Dienstag, 14. Mai 2024

Archiv


Tragische Episode oder turbulente Epoche?

Selbstbewusst startet der Niedersachse Gerhard Schröder vor sieben Jahren. Ein neuer Wind zieht hinter den Gittern des Bonner Kanzleramtes ein. Rot-Grün soll ein Bündnis sein, das den Stillstand des Landes beendet. Doch das "Rot-Grüne Projekt" krankt nicht nur daran, dass es sich über weite Strecken als Achterbahnfahrt ohne erkennbare Linie präsentiert. In vielfacher Hinsicht verspielt diese Regierung immer wieder Vertrauen - in den eigenen Reihen ebenso wie bei den Wählern.

Von Frank Capellan | 01.07.2005
    " Für die aus meiner Sicht notwendige Fortsetzung der Reformen halte ich eine klare Unterstützung durch eine Mehrheit der Deutschen für unabdingbar. Deshalb betrachte ich es als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland als meine Pflicht, so rasch wie möglich Neuwahlen zum Deutschen Bundestag herbeizuführen. "

    Montag, 23. Mai 2005, der Tag nach dem Debakel in NRW, Gerhard Schröder kapituliert, der erste Chef einer rot-grünen Bundesregierung erklärt seine Demission. Das Spiel ist aus, der alte Kämpfer bereitet den geordneten Rückzug vor. Kaum jemand traut ihm zu, das Blatt ein weiteres Mal zu wenden, kraftlos liegt die Koalition in den letzten Zügen – mit der Vertrauensfrage rückt das Ende näher. Wechselstimmung liegt in der Luft, doch sie ist anders als 1998. Nach 16 Jahren waren die Deutschen damals des selbstherrlich auftretenden Helmut Kohl überdrüssig, heute macht sich bei vielen die Ansicht breit: "Rot-Grün hat seine Chance gehabt und nicht genutzt!"

    Schröder, 1998: " Wir werden deshalb nicht alles anders machen, aber wir werden es wirklich besser machen! "

    Selbstbewusst startet der Niedersachse vor sieben Jahren. Ein neuer Wind zieht hinter den Gittern des Bonner Kanzleramtes ein. Rot-Grün ein Bündnis, das den Stillstand des Landes beenden soll, sein Chef: ein Spaßkanzler...
    Gerhard Schröder geht unkonventionelle Wege, ein Kanzler in einer Unterhaltungsshow, einer, der dem Volk aufs Maul schaut.
    Ein Kanzler, der seine Liebe zur teuren Cohiba-Zigarre ebenso wenig versteckt wie die zur Currywurst. Schröder, der Populist, der sich erst im edlen Brioni-Zwirn ablichten lässt und dann mediengerecht die Flasche Bier zum Mund führt - ganz solidarisch – wie so oft - mit den Männern vom Bau.

    Schröder, 1998: " Liebe Kollegen, wir haben es geschafft (Jubel), es liegt viel Arbeit jetzt vor uns, beziehungsweise vor Euch! "

    Die vorübergehende Rettung des Holzmann-Konzerns nutzt er Ende 1999, um seine Regierung aus dem ersten Stimmungstief zu holen. Mal ist er Kanzler der Gewerkschaften, dann wieder Genosse der Bosse. Ein Pragmatiker, der Politik aus dem Bauch heraus macht, instinktiv immer auf der Suche nach Machterhalt und Machtgewinn. "Er hat sich erst mal durchgewurschtelt," meint der Berliner Politologe Gero Neugebauer rückblickend, "und dann sehr schnell einen präsidialen Regierungsstil entwickelt." Die Grünen wurden dabei zu Mehrheitsbeschaffern degradiert, doch auch die eigene Fraktion und Partei nimmt der damalige SPD-Vorsitzende lange Zeit nicht ernst. Und im Kabinett, so Neugebauer, legt er schnell eine erstaunliche Autorität an den Tag:

