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Ukraine
"Krim-Anschluss für Moskau ist eine Tatsache"

Die Halbinsel Krim gehöre nun zum russischen Staatsgebiet. Dies sei eine Tatsache, die der Westen anzuerkennen habe, sagte Dmitri Tultschinski, Leiter des Deutschland-Büros der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti, im Deutschlandfunk. Darum sei auch eine Teilnahme Wladimir Putins an einer Siegesparade auf der Krim nichts Erstaunliches.

Dmitri Tultschinski im Gespräch mit Thielko Grieß | 09.05.2014
    Dmitri Tultschinski, Leiter des Deutschland-Büros der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti
    Dmitri Tultschinski, Leiter des Deutschland-Büros der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Die Bevölkerung der Krim habe mehrheitlich für ihren Beitritt zum russischen Staatsgebiet gestimmt , sagte Dmitri Tultschinski, Leiter des Deutschland-Büros der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti, im Deutschlandfunk. "Dies ist für Moskau eine Tatsache", so Tultschinski.
    Im ganzen Land Paraden
    Und wenn der russische Präsident Wladimir Putin heute tatsächlich auf die Krim fliege, um dort einer Siegesparade beizuwohnen, sei dies nichts Ungewöhnliches. Am heutigen 9. Mai werde im ganzen Land mit Paraden der Sieg über Nazi-Deutschland gefeiert. Und natürlich geschehe dies auch auf der Krim als "Teil Russlands".

