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Transkatheter-Aortenklappenimplantation
Neue Wege zum Herzen

Früher versuchten Kardiologen, das Herz ihrer Patienten mit Medikamenten zu heilen. Half das nicht, blieb oft nur noch die Möglichkeit einer großen Operation. Seit einigen Jahren setzen sich in der Herzmedizin immer stärker minimal-invasive, kathetergestützte Verfahren durch. Dazu zählt auch die Transkatheter-Aortenklappenimplantation, abgekürzt TAVI.

Lennart Pyritz im Gespräch mit Martin Winkelheide | 03.02.2015
    Martin Winkelheide: Der vergangene Woche in Berlin vorgestellte Deutsche Herzbericht 2014 behandelt diese neuen, anspruchsvollen Techniken. Mein Kollege Lennart Pyritz hat sich über ihre Chancen und Risiken informiert. Wie läuft eine kathetergestütze Aortenklappenimplantation (TAVI) praktisch ab?
    Lennart Pyritz: Der Ausgangspunkt für so eine OP ist, dass die Aortenklappe des Herzens nicht mehr richtig funktioniert, verkalkt ist. Das Herz muss stärker arbeiten, Atemnot und Schwindel sind die Folgen. Die Patienten bekommen dann eine Bio-Prothese implantiert. Dabei dienen etwa die Herzspitze oder die Leistenarterie als Zugangsweg in den Körper. Alle Instrumente gelangen durch Katheter, nur Millimeter-dicke Schläuche, zum Herz. Auch die neue Herzklappe wird zusammengefaltet auf einem Drahtrahmen eingeführt. Ist sie in der richtigen Lage, wird die alte Klappe mithilfe eines Ballons verdrängt. Nach Ablassen des Ballons übernimmt dann die neue Klappe die Funktion der alten. Das Ganze wird am schlagenden Herzen durchgeführt.
    Winkelheide: Welche Vorteile bieten kathetergestützte Verfahren wie TAVI gegenüber einem konventionellen chirurgischen Eingriff und für wen?
    Pyritz: Ich habe mit Professor Gerd Hasenfuß gesprochen, Kardiologe am Göttinger Universitäts-Klinikum. Und mit den Herzchirurgen Professor Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover und Professor Joachim Cremer vom Uni-Klinikum Schleswig-Holstein. Alle sind sich einig, dass TAVI besonders für inoperable und Hochrisiko-Patienten Vorteile hat. Also ältere und stark geschwächte Patienten mit Begleiterkrankungen. TAVI dauert kürzer und ist minimal-invasiv, es wird nicht wie bei einer konventionellen OP der Brustkorb geöffnet und der natürliche Kreislauf durch eine Herz-Lungen-Maschine ersetzt. TAVI habe aber nicht generell weniger Risiken, sagt Professor Cremer.
    Winkelheide: Profitieren denn auch die Kliniken von TAVI?
    Pyritz: Dazu gibt es unterschiedliche Sichtweisen: Der Kardiologe Professor Hasenfuß sagt, TAVI sei zwar höher vergütet, aber auch mit hohen Kosten verbunden und deshalb ökonomisch kein Gewinn für seine Klinik. Der Herzchirurg Professor Haverich sagt, TAVI bringe Krankenhäusern mehr Geld ein als eine offene OP. Das sei auch ein wesentlicher Grund, warum nicht nur Unikliniken das Verfahren anböten, sondern auch viele kleinere Krankenhäuser mit schmalerer Ausstattung. Auch Professor Cremer spricht von einem ökonomischen Vorteil für die Kliniken. Allerdings hänge das ab von den Einkaufs-Konditionen, die das jeweilige Krankenhaus etwa für die Prothesen aushandele und der Auswahl der Patienten.
    Winkelheide: Wo liegen Risiken bei so einem Verfahren?
    Pyritz: Beim Eingriff selbst können Gefäße verletzt oder die Herzwand perforiert werden. Professor Haverich warnt zudem, dass Teile der alten Herzklappe sich lösen und Blutgefäße verschließen können. Außerdem bestehe das Risiko, dass die Bio-Prothese nicht dicht ist, da sie eingespannt und nicht eingenäht wird.
    Die Lebensdauer der TAVI-Prothesen ist ebenfalls noch unsicher. Bio-Prothesen, die bei offenen chirurgischen OPs eingesetzt werden, halten etwa 10 bis 15 Jahre. Es ist aber unklar, ob das auch für die TAVI-Prothesen gilt. Das ist auch ein Grund, warum TAVI eher keine Option für jüngere Patienten ohne Begleiterkrankungen ist.
    Winkelheide: Welche Standards sollten Ärzteteam und Klinik erfüllen, wenn dort minimal-invasive Verfahren durchgeführt werden?
    Pyritz: Dazu gibt es einen Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses von Ende Januar. Demnach müssen sogenannte Herz-Teams aus Kardiologen, Herzchirurgen und Anästhesisten während des Eingriffs durchgehend anwesend sein. Und in Zukunft darf TAVI nur an Kliniken mit Fachabteilungen in Kardiologie und Herzchirurgie durchgeführt werden. Das haben alle Gesprächspartner begrüßt.
    Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung e.V. hat Qualitätskriterien zur Durchführung von TAVI, herausgegeben. Demnach sollte eine Klinik zur Sicherstellung der Expertise 50 oder mehr TAVIs pro Jahr durchführen, also etwa ein Eingriff pro Woche.
    Winkelheide: Worauf können/sollten Patienten achten, die sich für ein kathetergestütztes Verfahren wie TAVI entscheiden?
    Pyritz: Auch da wieder Einigkeit bei den Experten: Patienten sollten transparente und ehrliche Aufklärung von der Ärzteseite einfordern. Mit Kardiologen und Chirurgen, also dem Herz-Team, über die jeweiligen Vorteile und Risiken eines klassischen chirurgischen Eingriffs beziehungsweise eines minimal-invasiven Verfahrens sprechen.
    TAVI-Patienten sollten auch darauf achten, dass der Eingriff in einer großen Klinik mit herzchirurgischer Abteilung stattfindet. Man kann auch durchaus fragen, wie viele entsprechende Eingriffe pro Jahr gemacht werden und wie die Versorgung und Infrastruktur im Notfall aussieht.