    " Beispiel: Frau Schmidt, Gesundheitsministerin, will eine Positivliste für die Pharmaindustrie durchsetzen. Schröder verhandelt mit ihnen, es gibt 400 Millionen Euro Ablass, es gibt keine Positivliste. Oder: In der Europäischen Union wird gedroht, eine Altauto-Richtlinie zu verabschieden, das ist ein Problem für die deutsche Autoindustrie, es gibt Gespräche von Schröder mit der Autoindustrie, am Ende steht dann eine Anweisung an Trittin, diese Verordnung in Brüssel scheitern zu lassen. "

    Oder der Atomausstieg, ehrgeizigstes Vorhaben des kleinen Koalitionspartners: Am grünen Umweltminister vorbei sorgt der Kanzler in Gesprächen mit der Energiewirtschaft für längere Laufzeiten. – Jürgen Trittin hat schließlich größte Mühe, den auf die lange Bank geschobenen Abschied von der Kernenergie gegenüber der eigenen Klientel als Erfolg zu verkaufen:

    " Zur Kenntnis zu nehmen ist, dass die Vertreter der Atomindustrie ausdrücklich und nachdrücklich betont haben, dass sie das Primat der Politik anerkennen. "

    Spontanes und sprunghaftes Regierungshandeln prägt diese Koalition und trägt letztlich mit zu ihrem Scheitern bei. Doch das "Rot-Grüne Projekt" krankt nicht nur daran, dass es sich über weite Strecken als Achterbahnfahrt ohne erkennbare Linie präsentiert. In vielfacher Hinsicht verspielt diese Regierung immer wieder Vertrauen - in den eigenen Reihen ebenso wie bei den Wählern. Und die Reformen werden ihr zum Verhängnis, obwohl grundsätzlich kaum jemand die Notwendigkeit einer Inventur des Sozialstaates in Abrede stellt.

    Schröder, 1998: " Nach 16 Jahren ist heute die Ära Helmut Kohl zu Ende gegangen! (Jubel) "

    Dabei hatte alles sehr viel versprechend begonnen. Viele sehen 1998 in Sozialdemokraten und Grünen ein Traumpaar, in ihren Augen macht sich die 68er Generation auf, eine verstaubte Republik zu entrümpeln. Lässig die Sektkelche haltend biegen sich der neue Kanzler und sein Vize Joschka Fischer vor Freude:

    " Die neue Mitte hat sich entschieden. Sie ist von der SPD zurück gewonnen worden. "

    Doch dem Rausch folgt schnell die Ernüchterung. Heute spricht SPD-Chef Franz Müntefering sogar von einer eher zufälligen Koalition und erweckt damit den Eindruck, als sei Rot-Grün eben doch kaum mehr gewesen als eine Sektlaune der Geschichte. Tatsächlich zerreiben sich die Koalitionspartner immer wieder, weil es an klar definierten Zielen fehlt.

    " Ich würde unter dem Strich sagen, wir haben viele Dinge vorangebracht, die sich Rot-Grün auch vorgenommen hat. Aber es gibt auch viele Dinge, die wir in Zukunft verbessern müssen. Der Politikstil, der Umgang miteinander, muss besser werden, und das grüne Profil könnte noch etwas deutlicher werden! "

    Resümiert Antje Radcke, damals Grünen-Vorsitzende, nach dem ersten Jahr der Koalition. "Früher als jede andere Regierungsallianz zuvor, wusste dieses Bündnis nicht mehr, was es eigentlich wollte", konstatiert später der Göttinger Parteienforscher Franz Walter und liefert die Begründung gleich mit: "Im Kern war Rot-Grün nie ein politisches Projekt. Es war vorwiegend eine kulturelle Attitüde, ein Generationsausdruck, ein Lebensgefühl!"