    Das Interview in voller Länge
    Thielko Grieß: Heute ist Freitag, der 9. Mai, und heute treffen Geschichte und Gegenwart in Russland und der Ukraine frontal aufeinander. Es wird ein Tag der Paraden. Anlass ist das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa vor 69 Jahren. Russland feiert den Sieg der Sowjetunion und manch einer feiert zugleich die Befreiung der Halbinsel Krim, einmal 1944 von der Besatzung der deutschen Wehrmacht und möglicherweise auch eine Art Befreiung 2014.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Dmitri Tultschinski, Leiter des Berliner Büros der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Guten Morgen.
    Dmitri Tultschinski: Guten Morgen!
    Grieß:!! Für Sie ist heute auch sozusagen ein Feiertag, dieser 9. Mai. Was verbinden Sie mit diesem Tag?
    Tultschinski: Das ist vielleicht der größte Feiertag im Jahr. Das ist, glaube ich, jedem in unserem Land heilig, weil im Krieg praktisch keine Familie nicht betroffen war. Es gibt keine Familie, die nicht betroffen wäre in dem Krieg, und die Söhne und Töchter, die Enkel, die haben eine ganz große Erinnerung und ganz große Achtung vor unseren Vorfahren, die hier im Krieg für die Freiheit unseres Landes gekämpft haben. Übrigens waren wir im Krieg – ich meine jetzt die Völker der Sowjetunion – einig an der Front. Auch die Ukrainer waren massenhaft da vertreten. Ich nenne jetzt die Ukraine, weil das Wort ja jetzt in jedem Munde ist. Es waren Millionen, ich glaube, sechs Millionen in der Roten Armee, die aus der Ukraine kamen. Umgekommen sind ungefähr sieben Millionen Ukrainer und die Bevölkerung Kiews reduzierte sich in den Jahren der Besatzung auf 20 Prozent. Das sind natürlich fürchterliche Zahlen. Und ich denke an dem Tag auch daran, dass wir damals gemeinsam gegen den Feind, gegen die Nazi-Gefahr gekämpft haben.
    Die Bevölkerung der Krim war ganz eindeutig für die Selbstbestimmung
    Grieß: Sie sprechen von "wir" im Plural und meinen damit die frühere Sowjetunion, die Ukraine und die Ukrainer eingeschlossen. Wie passt das dazu, dass manch einer in Russland nun auch mit Blick auf die Krim und deren behauptete Zugehörigkeit nun zu Russland von einer Art Befreiung spricht?
    Tultschinski: Am besten würde das die Krim-Bevölkerung beantworten können. Die haben ja dann auf ihrem Referendum Gebrauch von dem Recht auf Selbstbestimmung.
    Grieß: Herr Tultschinski, ein Referendum, von dem auch die russische Regierung inzwischen sagt, da sei zumindest nicht ganz besonders genau gezählt worden.
    Tultschinski: Ich weiß nicht, ob die Regierung das sagt. Das sind andere Zähler, die diese Zahlen da irgendwie anführen. Ob ihnen so zu glauben ist, weiß ich nicht. Aber wie dem auch sei: Die Mehrheit der Bevölkerung der Krim war ganz eindeutig für die Selbstbestimmung, und die Selbstbestimmung führte dazu, dass die Krim jetzt ein Teil Russlands ist.
    Grieß: Dass das völkerrechtlich angezweifelt wird, das wissen wir beide. Das lassen wir jetzt einmal dahingestellt. Ich möchte auf ein mögliches Symbol zu sprechen kommen. Es gibt das Gerücht in Moskau, das wissen Sie sicher auch, dass Wladimir Putin, nachdem er die Parade in Moskau heute abgenommen haben wird, auf die Krim fliegt und dort auch etwas abnimmt, eine Siegesfeier mitfeiert. Wäre das ihm anzuraten?
    Tultschinski: Es ist nur natürlich. Es waren schon immer die Paraden in Russland am 9. Mai und jetzt gibt es auch eine Parade auf der Krim als Teil Russlands. Und wenn dort der Präsident auftaucht, dabei finde ich nichts Erstaunliches, nichts Überraschendes. Das wäre ja nicht gewöhnlich, normalerweise bleibt der Präsident in der Hauptstadt. Aber in diesem Jahr ist es eine besondere Situation. Deswegen kann ich mir schon vorstellen, dass er auf die Krim fliegt.
    Schlüssel zur Lösung der Ukraine-Krise liegt nicht allein in Moskau
    Grieß: Das wiederum würde ja sicher nicht den Prozess vereinfachen, mit der Übergangsregierung in Kiew an einen Tisch zu kommen und die Gewalt im Land zu beenden.
    Tultschinski: Ich glaube, das sind schon Sachen, die eher der Vergangenheit angehören. Das heißt, die Krim ist ein Teil Russlands, ob der Westen und die heutige ukrainische Regierung das wahr haben möchte oder nicht. Es ist für Moskau zumindest eine Tatsache. Und genauso eine Tatsache ist, dass Moskau sich jetzt für die Beendigung der Gewalt in der Ukraine auf beiden Seiten übrigens einsetzt, und das war auch jetzt ein Vorschlag von Putin, das Referendum in der Ostukraine zu verschieben. Dem Vorschlag wurde zwar keine Folge geleistet, aber das war eine Möglichkeit beziehungsweise der Vorschlag meinte eine Möglichkeit, die Gewalt zu beenden, und das war ja die Bedingung und das ist nach wie vor die Bedingung, um Gewalt in der Ukraine, in der Ostukraine zu beenden und sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen.
    Grieß: ..., dass beide Seiten ihre Gewalt beenden. Sie haben Recht, auch die Kiewer Übergangsregierung hält ja einstweilen an ihrem Anti-Terror-Einsatz fest, auch wenn sie jetzt einen nationalen Dialog anbietet, einschließlich einer Amnestie für prorussische Aktivisten. Aber, Herr Tultschinski, Sie haben es gesagt: Das Referendum soll trotzdem stattfinden, die Separatisten hören nicht auf den Wunsch Wladimir Putins. Ist dessen Arm nun doch offenbar kürzer, als wir alle gedacht haben?
    Tultschinski: Das kann man auch so sehen und Moskau hat schon mehrmals gesagt, es ist ein Irrtum, fest daran zu glauben, dass der Schlüssel zur Lösung der Ukraine-Krise allein in Moskau liegt. Schließlich sind die Menschen in der Ostukraine nicht blind und nicht taub. Sie wissen und sie sehen und sie spüren und sie bekommen zu spüren, was gegen sie gemacht wird, nämlich dieser Waffengang, dieser Militäreinsatz, und zwar nicht auf polizeilicher Ebene, sondern mit Panzern und Kanonen und Raketenwerfern. Das ist unerhört, wenn eine Regierung gegen das eigene Volk so vorgeht.
    Gelegenheit nutzen und sich an einen Tisch setzen
    Grieß: Bleiben wir noch mal kurz bei der Rolle Wladimir Putins, Herr Tultschinski. Oder eine andere Möglichkeit der Deutung, der Interpretation wäre ja, dass das eine Art abgesprochene Taktik ist. Wladimir Putin macht einen Friedensvorschlag, das steht ihm gut zu Gesicht, gerade zu einem 9. Mai, aber er weiß, dass sein Vorschlag ohnehin nicht Realität wird.
    Tultschinski: Darüber kann man natürlich spekulieren und diese Spekulation gibt es ja, glaube ich, massenhaft jetzt in den Medien. Aber ich glaube, man muss die Gelegenheiten, die sich bieten, oder die Männer, die diese Gelegenheiten anbieten, wirklich beim Wort nehmen und vor allem die Regierung in Kiew, aber auch natürlich die Ukrainer in der Ostukraine, die jetzt mit der Waffe da gegen die Armee auftreten, wären sehr gut beraten, diese Gelegenheit zu nutzen und wirklich sich an einen Tisch zu setzen und miteinander zu reden.
    Grieß: ..., sagt Dmitri Tultschinski, der Leiter des Büros in Berlin der russischen staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Danke für das Gespräch, Herr Tultschinski, und Ihnen trotz der aktuellen Krise einen guten Feiertag.
    Tultschinski: Vielen Dank!
    Grieß: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.