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Ukraine
Auf den Spuren eines politischen Mordes

Vor elf Monaten wurde die Altstadt von Kiew zum Schauplatz eines Verbrechens, das die ganze Ukraine erschütterte: Eine Autobombe tötete den Journalisten Pawel Scheremet. Der damals 44-Jährige hatte kritische Artikel über die Korruption im Staatsapparat geschrieben. Musste er deswegen sterben?

Von Florian Kellermann | 29.05.2017
    Eine Person hält eine Zeitung mit dem Photo des ermordeten Journalisten Pawel Scheremet während seiner Beerdigung am 23. Juli 2016 auf dem Severnoye Friedhof in Minsk, Weißrussland.
    Der Journalist Pawel Scheremet starb am 20. Juli 2016 in Kiew durch die Explosion einer Autobombe (imago/Viktor Dracev)
    Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte es als "eine Frage der Ehre" bezeichnet, den Mord am Journalisten Pawel Scheremet aufzuklären. Heute tut er sich schwer zu erklären, warum immer noch keine Ergebnisse vorliegen:
    "Als erstes habe ich dafür gesorgt, dass wir in diesem Fall mit den weltweit besten Experten zusammenarbeiten. Ich habe mich deshalb an verschiedene ausländische Botschaften gewandt und auch an den US-Geheimdienst FBI. Natürlich bin ich nicht zufrieden, dass wir die Täter noch nicht überführen konnten."
    Das klingt für viele Ukrainer wie Hohn. Denn einer Gruppe von Journalisten ist es gelungen, wichtige Details des Mordes zu recherchieren, die den Ermittlern offenbar verborgen geblieben waren. Sie werteten Videos von Überwachungskameras aus - nicht nur vom Ort der Explosion, sondern auch von der Straße, in der Scheremet wohnte. Dort stand sein Auto, an dem die Täter in der Nacht vor dem Mord die Sprengladung anbrachten. Anna Babinets, eine der Journalisten:
    "Schon eine Stunde nach dem Mord hat mich ein Kollege angerufen, ob wir den Fall nicht gemeinsam recherchieren wollen. Wir haben uns entschlossen, unsere Erkenntnisse zunächst nicht zu veröffentlichen, um die Ermittlungen der Polizei nicht zu stören."
    Die Rolle des Geheimdienstes
    Ein Mann und eine Frau brachten in der Nacht vor dem Mord die Sprengladung an Scheremets Auto an. Das erste wichtige Detail, das - wie der Film zeigt - die Journalisten zutage förderten: Der Mann trug einen Pullover mit einer sehr auffälligen Abbildung auf dem Rücken. Eine Person mit so einem Kleidungsstück befand sich auch am nächsten Morgen in der Nahe der Explosion.
    Noch wertvoller jedoch erscheint die Analyse einer Videoaufnahme unmittelbar vor dem Haus, in dem Scheremet wohnte. Deutsche Kollegen halfen den ukrainischen Journalisten, das Kennzeichen eines dort geparkten Autos lesbar zu machen. Das Besondere daran: In diesem Auto hielt sich mehrere Stunden ein Mann auf - auch zu dem Zeitpunkt, als die Bombe angebracht wurde.
    Der Film endet mit den Worten: "Die Mängel in der Polizeiarbeit sind offensichtlich: Viele mögliche Zeugen sind nicht identifiziert. Ein wichtiges Video wurde nicht sichergestellt, oder jedenfalls nicht berücksichtigt. Die Ursache dafür könnte Inkompetenz sein. Möglicherweise ist sie jedoch viel schlimmer."
    Dieser weit schlimmere Verdacht ergibt sich aus der Identität des Mannes, der stundenlang am Tatort war. Die Journalisten fanden ihn in Kiew: Er war Mitarbeiter des ukrainischen Geheimdiensts SBU, zumindest bis vor drei Jahren.
    Könnte also der Geheimdienst, oder zumindest bestimmte Strukturen in der Behörde, etwas mit dem Mord zu tun haben? Der Internetzeitung "Ukrainska Prawda" wurden Dokumente zugespielt, die eventuell einen Hinweis geben. Die Redakteurin Sewhil Musajewa-Borowyk erklärte im Film:
    "Wir haben gesehen, dass uns offenbar jemand sehr genau überwacht. In den Dokumenten gab es Informationen über unsere Recherchen zu Themen, über die wir letztendlich gar nichts veröffentlicht haben."
    Zweifellos ein politischer Mord
    In den Recherchen der Zeitung, die in den Unterlagen erwähnt sind, geht es um mögliche Korruptionsskandale. Auch ein enger Mitarbeiter von Präsident Poroschenko taucht dabei auf. Die Ressourcen für so eine Überwachung hätte zum Beispiel der Geheimdienst SBU.
    Beweise dafür, dass der ukrainische Staat in den Mord verstrickt ist, sind das nicht. Für den ehemaligen SBU-Chef Walentyn Nalywajtschenko steht dennoch fest, dass es ein politischer Mord war:
    "Was Scheremet zuletzt am meisten interessiert hat, war Korruption in der Staatsanwaltschaft unter dem damaligen Generalstaatsanwalt. Hier geht es um große Summen, die in Steuerparadiese transferiert wurden. Das ist wichtig, um zu verstehen, warum er so niederträchtig und demonstrativ ermordet wurde."
    Präsident Poroschenko reagierte auf den Film. Er wies die Ermittlungsbehörden an, die im Film genannten neuen Zeugen zu verhören.