    Schröder, 1999: "Ich würde selbstkritisch akzeptieren, dass wir vielleicht zu schnell zu vieles gewollt haben. "

    Zunächst sind es gerade die handwerklichen Fehler, die diese Koalition straucheln lassen. Unprofessionell macht sich sein Kabinett an die Umsetzung der Ökosteuer, ständiges Nachbessern verpatzt den Auftakt des grünen Renommierobjektes auf ganzer Linie. Schröder gelobt Besserung, verspricht "Gründlichkeit vor Schnelligkeit", später wird daraus seine "Politik der ruhigen Hand", die ihm allerdings angesichts stetig steigender Arbeitslosenzahlen schnell als Politik des Nichtstuns angelastet wird. Schnell ist das rot-grüne Publikum desillusioniert, weil Schröder Wahlversprechen bricht – und enttäuscht, die Rentner etwa, seine Zusage, die Rentenhöhe stets den Nettolöhnen anzupassen, hält nur wenige Monate. Nullrunden für die Rentner durchziehen die rot-grünen Regierungsjahre, immerhin versucht der Kanzler, mittels Riester-Rente die private Vorsorge zu fördern und das System zukunftssicher zu machen. Das wachsende Ungleichgewicht zwischen Beitragszahlern und Rentenempfängern verlangt Schröder dann aber ein bemerkenswertes Eingeständnis ab:

    Schröder, 2003: "Ich will auch zugeben, meine Damen und Herren, den demographischen Faktor, der seinerzeit von Ihnen eingeführt worden ist, aufzuheben, das war ein Fehler!"

    Als sich Gerhard Schröder zu Beginn seiner zweiten Amtszeit im Bundestag zu dieser Entschuldigung durchringt, ist er gerade dabei, auch im Arbeitsrecht ein Wahlversprechen zu übergehen:

    Schröder, 2002: "Weg mit dem Kündigungsschutz, weg mit den Arbeitnehmerrechten – das ist nicht unser Konzept! "

    Trotzdem ist es Rot-Grün, das eine Flexibilisierung des Kündigungsschutzes durchsetzt. "Versprochen - Gebrochen" - hält nicht nur CDU-Chefin Angela Merkel bis heute entgegen. Die alles entscheidende Hürde aber hat sich Schröder dabei selbst zu hoch aufgestellt:

    Schröder, 1998: "Ich möchte gemessen werden an einer einzigen Frage, an der nämlich, ob es einer neuen Regierung gelungen ist, die Arbeitslosigkeit massiv zu senken, daran wollen wir gemessen werden, und wenn es uns nicht gelingt, bereits in den ersten Jahren Durchbrüche zu erzielen, dann haben wir es nicht verdient, weiter zu regieren!"

    Als Maßstab nennt Schröder sogar eine konkrete Größe: Auf 3,5 Millionen soll die Zahl der Arbeitslosen sinken. Peter Hartz, VW-Personalvorstand, Namensgeber und Erfinder der umfangreichen Arbeitsmarktreformen, erweckt später noch den Eindruck, als ließe sich die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2005 sogar halbieren. Vor der Bundestagswahl 2002 müht sich Kanzler Schröder, sein Scheitern mit den ungünstigen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und dem Verweis auf den 11. September zu erklären. Heute fruchtet das nicht mehr, beim Thema Arbeitslosigkeit hat diese Koalition jeglichen Kredit verspielt, davon ist Gero Neugebauer vom Berliner Otto-Suhr-Institut überzeugt:

    "Die Art und Weise, wie man den Arbeitsmarkt in den Griff bekommen wollte, hat eher auch Verwirrung erzeugt, dadurch, dass man gesagt hat, wir nehmen arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger raus, ohne sich kommunikationsmäßig vorzubereiten auf die Situation, was es dann auf einmal heißt, mehr als fünf Millionen oder knapp sechs Millionen Arbeitslose zu haben, und gerade, weil das so einen hohen Symbolwert hat, weil eben auch viele Hoffnungen geknüpft worden sind an Verbesserungen auf dem Gebiet des Arbeitsmarktes, denke ich schon, dass das als das Politikfeld anzusehen ist, auf dem diese Regierung am deutlichsten gescheitert ist. "

