Dienstag, 14. Mai 2024

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Umstrittene Werbung in der "Bild"-Zeitung
Eine ganze Seite Propaganda

Ungarn hat in der "Bild"-Zeitung eine ganzseitige Anzeige geschaltet, um die Vorstellungen der Orban-Regierung zur Zukunft der EU zu verbreiten. Es ist nicht das erste Mal, dass mit viel Geld aber ohne Objektivität die Reichweite großer Medien genutzt wird, kritisiert Kolumnistin Marina Weisband.

Von Marina Weisband | 07.07.2021
Mehrere Ausgaben der "Bild"-Zeitung liegen aufeinander, ganz oben eine ganzseitige Anzeige der ungarischen Regierung.
In der "Bild"-Zeitung hat die ungarische Regierung eine ganzseitige Anzeige geschaltet (Deutschlandradio)
Eine Regierung wird von Medien kritisch kontrolliert. Wenn sie mit ihren Plänen oder Gesetzesvorhaben einen ganzseitigen Artikel haben will, der sie ausschließlich in gutem Licht darstellt, muss sie sich schon verdammt viel Mühe geben. Und die Zeitung müsste sich den Vorwurf der Korruption oder mindestens den mangelnder Kritik gefallen lassen.
Das ist alles anstrengend und kompliziert und lässt sich leicht und legal abkürzen. Für das nötige Kleingeld kann man nämlich zum Beispiel eine ganzseitige Anzeige in der "Bild" schalten (wir sprechen hier von etwa einer halben Million Euro). Dann ist das nämlich Werbung und die Anzeige darf man frei gestalten.
So hat das die ungarische Regierung von Orban gemacht und am 05.07. in der "Bild" ganzseitig eine Werbeanzeige geschaltet, in der sie "Ungarns Vorschläge" zur "Zukunft der Europäischen Union" macht.

Viel Platz für einen "Feind der Pressefreiheit"

Die sieben Vorschläge enthalten auffällig oft das Wort "müssen" und sind eher Forderungen und Kritik an der EU. Das ist verständlich, so aus Orbans Perspektive. Seine diskriminierende Politik gegen queere Menschen, seine antisemitische Rhetorik und sein autoritärer Führungsstil wurden von anderen europäischen Staaten kritisiert. Aber dann ist es schon seltsam, wenn die auflagenstärkste Zeitung Deutschlands sich für ganzseitige Propaganda eines autoritären Staates einspannen lässt – gerade von einer Regierung, die von den "Reportern ohne Grenzen" als "Feind der Pressefreiheit" eingestuft wird.
Ein ganz ähnlicher Fall ist gar nicht so lange her. Da haben die Metall- und Elektroindustrie unter dem Deckmantel der Plattform "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" populistische und sogar irreführende Werbung gegen Annalena Baerbock gemacht (wir erinnern uns an das Moses-Gleichnis). Die Deutsche Presseagentur untersuchte vier der Vorwürfe und fand, dass zwei falsch waren, zwei irreführend.

Journalistische Inhalte mit farbiger Fläche überschattet

Das hat nichts daran geändert, dass die Anzeige großzügig und auffällig die Inhalte großer Medien einrahmte: "Zeit Online", "Süddeutsche Zeitung", "FAZ", "Handelsblatt" und wieder "Bild".
Das heißt also, ich kann eigentlich als jedweder Akteur hingehen und die gesamten Kontrollinstanzen von journalistischem Ethos, Handwerk, Objektivität einfach über Bord werfen, aber dennoch die Reichweite anerkannter (oder weniger anerkannter) journalistischer Erzeugnisse nutzen. Mehr noch, ich kann ihre sorgsam kuratierten Inhalte mit farbiger Fläche und knalligen Bildern überschatten. Und zwar einfach, weil Zeitungen das Geld brauchen.

Diskurs für viel Geld beeinflussen

Das ist ein cooler Hack für alle, die Geld haben. Die können den Diskurs dann nämlich ganz anders beeinflussen, als beispielsweise Pflegekräfte, die hoffen und bangen müssen, dass Journalisten sich entschließen, ihren Arbeitskampf ebenso wichtig zu erachten wie Annalena Baerbocks Lebenslauf.
Wir können uns jetzt darüber unterhalten, was eigentlich Werbung ist und was diesen Rahmen verlässt. Anwälte hätten dazu sicher andere Ansichten als Leser. Aber ich glaube, in einer Sache können wir uns einig sein: Man sollte sich nicht mit Geld von journalistischer Einordnung freikaufen können. In bestimmtem Maße kann man das ja sowieso schon. Aber wenn Zeitungen sich als bloße Plakatwände für die Propagandaposter autoritärer Staaten missbrauchen lassen, läuft etwas schief.
Marina Weisband wurde 1987 in der Ukraine geboren und kam 1994 als Kontingentflüchtling nach Deutschland. Von 2011 bis 2012 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Die Schwerpunkte der Autorin und Diplompsychologin sind Partizipation und Bildung. In ihrem Buch "Wir nennen es Politik" schildert sie Möglichkeiten neuer politischer Partizipation durch das Internet. Seit 2014 leitet sie bei politik-digital.de das aula-Projekt zur Demokratisierung von Schulen.