätte und eine Lampe zerstört hätte, dass man ihn auch besonders beobachten würde. Das scheint, ja nicht ganz geklappt zu haben.
    Armbrüster: Das heißt, Sie meinen, dieser Selbstmord, der hätte verhindert werden können?
    Hübner: Wissen Sie, ich möchte mich jetzt mit Schuldzuweisungen und Bewertungen zurückhalten. Ich würde erst mal gerne hören, was die Beteiligten und Verantwortlichen dazu zu sagen haben. Ich würde mir jetzt nicht so schnell ein Urteil bilden wollen. Mal gucken, was die heute um elf auf der Pressekonferenz erzählen.
    Armbrüster: Können Sie uns denn etwas zum Zustand von Herrn al-Bakr sagen? Wie hat er auf Sie gewirkt in den vergangenen Tagen?
    Hübner: Na ja. Am Montag war es sicherlich die Situation nach der Festnahme. Da sitzt jemand verschnürt und mit Augenbinden vor Ihnen und da können Sie sich vorstellen, wie es so jemandem vermutlich geht. - Entschuldigung, mein Telefon klingelt pausenlos.
    "Natürlich fühlt man sich in so einer Situation nicht wohl"
    Armbrüster: Ich schätze mal, wir sind nicht die Einzigen, die mit Ihnen heute Morgen sprechen wollen.
    Hübner: Das stimmt.
    Armbrüster: Ich gebe Ihnen gerne kurz Zeit, es auszustellen. Wir hören es auch im Hintergrund. Wenn Sie das gerade tun könnten?
    Hübner: Entschuldigung! - Am Dienstag war er dann schon etwas stabilisierter. So kam er mir jedenfalls vor. Natürlich fühlt man sich in so einer Situation nicht wohl, das ist ja ganz klar.
    Armbrüster: Was heißt stabilisierter?
    Hübner: Na ja, er wirkte auf mich jetzt gefasster. Ich hatte jetzt nicht den Eindruck, dass das unmittelbar bevorsteht. Aber ich bin auch kein Psychologe.
    Armbrüster: Was ist denn Ihr Eindruck? Hätten die Behörden, die Sicherheitskräfte von ihm wichtige Informationen erhalten können?
    Hübner: Von ihm?
    Armbrüster: Ja.
    Hübner: Das kann ich jetzt nicht beurteilen. Das steht mir auch nicht zu und das weiß ich auch nicht.
    Armbrüster: Wie beurteilen Sie die ganzen Umstände auch seiner Festnahme?
    Hübner: Das ist eine schwierige Frage. Ich meine, das ist die Arbeit der Polizei, der Ermittlungsbehörden, wobei ich auch nur das weiß, was in der Presse war. Da möchte ich mich jetzt nicht im Einzelnen zu äußern.
    Armbrüster: Und wie sind Sie zu ihm als Pflichtverteidiger gekommen?
    Hübner: Auch dazu kann ich Ihnen keine Angaben machen, oder möchte ich keine Angaben machen.
    "Offensichtlich war die Überwachung unzureichend"
    Armbrüster: Kann man denn in irgendeiner Form nun sagen oder zumindest darauf hindeuten, wo es hier in diesem Fall, in diesem Selbstmord ein Versagen gegeben hat?
    Hübner: Na ja, offensichtlich war die Überwachung unzureichend. Sonst wäre das ja nicht passiert. Ich bin davon ausgegangen, dass man ihn ständig beobachtet, weil die Umstände besorgniserregend waren. Ich spreche nur mal den Hungerstreik an und auch das Verweigern von Flüssigkeiten. Das ist ja schon was, dass sich jemand wohl offensichtlich selbst schädigen will. Für mich wäre das eigentlich eine Selbstverständlichkeit gewesen.
    Armbrüster: Heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen" war das Alexander Hübner, der Pflichtverteidiger von Dschaber al-Bakr, dem terrorverdächtigen Syrer, der sich gestern Abend in seiner Leipziger Gefängniszelle das Leben genommen hat. Vielen Dank, Herr Hübner, für dieses Gespräch.
    Hübner: Vielen Dank auch und guten Tag. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.