    Zu lange suggeriert Rot-Grün, dass ein Abbau von Sozialleistungen der Schlüssel zur Lösung der Probleme am Arbeitsmarkt sein könnte. Berlin, 14. März 2003 – die Zäsur in der Ära Schröder:

    Schröder, 2003: "Wir werden, meine sehr verehrten Damen und Herren, Leistungen des Staates kürzen, alle Kräfte der Gesellschaft werden ihren Beitrag leisten müssen, Unternehmer und Arbeitnehmer, freiberuflich Tätige – und auch Rentner."

    Der Kanzler spricht den vielleicht wichtigsten Satz seiner gesamten Amtszeit: Gerhard Schröder stellt seine Agenda 2010 vor, jenes Reformwerk, zu dem ihm in der ersten Legislaturperiode noch der Mut gefehlt hatte. Nur sein entschiedenes Nein zum Irak-Krieg und die Elbeflut haben ihm überhaupt die Chance dazu gegeben, jetzt will er es wissen, das wagen, woran sich keine Regierung vor ihm herangetraut hat:

    Neugebauer: " Agenda 2010, das ist ein Regierungsprojekt, bei dem der Kanzler das erste Mal über den Tag hinaus etwas vorstellt. Es ist ein Konzept, das relativ fertig dann verkündet wurde und die Partei, deren Abgeordnete, in eine Situation geraten, wo sie sagen: Wir sind verpflichtet, den Kanzler zu stützen, aber andererseits werden wir von diesem Ding so überrascht und: Es hat auch keinen Zusammenhang mehr mit dem zentralen Grundwert, an dem entlang sich die Sozialdemokratie immer orientiert hat, nämlich soziale Gerechtigkeit."

    Umfangreiche Änderungen im Arbeitsrecht, ein flexiblerer Kündigungsschutz, eine Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, dazu eine Umgestaltung der Bundesanstalt für Arbeit – das sind die Kernpunkte der Schröderschen Grausamkeiten, die das Land in Atem halten und die eigenen Anhänger aufs Äußerste strapazieren:

    Ottmar Schreiner: "Dass der 55-jährige Bauarbeiter, der 40 Jahre gearbeitet hat, arbeitslos wird und nach einem Jahr in der Sozialhilfe hockt, das widerspricht völlig meinen Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit. "

    Sigrid Skarpelis-Sperck: "In eine Konjunkturkrise hineinzusparen, führt nur, wie die Vergangenheit gezeigt hat, zu höheren Defiziten und führt nur zu schwächerem Wirtschaftswachstum. "

    Die Gewerkschaften brechen zeitweise mit der SPD, nie zuvor in der 140-jährigen Geschichte der Sozialdemokratie war man so weit voneinander entfernt: ein DGB-Vorsitzender kündigt den Genossen den Kampf an:

    Michael Sommer: " Die deutschen Gewerkschaften sind Einheitsgewerkschaften, sie sind nicht der Vorhof irgendeiner politischen Partei, auch nicht der SPD, und dass wir uns natürlich jetzt enttäuscht fühlen von der Sozialdemokratie, weil sie auch andere Wahlversprechen gemacht hat, das muss man verstehen, und dann tut es der Demokratie gut, wenn wir diesen Konflikt austragen!"

    Wolfgang Clement, der Superminister für Wirtschaft und Arbeit, soll vermitteln, klarmachen, dass die Reformen mittels Fördern und Fordern für mehr Beschäftigung sorgen:

    " Sozial ist, Menschen in Arbeit zu bringen, das habe ich oft genug gesagt, und das ist übrigens auch sozialdemokratisch vom Scheitel bis zur Sohle!"

