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TV-Tipp: "Dschihadisten im Visier"
Der mühsame Kampf gegen den Einfluss der Islamisten

Um im Kampf gegen den Terror mittelfristig Chancen zu haben, muss es soziale Veränderungen geben, fordern Experten. Die islamistischen Propagandisten zielen auf die Schwachpunkte unserer Gesellschaft: Krisen in der Familie oder Defizite der Integrationspolitik. "Dschihadisten im Visier" heißt eine Dokumentation, die heute Abend beim TV-Sender Arte läuft.

Von Bernd Sobolla |
    A Palestinian women attends an Islamic Jihad rally in Gaza City on 30 October 2009. Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu on Friday met with Washington?s Middle East envoy ahead of talks with US Secretary of State Hillary Clinton aimed at reviving the peace talks
    Dschihadisten sind bereit, für ihre Ideologie Gewalt anzuwenden. (dpa / EPA / Ali Ali)
    Bis zu 8.000 Personen sind in Frankreich in dschihadistischen Netzwerken aktiv, 600 befinden sich in Syrien oder im Irak. Was kann für diese Generation getan werden, die sich für den Dschihad begeistert? Der Autor und Ex-Islamist Farid Abelkrim betont bei einer Diskussion in der Adda´wa Mosche in Paris, dass das Internet und seine islamistischen Protagonisten so starke Anziehungskraft auf die jungen Menschen haben, weil diese in den Moschen kaum Antworten auf ihre Fragen nach Lebenssinn erhalten.
    In Moscheen kann man nichts mehr lernen
    "Die Moschee ist nicht mehr der Ort, an dem man etwas lernen kann, man findet dort keinen reflektierten Islam. Und wenn diese Jugendlichen etwas charakterisiert, dann ist es ihre große Unwissenheit. Und das, worüber sie am allerwenigsten wissen, ist ihre Religion."
    Ein Polizeiauto passiert in Frankreich den Eiffel-Turm.
    Frankreich spürt die Folgen der Attentate. (afp/Francois Guillot)
    Die Dokumentation führt uns von Paris nach Marseille und schließlich nach Dänemark. Wobei verschiedene Experten mit straffällig gewordenen jungen Männern über Religion, Gesellschaft und Gewalt reden und ihre Angehörigen unterstützen, das Familienleben zu erhalten. Farid Abelkirm setzt auf Bildung, Wissen und Kunst – und auf das Studium der Religion. Regelmäßig besucht er Häftlinge und berichtet ihnen von seinen Erfahrungen als Autor und gläubiger Moslem sowie von seiner Suche nach Spiritualität.
    "Im Grunde konzentriert sich der Islam auf zwei Dinge: Auf die äußere Form und auf das, was im Inneren geschieht. Aber ich glaube, der Blick Gottes ist vor allem auf unser Herz gerichtet. Aber genau das ist für mich der Dschihad. Dschihad heißt kämpfen. Das heißt vor allem sich selbst bekämpfen. Man muss sich Gott unterwerfen. Im Wort Islam steckt Unterwerfung, aber auch Frieden. Es gibt keine Unterwerfung ohne Frieden."
    Islamisten stammen aus allen Gesellschaftsschichten
    Auch wenn junge Islamisten aus allen Gesellschaftsschichten stammen, gibt es doch ein auffälliges Muster: Viele von ihnen sind ohne Väter aufgewachsen oder jene sind gesellschaftlich gescheitert. Dieses Vakuum füllen die Islamisten, indem sie den jungen Leuten eine Ideologie bieten, die Farid Abelkrim erläutert.
    "Dann heißt es: Wir sind in Besitz der Wahrheit und werden angegriffen, weil wir diese Wahrheit besitzen, und deshalb müssen wir uns verteidigen. Wir müssen uns gegen sie verteidigen. Und "sie", das ist der Rest der Welt ohne jede Differenzierung. Es ist ein Islam der Ausgrenzung."
    Ein Propagandabild vom Twitter-Account Albakra News zeigt einen LKW mit der schwarzen Flagge der Terroristen.
    Ein Propagandabild vom Twitter-Account Albakra News. (AFP / HO / Albarak News)
    Um der Ausgrenzung entgegenzuwirken, wurden in Frankreich Büros für Präventionsarbeit eingerichtet, eine Mischung aus Antiterrorkampf und Sozialarbeit. Das Team in Marseille arbeitet vor allem mit Familien. Denn sie sind oft die letzte Hemmschwelle, welche die jungen Menschen abhält, nach Syrien zu gehen oder einen gewaltsamen Akt zu begehen. Manche Familien wenden sich erst nach dem Tod eines Kindes an die Sozialarbeiter, fürchten, dass auch ihre anderen Kinder abdriften könnten. Eine Mutter:
    "Ich habe mir gesagt, vielleicht wird mir kein Kind mehr bleiben. Vielleicht gehen alle weg. Wirklich, ich habe solche Angst. Der 16-Jährige hatte bis zuletzt Kontakt zu seinem Bruder in Syrien. Er hat nicht geweint, keine Gefühle gezeigt."
    Systematische Konfronation mit Gräueltaten
    Bei den Islamisten werden die jungen Leute systematisch mit Videos konfrontiert, die Gräueltaten an realen Menschen zeigen, damit ihre psychische Hemmschwelle bricht. Ausschnitte davon sieht man nicht. Aber der Film wirkt emotional durch die Betroffenheit der Angehörigen. Tatsache ist: Der Dschihad ist gut organisiert, seine Anziehung funktioniert, und die Protagonisten zielen auf die Schwachpunkte unserer Gesellschaft: die Krisen in der Familie, Defizite der Integrationspolitik und ein fehlendes Gesellschaftsprojekt.
    Eine Frau schaut auf eine Website mit Propaganda des IS.
    Eine Frau schaut auf eine Website mit Propaganda des IS. (picture alliance/dpa/Oliver Berg)
    Haben die Jugendlichen den Radikalisierungsprozess angetreten, ist der Weg zurück sehr schwer. Denn wer in Syrien oder im Irak war, ist für die Behörden ein Terrorist – und wird entsprechend behandelt. Die Anthropologin Dounia Bouzar spricht mit Familienmitgliedern deren Angehörige nach einiger Zeit in den Kriegsgebieten wieder in Frankreich sind.
    Junge Radikale haben Angst zurückzukommen
    "Genau deshalb haben sie auch Angst zurückzukommen. Weil sie wissen, dass man sie verurteilen wird, noch ehe man sie angehört hat. Wenn diese jungen Menschen reumütig zurückkehren und sie dann im Gefängnis versauern, ist das doch keine Lösung. Man braucht einen erfahrenen Experten, um den Grad der Radikalisierung einschätzen zu können. Das ist unglaublich wichtig. Aber man steckt sie einfach nur ins Gefängnis."
    "Dschihad im Visier" ist eine Dokumentation, die zeigt, wie allmählich die Behörden strukturierter auf die Bedrohung reagieren. Aber auch wie mühsam die Arbeit ist, den Einfluss der Islamisten zu bekämpfen. Denn immer geht es um Unterstützung, die dauerhaft, vertrauensvoll und individuell gestaltet sein muss.