    In den Koalitionsfraktionen gibt es daran erhebliche Zweifel. Innerparteiliche Opposition auch bei den Grünen. Der parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck warnt…

    " …dass, wenn Rot-Grün es nicht schafft, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen, dass dann die andere Seite des Hauses das Ruder in die Hand bekommt, und dann sind Leute dran, die mit Lust am Einschnitt Politik machen."

    Der Kanzler selbst droht schließlich immer wieder mit Rücktritt und Vertrauensfrage, um seine hauchdünne Mehrheit im Bundestag über die Runden zu retten:

    Schröder: "Wer etwas anderes beschließen oder durchsetzen will, der muss wissen, dass er die inhaltliche Grundlage für meine Arbeit mir entzieht und mich zu Konsequenzen zwingt./ Guckt mal genau hin, wie das 1982 gelaufen ist, aber guckt noch genauer hin, wie lange es gedauert hat, bis man wieder dran war./Mein politisches Schicksal will ich ganz bewusst verbinden mit der Durchsetzung dieser Reformforderung."

    Den SPD-Vorsitz gibt er ab, weil sich seine kalten Reformvorhaben so wenig mit der sozialdemokratischen Seele in Einklang bringen lassen. Franz Müntefering soll die Genossen nun hinter ihrem Kanzler versammeln, was ihm in der Fraktion gelang, soll er nun auch in der Partei schaffen: von der Unumkehrbarkeit des eingeschlagenen Weges überzeugen:

    " Opposition gehört zur Demokratie dazu, aber Opposition ist Mist! Lasst das die anderen machen! Wir wollen regieren!"

    Die Genossen vermag er damit mehr schlecht als recht bei der Stange zu halten, nicht aber den Wähler. Nicht weniger als zehn Landtagswahlen gehen seit 2002 für die SPD verloren, der oft so undurchsichtige Reformkurs, der ausbleibende Erfolg bei Wirtschaftsbelebung und Abbau der Arbeitslosigkeit schrecken ab, doch auch auf anderen Politikfeldern ist kein Erfolg zu erkennen:


    Eichel: "Den Abbau der Neuverschuldung fortsetzen, 2006 zum ausgeglichenen Haushalt kommen, gleichzeitig gehören dazu weitere Anstrengungen für mehr Wachstum und Beschäftigung."

    Als Sparkommissar wollte Hans Eichel Geschichte machen, in Rekordzeit für einen ausgeglichenen Haushalt sorgen. Lange Zeit hat er die Bevölkerung hinter sich, die Bereitschaft zu folgen ist zunächst erstaunlich. Doch immer neue Haushaltslöcher zwingen die Bundesregierung, neue Schulden zu machen, mit Folgen auch für die Einhaltung des europäischen Stabilitätspaktes:

    " Ich sage ausdrücklich, wir werden die Maastricht-Kriterien halten!"

    Auch diese Zusage kann nicht erfüllt werden - dreimal in Folge reißt Rot-Grün die Latte des Defizitkriteriums von 3,0 Prozent. Die große Steuerreform, die den Spitzensteuersatz auf 42 Prozent senkt, bereitet Eichel zusätzliche Probleme. Der Finanzminister war zudem immer gegen eine Senkung der Körperschaftssteuer, aus Angst vor weiteren Haushaltslöchern. Für neue Lücken sorgt immer wieder die klamme Rentenkasse, mit Ach und Krach gelingt es Rot-Grün, den Beitragssatz bei 19,5 Prozent zu halten. Die Bilanz der Finanzpolitik ist verheerend: Der Schuldenberg ist inzwischen bei gut 850 Milliarden Euro angekommen, bei Regierungsübernahme lag er deutlich unter 500 Milliarden.

    Gefruchtet hat allein die Gesundheitsreform. Der Ärger über die Praxisgebühr verflog schneller als erwartet, Einsparungen und Kürzungen bei den Leistungen sorgen dafür, dass zumindest einige Krankenkassen die Beiträge senken, auch wenn die gleichmäßige Belastung bei weitem nicht so gelungen ist, wie das Kerstin Müller von den Grünen im Herbst 2002 gefordert hatte:

    " Es geht nicht, dass man in die Zweiklassenmedizin marschiert, wo die Pharma-Industrie verschont bleibt und die Hauptlast die Patienten zu tragen haben. Das ist mit Rot-Grün nicht zu machen, das haben wir im Wahlkampf angekündigt!"

    Was also wird bleiben von sieben Jahren Rot-Grün? Atomausstieg, Dosenpfand, doppelte Staatsbürgerschaft und Homo-Ehe sind Eckpfeiler, die immer mit diesem Bündnis verbunden sein werden und ganz deutlich die grüne Handschrift tragen. Trotz umstrittener Anti-Terror-Gesetze - die Grünen haben zweifelsohne ihren Anteil daran, dass sich Deutschland als liberaler, weltoffener Staat präsentiert, so wie es die Vorsitzende Claudia Roth zu Beginn der zweiten Amtszeit von Rot-Grün ankündigte:

    "Wir werden dafür sorgen, dass die rot-grüne Koalition weiterhin eine moderne Innen- und Rechtspolitik machen wird und eine vorwärts gewandte Bürgerrechtspolitik. "

    Aber wird all das ausreichen, um später einmal von mehr als einer rot-grünen Episode zu sprechen?

    Neugebauer: " Sieben Jahre lang sind eine Episode, das kann man schon sagen. Es gibt in dieser Zeit auch einige Dinge, die Nachhaltigkeit haben, das ist der Ausstieg aus der Atomkraft, das ist die Ökosteuer, eine Verlagerung von Sozialkosten nach außen, die Zuwanderung ist eher ein Missglücktes, weil es doch sehr restriktiv ist. Aber bei anderen Sachen … Epoche?! … Ich weiß nicht. Eine Epoche zeichnet sich ja in der Regel dadurch aus, dass man sagt: das hinterlässt eine nachhaltige Wirkung. – Die Chance wäre gegeben gewesen, wir sind in einer Phase, wo man in einer Auseinandersetzung ist, ob sich in Zukunft in Deutschland der rheinische Kapitalismus halten oder der anglo-amerikanische Kapitalismus durchsetzen wird."

    Darum wird die SPD weiter ringen, glaubt Parteienexperte Neugebauer. Allein außenpolitisch hat seine Regierung die Erwartungen mehr als erfüllt. Das standhafte Nein zum Irak-Krieg wirkte überzeugend, auch wenn Schröder die deutsche Anti-Kriegsstimmung geschickt für seine Wiederwahl zu nutzen wusste. Verteidigungsminister Peter Struck hat die Bundeswehr für neue Aufgaben gerüstet und das Ansehen Deutschlands mit zahlreichen Auslandseinsätzen vermehrt. Kanzler und Außenminister haben sich als leidenschaftliche Europäer weltweit Respekt verschafft. Auch diese Gewissheit wird Schröder den Abgang ein wenig erleichtern. Und sein Lebenswerk, die Agenda 2010? Wird Gerhard Schröder irgendwann als der deutsche Reformkanzler in den Geschichtsbüchern landen? Zumindest in diesem Punkt kann Parteienforscher Neugebauer den Regierenden beruhigen:

    " Man wird Gerhard Schröder schon – und das auch teilweise zu recht sagen können: Er war der Reformkanzler, er hat Reformen angestrebt, die nicht nur den Wandel von Strukturen, sondern auch den Wandel von Mentalitäten und selbst die Veränderung der Partei zum Inhalt hatten. Man wird ihm dann aber in der Bilanz auch sagen müssen: Das ist ungenügend vorbereitet, mangelhaft durchgeführt, und insofern ist er mit Sicherheit ein Kanzler der Reformen, aber einer der unvollendeten. "